Protocol of the Session on September 13, 2006

Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist dagegen? – Das sind CDU-, SPD- und FDPFraktion. Damit ist der Antrag mit der Mehrheit des Hauses abgelehnt.

(Lachen und Beifall von CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, wir kommen zu

2 Kosten der PFT-Schlampereien nicht auf Verbraucher abwälzen

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/2481

In Verbindung damit:

Gegen PFT – Für sauberes Trinkwasser

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/2488

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende SPD-Fraktion dem Abgeordnete Stinka das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Damen und Herren! Im Wonnemonat Mai in diesem Jahr wurden die meisten von Ihnen, mich eingeschlossen, erstmals mit drei Buchstaben konfrontiert, die nach und nach vom Sauerland ins Ruhrgebiet und dann landesweit bekannt geworden sind und für viel Aufregung und Unsicherheit bei den Bürgerinnen und Bürgern gesorgt haben: PFT.

Wer von Ihnen hat damals Genaueres über die Chemikalie gewusst, die sich hinter diesem Kürzel verbirgt? Kaum jemand. Das galt für den Großteil der Bevölkerung in unserem Bundesland. Über die perfluorierten Tenside wird seit der zufälligen Entdeckung der hohen Belastung in der Möhne und an der Ruhr viel gesprochen. Das Bemerkenswerte und Beängstigende, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist jedoch, dass bis zum heutigen Tage nur ein überschaubarer Kreis von Experten wesentlich mehr Kenntnis von PFT hat und es

nicht in die Bevölkerung gegangen ist. Herkunft, Eigenschaften und Vorkommen im Trinkwasser und vor allem die Gefahren dieser Chemikalie sind fünf Monate später immer noch nahezu unbekannt. Wobei ich besser sagen muss: Sie sind nicht kommuniziert. Denn das, was an Expertenwissen vorhanden ist, wird schlicht nicht transparent und nicht der Öffentlichkeit preisgegeben.

Herr Uhlenberg, auch wenn Sie sich gleich wieder beklagen werden: Das wirft ein äußerst schlechtes Licht auf Ihr Ministerium. Und es zeigt – wenn wir Ihre Schrift „Vitales NRW“ betrachten, wo Sie auf Seite 3 von Gefahrenabwehr sprechen –, dass zwischen Reden und Handeln wieder einmal Welten klaffen.

(Beifall von der SPD)

Ein paar dieser Informationen will ich an Ihrer Stelle heute öffentlich gern in aller Kürze darstellen: PFT ist krebserregend. Es schädigt die Leber und führt zu Entwicklungsstörungen. PFT-Stoffe sind keine natürlichen, sondern künstliche Stoffe und tauchen nun vermehrt an der Möhne und in der Ruhr auf. Abbaubar – das unterstreiche ich – sind diese Stoffe nicht. Die Stabilität der Stoffe aus der PFT-Gruppe kommt in der Konsumgüterindustrie häufig vor. Verbraucherinnen und Verbraucher kommen mit ihnen alltäglich in Form von Möbeln, Kleidung und Geschirr in Kontakt. Seit Mai wissen wir auch, dass dieses PFT im Trinkwasser In Nordrhein-Westfalen in nicht unbedeutenden Dosen enthalten ist.

Was macht der Landwirtschaftsminister seither? – Er lässt messen. Das Ministerium führt Messungen in Gebieten durch, die schon als belastet bekannt sind.

(Zuruf von Holger Ellerbrock [FDP])

Es denkt darüber nach, dort Aufbereitungsanlagen für Trinkwasser zu modernisieren.

Herr Minister, das ist keine adäquate Umweltpolitik, wie wir von der SPD sie beispielsweise fordern. Das ist keine vorsorgende Umweltpolitik. Wenn man wieder in Ihr „Vitales NRW“ schaut, so reden Sie davon, dass Sie vorsorgen wollen; Sie tun das aber nicht.

Auch beim Chemiegift im Trinkwasser gilt: Der Fisch stinkt vom Kopfe her. Anlagentechnik im Trinkwasser ist nicht der richtige Rat. Denn diese Anlagentechnik wird erst dann zum Einsatz kommen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.

Das Wort „nachhaltig“ finden wir auch in Ihren Papieren zu dem Leitantrag, der am Wochenende

beraten wird, sehr häufig. Nachhaltig ist das nicht. Nachhaltig ist, dass Verunreinigungen eben nicht in das Wasser gelangen. Daher ist am Kopf der Ursachen anzusetzen, und der Verursacher ist in die Pflicht zu nehmen. Strengere Auflagen und bessere Kontrollen im Vorfeld brauchen wir bald. Und wenigstens die EU verfolgt mit ihrer Chemikalienverordnung Reach einen guten Ansatz. Eine Haftbarmachung der verantwortlichen Wirtschaftsbetriebe brauchen wir schon jetzt.

Auf keinen Fall – daher unser Antrag – dürfen die Kosten der PFT-Vergehen, die keine lapidaren Ordnungswidrigkeiten sind, auf die Verbraucher abgewälzt werden.

(Beifall von der SPD)

Das wäre aber der Fall, wenn die Landesregierung ausschließlich auf die Modernisierung der Trinkwasserreinigungsanlagen setzt.

Die Anwohner von Möhne und Ruhr werden in dieser Beziehung zweimal belastet: Zum einen haben sie PFT im Trinkwasser, zum anderen sind sie belastet durch höhere Gebühren. Die Verursacher hingegen – wir haben heute von der Eigenverantwortung der Wirtschaft gesprochen – blieben unbehelligt. Das kann nach unserer Einschätzung nicht sein. Das kann auch nicht im Sinne von Verbraucherschutz und Umweltverantwortung sein. Ich muss Sie noch einmal an Ihren Dialog „Vitales NRW“ erinnern. Dialog mit Wirtschaft heißt nicht, dass sich die Wirtschaft aus der Verantwortung stehlen kann.

(Beifall von der SPD)

Wir fordern Sie, die Landesregierung, daher auf, unserem Antrag zu folgen. Wälzen Sie die Verantwortung nicht ab, fangen Sie beim Umweltschutz von vorne an, vom Kopf her. Ergreifen Sie die Initiative, und sagen Sie den Menschen – egal ob christlich oder andersgläubig; nun komme ich wieder zu Ihrem Leitantrag, in dem Sie sehr viel von christlicher Verantwortung reden – endlich, woran sie in unserer Heimat Nordrhein-Westfalen sind. – Danke sehr.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Stinka. – Für die zweite antragstellende Fraktion hat Herr Remmel wieder das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema, das wir heute hier behandeln – unser Antrag ist auch entsprechend umfangreich –, ist vielschichtig. Deshalb muss man immer differenzie

ren, über welchen Problemkreis wir gerade miteinander diskutieren.

Ich will versuchen, das etwas abzuschichten. In der Tat: PFT als chemische Substanz war den meisten in diesem Raum und auch mir selber bis zu diesem Vorfall nicht bekannt – wahrscheinlich auch nicht dem Minister. Aber im Moment, meine Damen und Herren, schaue ich in die fragenden Gesichter, die mir vor Ort begegnen – ich erhalte auch E-Mails –: Was passiert jetzt da? Was machen wir mit dem Boden? Bleibt der Boden da liegen? Was machen wir mit dem Fisch? Dürfen wir noch angeln? Was ist mit unserem Wasser? Wo kommt der Stoff eigentlich her? Wie ist er in den Kreislauf gelangt?

Hier muss ich sagen, meine Damen und Herren, dass wir einen Skandal im Skandal haben: Es ist schon ein Skandal, dass dieser Stoff überhaupt in die Umwelt gelangen konnte. Aber wie die verantwortliche Landesregierung mit dieser Problemlage umgeht, ist tatsächlich ein richtiger Skandal unter dem Gesichtspunkt, wie Skandale und Krisen gemanagt werden.

Bis heute gibt es keine Antworten auf diese Fragen. Frau Kollegin Schulze hat eben schon auf einen Umstand hingewiesen: Offensichtlich gibt es Untersuchungsergebnisse über Belastungen der Fische in der Möhne schon seit Ende letzten Monats. Warum haben Sie sie nicht sofort veröffentlicht? Warum braucht das zwei, drei Wochen? Warum müssen Sie sie erst rauf und runter bewerten? Es sind doch Fakten, die Ihnen von den untersuchenden Stellen übermittelt worden sind. Warum handeln Sie nicht transparent und geben solche Zahlen weiter?

Ich frage mich auch – das habe ich Sie im Ausschuss schon gefragt –, warum Sie zwei Monate brauchen, um mit den belgischen Behörden Kontakt aufzunehmen. Das ist doch keine Sache, die man auf Sachbearbeiterebene erledigt. Da muss der Minister mit dem Minister telefonieren. So etwas muss innerhalb von drei, vier Tagen gehen. Dann müssen die Unterlagen auf den Tisch: Woher kommt dieser Stoff? – Bis heute wissen wir das nicht.

Die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Menschen in den betroffenen Regionen bleiben im Unklaren. Das ist Ihre Verantwortung, Herr Minister. Ich erwarte von Ihnen heute klare Antworten, die Sie bisher nicht gegeben haben.

(Beifall von den GRÜNEN und Svenja Schulze [SPD])

Wenn wir es etwas abschichten, müssen wir in der Tat darüber reden, ob – ich bin überzeugt, dass das so ist – die Bioabfallverordnung deutliche Lücken hat. Das ist eine Bundesverantwortung. Aber wir müssen entsprechende Initiativen auf Bundesebene ergreifen, um diese Lücken zu schließen – sowohl was die Rechtsvorgaben angeht, als auch was Kontrollen angeht. Natürlich kann man nicht verhindern, dass durch kriminelle Machenschaften solche Stoffe über den Abfallweg untergemischt werden. Aber man kann das Höchstmögliche tun, um Barrieren aufzubauen, damit das nicht passieren kann. Ich glaube, dass an dieser Stelle nachgearbeitet werden muss und dass die Bioabfallverordnung und die entsprechenden Prüfmechanismen Lücken aufweisen.

Der dritte Problemkreis beschäftigt sich mit der Prävention. Wer wollte denn keine Prävention? Zu unterstellen, dass man die nicht wolle, finde ich schon ziemlich perfide. Natürlich muss man an der Quelle ansetzen. Stoffe, die so gefährlich sind wie dieser, dürfen überhaupt nicht in die Umwelt gelangen. Selbstverständlich! Insofern ist es richtig, diesen Stoff zu verbieten. Nur: Das ist viel zu spät! Dieser Stoff wird schon seit über 20 Jahren verarbeitet und verbraucht.

Es ist dann schon eine Nachfrage wert, warum die gleichen, die heute hier Prävention fordern, seinerzeit in der ganz großen Koalition hier im Hause und im Europäischen Parlament das präventive Instrument der EU-Chemikalienrichtlinie verwässert haben. Wenn Sie Prävention wollen, wenn Sie an der Quelle ansetzen wollen, dann bitte ich Sie hier und heute herzlich: Lassen Sie uns gemeinsam eine Initiative starten – so steht es jedenfalls in unserem Antrag –, um die Lücken, die es in der EU-Chemikalienrichtlinie gibt, zu schließen, denn das ist das wirksamste Instrument der Prävention.

Nur, meine Damen und Herren – damit komme ich zum vierten Problemkreis –: Eine solche Prävention wirkt erst in 15 bis 20 Jahren. Sie können so viel verbieten und Präventionsarbeit betreiben, wie Sie wollen: Die gefährlichen Stoffe sind da, sie sind in der Umwelt. Und Sie kriegen sie da auch nicht so einfach heraus.

Deshalb brauchen wir zum Schutz der Menschen, die Trinkwasser aus der Ruhr beziehen, verbesserte Aufbereitungstechniken. Das ist keinesfalls eine Einladung, das Wasser weiter zu verschmutzen. Aber wenn das Wasser verschmutzt ist – die Möhne werden Sie so einfach nicht sauber bekommen; Sie werden so schnell auch die Kläranlagentechnik nicht umstellen können – mit Stoffen wie Hormonen, Arzneimitteln, PFT, Röntgenmit

teln – die wir natürlich aus der Umwelt heraushalten müssen; aber wir müssen erst einmal feststellen, dass sie drin sind, dass der Brunnen vergiftet ist –, dann müssen wir auch Techniken einsetzen,

(Beifall von den GRÜNEN)

um die Menschen, die Trinkwasser aus der Ruhr beziehen, zu schützen.

Da frage ich: Warum sollen wir an der Ruhr schlechtere Techniken haben, als wir sie am Rhein bereits einsetzen, und das schon seit mehreren Jahren? Die Wasserwerker am Rhein sagen, dass sie PFT seit vier, fünf Jahren kennen, dass sie damit aber kein Problem haben, weil die Technik entsprechend ist. Technik ist nicht alles, aber an dieser Stelle notwendiger Schutz. Da muss dringend nachgearbeitet werden. Die Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke an der Ruhr weiß das. Da muss dringend aufgerüstet werden.

Meine Damen und Herren, selbstverständlich wird das Geld kosten. Ich bin dafür, den Verursacher/die Verursacherin zu suchen und für die Schäden haftbar zu machen. Selbstverständlich! Sofort! Das ist dringendste Aufgabe der Verwaltung. Selbstverständlich! Aber wir brauchen ein Investitionsprogramm zur Aufrüstung der Wasseraufbereitung an der Ruhr.

Man kann die Vereinbarung wohlwollend als ersten Trippelschritt in diese Richtung interpretieren. Es ist ein Messprogramm vereinbart. Aber das dauert zu lange, das geht zu langsam. Wir müssen schneller handeln. Dieses Messprogramm für Stoffe, die nicht in der Trinkwasserverordnung aufgeführt sind, brauchen wir für das ganze Land und nicht nur für die Ruhr.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb haben wir diesen umfassenden Antrag eingebracht. Wir wollen dazu gerne mit Ihnen eine ausführliche fachliche Beratung im Ausschuss durchführen.