In dieser Vorschrift im Standardbefreiungsgesetz geht es um die Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe in einer anderen Form als der, die der Landesgesetzgeber beschrieben hat – nicht um den Wegfall der Aufgabe und auch nicht um eine qualitätsgeminderte Ausführung. Gesetze treffen eben häufig auf eine heterogene Landschaft. In der größten Kommune, Köln mit fast 1 Million Einwohnern, kann die Art und Weise der Aufgabenerfüllung durchaus eine andere sein als in der kleinsten Kommune Nordrhein-Westfalens, Dahlem, mit 4.281 Einwohnern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, das hieße ja, dass Sie die Unterschiedlichkeit der Menschen und ihrer Bedürfnisse anerkennen müssten – eine Erkenntnis, die Ihnen erfahrungsgemäß schwerfällt.
Wir wollen diesen Unterschieden mit dem vorliegenden Gesetzentwurf Rechnung tragen. Wir wollen dort, wo es aus lokaler Sicht sinnvoll erscheint, Möglichkeiten eröffnen und Spielräume für kommunales Handeln erweitern. Dass sich dies an der einen oder anderen Stelle auch ein
mal als nicht gangbarer Weg erweisen wird, ist uns bewusst. Das Gesetz spricht ausweislich und ausdrücklich von der Erprobung neuer Formen der Aufgabenerledigung.
Ein Versuch bringt bekanntermaßen auch das Risiko mit sich, das Ziel zu verfehlen. Allerdings – da sind wir anderer Ansicht als Sie, meine Damen und Herren von der Opposition – schätzen wir die Chancen dieses Gesetzes bei Weitem höher ein als die Risiken. So ist es noch nicht ganz so lange her, Herr Körfges, dass Rot-Grün das ebenfalls noch so gesehen hat.
Zum Gesetz zur Stärkung der Leistungsfähigkeit der Kreise, Städte und Gemeinden heißt es in einer Fünf-Jahres-Bilanz der Grünen aus dem Jahre 2000:
„Die Spielräume der Kommunen zu erweitern, ist eine wichtige Aufgabe, um sie handlungsfähig zu erhalten, ihre finanziellen Spielräume zu erweitern und die Selbstverwaltung zu stärken.“
Und heute, meine Damen und Herren, wollen Sie gegen die Einführung eines Gesetzes stimmen, das genau diese Zielsetzung hat? Konstruktive Opposition hieße, diesem Gesetzentwurf heute zuzustimmen. Ich befürchte aber, Sie werden gleich das tun, was Sie zurzeit am liebsten machen: die Dinge einfach schlechtreden!
Die Koalition der Erneuerung hingegen, Herr Körfges, setzt auf einen weiteren Baustein für bessere Chancenwahrnehmung, für mehr Flexibilität, gegen Lähmung durch Bürokratie und damit für eine gute Zukunft unseres Landes. – Danke sehr.
Vielen Dank, Herr Kollege Löttgen. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Kollege Körfges das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Richtig ist, dass man Zukunft möglich machen muss. Der Satz ist in seiner Allgemeinheit so platt wie richtig. Aber ich glaube, auch für die neue Regierungskoalition empfiehlt es sich, nichts Unmögliches zu machen. Das veranstalten Sie meiner Meinung nach nämlich im Augenblick.
Wir werden dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen, und zwar nicht, weil wir den Wunsch der Kommunen nicht nachvollziehen können, sich von belastenden kommunalen Standards zu befreien, erst recht nicht, weil wir den Kommunen nicht größere Handlungsspielräume einräumen möchten. Aber das, was hier vorgelegt wird, entspricht unserer Ansicht nach nicht diesen grundsätzlichen Anforderungen.
Richtig ist, dass es dem Grundgedanken der kommunalen Selbstverwaltung entspricht, unsere Städte und Gemeinden von überflüssigen Landesstandards zu entlasten. Das, was hier von Ihnen als Lösungsansatz vorgeschlagen wird, hilft im Ernst allerdings wenig und birgt zudem eine Reihe von Gefahren, was in den Stellungnahmen der kommunalen Spitzenverbänden an ein paar Stellen deutlich wird, die sich im Übrigen mit dem Leitmotiv ausgesprochen positiv auseinandersetzen.
Für Landesstandards ist zunächst prinzipiell der Landesgesetzgeber zuständig. Deshalb ist die Forderung nach systematischem Standardcontrolling und der Aufhebung von Standards durch das Land von den kommunalen Spitzenverbänden unserer Ansicht nach zu Recht problematisiert worden. Das geht alles ein wenig nach dem System: Sei nicht feige, Kamerad, lass mich hinter den Baum! Sie verlangen von den Kommunen, sich von kommunalbelastenden Standards zu befreien, was sie auch gerne tun. Auf der anderen Seite frage ich, wo Ihre Ansätze sind, auf der Landesebene Entsprechendes vorzunehmen? Das unterscheidet im Übrigen die Vorgängerregierung von dem, was hier im Augenblick angeboten wird.
Besonders dankbar, meine Damen und Herren, bin ich für den Hinweis, dass die Auseinandersetzungen mit Fachinteressen durch Ihr Vorhaben auf jede einzelne Kommune verlagert werden, und das vor dem Hintergrund einer sehr heterogenen Landschaft, aber nicht nur bezogen auf die Größe, sondern insbesondere auch bezogen auf die Finanzausstattung unserer Kommunen.
Durch Ihre kommunalfeindliche Haushaltspolitik nehmen Sie den Kommunen die Handlungsfähigkeit. Sie geben ihnen mit diesem Gesetz Steine statt Brot, nämlich die Möglichkeit, vor dem jeweils konkreten finanziellen Hintergrund anzuzeigen, von welchem Standard man sich gegebenenfalls trennen möchte.
Meine Damen und Herren, ich weise in dem Zusammenhang auf das Stichwort der Einheitlichkeit der Lebensbedingungen in unserem Lande hin.
Wenn es denn möglich ist, dieses von Ihnen als Bestandteil eines – das ist sehr vollmundig – Entfesselungsprogramms für Nordrhein-Westfalen dargestellte Gesetz mit etwas zu vergleichen, dann ist es womöglich am ehesten mit dieser berühmten preußischen weißen Salbe im Sanitätsbereich des preußischen Heeres zu vergleichen, die sehr gerne angewandt wurde. Die weiße Salbe hat zwar ernsthaft keine Wirkung entfaltet, konnte aber ohne jede weitere Folge besonders dick aufgetragen werden.
Vergleichbare Gesetze in anderen Bundesländern – ich habe anlässlich der Einführung des Gesetzesvorhabens darauf hingewiesen – haben erkennbar wenig Erfolge gezeitigt. Sie haben im Gegenzug darauf hingewiesen – das ist Ihnen unbenommen –, wir hätten hier eine qualitativ andere Sicht der Dinge, weil es eine Anzeigepflicht gebe. Diese setzt aber irgendwo auf. Dahin gehen meine prinzipiellen rechtlichen Bedenken. Die Anzeigepflicht unterliegt nicht der Willkür und Beliebigkeit. Sie setzt nicht nur eine Eigenüberprüfung voraus, sondern gegebenenfalls auch eine formale und fachliche Kontrolle. Es ist die Frage, wie Sie das juristisch gelöst bekommen.
So lobenswert alle Ansätze sind, um der kommunalen Ebene mehr Handlungsfreiheit zu geben, aber das, was Sie hier vorhaben, ist eher ein Risiko als eine Chance für die Gemeinden. Es gibt wesentlich bessere Mittel, den Kommunen zu helfen. Lassen Sie doch einfach die Finger von den kommunalen Finanzen. Versuchen Sie nicht, den Landeshaushalt auf Kosten unserer Städte und Gemeinden zu sanieren. Räumen Sie die notwendigen finanziellen Spielräume ein, statt die kommunalen Kassen leer zu räumen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Als nächste Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Becker das Wort.
(Christian Lindner [FDP]: Der Mann der un- konventionellen Parteiarbeit! – Gegenruf von Hans-Willi Körfges [SPD]: Lassen Sie ihn doch erst einmal reden!)
Meine Damen und Herren! Der Beratungsverlauf zum Standardbefreiungsgesetz hat eines deutlich gezeigt: Das Gesetz kann nicht überzeugen.
Diese, wie es so schön heißt, abstrakt generelle Regelung in Form einer Experimentierklausel bei der Erfüllung eines Gesetzesauftrags wird weder die Erwartungen der kommunalen Spitzenverbände erfüllen, noch stellt sie ein geeignetes Verfahren dar, die in Gesetzen enthaltenen Standards daraufhin zu überprüfen, ob sie noch zeitgemäß sind und in der gegebenen Form weiterhin bestehen sollten.
Ich sage Ihnen voraus, dass es hier nicht anders sein wird als in Baden-Württemberg. Es wird nur sehr selten und nur sehr vereinzelt überhaupt zur Umsetzung kommen.
Die kommunalen Spitzenverbände begrüßen dieses Gesetz zwar. Schließlich handelt es sich um einen alten Vorschlag der Verbände. Aber zumindest der Landkreistag weist in seiner umfangreichen Einlassung darauf hin, dass er eigentlich viel weitergehende Wünsche hat. Er fordert nämlich ein systematisches Standardcontrolling mit dem Ziel, für die Aufgabenerfüllung nicht notwendige Standards vollständig abzubauen. Zudem verweist er auf haftungsrechtliche Probleme, die dazu führen werden, dass es nur einen geringen Anreiz für die Kommunen geben wird, um im Einzelfall von durch Landesgesetz vorgegebenen Standards durch Anzeige abzuweichen.
Auch der Städtetag begrüßt das Gesetz, weist aber in seinen Antworten auf die von uns gestellten Fragen darauf hin, dass Leitlinien für den Abbau belastender Kommunalstandards hilfreich seien.
Diese Vorschläge verdeutlichen aus meiner Sicht das Problem, das mit der Standardbefreiung verbunden ist. In einer Zeit, in der ein Großteil der Kommunen, der Städte und Gemeinden mit Haushaltssicherungskonzepten arbeiten muss, ist der Wunsch nach einem Herunterziehen des Verbindlichkeitsgrades von Vorschriften und nach einem Wegfall von Vorgaben für Personalstandards verständlich, aber auch gefährlich. Natürlich besteht angesichts leerer Kassen die Gefahr, dass die fachgerechte Aufgabenerledigung im Sinne der Bürgerinnen und Bürger leidet und vor allen Dingen die Qualität sinkt.
Meine Damen und Herren, es muss also eine Abwägung zwischen den berechtigten Interessen der Kommunen nach Vereinfachung und Autonomie bei der Aufgabenerfüllung und den berechtigten Interessen von Bürgerinnen und Bürgern nach landesrechtlichen Normen und einheitlicher Aufgabenerfüllung stattfinden. Diese müssen sicherstellen, dass auch in den notleidenden Regionen wichtige Bedürfnisse zum Beispiel zum Erhalt einer ge
Die frühere Landesregierung hatte bereits in der vergangenen Wahlperiode mit dem sogenannten Kommunalisierungsmodellgesetz neue Modelle der Aufgabenerledigung durch Kreise, Städte und Gemeinden für definierte Aufgabenfelder erprobt und dann die entsprechenden Gesetze angepasst. Dieses Vorgehen war erfolgreich. Es wäre auch der richtige Weg gewesen, der weiter hätte beschritten werden sollen. Im Grunde genommen kämen wir dem geforderten Standardcontrolling so näher als mit dieser allgemeinen Experimentierklausel für den Einzelfall, die zumindest in Baden-Württemberg nachweislich ein voller Flop war; das wissen Sie ganz genau.
Zusammengefasst: Ich glaube, Sie bauen hier einen Popanz auf. Wir sollten in ein bis zwei Jahren genau schauen, was dabei herausgekommen ist. Das einzig und wirklich Gefährliche ist, dass Sie an einer Stelle vermeintliche Freiheit einräumen, an der es Ihnen finanziell nicht wehtut, während Sie den Kommunen an den Stellen, an denen Sie finanzielle Verantwortung hätten tragen müssen, das Wasser abgraben und Jahr für Jahr weitere Kürzungen innerhalb des Finanzverbundes für die Kommunen vornehmen.
Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP Herr Kollege Engel das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Körfges und Herr Becker, ich habe bis zur letzten Minute gehofft, dass Sie möglicherweise doch noch auf unsere Seite kommen.
Herr Becker, Ihren Worten kann man entnehmen, dass Sie dem Gesetz nicht so richtig trauen. Von der Sache her sind Sie aber eigentlich auf unserer Seite, was die Freiheit anbelangt. Das waren Ihre Schlussbemerkungen.
Herr Körfges, Ihre Skepsis mag auch eine ritualisierte Skepsis sein. Wir sind uns doch einig. Ich habe Ihre Aussage mitgeschrieben: Sie sind eher dagegen, weil Sie den Gemeinden keine zusätzlichen Handlungsspielräume geben wollen.
Wir sind heute mit der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs kurz vor dem Ziel, was den Standardabbau in den Kommunen angeht. Ich darf Ihnen schon jetzt sagen: Wir gehen jetzt in eine Experimentierphase hinein. In viereinhalb Jahren werden wir Bilanz ziehen und sehen, wie weit wir gekommen sind.
Herr Becker, Sie wissen, Sie haben vorhin Äpfel mit Birnen verglichen. Wir wissen dezidiert, dass andere Länder, die Standardbefreiungsgesetze haben, auf die Genehmigung setzen; Herr Körfges hat das richtigerweise ausgeführt. Wir haben überhaupt keine Hürde. Die einfache Anzeige genügt. Dass im Ministerium dann geprüft wird, ob das geht, ob das Ziel erreicht werden kann, ohne den Standard beizubehalten, ist doch selbstverständlich. Das macht aber die Administration. Wir werden schon darauf achten, dass das zügig geht.
Ich möchte das mit einer Einladung an Sie verbinden: Nutzen wir die kommunalpolitische Ebene mit Räten und Kreistagen, damit dort osmotischer Druck aufgebaut wird.
Wir stehen heute wirklich am Beginn eines Weges, der von dieser – ich sage das in Anführungszeichen – „Unkultur staatlicher Gängelung“ wegführt – ich habe das bei der ersten Lesung auch erwähnt – und zu mehr Freiheit, zur Selbstbestimmung führt. Das schafft auch Initiativen und Freiräume. Und ich bin überzeugt davon, dass wir am Ende deutlich mehr Standards in die Tonne getreten haben werden, als es die anderen Bundesländer getan haben.