Protocol of the Session on February 4, 2010

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Wir wollen die Bür-ger-ver-si-che-rung!)

Sie wollen ein Ende der Zwei-Klassen-Medizin. Wie passt denn das alles zusammen?

(Beifall von der FDP)

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ein Kommentar in der „Süddeutschen Zeitung“, die des marktorientierten Denkens meistens unverdächtig ist. Dort ist etwa zum Verhältnis der SPD zur Beitragsmessungsgrenze zu lesen; das gilt aber genauso für die Grünen:

In der gesetzlichen Krankenkasse liegt die Grenze derzeit bei 45.000 €. Bis dahin überweist ein Arbeitnehmer von jedem verdienten Euro 7,9 % an seine Kasse. Der darüber liegende Teil des Bruttojahreseinkommens ist beitragsfrei, weshalb der Chef mit 90.000 € gemessen am Gesamtsalär nur halb so viel zahlt wie der Sachbearbeiter, der 45.000 € verdient. Das Erstaunliche daran: Die SPD hält das für gerecht und will das System unter dem Schlagwort Bürgerversicherung sogar noch auf Freiberufler und Selbstständige ausdehnen. Eine verquere Logik. Das Gegenmodell, die Kopfpauschale, wird hingegen als neoliberales Teufelszeug verdammt. – So die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrem Kommentar.

Fest steht, dass die Grünen zu ihrer Regierungszeit im Bund nichts an den beschriebenen Ungerechtig

keiten geändert haben. Bislang sprechen Sie bestenfalls für eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze. Stattdessen werden die vermeintlichen Vorteile der sogenannten Bürgerversicherung beschworen, um das Umlagesystem, das jetzt schon an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gelangt ist,

(Dietmar Brockes [FDP]: Es ist schon drüber!)

zum Zwangssystem für alle zu erheben.

Die Detailfragen der geplanten Reform werden bekanntlich zeitnah, das heißt ab März, in einer Kommission unter Leitung von Bundesgesundheitsminister Rösler geklärt. Klar ist aber jetzt schon, dass die fiskalischen Befürchtungen der Kritiker – auch der Kritiker aus Bayern –, so nicht zutreffen werden, weil die Neustrukturierung eben nicht auf einmal, sondern schrittweise erfolgen soll. Das ist bei dieser Größenordnung übrigens auch gar nicht anders machbar.

Zum Thema Zusatzbeiträge, das heute mehrfach angesprochen worden ist: Dazu hat der Bundesgesundheitsminister in den letzten Tagen unmissverständlich geäußert, dass er die Zusatzbeiträge in der Höhe von 8 € in der jetzigen Form für unsozial halte, weil alle den gleichen Beitrag zahlen müssen, egal ob Gering- oder Gutverdiener, ohne einen Sozialausgleich.

Das haben wir so nie gewollt. Wir wollen es auch jetzt nicht. Wir halten es für sinnvoll, die Zusatzprämie kurzfristig zu stoppen, um dann endlich den Einstieg in ein solidarisches Prämiensystem zu vollziehen.

Von daher ist es wirklich grotesk, wenn ausgerechnet die SPD, die an dem ganzen Wirrwarr den größten Anteil hat, nun Minister Rösler vorwirft, er mache es sich zu leicht.

(Britta Altenkamp [SPD]: Der macht es sich nicht zu leicht, sondern er macht überhaupt nichts!)

Wer war denn lange Jahre Bundesgesundheitsministerin, hat die Leute vergrault und die Patienten in die Rationierung getrieben? Ich darf allein an die Steuermittel erinnern, die aufgebracht werden müssen, um die Löcher im Gesundheitsfonds mit der Kleinigkeit von knapp 4 Milliarden € zu stopfen.

Sich jetzt wegzuducken, als hätte man nie irgendetwas damit zu tun gehabt, beschreiben wir Nervenärzte als Gedächtnisstörung, die häufig bei Hirnabbauprozessen vorkommt.

(Beifall von der FDP – Britta Altenkamp [SPD]: Wenn wir bei Gedächtnisstörungen sind, sollten Sie lieber aufhören zu reden!)

Abschließend möchte ich die unsachgemäßen Unterstellungen, von denen es im Antrag der Grünen nur so wimmelt, zum Beispiel zu den Personalentscheidungen beim Institut für Qualität und Wirt

schaftlichkeit im Gesundheitswesen, entschieden zurückweisen. Minister Rösler hat sich ohne Wenn und Aber hinter die Arbeit dieses Instituts gestellt. Frank Ulrich Montgomery, Vizepräsident der Bundesärztekammer und langjähriges SPD-Mitglied, erklärt, der Hauptgrund für die Absetzung des bisherigen Leiters des Instituts sei, dass er wissenschaftliche Fehler begangen habe. Glauben Sie Herrn Montgomery?

Auch der Vorwurf der Lobbybegünstigung am Beispiel der Überprüfung von Rabattverträgen ist an den Haaren herbeigezogen.

(Rüdiger Sagel [fraktionslos]: Ach!)

Ganz nebenbei wird dieser Schritt sogar von Karl Lauterbach von der SPD ausdrücklich gefordert. Man staune. In der Wochenendausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ steht, um Kosten zu sparen, müssten die Kassen bessere Möglichkeiten bekommen, Rabattverträge über Arzneimittel abzuschließen.

Der Bundesgesundheitsminister hat erneut betont, dass er nach Einsparmöglichkeiten bei Pharmaprodukten suchen wird. Da geht es selbstverständlich um die Preisgestaltung. Ein entsprechendes Gesetz ist in Vorbereitung.

Mein Fazit lautet: Der Antrag der Grünen ist der äußerst unfaire Versuch, die Gesundheitspolitik der Bundesregierung schlecht aussehen zu lassen und schlechtzureden,

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Das stimmt nicht!)

ohne selbst mutige zukunftsorientierte Ansätze vorzuweisen. Deshalb muss er natürlich abgelehnt werden. – Danke schön.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Romberg. – Als nächster Redner spricht Herr Kollege Sagel.

(Minister Karl-Josef Laumann: Ist er wieder da? – Zuruf von der SPD: Ach, du liebe Gü- te! – Weitere Zurufe)

Das ist doch nicht mein Fehler, Herr Minister. Ich hatte gar keine Rede angemeldet.

(Dr. Stefan Romberg [FDP]: Wollten Sie gar nicht zu Minijobs reden? Hat die Linke dazu keine Meinung?)

Herr Kollege, darf ich Sie darauf hinweisen, dass ich nur zu einigen Tagesordnungspunkten reden darf.

(Minister Karl-Josef Laumann: Das ist auch gut so!)

Deswegen muss ich mir immer sehr genau überlegen, zu welchen Themen ich rede.

Ich habe mir dieses Thema deswegen ausgesucht, weil es besonders gut passt. Denn in den letzten Tagen ist doch sehr deutlich geworden, dass die Bundesregierung ihren neoliberalen Kurs fortsetzt. Die Chaostruppe der FDP ist im freien Fall – an der Spitze der Chaos-Professor Pinkwart, der nach seinem Zickzackkurs bei der Hotelsteuer von allen Seiten abgewatscht wurde: zuerst von der BundesFDP und dann vom hiesigen Landesverband.

Jetzt kommt der nächste GAU für die FDP, denn jetzt kommt heraus, dass Sie auch noch besondere Konditionen bei privaten Krankenversicherern bekommen. Das ist sehr interessant. Ausgerechnet die FDP, die Klientelpartei Nummer eins par excellence, profitiert wieder ganz besonders. Die größten Abzocker im Land sitzen bei der FDP.

(Lachen von Dr. Gerhard Papke [FDP] – Dr. Stefan Romberg [FDP]: Sprechblasen!)

Sie müssen ganz ruhig sein; Sie sind der Spitzenmann dieser Abzockerpartei, Herr Dr. Papke.

Die Marktradikalen der Heuschreckenpartei FDP haben aber noch mehr im Köcher – an der Spitze Ihr Bundesminister Rösler. In diesen Tagen erleben wir den Ausstieg aus der Solidargemeinschaft im Gesundheitswesen.

Die ersten Krankenkassen fordern nun einkommensunabhängige Zusatzbeiträge, wie sie von der Großen Koalition ermöglicht wurden. Jeder zahlt gleich viel. Die Geringverdienenden und die Politikerin, die neben ihren Bezügen auch noch 30.000 € Sitzungsgeld kassiert – alle müssen, wenn sie Mitglied einer solchen gesetzlichen Versicherung sind, 8 € zusätzlich bezahlen. Für den einen bedeuten 8 € mehr als das Essen für einen Tag; für andere ist das nur ein Bruchteil eines Stundenlohns. Das ist hochgradig ungerecht, aber das ist die konkrete Politik von CDU und FDP.

Hieran zeigt sich wieder, dass die Bevölkerung immer für das geradestehen muss, was von den Abzockern der Koalition in Berlin gemacht wird. Diese Zusatzbeiträge belasten besonders die Menschen mit niedrigem Einkommen. Anstatt die fehlenden Gelder für die Krankenkassen durch den Staat bereitzustellen, werden die Bürger zur Kasse gebeten.

Eigentlich sollten Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeber die Krankenversicherung zu gleichen Teilen zahlen. Die Zusatzbeiträge sind aber nur von den Versicherten zu entrichten. Das ist der Ausstieg aus der Parität, wie ihn sich die Neoliberalen wünschen.

Die Zusatzbeiträge stellen außerdem den Türöffner für die Kopfpauschale dar. Damit sie eingezogen werden können, muss eine Infrastruktur eingerichtet werden, die – wen wundert es – für die Kopfpauschale genutzt werden kann.

Diese Kopfpauschale wird die Steuerzahlerinnen und -zahler jährlich Milliarden kosten, weil ein Großteil der Bevölkerung diese Pauschale nicht bezahlen kann. Während für die einen – womöglich für die Klientel und für die Spender der FDP – die Gesundheit bald keinen Kostenaufwand mehr bedeutet, müssen die meisten Menschen Zuschüsse vom Staat bekommen. So soll die Pauschale hoch genug werden, um die Kosten im Gesundheitswesen zu decken.

Denn unter anderem stellen Medikamente einen riesigen Kostenfaktor im Gesundheitswesen dar. CDU und FDP schützen die Apotheker vor Konkurrenz. Pharmakonzerne fahren jedes Jahr Milliardengewinne ein, weil sie die Medikamente viel teurer verkaufen, als es den Produktionskosten entspricht.

Anstatt den günstigeren Weg zu gehen und den Krankenkassen zunächst die fehlenden Beträge bereitzustellen, um danach die privaten Krankenkassen zu beschränken und das Gesundheitssystem solidarischer sowie handlungs- und überlebensfähiger zu gestalten, soll eine Kopfpauschale durchgesetzt werden. Das ist Ihre Politik.

Ich sage sehr deutlich: Wir als Linke fordern eine Bürgerversicherung. Wir werden am 9. Mai bei den Wahlen in Nordrhein-Westfalen dafür eine Mehrheit bekommen, damit diese Politik über den Bundesrat endlich gestoppt wird; diese Politik, die Sie zu verantworten haben und die hochgradig unsozial sowie ungerecht ist.

Vielen Dank, Herr Kollege Sagel. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Laumann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich feststellen, dass die Solidarität mit den gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2010 durch die Bundesregierung nicht abgebaut, sondern erhöht wird.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir nehmen laut Bundeshaushalt 2010 rund 15 Milliarden € Steuergeld in die Hand, um krisenbedingte Einnahmeausfälle – jetzt gab es wieder eine Steigerung um fast 4 Milliarden € – bei den gesetzlichen Krankenkassen durch Steuergeld zu ersetzen. Der Einsatz von Steuergeld bei den gesetzlichen Krankenkassen ist eine wesentlich breitere Solidarität, weil zum Steueraufkommen alle Menschen nach ihrer Leistungsfähigkeit und auch die Unternehmen mit Unternehmenssteuern beitragen. Natürlich beteiligen sich so auch die Beihilfeberechtigten und Privatversicherten, da auch Sie natürlich Steuern zahlen.