Protocol of the Session on March 15, 2006

Bedingung! – So weit der Bundespräsident!

Ein Blick in Ihren Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, schafft Klarheit und bittere Gewissheit zugleich. Fehlanzeige, absolute Fehlanzeige! Sie haben in den Beratungen auch überhaupt nicht erkennen lassen, dass Sie in NordrheinWestfalen aktiv daran arbeiten, ein solches System aufzubauen. Also Fehlanzeige bei dem Thema Stipendien! Stattdessen soll es Kredite und Ausfallfonds zulasten der Studierenden und der Universitäten geben. Das ist eine wahrlich interessante Variante des Freiheitsbegriffs: null Risiko für die NRW-Bank, null Risiko für die Landesregierung, 100 % Risiko für die Hochschulen, 100 % Risiko für die Studierenden.

Dritter Aspekt – auch das ist interessant, Herr Dr. Brinkmeier –: Wer entscheidet über die Gebühren? Dass Sie sich aus Ihrer politischen Verantwortung stehlen, zeigt sich gerade daran, dass Sie gar nicht über die Einführung von Studiengebühren politisch entscheiden. Sie geben den Hochschulen lediglich die „Möglichkeit“, Studiengebühren einzuführen. Aber dazu, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, hat Prof. Ronge in der Anhörung am 26. Januar alles gesagt, was zu sagen ist. Ich zitiere:

„Die Autonomie den Hochschulen zu geben, Studiengebühren zu erheben oder auch nicht, ist mindestens illusorisch, wenn nicht zynisch.“

In Ihrem politischen Stammbuch steht: Ihre Politik ist zynisch. Sie drücken sich vor der politischen Verantwortung.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die schon in den Stellungnahmen zur Anhörung formuliert worden sind und jetzt noch einmal, wie ich finde, gewichtig durch das Gutachten von Bündnis 90/Die Grünen bestätigt worden sind, nehmen wir ernst. Sie haben diese Bedenken nicht berücksichtigt. Das ist politisch wirklich fatal.

Sie verstecken sich unter dem vermeintlichen Mantel der Autonomie und verkennen dabei die verfassungsrechtlichen Probleme, aber auch das, was beispielsweise der Sprecher der Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten des Landes Nordrhein-Westfalen in deren Stellungnahme zur Anhörung formuliert hat. Die war doch wohl nicht ganz so rosig, Herr Dr. Brinkmeier, wie Sie sie hier beschrieben haben. Ich zitiere:

„Allerdings wird man die Freiheit der Hochschulen, Studiengebühren einzuführen oder davon abzusehen, als eine hypothetische ansehen müssen. Keine Hochschule, es sei denn, sie verfügt über sehr großzügige Mäzene oder plant ihren Niedergang, wird es sich leisten können, die Null-Option zu wählen. Für eine Differenzierung der Beiträge der Höhe nach gibt es im Übrigen auch keine überzeugenden Gründe.“

Also, es ist nicht so, wie Sie es beschreiben, Herr Dr. Brinkmeier. Es gibt erhebliche politische, gesellschaftspolitische, aber auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen das, was Sie hier vorgelegt haben.

Ich will nur noch einmal deutlich machen: Es ist ein fundamentaler Unterschied, ob Sie Studiengebühren in Höhe von bis zu 500 € ab dem ersten Semester erheben oder ob Sie ein Studienkontenmodell einführen, das zu Studiengebühren ab dem 15. Semester führt. Das ist ein enormer Unterschied. Wir haben lange um das Studienkontenmodell gerungen. Aber ich sage Ihnen: Das Studienkontenmodell ist das sozial gerechteste – nicht Ihr Modell!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich stimme Frau Prof. Dr. Nelles zu, wenn sie formuliert:

„Der Entwurf ermöglicht weder den Wettbewerb um exzellente Studierende, noch ermöglicht er eine angemessene Fürsorge für Studierende aus einkommensschwachen Familien.“

Mit Ihrer Politik schaffen Sie neue soziale Ungerechtigkeiten. Mit Ihrem Studiengebührengesetz bauen Sie neue Hürden auf. Sie setzen auf Auslese. Das ist ein bildungspolitischer und gesellschaftspolitischer Irrweg – ein volkswirtschaftlicher Irrweg im Übrigen auch.

Nehmen Sie sich die Freiheit, meine Damen und Herren, und ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück! Die SPD stimmt gegen dieses Gesetz. – Herzlichen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Herr Eumann. – Frau Dr. Seidl von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es reicht schon aus, Herr Brinkmeier, wenn ein Gesetz in einem Punkt verfassungswidrig ist. Wenn das Gesetz von seiner

Anlage her nicht mehr haltbar ist, wie es bei diesem Gesetzentwurf der Fall ist,

(Ralf Witzel [FDP]: Das ist nicht der Fall!)

bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als diesen Gesetzentwurf zurückzuziehen.

Lassen Sie mich erläutern, aus welchen Gründen wir uns außerdem gegen diesen Gesetzentwurf aussprechen: Entstaatlichung der Hochschulen und die Einführung von Studiengebühren sind zwei Seiten einer Medaille, die deutlich machen, wie man sich heimlich aus der bildungspolitischen Verantwortung ziehen kann.

Das ist doch im Kern, was sich die neue Landesregierung vorgenommen hat. Sie wollen sich aus der staatlichen Verantwortung zurückziehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb.

Es sind nicht nur die Studierenden oder die Sprecher der Rektorenkonferenz, die dies bereits gemerkt und schon deutlich artikuliert haben. Auch die Angestellten an den Hochschulen gehen jetzt auf die Barrikaden, weil sie mit der von Ihnen verordneten Hochschulfreiheit künftig um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen.

Wenn Sie heute sagen: „Aber wir geben den Hochschulen doch Planungssicherheit“, dann ist die Fortsetzung des von Rot-Grün beschlossenen Qualitätspaktes aus meiner Sicht eine Selbstverständlichkeit. Wo kämen wir denn hin, wenn auch er noch gekippt würde?

In einem Kontext, in dem Studiengebühren eingeführt, soziale Leistungen im Rahmen der Studentenwerke gekürzt, die Frauenförderung zurückgefahren und die Forschungsförderung gekappt wird, können Sie es sich wahrlich nicht leisten, auch noch aus der Finanzierung der Hochschulen auszusteigen, ohne sich komplett unglaubwürdig zu machen.

Dabei muss man Ihnen zugestehen, Herr Pinkwart, dass Sie ein guter Verpackungskünstler sind.

(Manfred Kuhmichel [CDU]: Das ist so!)

Alles, was in der Kontinuität der alten Landesregierung steht, verpacken Sie in neues Geschenkpapier. Alles, was richtig weh tut, decken Sie mit schönen Farben ab.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

So kommt es, dass der Qualitätspakt nun Zukunftspakt heißt,

(Heiterkeit von Hannelore Kraft [SPD])

Studiengebühren als ein Akt der sozialen Gerechtigkeit angepriesen werden und der Schritt in die Privatisierung der Hochschulen als Freiheit verkauft wird, die alle immer schon haben wollten.

Was wir Ihnen richtig übel nehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, ist, dass Sie in der vergangenen Woche mit Regierungsmehrheit sehenden Auges einem Gesetzentwurf im Ausschuss zugestimmt haben, der eindeutig verfassungswidrig ist, obgleich wir Ihnen das Gutachten von Prof. Hermes aus Frankfurt schriftlich vorgelegt haben, obgleich wir Ihnen ausführlich alle Argumente dargelegt haben und obgleich wir Sie gebeten hatten, die Abstimmung wegen der gravierenden Bedenken gegen diesen Entwurf noch einmal zu verschieben und erst noch einmal rechtlich zu prüfen.

Auch heute kann ich nur noch an die Regierungsfraktionen appellieren, diesen Gesetzentwurf, der aus unserer Sicht die Verfassung mit Füßen tritt, nicht zu verabschieden.

(Ralf Witzel [FDP]: Oh! – Zuruf von Helmut Stahl [CDU])

Gerade mit Blick auf Minister Pinkwart ist unsere Erwartungshaltung groß, dass eine Partei wie die FDP, die sich früher einmal als Rechtsstaatspartei verstanden hat,

(Ralf Witzel [FDP]: Oh!)

zumindest an dieser Stelle zur Besinnung kommt.

Es ist außerordentlich bedauerlich, meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, dass Sie weder bei der Anhörung noch zu einem späteren Zeitpunkt einen externen und unabhängigen Verfassungsrechtler herangezogen haben, um ein Gesetz von solcher Reichweite prüfen zu lassen. Es genügt einfach nicht, Herr Pinkwart, wenn Sie die Juristen der Landesregierung heranziehen, wie Sie im Ausschuss gesagt haben, oder wenn sich die CDU im Wissenschaftsausschuss den Kollegen Reck zur Hilfe holt, der sogar zugeben musste, noch nicht einmal die eigenen Änderungsanträge gelesen zu haben.

(Heiterkeit von der SPD)

Deshalb möchte ich an dieser Stelle noch einmal deutlich machen, dass der von Schwarz-Gelb beschlossene Gesetzentwurf zu zwei verfassungsrechtlichen Anforderungen im Widerspruch steht: einmal zur Pflicht des Parlaments, Fragen des Hochschulzugangs selbst in die Hand zu nehmen, und zum anderen zu der Pflicht, eine Gleichbehandlung der Studierenden sicherzustellen. Beide Anforderungen erfüllt der Gesetzentwurf nicht.

Die Tatsache, dass Sie die Einführung von Studiengebühren an die Hochschulen delegieren, widerspricht dem Grundsatz, dass der parlamentarische Gesetzgeber in grundrechtsrelevanten Bereichen, zu denen insbesondere Fragen des Zugangs zur Hochschulausbildung zählen, die wesentlichen Fragen selber regeln muss.

Gleichzeitig führt dies zu einer Ungleichbehandlung der Studienbewerber, die gegen den Gleichheitssatz aus Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz verstößt.

Darüber hinaus sind die Begrifflichkeiten Freiheit, Wettbewerb und Nachfragemacht der Studierenden, die zum politphilosophischen Ansatz dieses Gesetzes gehören, ungeeignet, um eine Ausnahme von diesen beiden verfassungsrechtlichen Grundsätzen zu rechtfertigen.

Mit anderen Worten, Herr Pinkwart: Sie haben nicht das Recht, die Verantwortung für die Einführung von Studiengebühren an die Hochschulen zu delegieren.

(Manfred Kuhmichel [CDU]: Natürlich hat er das!)

Das hat er nicht. Der Freiheitsbegriff in der Hochschulpolitik endet da, wo der Staat nach der Verfassung Verantwortung übernehmen muss, Herr Kuhmichel.

Die in letzter Minute noch eingebrachten und aus unserer Sicht unzureichenden Änderungsanträge, die sich auf Studierende mit besonderen Belastungen beziehen, kommen zwar deren Interessen vordergründig entgegen, ändern aber nichts an der Verfassungswidrigkeit des Gesetzentwurfs.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vor diesem Hintergrund fordern wir die Regierungsfraktionen noch einmal auf: Ziehen Sie die Konsequenzen, handeln Sie nicht fahrlässig gegen das Grundgesetz, und tragen Sie dieses kritische Gesetz nicht mit! – Vielen Dank.