Protocol of the Session on December 14, 2005

(Beifall von der SPD)

Das Stromchaos hat allen deutlich vor Augen geführt, wie abhängig wir von einer funktionierenden Stromversorgung sind. Es geht nicht nur darum, dass das Licht ausfällt, wenn kein Strom mehr zur Verfügung steht, sondern auch um Heizungen, industrielle und private Kühlungen. Mit der Stromversorgung steht und fällt fast die gesamte Ver- und Entsorgung, wie zum Beispiel die Wasser- und Abwasserversorgung im ländlichen Raum. Nutztiere können ohne Strom unter Umständen nur wenige Stunden überleben, da sie von Lüftung, elektrisch gesteuertem Wasser- und Nahrungszulauf sowie von elektrisch konstant gehaltenen Temperaturen abhängig sind.

Bislang haben sich die Menschen auf die scheinbar immer zur Verfügung stehende Ressource „Strom aus der Steckdose“ verlassen können. Sie haben großes Vertrauen in die Politik und in die Energiekonzerne gesteckt: Auf dass der Strom NRW-weit problemlos fließt! Unterstützt wurde das Vertrauen durch die Aussagen der Stromkonzerne, dass ein Problem à la Italien und Nordamerika im Jahre 2003 bei uns nicht auftreten könne, schließlich seien unsere Stromnetze sicher und gut gewartet.

Frau Thoben, dieses Vertrauen ist nun weg. Den Menschen ist schlagartig klar geworden, dass die scheinbar so sicheren Stromnetze wohl doch nicht so sicher sind. Da hilft auch kein Lamentieren über Jahrhundertwetterereignisse. Schließlich gilt für unsere Breitengrade: Wenn es zu starken Schneefällen kommt, ist das in der Regel um null Grad Celsius und nicht bei minus zehn oder minus 20 Grad der Fall.

Den Menschen, die tagelang im Kalten und Dunkeln ausharren mussten, die einen finanziellen Schaden erlitten haben und sich nun um dessen Regulierung bemühen, ist es egal, ob Eis, Wind, maroder Thomasstahl, Stichleitung oder Mastabstände zu dem tagelangen Stromausfall geführt haben. Die Menschen interessiert nur eine einzige Frage: Kann so etwas wieder passieren?

Frau Thoben, wir fordern Sie auf, uns simple Fragen zu beantworten, die die Menschen bei uns im Münsterland, speziell in den Kreisen Borken und Steinfurt, beschäftigen: Die Menschen möchten sich nicht zwischen RWE, Versicherung und Handwerkerrechnung für ihre kaputtgegangene Heizung, für ihre überspannten Fernsehgeräte, Herde und Kühlschränke aufreiben. Sie wollen

wissen, wer sich vertrauensvoll, umfassend und zeitnah um ihre berechtigten Belange kümmert. Wer könnte dies sein, wo Sie doch den von der SPD geforderten Ombudsmann ablehnen? Wird die Landesregierung den Menschen im Münsterland wieder ein Gefühl der Sicherheit geben, indem sie die Einführung eines Strom-TÜVs unterstützt?

Die Erfahrungen in meinem Wahlkreis zeigen, dass der Einsatz der Hilfskräfte im Rahmen der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten gut funktioniert hat. Man ist sich sicher, dass bei einem erneuten Vorfall dieser Art noch effizienter geholfen werden kann. Trotzdem müssen Sie den Menschen hier und heute sagen, ob sie sich ein Notstromaggregat unter den Weihnachtsbaum legen sollen oder ob es statt einer jahreszeitlichen Survival-Ausrüstung normale Festtagsgeschenke geben kann.

(Beifall von der SPD)

Die Betroffenen im Münsterland und die SPDFraktion werden Sie an den Ergebnissen messen. - Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Frau Abgeordnete Brüning für die CDU-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Auf der Titelseite stellt der „Focus“ diese Woche die Bilder des Jahres vor, und die abgeknickten Strommasten im Münsterland gehören dazu. Dabei sprechen die Überschriften aller Zeitungen und Magazine schon ihre eigene Sprache: Sie reichen von „Stromchaos“ über „Kolosse“ bis hin zu „Katastrophe“ und „Desaster“.

Insgesamt fünf Tage, zwei Stunden und 25 Minuten waren die am ärgsten betroffenen Regionen in und um die Stadt Ochtrup ohne Strom. Genau so sah es im Kreis Coesfeld, im Kreis Borken, in der Stadt Vreden und vielen anderen Orten im Münsterland aus. Unsere Kolleginnen und Kollegen aus dem Münsterland berichten auch aus eigener Betroffenheit über die schwierige Lage in ihren Heimatgemeinden.

(Beifall von Bernhard Schemmer [CDU])

Kein Licht, keine Heizung, keine Möglichkeit zu kochen, keine Möglichkeit, sich auch nur Wasser für Kaffee oder eine Wärmeflasche heiß zu machen, ganz abgesehen von blökenden Kühen, die nicht gemolken werden konnten. Alte Menschen,

so wurde berichtet, blieben den ganzen Tag im Bett; nur die Kinder genossen zumindest in den ersten Tagen die gewaltigen Schneeberge.

Die Münsterländer haben es allerdings mit Fassung getragen. Das muss man an dieser Stelle einmal ganz deutlich sagen. Das konnten sie sicherlich auch nur, weil Hilfskräfte, hauptamtliche und ganz, ganz viele freiwillige Helfer, rund um die Uhr im Einsatz waren. Eine gewaltige Hilfsbereitschaft hat sich in den sechs Tagen entfaltet. Wir stellen fest, dass die Krisenstäbe in den Kreisen einen wirklich guten Job gemacht haben. All denen gilt auch von dieser Stelle noch einmal unser ganz besonderer, großer Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

In den Stunden der größten Not und der Ungewissheit – das möchte ich heute auch einmal sagen – haben der Besuch des Ministerpräsidenten und der Besuch des Innenministers dieses Landes in der Krisenregion wieder Mut und Zuversicht bei den Bürgerinnen und Bürgern gegeben. Auch dafür sagen wir heute herzlichen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Was übrig geblieben ist, spiegeln die genannten Überschriften der Zeitungen auch jetzt noch wider: abgeknickte Strommasten, in den Himmel ragende Metallstäbe, von denen der Beton abgebrochen ist, herumhängende und -liegende Stromkabel und noch immer einige entlegene Bauernhöfe, die mit Notstromaggregaten versorgt werden.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

Ebenfalls übrig geblieben ist ein ganz schaler Nachgeschmack, den es aufzubereiten gilt und mit dem wir uns heute beschäftigen müssen. Hatten doch noch vor zwei Jahren RWEVerantwortliche laut „Spiegel“ erklärt, ein Stromchaos wie seinerzeit in Italien sei hierzulande nicht möglich; denn immerhin würden große Summen in die hiesige Netztechnik investiert, was auch rechtfertige, dass hierzulande Energie eben etwas teurer sei als in den Nachbarstaaten.

Die jüngsten Ereignisse widersprechen dem in Gänze.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mittlerweile haben RWE-Vorstandsmitglieder sowohl im Innen- als auch im Wirtschaftsausschuss Rede und Antwort gestanden. Das aber reicht bei weitem nicht aus. Im Münsterland und in ganz Nordrhein-Westfalen erreichen uns täglich neue Schlagzeilen, so zum Beispiel heute: „RWE wuss

te bereits seit 1994 von maroden Strommasten“. Viele Fragen bleiben also offen.

Es gilt, nicht nur die vergangenen Ereignisse und die großen Schäden aufzuarbeiten und zu begrenzen, sondern auch zukünftige Schäden zu verhindern. Der Presse können wir entnehmen, dass RWE-Vorstandsvorsitzender Roels einräumt, Fehler bei der Information über brüchige Masten gemacht zu haben.

Ich frage heute sehr kritisch: Warum war RWE zu Beginn des Schnee-Chaos zwei Tage sprachlos? Warum wurde nicht sofort über das ganze Ausmaß der Katastrophe informiert? Wo war das Krisenmanagement von RWE? Die Menschen in den am stärksten betroffenen Kreisen Steinfurt, Coesfeld und Borken hätten sich bei einer rückhaltlosen Information von der ersten Stunde an ganz anders auf die Katastrophe einstellen können. Diesen Vorwurf müssen sich die Vorstände von RWE gefallen lassen.

Beim Blick in die Vergangenheit tut sich für mich ganz einfach auch die Frage auf: Hätte die Katastrophe verhindert werden können? Allein die Tatsache, dass RWE eingesteht, dass im Münsterland die ältesten Masten und Leitungen vorhanden sind, macht mich mehr als stutzig. Hätte dieses immense Ausmaß nicht verhindert werden können, wo doch seit langer Zeit bekannt ist, dass Sicherheitsmängel durch Maststahlversprödung bestehen?

Es darf uns nicht ausreichen, dass man uns erklärt, das Sanierungsprogramm sei ja schon beschleunigt worden. Ich sehe meine Aufgabe als Politikerin der betroffenen Region hier sehr genau definiert: Kontrolle da ausüben, wo die eigene Kontrolle des Unternehmens anscheinend versagt hat.

Ich fordere dazu auf, dass von unabhängiger Stelle eine neutrale Untersuchung angestrebt wird. Die Bundesnetzagentur als zuständige Aufsicht muss sich mit dem aktuellen Pflegezustand des Stromnetzes beschäftigen.

Eine Erkenntnis jedoch haben wir: Die entstandenen Schäden sind immens. Die Industrie- und Handelskammer beziffert den Schaden mit einer dreistelligen Millionenhöhe, die Handwerkskammer mit 25 Millionen €. Zusätzlich berichten betroffene Landwirte von erforderlichen Tierarztbehandlungen für ihre Tiere, die durch Wärmeausfall erkrankt sind.

Eines ist sicher: Die 250.000 betroffenen Menschen in den Kreisen Steinfurt, Borken und Coesfeld erholen sich zwar allmählich von dem Schre

cken der kalten und dunklen Tage; zugleich aber steigt stetig der Vertrauensverlust in die ehrliche und kritische Aufarbeitung der Katastrophe seitens des Stromkonzerns.

Wir fragen uns auch: Was ist, wenn der Betrag von 5 Millionen € aus dem Hilfsfonds von RWE nicht ausreicht? Viele der 7.000 betroffenen Handwerks- und Einzelhandelsbetriebe sind in Liquiditätsprobleme geraten, und sie haben keine juristische Abteilung, die ihre Anliegen durchfechten wird. Deshalb fragen wir: Wie weit geht die angekündigte kulante Abwicklung der Schäden?

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch die Kommunen haben die berechtigte Frage: Wie geht es weiter mit der Entschädigung? Sie haben die Kosten für Unterkunft und Verpflegung der Helfer und der betroffenen Menschen übernommen, sie haben die Dieselkosten für die Aggregate übernommen und kommen für Lohnausfälle der Helfer auf. Es gilt also, auch den Schaden bei unseren Kommunen zu begrenzen. Deshalb fordern wir, dass die Kosten, die den Kommunen bei der Bewältigung der Katastrophe entstanden sind, von dem Energieversorger RWE übernommen werden.

Die Unternehmen, die Bürgerinnen und Bürger, die Kommunen im Münsterland erwarten, dass der größte Stromlieferant Nordrhein-Westfalens seiner besonderen Verantwortung gegenüber den Betroffenen im Münsterland gerecht wird. Wir werden uns gerne der Diskussion im Wirtschaftsausschuss stellen, wenn der Antrag heute überwiesen und nicht abgestimmt wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner hat Kollege Sagel für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

(Zuruf von der CDU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Leider habe ich Ihren Zuruf, Herr Kollege, nicht verstanden, aber vielleicht können Sie ihn wiederholen. Dann werde ich natürlich gerne darauf eingehen.

Angesichts der Katastrophe, die das Münsterland betroffen hat – das sage ich als Münsterländer; wir haben eine Reihe von Abgeordneten aus dem Münsterland gehört –, kann ich nur sagen: Die Bürger aus dem Münsterland und die Hilfskräfte haben in dieser katastrophalen Situation hervor

ragend reagiert. Auch den betroffenen Gemeinden – ich habe selber vor Ort mit dem Bürgermeister von Ochtrup geredet – gebührt Hochachtung und aller Dank.

Aber man muss zu den Punkten kommen, die sehr kritisch zu sehen sind. Wenn man liest, dass RWE bereits seit Anfang der 90er-Jahre wusste, dass es dort Materialprobleme gibt, dann ist umso erstaunlicher, was RWE in der letzten Woche bei der Anhörung im Wirtschaftsausschuss vorgetragen hat. Der Leidtragende ist nicht der Konzern RWE, sondern es sind tatsächlich die Bürgerinnen und Bürger im Münsterland, die diese Schäden zu tragen haben.

Frau Thoben, Sie sagen, Ihnen sei die technische Sicherheit nicht hinreichend. Das finden die Münsterländer auch. RWE hat in der Tat miserabel informiert. Man muss allerdings fragen, wie Sie am 29. November sagen konnten, Sie sähen bisher nicht, dass RWE Fehler gemacht habe. Und Ihr Ministeriumssprecher verlautbarte, dem Konzern RWE sei nichts vorzuwerfen.

Frau Thoben, wenn Sie den ehemaligen Ministern der SPD vorwerfen, sie hätten sich nicht informiert, kann ich nur sagen: Sie stellen auch erst seit Anfang Dezember Fragen und nehmen den Konzern RWE tatsächlich konkreter in die Mangel. Ihre ersten Verlautbarungen waren genau das Gegenteil von dem, was Sie heute erzählt haben. Sie haben am Anfang den Konzern RWE in Schutz genommen. Das muss man konstatieren.

In der Anhörung fand ich RWE alles andere als überzeugend. RWE hat behauptet, diese Wetterlage hätte kein Mast in Europa überstanden. Das war die Aussage des Vorstandsvorsitzenden von RWE. Solch ein Quatsch! Selbst in der Region sind noch Masten stehen geblieben, es sind ja nicht alle umgekippt. Daher muss man sehr sorgfältig analysieren, warum bestimmte Masten umgekippt sind und andere aufgrund derselben Wetterlage, derselben Situation, in derselben Region stehen geblieben sind. Darüber erwartet man vom Konzern vollständigen Aufschluss.

Die 5 Millionen € sind eine nette Geste. Vielleicht kann man beschreiben, was RWE da macht. In Wirklichkeit sind die Schäden aber viel höher. Die Industrie- und Handelskammer war allerdings sehr schnell mit ihren Verlautbarungen, was die Größenordnung angeht. Das muss man sicherlich sehr sorgfältig analysieren. Die konkrete Forderung muss sein, dass alle Schäden ausnahmslos ersetzt werden. RWE macht alles andere, als man erwarten könnte. RWE trickst, verschleiert und

täuscht. Das haben wir im Ausschuss bisher erlebt.

Frau Thoben, ich erwarte, dass Sie für restlose Aufklärung sorgen und sicherstellen, dass RWE alle Schäden ausnahmslos ersetzt. Das ist die Forderung, die Sie zu erfüllen haben. – Danke schön.