Protocol of the Session on February 4, 2010

Es wird erst noch ein Arbeitskreis vom Bundesgesundheitsminister eingerichtet, um das Programm für ein neues Gesetz zu erarbeiten. Aber Sie wissen schon alles. Sie wissen schon alles und werten schon alles.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Wir haben den Koalitionsvertrag gelesen!)

Mit dieser Fähigkeit des Weissagens, Frau Steffens, sollten Sie vielleicht im Varieté auftreten, aber uns hier nicht festhalten.

(Beifall von CDU und FDP)

Aber so läuft das eigentlich jedes Mal: Sie behaupten das Blaue vom Himmel, bekämpfen das Blaue dann und behaupten, es sei grün. Passt, ja! Nachher sind Behauptung und Wahrheit so verschwommen, dass aus Ihrem Konglomerat natürlich nichts mehr herauskommt.

Zu den Inhalten! Die Koalition stelle eine der Grundfesten der deutschen Sozialgesetzgebung und Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft zur Disposition. Sie wolle gesetzlich Versicherte weiter belasten. – Diese und andere Behauptungen in Ihrem Antrag entbehren jeder Grundlage.

Für uns hier ist klar – und das bleibt klar; schreiben Sie mit, Frau Löhrmann, Sie haben den Stift ja schon in der Hand –: Eine solidarische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung muss und wird weiter bestehen. Eine weitere alleinige Belastung von Arbeitnehmern durch Zuzahlungen und Zusatzbeiträge ist nicht der einzige und vor allen Dingen nicht der richtige Weg. Es wird eine Gesundheitsreform auf den Weg gebracht, die auf der

Finanzierungsseite dem demografischen Faktor Rechnung trägt und alle jeweils nach ihren Möglichkeiten gerecht einbezieht. Eine Zwei-KlassenMedizin wird es mit uns nicht geben.

Aber es müssen natürlich auch die Profile der am System Beteiligten – vom Patienten über den Arzt bis zu den Krankenhäusern – überprüft werden. Denn die Anforderungen, die von den Einzelnen kommen, sind immer höher geworden; denken Sie an die Steigerungen, die wir in den letzten zehn Jahren im System hatten. Wir wollen am modernen Fortschritt teilhaben. Aber es muss auch irgendwie bezahlt werden. Und das geht nur, wenn alle gleichermaßen beteiligt werden.

(Britta Altenkamp [SPD]: Nein!)

Der Einkommensausgleich von Beitragszahlern über die Steuern ist unter Gerechtigkeitsaspekten sicherlich zu prüfen. Ich meine, eine prozentuale Beteiligung aller ist der richtige Weg.

Die Risiken für eine umlagefinanzierte GKV liegen allerdings nicht nur in der demografischen Entwicklung und dem Rückgang der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, sondern auch im medizinisch-technischen Fortschritt; ich habe das eben deutlich gemacht: Es ist erfreulich, aber es kostet Geld.

Diejenigen, die viel verdienen, zahlen auch mehr in das System, übrigens auch in das Steuersystem. Ihr Vorwurf, der Konzernchef zahle dann für die Gesundheit genauso viel wie die Supermarktverkäuferin – das war übrigens ein Beispiel von Ihrer früheren Mitarbeiterin aus der Bundestagsdebatte –, ist völlig substanzlos. Selbst wenn es eine steuermitfinanzierte Versicherung gäbe, bliebe klar, dass der Gutverdiener mehr Steuern zahlt und sich damit auch stärker an den Gesundheitskosten beteiligen muss. Das ist ein Stück Gerechtigkeit.

Über Gerechtigkeit darf man an dieser Stelle nicht nur reden; man muss sie leben. Die Solidarität darf nicht an der Beitragsbemessungsgrenze enden, meine Damen und Herren.

Wir wollen, dass auch in Zukunft jeder Deutsche weiterhin, und zwar unabhängig von seinem Einkommen, seinem Alter, seiner sozialen Herkunft oder seinem gesundheitlichen Risiko, eine qualitativ hochwertige, wohnortnahe medizinische Versorgung erhält und dass alle am medizinischen Fortschritt teilhaben können. Wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger keine Zwei-KlassenMedizin bekommen; mit der CDU werden sie sie sicherlich nicht bekommen.

Aber wir müssen uns dem demografischen Wandel stellen, und dazu hat der Bundesgesundheitsminister eine Kommission einberufen,

(Heike Gebhard [SPD]: Das war eine Fehl- leistung!)

die von vielen an der Gesellschaft Beteiligten mitbestimmt wird. Es müssen alle gesellschaftlichen Gruppen in dieser Kommission vertreten sein.

Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Wettbewerbsbelastung unserer Wirtschaft durch vollständige Kopplung der Finanzierung der Krankenversicherung an den Faktor Arbeit nicht einseitig wirkt. Dann könnten Arbeit und die Arbeitnehmer darunter leiden; das wäre falsch.

Deshalb hat die Koalition beschlossen, diese eben genannte Kommission einzusetzen und wirklich zu versuchen, die Gesundheitsfinanzierung auf breitere Basis zu stellen und auf breitere Schultern zu verteilen. Ich bin sicher, dass dies so geschehen wird. Wir werden das deutsche Gesundheitswesen innovationsfreundlich, leistungsgerecht und demografiefest gestalten. Wir benötigen eine solche zukunftsorientierte Finanzierung, aber auch Planbarkeit und Verlässlichkeit, vor allen Dingen aber Solidarität im System, gepaart mit Eigenverantwortung. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Post. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der SPD die Frau Kollegin Gebhard das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Post, ich halte es für müßig, darüber zu streiten, ob irgendwer hier eine Blaupause gemacht hat. Meines Wissens gab es in der letzten Woche nicht einen Antrag der Grünen, sondern eine Aktuelle Stunde.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Richtig!)

In der Tat. Inhaltlich gab es dazu eine entsprechende Auseinandersetzung. Der Fakt, dass wir uns heute hier ebenfalls mit diesem Thema befassen, ist nicht der Tatsache geschuldet, dass man in Berlin darüber diskutiert, sondern der, dass Sie jede beliebige Zeitung aufschlagen können, um festzustellen: Dieses Thema ist auf dem Tisch. Das heißt, es gelingt Ihnen in keinerlei Weise, was einmal Ihre ursprüngliche Absicht war, diese Auseinandersetzung auf die Zeit nach dem 9. Mai zu verschieben. Wir können es uns nicht leisten, zu der Diskussion, die in den Medien läuft, hier und heute zu schweigen. An klaren Äußerungen führt meines Erachtens kein Weg vorbei.

Lassen Sie mich dazu einen Kommentar von Stefan Schulte in der „WAZ“ zitieren, den er am 26. Januar, also erst vor ein paar Tagen, geschrieben hat. Darin weist er auf Folgendes hin:

Alle anderen Vorhaben des Ministers verursachen nicht weniger, sondern mehr Kosten...

Darüber hinaus hat er vorher auf die Aussage von Herrn Rösler zu den Arzneikosten Bezug genommen.

Er will den Versandhandel in Drogerien verbieten, Rabattverträge erschweren und verspricht Nachbesserungen bei den Ärztehonoraren.

Nach dem Motto:

Für jede Lobby ein Bonbon, nur keines für die Versicherten.

Dies ist meines Erachtens der entscheidende Punkt, warum die Diskussion so heftig geführt wird.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Die Abfassung des Koalitionsvertrages – wir hatten im Oktober letzten Jahres bereits Gelegenheit, darüber zu diskutieren – zeigt doch eines: dass da offenbar CSU und FDP – unterstützt von Experten der privaten Versicherungen – am Verhandlungstisch gesessen und es ausgehandelt haben.

Und wo saß die CDU? – Die CDU hat das, was Sie jetzt in Teilen zitiert haben, als ihre Position vertreten und in die Präambel ein paar Grundsätze hineinformuliert, sozusagen ein bisschen weiße Salbe darübergetüncht. Das Problem ist nur eines, Herr Post: Wie wollen Sie diese weiße Salbe realisieren, wenn anschließend die konkreten Punkte Strukturen schaffen, die es unmöglich machen, das, was Sie postulieren, umzusetzen?

(Norbert Post [CDU]: Aber wie die Lösung aussieht, das diskutieren wir im Bundestag und nicht hier!)

Entschuldigen Sie bitte: Weder ich noch die gesamte Opposition können etwas dafür, wenn Sie kein Konzept für die Weiterentwicklung der Gesundheitspolitik haben. Das Problem ist: Die Menschen wollen jetzt eine Antwort auf die Fragen, die sich aus den erfolgten Ankündigungen ergeben.

(Beifall von der SPD)

Man sollte sich einmal die zurzeit agierenden Protagonisten und deren Verhalten anschauen:

In der ersten Phase der Diskussion ist der Bundesgesundheitsminister abgetaucht und hat sich um das Weitere nicht gekümmert. Dann schwingt er sich auf und erklärt – darauf hat meine Kollegin Steffens schon hingewiesen –, dass er die Zusatzbeiträge als unsozial empfinde. Da muss dann tatsächlich die Bundeskanzlerin einschreiten – ich zitiere aus der „Süddeutschen Zeitung“ vom 28. Januar –: Sie kritisiert den Gesundheitsminister, „der die Verantwortung für die Zusatzbeiträge bei der früheren schwarz-roten Koalition abzuladen versuche“:

Aus Unionssicht ist das auch deshalb paradox, weil die Liberalen ja nicht nur einkommensunabhängige Zusatzzahlungen, sondern sogar eine generelle Kopfpauschale anstreben.

Sie muss ihn also zur Ordnung rufen, dass er da in seinem Konzept wohl recht widersprüchlich sei.

Wenn Herr Rösler jetzt „ausse Büsche“ kommt und am Montag bei Beckmann in der ARD sogar sein persönliches Schicksal mit der Realisierung der Kopfpauschale verknüpft, dann wissen wir doch, welche Geschütze da aufgefahren sind. Wie verhalten Sie sich denn dazu? Sagen Sie dem Herrn Rösler, dann packen Sie schon mal die Koffer, wir machen das so nicht mit, weil wir ganz andere gesundheitspolitische Ziele haben, wie Sie gerade formuliert haben? – Das steht doch unversöhnlich nebeneinander, was Sie gefordert haben und was auf der anderen Seite steht. Welchen Lösungsweg zeigen Sie denn da auf?

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn ich dann sehe, was Ihr CDU-Kollege Jens Spahn erklärt, der die Zusatzbeiträge als Einstieg in die einkommensunabhängige Kopfpauschale verteidigt, dann sehen Sie, dass Sie doch in Ihrem eigenen Laden – Sie können es noch nicht einmal auf die FDP abladen – erst einmal eine Linie finden müssen, wofür Sie denn nun eigentlich sind.

Da bin ich wieder ganz hier in NordrheinWestfalen, wie Sie es wünschen.

(Minister Karl-Josef Laumann: Das ist gut!)

Ich knüpfe an die Diskussion hier in diesem Hohen Hause im Oktober 2009 an, Herr Minister. Seinerzeit haben auch Sie gesagt, Sie seien sehr wohl für einkommensunabhängige Beiträge. Sie haben sie verteidigt und gemeint, die steuerlichen Regelungen, die nachgeordnet kämen, würden alles richten. Jetzt können wir lesen, dass Sie plötzlich die Bedeutung der solidarischen Krankenversicherung wiederentdeckt haben.

Na ja, nach gerade einmal drei Monaten machen Sie jetzt einen Schwenk, der wohl dem Datum 9. Mai geschuldet ist. Anschließend, nach dem 9. Mai, werden Sie wahrscheinlich wieder sagen, die Einführung von einkommensunabhängigen Beiträgen sei in Ordnung.

Allerdings – das ist der Grund, warum wir das hier diskutieren müssen – glaubt Ihnen im Lande niemand mehr, dass es möglich ist, einkommensunabhängige Beiträge einzuführen und sie tatsächlich sozial abzufedern.

Die niedrigste Schätzung – ich habe eine Spanne von Schätzungen entdeckt – besagt, dass 40 % der Versicherten einen solchen Sozialausgleich erhalten müssten. Wissen Sie eigentlich, welch eine Bürokratie Sie da in Gang setzen, wenn das berechnet werden soll, wenn jede und jeder Einzelne seinen Antrag stellen darf, seine Einkommenssituation offenlegen und sagen muss, bitte, bitte, gebt mir einen entsprechenden sozialen Ausgleich? Was das obendrein an Bürokratie- und an Verfahrenskosten verursacht! Dieses Geld soll