Protocol of the Session on January 20, 2010

Der Anteil der Zeitarbeitnehmer an der Gesamtbeschäftigung ist dabei im Jahresvergleich trotzdem gesunken, nämlich von 2,7 % auf 2,3 %. Ich finde, diese Zahl muss man sich einmal vor Augen halten. Wenn 2,3 % unserer Arbeitsplätze bei der Zeitarbeit sind, Herr Schmeltzer, dann kann man wirklich nicht sagen, dass die Zeitarbeit massenhaft Stammbelegschaften verdrängt.

(Beifall von CDU und FDP)

Das geben die Zahlen, wenn man sie sich objektiv anschaut, nicht her. Deswegen kann man auch sagen, dass der Fall Schlecker schon ein Ausnahmefall ist. Ich bestreite nicht, dass es auch weitere Fälle geben kann, die uns nicht bekannt geworden sind. Das will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber es ist nicht die Regel. Das heißt, dass die nordrheinwestfälische Wirtschaft alles in allem mit der Zeitarbeit verantwortungsbewusst umgeht. Ich finde, das gehört auch in eine solche Debatte.

Ein genereller Abbau von Stammbelegschaften hat also nicht stattgefunden. Mit meiner deutlichen Kritik konnte ich schon einen Beitrag dazu leisten, dass Schlecker jetzt erst einmal ein Stück zurückgerudert ist. Was deren Ankündigung wert ist, keine weiteren

Verträge mit der Meniar Personalservice GmbH abzuschließen, wird sich noch zeigen.

Selbstverständlich gebe ich mich damit nicht zufrieden. Wenn Zeitarbeit zur Aushebelung von Tarifverträgen und systematisch zum Ersatz von Stammbelegschaften missbraucht wird, dann muss man etwas gegen diesen Missbrauch unternehmen. Wenn die bestehenden Regelungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz selbst drastischen Missbrauch nicht verhindern können, muss man prüfen, welche Lücken bestehen und wie man sie schließen kann, ohne auf der anderen Seite – ich sage das ganz deutlich – das Instrument der Zeitarbeit kaputtzumachen.

Nur damit es nicht in Vergessenheit gerät: Es war die rot-grüne Bundesregierung, die 2003/2004 massive gesetzliche Erleichterungen für die Zeitarbeit eingeführt hat. Die Bundesministerin hat eine umfassende Prüfung zugesagt, um Schlupflöcher zu schließen. Verlassen Sie sich darauf: Ich werde mich aktiv in diese Prüfung auf Bundesebene einschalten und mich dabei nachdrücklich für praktikable Lösungen einsetzen.

Mit dem Antrag soll die Landesregierung aufgefordert werden, alle landesrechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um den Missbrauch zu bekämpfen. Frau Steffens, das ist natürlich eine Nebelkerze.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Da kennen Sie sich doch mit aus!)

Sie wissen genauso gut wie ich, dass diese landesrechtlichen Möglichkeiten nicht bestehen. Der Vollzug und die Überwachung der einschlägigen Rechtsvorschriften werden von Bundesbehörden bzw. Bundeseinrichtungen wahrgenommen. Wenn sich die ersten Einschätzungen der Bundesagentur für Arbeit bestätigen, dass sie keine Handhabe für ein Einschreiten im Fall Schlecker und in ähnlich gelagerten Fällen hat, dann muss man darüber nachdenken, ihr diese Handhabe zu verschaffen.

Ich sage Ihnen aber auch, welche landesrechtlichen Möglichkeiten ich nutze, um Tarifflucht zu verhindern. Das ist das Instrument der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen. Die Zahl der dadurch geschützten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer konnte seit Beginn der Wahlperiode in NordrheinWestfalen deutlich erhöht werden. Verlassen Sie sich darauf: Ich werde auch in Zukunft alle Möglichkeiten nutzen, die ich als Arbeitsminister von Nordrhein-Westfalen habe, um Tarifflucht zu verhindern, egal in welcher Branche. – Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Als nächster Redner hat jetzt der Abgeordnete Schmeltzer für die Fraktion der SPD das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Minister Laumann, man merkt schon an Ihrer Wortwahl und an Ihrem Stimmenschwall, dass Sie näher bei uns sind als bei anderen.

(Zuruf von der CDU)

Ja, er setzt sich nur nicht durch.

Es ehrt Sie, dass Sie bereits im Dezember einen Brief an die Belegschaft der Firma Schlecker geschrieben haben; ich habe das zur Kenntnis genommen. Bereits im Oktober haben wir eine öffentliche Stellungnahme zu den unsäglichen XL-Filialen von Schlecker abgegeben. Es ist aber egal, ob wir im Oktober eine Stellungnahme abgegeben haben oder Sie im Dezember die Belegschaft angeschrieben haben: Über den Missstand, über den wir hier reden – ich meine damit alle einzelnen Punkte im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz –, reden wir – im Übrigen gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen – seit März 2008.

Es drängt sich einem schon der Eindruck auf, dass Sie seit März 2008 diese Inhalte allesamt ignoriert haben, weil der Absender nicht der richtige war. Denn sonst hätten Sie all die Punkte, die Sie jetzt prüfen wollen – jetzt, nachdem Schlecker die Überschriften beherrscht –, schon geprüft, nämlich spätestens nach Vorlage der Bundesratsinitiative am 18. September 2009. Ich bringe noch einmal in Erinnerung – es wird nämlich immer wieder gerne gesagt, dass wir das jetzt ankreiden, da wir nicht mehr in der Bundesregierung vertreten sind –, dass wir zu dem Zeitpunkt noch in der Bundesregierung waren. Damals hieß der Bundesarbeitsminister noch Olaf Scholz, und der Ministerpräsident, der es eingebracht hat, hieß Kurt Beck. Jetzt wollen Sie es prüfen. Vorher haben Sie es ignoriert.

Ein Satz zu den christlichen Gewerkschaften, Herr Minister. Den kann ich mir heute nicht verkneifen, obwohl wir morgen noch einmal intensiv darüber reden werden. Vielleicht hören Sie mir zu, Herr Minister; ich bin ja ganz nah bei Ihnen. Ich habe mehrfach zur Kenntnis genommen, dass Sie die Tarifflucht, die diese christlichen Gewerkschaften betreiben – das sind ja keine Tarifverträge, sondern das ist eher das Gegenteil –, verurteilen.

Es sind aber wieder die Überschriften, die Sie setzen. Ich glaube Ihnen das sogar. Aber wie kann es dann sein, dass sich der jetzige Parlamentarische Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium Brauksiepe beim Bundeskongress der CGM in Köln vor wenigen Monaten dort hinstellt und Lobeshymnen auf die christlichen Gewerkschaften niederprasseln lässt? Das ist doch die Wahrheit, wie in der Union mit diesen christlichen Gewerkschaften umgegangen wird. Insofern hat die Wahrheit doch nichts mit dem zu tun, was Sie in die Überschriften setzen, Herr Minister Laumann.

(Beifall von der SPD)

Ja, Sie stehen zur Zeitarbeit. Ich stehe auch dazu. Ich sage es in jeder Rede immer wieder: Ich befürworte Zeitarbeit zu den saisonalen Spitzen, zu den Auftragsspitzen, zu den krankheits- und kurbedingten Ausfallzeiten. Und ich sage auch immer wieder: Leiharbeit ist nicht unanständig, ab er es gibt unanständige Leiharbeit, und dagegen müssen wir vorgehen.

Ja, es ist so, Herr Minister: Es sind nicht massenhaft Stammbelegschaften, die verdrängt werden. Wenn das so wäre, dann wäre der Aufschrei noch größer. Aber jede einzelne Stammbelegschaft, die verdrängt wird, ist eine verdrängte Stammbelegschaft zu viel und bringt die Leute in den SGB-IIAufstockerbezug.

(Beifall von der SPD)

Sie müssen sich um jeden Einzelnen kümmern – und nicht erst um Zigtausende, wenn die Überschriften besser sind. Deswegen zeigt das Beispiel von Real – dort wurde es verhindert; das Problem haben wir aber bei etlichen Unternehmen in der Metallindustrie, und wir haben hier auch über die Unikliniken geredet –, dass das kein Einzelfall ist.

Ein letzter Satz zum Verweis auf den Bund. Das klappte bis September, Herr Minister. Das klappt heute nicht mehr. Sie haben uns in fast jeder arbeitsmarktpolitischen Debatte – es wird uns immer vorgehalten, dass es um Bundespolitik geht; das ist leider oftmals so – vorgehalten: Das ist Ihr Arbeitsminister Scholz. Gehen Sie zu ihm. Gehen Sie nach Berlin, und nehmen Sie bei Ihren Leuten Einfluss.

Herr Minister, das Rad hat sich gedreht. Das ist Ihre Frau von der Leyen. Sie haben sogar schon die zweite Besetzung auf diesem Posten. Ob sie verschlissen wurde oder nicht, lassen wir einmal dahingestellt. Das ist Ihre Arbeitsministerin Frau von der Leyen. Nehmen Sie endlich Einfluss. Sie sind CDA-Bundesvorsitzender. Sie sind Präsidiumsmitglied in der CDU. Wo ist eigentlich Ihr Einfluss? – Garantiert nicht in Berlin, sondern nur in den Schlagzeilen der Presse.

Daher will ich Ihnen auch sagen – Sie haben nämlich gerade nach Ihren Möglichkeiten als Arbeitsminister gefragt –: Wenn Ihnen das 2005 keiner vom Kabinett in die Gebrauchsanweisung geschrieben hat, dann will ich es Ihnen heute sagen, 109 Tage vor dem 9. Mai, ab dem Sie es nicht mehr sein werden.

(Lachen von CDU und FDP)

Wir wissen, wie das funktioniert. Sie als Arbeitsminister haben ein Initiativrecht im Bundesrat. Machen Sie eine Bundesratsinitiative. Rheinland-Pfalz mit Kurt Beck hat es Ihnen gezeigt. Sie können die auch gerne abschreiben. Wir haben kein Copyright darauf. Nur: Machen Sie endlich etwas. Sitzen Sie es nicht aus, und füllen Sie nicht nur die Überschriften.

(Beifall von der SPD)

Das Wort hat nun Frau Kollegin Steffens. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Tenhumberg, Sie haben ganz zu Beginn der Debatte in Ihrem Redebeitrag gesagt, Rot-Grün habe das gemacht, und nun müsse man sich hier nicht so hinstellen und die Debatte so führen.

In der Debatte ist deutlich geworden, dass das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz massive Fehler aufweist. Wir haben gesehen, was bei Schlecker gelaufen ist bzw. bei Real in Mülheim versucht worden ist: Ein neues Unternehmen sollte etabliert werden, um das alte auszutrocknen. Wir haben einen Konsens, dass das falsch ist und dass es so nicht geht. Wenn man den Fehler erkennt, dann kann man Asche auf sein Haupt werfen und sagen: Da haben wir in der Regierungsverantwortung im Bund etwas falsch gemacht. – Die Größe muss man haben.

Wenn man allerdings den Fehler erkennt, aber nicht bereit ist, zu handeln, dann ist das grob fahrlässig. Das ist, was im Moment passiert: Man stiehlt sich ein Stück weit aus der Debatte heraus, sagt aber nicht: Ja, wir erkennen gemeinsam den Fehler, und daher gehen wir gemeinsam den Weg und korrigieren ihn. Eine Bundesratsinitiative ist ein Weg, den das Land gehen kann. Ein anderer Weg wäre, jegliche Möglichkeiten, die man auf Landesebene hat, zu nutzen.

In der Debatte eben – aber auch an anderer Stelle – wurde vom Abgeordneten Sagel gesagt: Ihr habt doch nichts getan. – Doch, wir sind, seit dieser Fehler erkannt worden ist, hier im Landtag mit unterschiedlichsten Anträgen, mit Anhörungen zu prekären Beschäftigungsverhältnissen,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Genau!)

mit allem Möglichen als grüne Fraktion, aber auch als SPD-Fraktion zugange und reden mit Ihnen ständig darüber.

Das Einzige, was passiert, ist, dass schöne öffentliche Stellungnahmen abgegeben werden. Es wird aber nicht gehandelt. Die Zeit des Prüfens, die Zeit des Hinguckens ist vorbei. Nun ist die Zeit gekommen, um zu handeln. Wenn man nicht jetzt im Bund aktiv wird, wenn man nicht nun über eine Bundesratsinitiative versucht, diesen Ball aufzuspielen, dann glaubt doch niemand daran, dass diese Koalition im Bund noch irgendetwas machen wird. Jetzt fallen die Entscheidungen darüber, welche Wege gegangen werden, und jetzt müssen wir an dieser Stelle aktiv werden.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Die Spitzen gehen wieder essen!)

Ich wünsche mir, dass das vielleicht im Laufe dieser Debatte oder im Ausschuss doch noch eine Wende nimmt.

Wir haben es im AGS-Bereich im Gegensatz zu anderen Bereichen an der einen oder anderen Stelle geschafft, im Konsens zu sagen: Im Interesse der Menschen gehen wir einen anderen Weg, und zwar gemeinsam. Egal ob Wahlkampf, ob Opposition, ob Koalition; das haben wir in der Vergangenheit gemacht, das machen in der Gegenwart.

Deswegen wünsche ich mir, dass man das an dieser Stelle macht, weil ich ganz klar der Meinung bin: Es ist im Interesse der Beschäftigten, dass ein deutliches Signal herausgeht, dass das mit uns in Nordrhein-Westfalen nicht zu machen ist. Wir werden uns öffentlich gemeinsam mit allen Fraktionen hinstellen und jedes Unternehmen anprangern, das einen solchen Weg geht, und werden im Bundesrat einen Minister, der einen solchen Weg geht, gemeinsam mit allen Fraktionen unterstützen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Steffens. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Landesregierung hat noch einmal um das Wort gebeten. Herr Minister Laumann, das bekommen Sie hiermit selbstverständlich.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen der SPD-Fraktion, ich möchte Sie nur um eines bitten: dass man in dieser Debatte als Sozialdemokrat ein bisschen redlich bleibt.

Wissen Sie: Jetzt im Landtag diese Reden zu halten und dann abends bei der Arbeiterwohlfahrt die Einführung von Zeitarbeit zu beschließen, passt nicht zusammen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: So viel zur Red- lichkeit! Sie wissen, dass das nicht stimmt!)

Ich möchte Ihnen als Sozialminister hier im Plenum des Landtags ganz klar sagen, dass ich die Einführung von Zeitarbeitsfirmen mit dem Grundgedanken eines Wohlfahrtsverbandes für unvereinbar halte.

(Beifall von der CDU)

Ich finde, dass diese Vorgänge bei der Arbeiterwohlfahrt mein Ministerium veranlassen müssen zu prüfen, ob ein solcher Wohlfahrtsverband noch all die Vorteile genießen darf, die in diesem Land Wohlfahrtsverbände genießen.