Aber es gilt auch, die Gesellschaft insgesamt für das Thema zu sensibilisieren und aufzuklären. Ziel muss dabei sein, nicht nur die Mädchen und die jungen Frauen zu erreichen, sondern auch die jungen Männer mit einzubinden. Sie sind die potenziellen Ehemänner und Väter und sollten zum Engagement gegen Zwangsheirat motiviert werden. Nur wenn beide Geschlechter erreicht werden und sich gegen derartige Menschenrechtsverletzungen zur Wehr setzen, kann Zwangsheirat wirksam unterbunden werden.
Wir wollen auch, dass bereits bestehende Anlaufstellen besser untereinander vernetzt werden. Wir wollen die vorhandenen Einrichtungen in diesem Bereich stärken. Wir wollen, dass sie gute Arbeit vorhalten und auch ein gutes Angebot. Wir wollen die Infrastruktur erhalten und qualitativ weiterentwickeln.
Wir wissen aus vielen Beratungseinrichtungen und aus vielen Gesprächen, dass der Anteil der Klienten mit Zuwanderungsgeschichte in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen ist. Dem müssen die Einrichtungen Rechnung tragen und ihre Angebote auf die spezifischen Probleme dieser Menschen ausrichten. Wir wollen auch, dass sich die Hilfsangebote durch eine optimale Vernetzung verbessern, passgenau zusammenfinden und dass Opfer von Zwangsheirat durch eine Verbesserung der Kooperation zwischen Frauennetzwerken, Polizei, Jugendämtern und Schulen sowie Ärzten schneller die jeweils notwendige Unterstützung erfahren.
Auch die Schule ist in diesem Zusammenhang gefordert. Hier können und wollen wir Mädchen und Jungen zu selbstbewussten und starken Persönlichkeiten erziehen und ihnen vermitteln, dass es sich bei Zwangsverheiratungen um nicht zu tolerierende Menschenrechtsverletzungen handelt. Die Schule bietet den Vorteil, dass wir hier bereits frühzeitig auf die Thematik aufmerksam machen und nahezu alle Kinder mit Migrationshintergrund erreichen können. Die Lehrerinnen und Lehrer sind häufig die ersten Ansprechpartner für die Kinder. Und so gilt es, sie für dieses Thema zu sensibilisieren und entsprechend zu informieren.
So sollen nach unserer Auffassung auch die bestehenden Migrantenselbstorganisationen in das Präventionskonzept eingebunden werden und mit den anderen Einrichtungen kooperieren. Sie können die Eltern leichter erreichen. Sie genießen entsprechendes Vertrauen und können als Mittler zwischen den Kulturen dienen.
verbessern, indem wir umfassende und effektive Maßnahmen gegen Zwangsverheiratung auf den Weg bringen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe auf einen konstruktiven Dialog im Anschluss.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bis zum Jahr 2005 konnten Zwangsverheiratungen strafrechtlich lediglich als Nötigung beziehungsweise gegebenenfalls als Sexualdelikt verfolgt werden. Das war bei weitem nicht ausreichend. Das zwischenzeitlich auf Bundesebene verabschiedete 37. Strafrechtsänderungsgesetz führt nun immerhin ein Regelbeispiel für den besonders schweren Fall der Nötigung zur Eingehung einer Ehe ein. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Allerdings wird damit aus Sicht der FDP-Fraktion dem Unrecht der Tat nach wie vor nicht ausreichend Rechnung getragen; denn wir müssen nach außen ganz klar und unmissverständlich signalisieren, dass Zwangsehen nicht schlicht eine andere Sitte oder einen anderen Brauch darstellen, sondern dass sie integrationshemmende Menschenrechtsverletzungen sind, die in Deutschland nicht geduldet, nicht toleriert und nicht akzeptiert werden dürfen, und dass wir sie deshalb auch mit den Instrumentarien des Strafrechts bekämpfen müssen. Deswegen werben wir gemeinsam mit der CDU für die Einführung eines separaten Straftatbestandes für die Zwangsverheiratung.
Allerdings ist das Strafrecht immer nur ein Instrument, wenngleich ein wichtiges. Aus meiner Sicht gibt es im Zivilrecht viele Ansätze.
die wichtig sind, um den Schutz der Opfer vor Zwangsverheiratung auszubauen. Notwendig ist es zum Beispiel, die Möglichkeiten zur Annullierung einer Ehe auszuweiten. Zwangsehen müssen immer aufgelöst werden können. Der Wegfall der einjährigen Antragsfrist für die Aufhebung einer durch Drohung geschlossenen Ehe ist deswegen aus Sicht der FDP-Fraktion eindeutig anzustreben. Diese formale Frist darf zukünftig kein Kriterium mehr sein beziehungsweise als Hinderungsgrund im Wege stehen.
Weiterhin sind im Zivilrecht unterhaltsrechtliche Aspekte stärker als bisher in den Fokus zu stellen. Eine zwangsverheiratete Frau hat nur dann einen Unterhaltsanspruch, wenn ihr Ehepartner selbst sie zu der Ehe gezwungen hat. Das trifft allerdings in den allermeisten Fällen überhaupt nicht zu. In den allermeisten Fällen – das ist hier schon erwähnt worden – sind solche Ehen nämlich von den Familien „arrangiert“ worden. Genau an der Stelle greift der Unterhaltsanspruch für Frauen – meistens sind es ja die Frauen, die davon betroffen sind – eben nicht. Es bleibt dann nur die Möglichkeit, die Scheidung zu beantragen und im Laufe des einjährigen Trennungsjahres Unterhaltsansprüche zu wahren – was aus meiner Sicht in einer solchen Konstellation eine Zumutung ist. Der Ausschluss des gesetzlichen Erbrechts beim Tod des genötigten Ehepartners und andere Punkte mehr bei solchen Zwangsverheiratungen will ich nur kurz erwähnen.
Die Bundesratsinitiative des Landes BadenWürttemberg begrüße ich ausdrücklich und werbe dafür, dass wir in Nordrhein-Westfalen in diesem Landtag und mit unseren Gesprächen mit den Parteien auch im Bundestag diese Initiative mit allem Engagement unterstützen. Dabei müssen wir zivilrechtliche Aspekte neben der Ausweisung eines eigenen Straftatbestandes im Fokus haben.
Ein Aspekt, der aus meiner Sicht viel zu selten in die Diskussion eingeführt wird, betrifft die gesamte ausländerrechtliche Problematik.
Sehr oft sind die Zusammenhänge so, dass eine solche Ehe wegen der entsprechenden ausländerrechtlichen Bleiberechtsregelungen bestehen bleibt. Die sind dann an dieser Stelle ein Kriterium. Der angemessene Umgang mit diesem Thema ist auch bei den Praktikern sehr umstritten; ich weiß. Das wird auch von den Praktikern so gesehen. Insbesondere da wir bislang nur über unzureichende Zahlenmaterialien verfügen, bedarf dieser Punkt noch einer intensiven Diskussion und Beratung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist allerdings, wie ich finde, gerade sehr deutlich geworden – ich kann das nur noch einmal mit Nachdruck unterstützen –, dass wir uns auch im Landtag mit dieser Thematik insgesamt beschäftigen müssen, und zwar fernab von dem, was im Zusammenhang mit strafrechtlichen und zivilrechtlichen Regelungen primär über den Bundesrat und die Bundesebene initiiert werden muss. Es gibt viel,
In diesem Antrag haben wir einige Punkte aufgeführt, die in den Bereich der Information und Aufklärung der betroffenen Migrantinnen und Migranten fallen. Denn nicht nur Frauen sind Opfer von Zwangsverheiratungen – obwohl das die überwiegende Anzahl zu sein scheint –, sondern es sind auch junge Männer davon betroffen. Für beides müssen wir die Sensibilität bewahren.
Es ist wichtig, dass wir für Deutschland insgesamt, aber auch für Nordrhein-Westfalen im Besonderen Zahlen zur Verfügung gestellt bekommen – uns erarbeiten –, mit denen wir umgehen und aus denen wir Schlussfolgerungen und konkrete Handlungsmaßnahmen ableiten können.
Eine Bemerkung zu den Zufluchtsstätten: Ich weiß, wir haben diese Diskussion auch im Rahmen der Verabschiedung des Haushalts 2006 geführt. Unberechtigte Befürchtungen wurden seinerzeit geäußert.
Ich will darauf hinweisen, dass wir bei der dramatischen Haushaltssituation in Nordrhein-Westfalen, die nach wie vor dramatisch ist – sie hat sich in den letzten drei Wochen noch nicht wesentlich zum Guten verändert, sehr zu meinem Bedauern –, wohl nicht mehr Geld für Maßnahmen und Zufluchtsstätten werden einsetzen können. Wir müssen mit vereinten Kräften darüber nachdenken, wie wir dennoch eine effiziente Ausgestaltung des Opferschutzes erreichen können.
Dieses Thema soll und darf nicht Gegenstand kleinlicher parteipolitischer Auseinandersetzungen sein. Das gilt auch für mich und meine Kollegin Ingrid Pieper-von Heiden. Wir müssen sehen, wie wir die Angebote, die in Nordrhein-Westfalen vorhanden sind – auch das große ehrenamtliche Engagement, das wir bei uns vorfinden und für das ich herzlich danke –, weiter unterstützen und miteinander vernetzen können, um einen wirksamen auch bürgerschaftlichen Schutz vor Zwangsverheiratung in unserer Gesellschaft zu bekommen. Denn wir dürfen in unserem Land nicht auf Dauer zweierlei Sorten „Mäuse“ haben: solche, für die die Menschenrechte gelten, und solche, die wehrlos Menschenrechtsverletzungen wie der Zwangsverheiratung ausgesetzt sind. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Frau Freimuth, ich kann das kaum nachvollziehen: Sie haben gerade das aufgezählt, was wir im Antrag zu verwirklichen wünschten, und genau daran sind wir bei den Koalitionsfraktionen gescheitert.
Zwangsverheiratung – ein Thema, das alle Fraktionen hier im Landtag schon seit der 13. Legislaturperiode beschäftigt. Es wäre schön gewesen, wenn wir zu einem gemeinsamen Ergebnis gekommen wären. Aber ich konnte dem Pressespiegel von gestern entnehmen, dass Sie überwiegend auf das Strafrecht setzen und da initiativ werden. Das ist eine Variante, der wir so nicht folgen können. Wir setzen auf Aufklärung, Sensibilisierung, Prävention und Strafrecht.
Zuerst möchte ich einen Rückblick zur geschichtlichen Klarstellung geben. In der 13. Legislaturperiode gab es zum Thema Zwangsheirat einen Antrag der CDU-Fraktion. Dazu gab es Entschließungsanträge der damaligen Koalitionsfraktionen und der FDP. Über einen gemeinsamen Antrag wurde nachgedacht; er scheiterte aber seinerzeit schon. Die CDU-Fraktion hat dann in der letzten Sitzung des Frauenausschusses der 13. Legislaturperiode ihren Antrag zurückgezogen, sodass die Entschließungsanträge nicht abgestimmt werden konnten – ein Geschäftsordnungstrick.
Vielleicht haben Sie Ähnliches jetzt von uns erwartet. Oder warum haben Sie Ihren Antrag erneut plenar eingebracht und nicht als Entschließungsantrag in den Ausschuss? Das hätten wir nicht getan; so etwas lohnt sich nur zum Ende einer Legislaturperiode.
Es gab dann ein Angebot zu einem gemeinsamen Antrag, aber keine Vereinbarung, wie Sie es immer wieder darstellen.
Wir haben am 15. September 2005 einen neuen Antrag zum Thema Zwangsheirat in den Landtag eingebracht, und Bündnis 90/Die Grünen haben einen Entschließungsantrag gestellt. Wir haben vereinbart, eventuell einen gemeinsamen Antrag
zu schreiben. Ein halbes Jahr ging ins Land, ohne dass sich die Koalitionsfraktionen CDU und FDP der Sache annahmen. Die arme Referentin der CDU arbeitete fleißig, aber offensichtlich ohne die Meinung der eigenen Fraktion einzuholen. Das merkte man deutlich an den ersten Entwürfen.
Wie ernst die CDU es mit einem gemeinsamen Antrag meinte, wurde bei den Obleutegesprächen deutlich, zu der die Frau Vorsitzende des Frauenausschusses einlud. Die Vorsitzende Frau Rühl sowie die frauenpolitische Sprecherin Frau Westerhorstmann ließen sich durch die Referentin der CDU vertreten. Arroganz der Macht oder einfach Desinteresse – das sei dahingestellt. Aber vor Ostern gab es einen Entwurf, dem alle zustimmen konnten. Dieser Entwurf ist noch vor Ostern durch die SPD-Fraktion gegangen. Ich nahm an, dass das auch bei den anderen Fraktionen so ablief. Aber siehe da, es wurde weiter weichgespült, bis wir gesagt haben: So geht es nicht weiter.
Nun zu Ihrem Antrag: Er besteht zu 90 % aus dem Entschließungsantrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen aus der 13. Legislaturperiode. Sie haben wohl bemerkt, Ihr eigener Antrag war nicht gut. Sonst hätten Sie ihn zur Grundlage Ihres neuen Antrags machen können.
Aber hier geht es um die restlichen 10 %. Die Expertinnenanhörung in der letzten Legislaturperiode zum Thema Zwangsheirat hat uns alle noch mehr sensibilisiert. Sehr deutlich machten die Expertinnen den Unterschied zwischen Zwangsverheiratung und arrangierter Ehe, aber sie räumten auch ein, dass die Übergänge manchmal fließend sein können.
Einig waren sich die Expertinnen, dass es als Erstes eine Studie zu Ausmaß und Formen von Zwangsheirat und zu dem Partnerwahlverhalten von Migrantinnen und Migranten geben muss, damit an die Stelle von Vermutungen Fakten treten. Das ist die Grundlage für weitere Maßnahmen.
Diese Studie halten die Koalitionsfraktionen für nachrangig. Das zeigte sich deutlich in den Verhandlungen, zum Beispiel bei Formulierungsansätzen wie: die Prüfung der Möglichkeit der Durchführung einer umfassenden Studie über das Heiratsverhalten. – Ich frage mich, wie man eine Möglichkeit prüft.
Sehr deutlich wurde in der Anhörung, dass eine weitere Änderung des Strafrechts, wie es die Bundesratsinitiative Baden-Württembergs zur Einführung eines eigenen Straftatbestandes zur
Zwangsheirat fordert, das Problem nicht löst, sondern Betroffene in noch mehr Konflikte stürzt, wenn gegen ihre Familien staatsanwaltlich ermittelt wird. Die in der Anhörung geschilderten Fallbeispiele machten diesen Konflikt sehr klar. Dann wird der Bruch – die Trennung von allen Familienmitgliedern – unausweichlich. Das hält fast kein Mädchen aus, komplett mit der Familie zu brechen. Es ist eine Situation, die die menschliche Seele eigentlich nicht erträgt.
Wir brauchen ein Handlungskonzept. Das können wir eben nicht alleine; dazu brauchen wir Partner, insbesondere Migrantinnen und Migranten. Es bringt uns nicht weiter, wenn wir über sie reden, sondern es bringt uns nur weiter, wenn wir mit ihnen reden. Wenn Migranten vorwiegend als potenzielle Täter oder Opfer wahrgenommen werden, nicht aber als Kooperationspartner bei der Bekämpfung von Zwangsheirat, kann das nicht zum Erfolg führen.