Protocol of the Session on February 3, 2010

Das muss man auch vor dem Hintergrund des Urteils noch einmal genau werten. Das Gericht hat sich damals nicht nur dem klägerischen Antrag angeschlossen, der Sachverständige Professor Hellermann hat wörtlich ausgeführt:

Darin steckt nicht nur die Übernahme eines bestimmten Datenmaterials, sondern auch die Übernahme eines bestimmten rechtlichen Verständnisses von Einheitslast.

Beide juristischen Sachverständigen haben auf die Nachfrage des Herrn Präsidenten, der zugleich Vorsitzender des kommunalpolitischen Ausschusses ist, gesagt: Ja, das rechtliche Risiko erhöht sich ungemein, wenn man diesen Weg in ungesichertes Terrain wagt.

Es gibt darüber hinaus hinsichtlich dieses Niveausprungs – selbst wenn man das zugrunde legt – die absolut ungeklärte Frage, ob nicht der Zeitpunkt, zu dem Sie den Niveausprung ansetzen und Herrn Lenk folgen, vollkommen willkürlich gewählt ist und nur der Absicht dient, die Kommunen im Verhältnis zur auszugleichenden Finanzmasse nachhaltig zu benachteiligen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Das Niveau der Auseinandersetzung bezogen auf die juristischen Risiken Ihres Vorgehens ist schwierig. Die Kommunalen Spitzenverbände haben sehr deutlich gemacht, dass es nicht darum geht, die Auseinandersetzung vor dem Verfassungsgerichtshof zu perpetuieren. Was machen Sie? – Sie weisen die ausgestreckte Hand der Kommunalen Spitzenverbände und der Kommunen zurück und beharren auf Ihrem in die Zukunft weisenden Abrechnungsverfahren.

Ich sage noch ganz kurz etwas zu den Zahlen: Das, was für die Vergangenheit zu berechnen ist, lässt sich womöglich noch hinnehmen, aber das Präjudiz für die Zukunft ist für unsere Kommunen in keiner Weise akzeptabel.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das bedeutet allein für dieses und für das nächste Jahr einen Rückforderungsanspruch – das ist das Originalzitat der Kommunalen Spitzenverbände – zugunsten des Landes von 150 Millionen €. Bis 2019 haben Sie einen Milliardenbetrag erreicht, meine Damen und Herren. Das können, wollen und werden wir uns gemeinsam mit der kommunalen Familie nicht bieten lassen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wir hätten uns gewünscht, Sie hätten die Gelegenheit genutzt, gemeinsam mit den Kommunen noch in diesem Jahr die Verteilung der Zahllasten, was möglich wäre, zur Überprüfung zu stellen.

Stattdessen philosophieren Sie über Niveausprünge. Einen Niveausprung in Ihrer Argumentation kann ich nicht feststellen. Das Niveau der Regierung in dieser Frage bleibt unterirdisch, meine Damen und Herren. – Danke.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Engel.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgt die Landesregierung das Ziel, Rückzahlungsansprüche der Kommunen im Rahmen ihrer Beteiligung an den Lasten der deutschen Einheit für die Jahre 2006 bis 2008 endgültig abzurechnen. Damit kommt das Land nicht nur seinen Verpflichtungen aus dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs von 2007 nach, sondern schafft auch eine planungssichere Basis zur Bestimmung der Einheitslasten für die verbleibende Zeit bis zum Auslaufen des Solidarpakts II im Jahr 2019.

Der Gesetzentwurf wurde durch mehrere Gutachten intensiv vorbereitet und unter Einbeziehung von Fachexperten sowie der Kommunalen Spitzenverbände detailliert erörtert, zuletzt noch einmal im Rahmen einer Anhörung im Ausschuss für Kommunalpolitik und Verwaltungsstrukturreform am 13. Januar dieses Jahres.

Bei der Entwicklung des Gesetzes hat sich die Landesregierung darum bemüht, die Argumentationsketten aus den vorliegenden Expertisen sowie die Positionen der Betroffenen untereinander und gegeneinander abzuwägen, um am Ende eine konsensorientierte Lösung zu finden.

Vor allem aufgrund der enormen Meinungsdifferenzen zwischen den beteiligten Fachleuten war dies am Ende der Beratung jedoch nur zum Teil möglich. Während für das Jahr 2006 einvernehmlich eine Überzahlung von 379 Millionen € anerkannt wurde, ließ sich bezüglich der Folgejahre kein gemeinschaftlich getragenes Ergebnis erzielen.

Der Grund hierfür ist ein wissenschaftlicher Dissens bezüglich der Abrechnungsmethodik für die Jahre ab 2007. Zwar sind sich alle Fachexperten darüber einig, dass sich die Einheitslasten zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr exakt bestimmen lassen und daher auf dem Wege der Annäherung festgelegt werden müssen. Es bestehen aber große Differenzen bezüglich der Frage, wie diese Annäherung konkret zu erfolgen hat. Wissenschaftlich gibt es hier keinen richtigen oder falschen Weg.

Die Landesregierung hat bei der Ermittlung der Einheitslasten daher auch nicht einfach an der Argumentationskette des gemeinsam mit den kom

munalen Spitzenverbänden benannten Hauptgutachters, Professor Lenk, festgehalten, sondern ebenso die Überlegungen und Positionen der übrigen Fachexperten explizit berücksichtigt.

Prof. Lenk berechnete für den Länderfinanzausgleich einen Korridor jährlich fortlaufender Einheitslasten mit einer Spannweite zwischen 85 und 103 € je Einwohner sowie 38 € je Einwohner für Annuitäten aus dem Fonds Deutsche Einheit. Die jährlichen Einheitslasten des Landes summierte er so auf 2,2 bis 2,5 Milliarden €.

Das Gutachten von Frau Professor Färber, das von den Kommunalen Spitzenverbänden in Reaktion auf diese Berechnungen in Auftrag gegeben wurde, kommt hingegen zu ganz anderen Ergebnissen und zweifelt das methodische Vorgehen von Prof. Lenk an. Ihr Zwischenruf ist uns sicher allen noch im Ohr.

Die Kompromisslösung des Landes berücksichtigt beide Sichtweisen, vermittelt zwischen den unterschiedlichen Argumentationsketten.

Beispielsweise werden die von Professor Lenk festgestellten Belastungen durch den Länderfinanzausgleich auf der Basis seiner Niveausprunghypothese um insgesamt 440 Millionen € vermindert. Damit wird dem Argument von Prof. Färber Rechnung getragen, dieser Niveausprung ließe sich nicht vollständig den Belastungen durch die deutsche Einheit zurechnen.

Darüber hinaus wird der Niveausprung nach dem vorliegenden Entwurf auch nicht einfach bis 2019 fortgeschrieben, sondern findet lediglich in dem Umfang Berücksichtigung, in welchem die neuen Länder jährlich am Länderfinanzausgleich beteiligt sind.

Nach dem vorliegenden Abrechnungssystem stellt das Land Nordrhein-Westfalen den Kommunen für die Jahre 2006 bis 2008 Rückzahlungen von insgesamt 901 Millionen € zur Verfügung. Von diesen 901 Millionen € wurden den Städten und Gemeinden bereits in der Vergangenheit 650 Millionen € mittels eines Abschlagsgesetzes ausgezahlt, um ihnen unnötige finanzielle Nachteile bis zur Fertigstellung des endgültigen Abrechnungsgesetzes zu ersparen. Zusätzlich zu diesen Abschlägen erstattet das Land den Kommunen weitere 251 Millionen €.

Darüber hinaus verzichtet es aus Gründen des Vertrauensschutzes darauf, Rückzahlungsanspruche gegenüber Kommunen zu erheben, die nach dem gewählten Abrechnungssystem bisher zu geringe Einheitslastenzahlungen geleistet haben. Alleine diese würden sich auf 53 Millionen € belaufen.

Insgesamt kommt die Landesregierung den Kommunen mit ihrem Gesetzentwurf erheblich entgegen, indem sie weit von der im Lenk-Gutachten

vertretenen Position abrückt. Die gefundene Lösung stellt einen ausgefeilten Kompromiss dar, der sowohl die Interessen der Landesregierung als auch die berechtigten Interessen der Kommunen berücksichtigt und Planungssicherheit für die kommenden Jahre schafft. Ich empfehle Ihnen die Annahme des Gesetzes. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Engel. – Für die Grünen spricht jetzt der Abgeordnete Becker.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal will ich es, da Herr Engel es ständig wiederholt, auch ständig korrigieren: Der Gutachter Lenk ist eben nicht einvernehmlich mit den Kommunalen Spitzenverbänden ausgewählt worden, sondern das Land hat zwei vorgeschlagen, von denen er aus Sicht der Kommunalen Spitzenverbände derjenige war, der noch eher zu akzeptieren war als der andere. Dass das auf jeden Fall kein einvernehmlicher Vorschlag war, sehen Sie schon an den Gegengutachten und vor allen Dingen an dem von den Kommunalen Spitzenverbänden beauftragten Gutachten von Frau Professor Dr. Färber.

Ich möchte zu der Niveausprungthese in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit nur zwei, drei Hinweise geben. Ich weise darauf hin, dass Lenk die Wirkung von Steuerrechtsänderungen außen vor lässt, zum Beispiel die Verteilung der Eigenheimzulage. Sie wird nicht berücksichtigt, sie hatte aber völlig unterschiedliche Wirkungen auf die unterschiedlichen Bundesländer. Ich möchte darauf hinweisen, dass ähnliche Entwicklungen beim Kindergeld nicht berücksichtigt worden sind. Auch hier hatte NRW vergleichsweise hohe Zahlungen zu leisten, unter anderem weil hier mehr Kinder sind, die jungen Menschen im Vergleich zum Teil längeren Leistungsbezug haben, und weitere Komponenten.

Ich verweise darauf, dass sich die tatsächliche Finanzkraft der Kommunen und des Landes ganz erheblich verschoben haben. Die kommunale Finanzkraft in NRW betrug 1995 noch 116,7% im Ländervergleich, im Jahre 2008 aber nur 103,5% im Ländervergleich. Auch dieser Tatbestand wird in den Finanzausgleich einbezogen. Wenn man das berücksichtigt, ist es so, dass dieser Umstand zu 100 % die Kommunen belastet und zu 100 % das Land entlastet.

Lassen Sie mich ein paar Sätze dazu verlieren, warum das Land hier so vorgeht, wie es vorgeht. Nachdem Sie sich lange geweigert haben, die Ausgleichszahlungen überhaupt vorzunehmen – Sie haben das in Abschlägen immer weiter zugestanden –, haben Sie jetzt letztlich für dieses Jahr das Einheitslastenabrechnungsgesetz vorgelegt, das

sich aber eines Tricks bedient, den ich den Kolleginnen und Kollegen, die nicht ständig damit zu tun haben, schildern möchte.

Sie wenden eine Berechnung an, die in der Tat längst nicht zufriedenstellend, aber von den Rückzahlungen her bedeutend mehr bringt als das, was Lenk ursprünglich vorgesehen hatte. Sie wenden sie aber in einer Art und Weise an, dass sie ab dem Haushaltsjahr 2009 nicht mehr wirken wird. Sie rechnen nur die Jahre bis einschließlich 2008 ab, verweigern sich aber, diese Systematik für die Zukunft fortzuschreiben.

Damit Sie sehen, dass das nicht alleine meine Einschätzung ist, möchte ich Ihnen eine besonders erhellende Stellungnahme von Prof. Junkernheinrich nicht vorenthalten. Er sagt zu dem beschriebenen Umstand: Diese insgesamt hohe Gesamtsumme, also die der Abschlagszahlungen, und der damit verbundene implizite Erstattungsverzicht des Landes verdecken, dass nach dem neuen Berechnungsverfahren bereits schon für die Jahre 2007 und 2008 Erstattungsansprüche des Landes gegenüber den Kommunen angefallen wären.

Das heißt, er weist darauf hin, dass das Land gegenüber seiner eigenen Systematik, die es in der Zukunft mittels dieses Gesetzes anwenden will, eigentlich überzahlt. Das ist nur dem Umstand zuzuschreiben, dass Sie sich dem Entrüstungssturm der kommunalen Familie nicht auch noch vor der Wahl in diesem Ausmaß aussetzen würden, wie er käme, wenn Sie nicht einmal das täten. Es ist aber auch dem Umstand zuzuschreiben, dass Sie ganz offensichtlich vorhaben, ab der Abrechnung des Haushaltsjahres 2009 den Kommunen wieder mit der alten Abrechnungsmethode Lenk in die Tasche zu greifen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das genau ist der Punkt, von dem ich fest ausgehe, dass er beklagt werden wird. Ich kann mir vorstellen, dass es am Ende den Kommunalen Spitzenverbänden, so bitter das ist, nicht mehr um die letzten 150 oder 200 Millionen € für die beschriebenen Jahre 2006, 2007 und 2008 geht. Was allerdings den Umstand angeht, dass sie entgegen Ihren eigenen Abschlagszahlungen für die Zukunft genau wieder zu der alten Methode Lenk, die von allen anderen Wissenschaftlern zerrissen worden ist, zurückkehren, bin ich mir sehr sicher, dass die Kommunalen Spitzenverbände das beklagen werden und dass Sie damit, weil Sie ein neues Verfahren, das sogenannte Niveausprungverfahren einführen, letztlich vor Gericht scheitern werden.

Ich befürchte nur, dass Ihnen das alles egal ist, weil das alles erst nach dem 9. Mai stattfinden wird.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Jetzt hat für die Landesregierung Herr Innenminister Dr. Wolf das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dieser Aussprache und auch der Sachverständigenanhörung möchte ich zur Klarstellung noch einmal festhalten: Keiner der Sachverständigen hat das Gesetz für verfassungswidrig gehalten.

(Beifall von der FDP)

Das ist eine deutliche Aussage. Lediglich Herr Prof. Hellermann hat von verfassungsrechtlichen Risiken gesprochen, die es bei jedem Gesetz gibt, solange eine Entscheidung des entsprechenden Verfassungsgerichtshofs oder des Bundesverfassungsgerichts aussteht. Diese Risiken sind mit letzter Sicherheit nicht auszuschließen.

Ein Weiteres gilt es festzuhalten: Der Verfassungsgerichtshof hat keine feste Vorgabe im Hinblick auf eine Berechnungsmethodik gemacht. Das heißt, es ist aufgegeben, eine solche zu entwickeln. Das ist sehr sorgfältig in einem Abwägungsprozess geschehen. Es gibt – und das ist auch wiederum ein Faktum – keine exakte Bemessungsmöglichkeit auf Heller und Pfennig. Darin waren sich alle Sachverständigen einig. Auch alle Gutachten sagen das aus.

Wir wissen, dass es bei den Kosten der deutschen Einheit um den Länderfinanzausgleich und auch um den Fonds der Deutschen Einheit geht, aber in keinem Fall – das ist die Idee, die die Opposition über die Kommunalen Spitzenverbände sozusagen vorschlägt – eine Art Bemessung an den Zahllasten. Es mag, Herr Becker, Sie schon die Tatsache überzeugen, dass Niedersachsen bei der Anknüpfung an Zahllasten keine Einheitslasten hätte, obwohl die Kommunen in Niedersachsen nach dem Bundesrecht selbstverständlich eine erhöhte Gewerbesteuerumlage leisten. Da die erhöhte Gewerbesteuerumlage 50 % der kommunalen Einheitslastenbeteiligung ausmachen soll, fragt man sich, woher die andern 50 % kommen sollen.

Meine Damen und Herren, zum Thema Lenk und Gutachten. Herr Becker, Sie haben zum wiederholten Male hier falsch vorgetragen.