Protocol of the Session on May 31, 2006

(Beifall von der SPD)

Sie und Ihre Parteifreunde haften für diese Reform, wie sie vereinbart worden ist, vom ersten bis zum letzten Punkt.

Wir wollen mit Ihnen auf Bundesebene da ändern, wo Änderungsbedarf vorhanden ist; denn wie sagte in den letzten Tagen Ihr Kollege Weiß in Berlin? Die Reform Hartz IV ist wesentlich besser als ihr Ruf. – Dass dies geht, zeigen die Veröffentlichungen des heutigen Tages. Struck und Kauder einig,

Müntefering und Steinbrück einig, Merkel zufrieden. – So geht das, wenn man miteinander und nicht übereinander redet.

(Beifall von der SPD)

Ja, die Umsetzung vor Ort – das ist angesprochen worden – muss in den nächsten Monaten verbessert werden. Die Arbeitsgemeinschaften in den Kommunen brauchen mehr Freizügigkeit, mehr Unabhängigkeit bei der Umsetzung. Herr Minister Laumann – Kollege Post nickt –, da bieten wir Ihnen ausdrücklich unsere Zusammenarbeit an. Das gilt von uns aus auch gerne in Richtung Berlin.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das Grundproblem bleibt aber: Vermittlung in Arbeit kann nur funktionieren, wenn Arbeitsplätze vorhanden sind.

(Beifall von der SPD)

Da haben Sie, Herr Minister Laumann, und insbesondere Ihr Ministerpräsident bisher kläglich versagt. Sie haben den Menschen Arbeit versprochen, getan haben Sie nichts.

(Beifall von der SPD)

Das ist Ihr Politikstil: viel ankündigen, wenig handeln, noch weniger erreichen.

„Wer nichts tut, übernimmt durch sein Nichtstun die Verantwortung für Arbeitslosigkeit.“ – Das ist ein Zitat von Dr. Rüttgers aus dem Plenum am 10. März 2005. Herr Minister Laumann, Herr Ministerpräsident, diese Verantwortung haben Sie. Das Nichtstun wird durch die heute veröffentlichten Arbeitsmarktzahlen mehr als deutlich. 1.036.000 Arbeitslose zeigen, dass Sie hier in Nordrhein-Westfalen weder gehandelt noch etwas erreicht haben.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Was Sie, was insbesondere Ihr Ministerpräsident als Generalrevision fordern, soll nichts anderes sein als eine Geschichtsrevision, um zu ändern, dass die Menschen daran denken, dass Sie die Verantwortung mittragen. Das dürfen wir Ihnen nicht durchgehen lassen, und das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

Apropos Herr Rüttgers und Zitate: Wie sagte der Ministerpräsident im Interview des „Westfälischen Anzeigers“ von gestern – Zitat –:

„Wer meint, Karl-Josef Laumann sei kein starker Minister, der soll sich sein Eintrittsgeld zurückgeben lassen.“

Ihr Schatzmeister sollte die Auszahlung veranlassen – ohne Verzug, in voller Höhe.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Herr Schmeltzer. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Laumann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal bin ich froh darüber, dass wir seit Sonntagabend in Deutschland eine Situation haben, dass wir über eine Generalrevision von Hartz für den Herbst nachdenken. Es geht nämlich nicht nur um eine Fortentwicklung und Optimierung der Grundsicherung für Arbeitsuchende; die Debatte heute Morgen hat das auch klar gemacht. In Wahrheit geht es nach meiner Meinung um den Erhalt des Sozialstaates. Wir alle sind gefordert, dafür zu sorgen, dass das Hartz-Desaster aufgelöst und der Vertrauensverlust in den Sozialstaat nicht weiter fortgesetzt wird.

(Beifall von der CDU)

Ich habe große Sorgen, dass diese Debatte über Hartz ein Beispiel für die Reformunfähigkeit in unserer Gesellschaft wird.

(Beifall von der CDU)

Ich möchte heute Morgen zunächst einmal ganz sachlich vortragen, worum es sich bei Hartz überhaupt handelt. Wir haben in Nordrhein-Westfalen 867.343 Bedarfsgemeinschaften. In ihnen leben 1,6 Millionen erwachsene Menschen. Wir haben rund 400.000 Kinder in diesem System und einige Tausend Menschen – das sind die sogenannten Sozialgeldbezieher –, die nicht erwerbsfähig sind, weil sie zum Beispiel psychisch erkrankt sind.

50 % der Bedarfsgemeinschaften sind Ein-Personen-Haushalte. Für diese gilt die Debatte über das Lohnabstandsgebot überhaupt nicht; denn sie erhalten 345 € plus Erstattung von Miet- und Heizkosten. 17 % der Menschen, die in den Bedarfsgemeinschaften leben, sind alleinerziehende Mütter. 20 % sind Zwei-Personen-Haushalte. Nur 23 % sind die sogenannten mehrköpfigen Bedarfsgemeinschaften, wozu ich zurzeit alle möglichen Zahlenbeispiele höre: Dort komme man mit der Unterstützung an Stundenlöhne von 12 € bis 12,15 €. Ich finde, das muss man wissen, Herr Schmeltzer, bevor man so redet, wie Sie es getan haben.

20 % sind unter 25 Jahre, 60 % sind zwischen 25 und 49 Jahre und 20 % sind über 50 Jahre. Es wird in der öffentlichen Debatte aber so getan, als

hätten wir es nur mit Langzeitarbeitslosen zu tun. Im letzten Jahr waren 12 % der Zugänge in Nordrhein-Westfalen junge Leute nach der Ausbildung.

Jetzt kommt eine Zahl, die uns alle nachdenklich machen muss: 66.000 Menschen sind in dieses System gekommen, die vorher gar nicht erwerbstätig waren. Das sind vor allen Dingen junge Leute, die direkt nach der Schule in das Hartz-System kommen.

(Unruhe)

Ich bin der Meinung – das sage ich Ihnen ganz offen –, dass die Unterstützung, die wir in diesem Bereich haben, wo wir unter Umständen einen eigenen Haushalt und 345 € finanzieren, einfach einmal überdacht werden muss. Ich finde, dass der Ministerpräsident damit in seinen Rundfunkinterviews – zum Beispiel heute Morgen – völlig Recht hatte.

(Beifall von CDU und FDP)

Dann wird immer über die vielen Aufstocker geredet. Wir haben in den Bedarfsgemeinschaften in Nordrhein-Westfalen 70.000, die einer Erwerbsarbeit nachgehen.

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Und die größte Lehrstellenlücke aller Zeiten!)

Davon haben drei Viertel einen Ganztagsjob; ein Viertel hat einen Teilzeitjob. Aber drei Viertel arbeiten mit einer normalen tariflichen Arbeitszeit, und ihnen steht trotzdem eine Unterstützung nach Hartz zu. Woran das liegt, dazu komme ich gleich.

(Zuruf von der SPD: Kombilohn!)

Wir haben 11.000 Selbstständige in diesem System.

Die Kostenentwicklung kennen wir alle: 2004 waren es 39 Milliarden €, 2005 waren es 44 Milliarden €. Alle Fachleute sagen uns für 2006 einen weiteren erheblichen Kostenschub voraus.

(Sören Link [SPD]: Bin ich in einer Mathevor- lesung? – Gegenruf von der SPD: Nein, in Statistik!)

Ich finde, zu einer sachlichen Diskussion gehört, dass man sich diejenigen, die in diesem System sind, genau anschaut und dass man nicht pauschalisiert. Zum Beispiel sind in diesem System viele Menschen, die nur drei Stunden am Tag arbeiten können. Wir wissen aber, dass die Arbeitsmarktsituation für solche Fälle ist, wie sie ist.

(Zurufe von der SPD)

Die waren früher alle in der normalen Sozialhilfe.

Aus meiner Sicht muss auf jeden Fall eines geschehen – das ist, glaube ich, der entscheidende Webfehler von Hartz; das habe ich in der gesamten Hartz-Debatte immer gesagt –: Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Argen und die Optionskommunen auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können, nämlich Menschen in die Lage zu versetzen, sich einen eigenständigen Lebensunterhalt aufzubauen.

Da haben wir offensichtlich ein Problem.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das haben Sie gerade von allen bestätigt bekommen!)

Nach dieser Zeit, die wir mit Hartz erlebt haben, haben wir ja Erfahrungen. Wenn es so ist, dass wir erst nach drei Monaten in der Lage sind, mit den betroffenen Menschen ein vernünftiges Kontaktgespräch zu führen – nach drei Monaten! –, dann hat eine entscheidende Stellschraube bei Hartz einfach nicht funktioniert. Wir haben im Hartz-Gesetzgebungsverfahren damals immer gesagt: Die Akten sollen nicht nur Akten sein, sondern sie sollen ein Gesicht haben. Wenn wir das in diesen Organisationsstrukturen nicht hinbekommen, ist das ein Desaster.

(Beifall von CDU und FDP – Zuruf von Dr. Axel Horstmann [SPD] – Weitere Zurufe)

Das Desaster liegt auch darin, dass das Zusammenwirken von Kommune und Bund in einer Arbeitgemeinschaft einfach nicht funktioniert.

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Dann machen Sie es doch besser!)

Es war immer mein Bestreben, dass man eine klare Zuständigkeit schafft, die aus meiner Sicht nach dem Subsidiaritätsprinzip auf der kommunalen Ebene liegen sollte.

(Hannelore Kraft [SPD]: Das war doch der kommunale Krach! – Zurufe von Gisela Walsken [SPD] und Rainer Schmeltzer [SPD] – Weitere Zurufe von der SPD)

Wir haben mit dem Streit der letzten Tage zumindest eines erreicht, Herr Kollege Schmeltzer: Der Teil aus dem Gesetz, das in diesen Tagen im Deutschen Bundestag beschlossen wird – ich glaube, Donnerstag oder Freitag –,