Protocol of the Session on June 1, 2006

Wir brauchen ein Handlungskonzept. Das können wir eben nicht alleine; dazu brauchen wir Partner, insbesondere Migrantinnen und Migranten. Es bringt uns nicht weiter, wenn wir über sie reden, sondern es bringt uns nur weiter, wenn wir mit ihnen reden. Wenn Migranten vorwiegend als potenzielle Täter oder Opfer wahrgenommen werden, nicht aber als Kooperationspartner bei der Bekämpfung von Zwangsheirat, kann das nicht zum Erfolg führen.

(Beifall von der SPD)

Das zeigt sich auch im öffentlichen Mediendiskurs, der dazu verleitet, Ehen von Migranten grundsätzlich mit Argusaugen zu betrachten und insbesondere arrangierte Ehen mit Zwangsehen gleichzusetzen.

Wenn einer arrangierten Ehe, die auf dem freien Willen beider Partner beruht, mehr Verständnis entgegengebracht wird, dann wird es uns besser gelingen, den Zugang zu dem Teil der Migrantenbevölkerung zu bekommen, der am ehesten dazu beitragen kann, präventive Maßnahmen gegen erzwungene Ehen wirkungsvoll durchzusetzen.

(Beifall von der SPD)

Wir sollten nicht so tun, als ob uns arrangierte Ehen völlig fremd sind. Es soll sie in bestimmten Kreisen heute noch geben.

Ein weiterer wichtiger Punkt im Handlungskonzept ist die Prävention. Da gilt es, Konzepte zu entwickeln, mit denen die Familien, in denen es zu Konflikten, zu Zwangsverheiratungen und Überlegungen hierzu kommt, entsprechende professionelle Hilfe erhalten.

Um keinen Irrtum aufkommen zu lassen: Natürlich ist Zwangsheirat eine Menschenrechtsverletzung und muss geahndet werden. Darum begrüßen wir die Änderung des § 240 Abs. 4 Strafgesetzbuch, wodurch Zwangsheirat als ein besonders schwerer Fall von Nötigung eingestuft und ein Strafmaß von bis zu fünf Jahren vorgesehen wird. Wir halten die konkrete Benennung der Zwangsheirat als einen besonders schweren Fall der Nötigung im Strafgesetzbuch für geeignet, Zwangsehen zu

ächten, ihren Unrechtscharakter gesellschaftlich deutlich zu machen und Zwangsverheiratungen rechtlich wirksam zu verfolgen, um so auch bei den unmittelbar Beteiligten ein Unrechtsbewusstsein zu schaffen.

Aber oft ist der Versuch von Eltern, die Tochter oder auch den Sohn zwangsweise zu verheiraten, ein Ausdruck von großer Hilflosigkeit, um nach traditionellem Muster auf schwerwiegende Probleme und Konflikte zu reagieren, die sich zugespitzt haben. Sie kommen mit der großen Last der Verantwortung nicht zurecht und sind überfordert. Sehr häufig sind es Probleme, die mit dem Beginn der Pubertät der Kinder vorkommen, und somit Generationenkonflikte auslösen. Auch migrantenspezifische und religiöse Probleme kommen hinzu.

Es gilt, hierzu vielseitige Maßnahmen zu entwickeln. Auch hier brauchen wir kompetente Partner, zum Beispiel Frauennetzwerke – an dieser Stelle möchte ich noch einmal mein großes Bedauern ausdrücken, dass es die Koordinierungsstelle gegen Gewalt an Frauen nicht mehr gibt, denn sie könnte hierbei wertvolle Hilfe leisten –,

(Beifall von der SPD)

Lehrerinnen und Lehrer, Jugendämter, Jugendhilfe, Ärztinnen und Ärzte und die Polizei, um Hilfen für die von Zwangsheirat Betroffenen oder Bedrohten zu leisten und die Gefahr einer drohenden Zwangsheirat zu erkennen, zum Beispiel in Schulen oder Arztpraxen.

Der nächste Punkt ist der Schutz der Betroffenen und der sie Unterstützenden. Hier geht es um Beratung, Hilfe und Unterbringung, um geschulte Teams, die mit der Thematik vertraut sind, um Unterbringungsmöglichkeiten, die anonym sind und die auf die spezielle psychische Situation der Frauen und Mädchen eingehen können. Sie müssen aber auch in die Lage versetzt werden, vernetzte Hilfe und Beratung anzubieten.

Zu guter Letzt muss geklärt werden, ob jugendhilferechtliche oder aufenthaltsrechtliche Korrekturen nötig sind. Ein solches Handlungskonzept wollen wir.

Ich begrüße, dass der Integrationsminister in der 9. Sitzung des Frauenausschusses erklärte, schon bis zur Sommerpause ein Handlungskonzept zu erarbeiten.

(Zuruf von der SPD)

Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten aus dem Ausschussprotokoll 14/154 vom 23. März 2006:

„Das Konzept zur Zwangsheirat, antwortet Minister Armin Laschet, werde bis zur Sommerpause erarbeitet. ‚Zwangsheirat’ bedeute dabei einen von mehreren Schwerpunkten, für den eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet worden sei.“

Ich hoffe nur, dass auch die Expertinnen und die Migrantenorganisationen einbezogen werden, damit vorhandenes Fachwissen und existierende Erkenntnisse in dieses Konzept einfließen können.

So ist der Integrationsminister den Koalitionsfraktionen wieder einmal weit voraus. Aber das ist er ja häufiger, wie ich der Presseschau immer wieder entnehmen konnte – aber nicht immer zur Freude seiner eigenen Fraktion. Daher erwarten die Fraktionen von CDU und FDP erst Ende 2007 ein Handlungskonzept.

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])

Trauen Sie Ihrem Minister nicht, oder warum beharren Sie auf dem Termin Ende 2007? Ich jedenfalls bin gespannt, wenn nach der Sommerpause im Ausschuss für Frauenpolitik dieses Konzept vorgestellt wird.

Natürlich stimmen wir der Überweisung zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Steffens.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Freimuth, ich hätte Ihnen eben gern die Frage gestellt, ob Sie eigentlich wissen, woran dieser überfraktionelle Antrag gescheitert ist. – Dieser überfraktionelle Antrag ist daran gescheitert, das SPD und Grüne genau einen der Punkte, die Sie gerade genannt haben, für sehr wichtig hielten, nämlich dass die Datenlage bisher unsicher ist.

Das steht ja jetzt auch in Ihrem gemeinsamen Antrag. Die Datenlage ist unsicher. Uns fehlt eine Datenerhebung. Wir können auch schwer Konzepte vom Minister erwarten und bekommen, die in Gänze stimmig sind, wenn wir nicht über bestimmte Datengrundlagen verfügen. Deswegen haben wir gesagt, dass wir es wichtig finden, nicht nur zu sagen, die Daten fehlen, sondern dass wir auch als Forderung in den Antrag schreiben: Wir wollen, dass wir an die Daten kommen.

Da gab es Formulierungsvorschläge, dass eine Studie die Daten erheben soll. Es gab den Widerspruch vonseiten der CDU, das gehe auf keinen Fall. Eine Studie könne man nicht durchführen; dafür sei kein Geld vorhanden. Dann haben wir gesagt: Okay, dann lasst uns eine andere Formulierung finden.

Es gab keine Bereitschaft, einen Spiegelstrich aufzunehmen, die Daten erheben zu wollen. Jetzt gibt es einen Spiegelstrich in Ihrem Antrag zur Unterstützung der Durchführung einer bundesweiten Studie. Wir haben dann beim Bundesministerium nachgefragt, ob so eine Studie wenigstens beabsichtigt ist, damit man sie auch unterstützen kann. Denn wenn es eine Bundesstudie gibt, kann man auch sagen, seht einmal darauf, dass es spezifische Daten für NRW gibt.

Es gibt diese Bundesstudie nicht. Das Bundesministerium hat auch nicht vor, sie zu erstellen.

Die Antwort von Frau Westerhorstmann darauf war: Ist doch egal, ob es jetzt eine Bundesstudie gibt oder nicht. Wenn es die mal gibt, werden wir sie schon unterstützen. – Das reicht uns nicht aus. Deswegen sind wir nicht zueinander gekommen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich finde es sehr schön, dass Sie hierzu eine andere Auffassung haben. Vielleicht können Sie noch einmal mit Frau Westerhorstmann reden und ihr klar machen: An einem solchen Punkt sollte ein gemeinsamer Antrag nicht scheitern. Man käme besser zu dem Antragsentwurf zurück, der vorher da war. Ich finde, es ist ein Armutszeugnis für ein Land, wenn an einem solchen Punkt ein gemeinsamer Antrag scheitert.

Zu den Punkten, die Sie alle aufgeführt haben – gleich gehe ich auch noch einmal darauf ein –: zivilrechtliche Fragen, Fragen des Aufenthaltsrechts – all dies waren Forderungen in dem gemeinsamen Antrag. Dem hatten auch die CDU und Ihre Fraktion zugestimmt.

Das kam dann wieder heraus, weil es ein eigenständiger Antrag von Schwarz-Gelb ist. Danach ist es nicht mehr notwendig, zivilrechtliche Maßnahmen zu überprüfen, wenn es zu einem gemeinsamen Antrag gekommen wäre, schon. Auch das ist ein Punkt, bei dem ich es für sehr bedauerlich halte, dass es so gekommen ist.

Herr Laschet, der zweite Grund, warum der Antrag gescheitert ist – Sie gucken so skeptisch –, ist Ihr Haus. Wir haben Ihre Ankündigung, dass Sie ein Konzept vorlegen, ernst genommen und haben gesagt: Dann geben wir Ihnen eben bis

Ende dieses Jahres Zeit. Bis 2006 sollte es vorgelegt werden.

Frau Westerhorstmann hat gesagt: Das geht nicht. Da müsste das Jahr 2007 hinein, weil das Ministerium von Minister Laschet gesagt hat: Bis zum Jahr 2006 könne man das nicht leisten.

Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Sie sind die zweite Stellschraube. Sie könnten der CDU erklären, dass Sie das sehr wohl bis 2006 schaffen. Wir haben ja nicht erwartet, dass Sie ein abschließendes umfassendes, für alle Zeiten gültiges Konzept vorlegen. Man muss doch jetzt anfangen. Man kann nicht sagen: Wir warten das Jahr 2007 noch ab, obwohl bekannt ist, dass das ein Problem ist, da das Konzept nicht in Gänze abgeschlossen ist. Das war der zweite Punkt.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Frau Westerhorstmann, deswegen kann ich nur sagen: Zu Ihrem Redebeitrag, den Sie eingangs hier gehalten haben, stimme ich Ihnen in einem einzigen Punkt zu, dass man nämlich im Laufe des Verfahrens das Gefühl hatte: Es gab eine Fraktion, die diesen Antrag nicht will, und das war Ihre Fraktion. Sie wollten keinen gemeinsamen Antrag.

(Beifall von der SPD)

Sie hatten sieben Monate Zeit, mit uns gemeinsam diesen Prozess zu durchzuführen. Ich kann allen, die daran Interesse haben, noch einmal den Werdegang der unterschiedlichen Anträge zur Verfügung stellen. Das ist so ein Stapel. Es gibt etliche Fassungen. Die erste Fassung war wunderbar. Darin hatten Sie noch die grüne Bundestagsfraktion gelobt. Dann haben Sie gemerkt, dass man das vielleicht doch nicht tun sollte. Dann haben Sie andere Anträge formuliert. Alles okay. Ein Prozess ist ein Prozess.

Dass Sie uns aber immer wieder abstimmungsreife Anträge haben zukommen lassen und die dann wieder zurückgeholt haben, wie es Frau Kieninger vorhin beschrieben hat, das hat nichts mit einem ernsthaften gemeinsamen Verfahren zu tun, um zu einem Konsens zu kommen.

Einen Antrag, den unsere Fraktion und die SPDFraktion getrennt verabschiedet haben, weil er von Ihnen als abstimmungsreife Vorlage herübergereicht worden war, zurückzuholen, ist meiner Meinung nach kein demokratisches Verfahren.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das hat für mich auch ein Stück die interfraktionelle Zusammenarbeit, zumindest in dem Bereich,

infrage gestellt. Ich weiß nicht, warum ich sieben Monate lang unsere Kapazitäten hineinstecke, um einen Antrag mitzuentwickeln und zu erarbeiten, wenn es am Ende heißt: Prozess gescheitert! Wir streichen alles raus.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das ist schlech- ter Stil!)

Wir haben dann sozusagen die Arbeit für die Koalition gemacht, damit die wenigstens zu einem aus Ihrer Sicht einigermaßen akzeptablen Antrag kommt. Das finde ich peinlich. Ich würde mir wünschen, dass es dazu noch eine Aufarbeitung gibt. Das kann man vielleicht an anderer Stelle machen. Das Verfahren ist aber fatal.