Protocol of the Session on November 4, 2009

Das Bundesfinanzministerium rechnet in seiner Vorlage für die Beratung für 2009 mit Steuereinnahmen von rund 523 Milliarden €. Dies wären rund 4 Milliarden € weniger als noch im Mai vorausgesagt.

Selbst der BDI kritisiert die Schuldenpolitik und fordert die neue Bundesregierung zu einem Kurswechsel in der Finanzpolitik auf. Sehr interessant ist, dass selbst die Erzkonservativen in die Richtung gehen. Der Arbeitgeberverband warnt vor den Folgen immer höherer Schulden.

Auch wir in NRW werden diese Politik hart zu spüren bekommen. Statt eine Millionärsteuer, eine Börsenumsatzsteuer, eine Vermögensteuer oder höhere Spitzensteuersätze einzuführen, sollen Vermögende sogar noch profitieren. Das ist die reale Situation.

Es wird für die Kommunen in NRW dramatische Zustände geben, und im Jahr 2010 soll es zu einer Rekordneuverschuldung kommen. Auch das ist die Konsequenz der Politik, die Sie in Berlin und in Nordrhein-Westfalen betreiben. Sie werden – formal

machen Sie das jetzt schon – die Haushalte der Kommunen in eine absolute Schieflage bringen. Es wird gerade in NRW zu weiteren massiven sozialen Verwerfungen kommen.

Der Koalitionsvertrag setzt die Umverteilung von unten nach oben fort; denn vor allem Besserverdienende erhalten Steuergeschenke und werden entlastet. Die Städte und Gemeinden in NRW werden bei den sozialen und kulturellen Leistungen kürzen müssen.

(Zuruf von der FDP: Wandlitz!)

Die Arbeitgeber dagegen werden bei der Gesundheitsreform aus der Verantwortung entlassen. Das ist eine eiskalte und zynische Politik von CDU und FDP, die momentan noch verschleiert wird und erst nach der Landtagswahl in NRW am 9. Mai 2010 voll zum Tragen kommt.

Hier werden jetzt schon ein Wahlbetrug und die Wählertäuschung systematisch vorbereitet. Das ist die Politik, die Sie hier machen: Sie wollen alles auf den Tag nach der Landtagswahl in NordrheinWestfalen verschieben.

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist vorbei.

Ich komme zum Ende: – Sie folgen damit weiterhin dem neoliberalen Glaubenssatz, dass Steuerentlastungen zu mehr Wachstum, mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätzen führen. Das Gegenteil ist der Fall. Sie machen eine Steuersenkungspolitik auf Pump. Das geht gegen die Geringverdienenden und die Armen in diesem Land.

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Sagel. – Für die SPD-Fraktion erhält noch einmal Frau Kollegin Altenkamp das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Hinweise von Herrn Petersen haben mich dann doch dazu verleitet, noch einmal etwas zu den „großen“ familienpolitischen Leistungen zu sagen, die in dem Koalitionsvertrag zu finden sind.

Ich glaube, im Zentrum steht eben nicht unbedingt die Erhöhung des Familienfreibetrags und auch nicht die Erhöhung des Kindergelds. – Was das anbelangt, kann ich Ihnen aber sagen: Der Jubel ist insofern verhalten, als man, gemessen an den Kindergelderhöhungen in den letzten Legislaturperioden – in den letzten elf Jahren –, feststellen muss, dass die Kindergelderhöhung, die diese Koalition jetzt ankündigt, eher sparsam ausfällt.

Wie auch immer: Selbst wenn man der Auffassung ist, dass dies das richtige Signal ist, wird all dies –

das können Sie keinesfalls bestreiten – in der öffentlichen Wahrnehmung durch eine andere Maßnahme, auf die Sie sich in Ihrem Koalitionsvertrag verständigt haben, stark konterkariert, und auch die Leistung Ihrer Bundesfamilienministerin wird in der Zwischenzeit sehr stark angezweifelt: Es geht nämlich um das Betreuungsgeld. Wenn Sie, Frau Freimuth, fragen, was wir für ein Bürgerverständnis haben, darf ich doch einmal vorsichtig zurückfragen: Was haben Sie eigentlich für ein Familienverständnis?

(Beifall von der SPD)

Was ist das eigentlich für ein familienpolitisches Signal? Auch der Familienminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat seine Zweifel, ob dies das richtige Signal für die Menschen in unserem Land ist. Was ist das, vor allen Dingen dann, wenn man die Frauenerwerbsquote erhöhen will, für ein Signal für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Was ist das für ein Signal für Familien mit Migrationshintergrund und -geschichte, wenn die Kinder zu Hause bleiben und die Eltern dafür einen Geldbetrag erhalten?

Oder ist das vielmehr das Eingeständnis, dass es in Nordrhein-Westfalen – und in der ganzen Bundesrepublik – mit dem Ausbau der Betreuungsinfrastruktur möglicherweise doch nicht so weit her ist und dass man versucht, das zu verbrämen, indem man ein solches Betreuungsgeld zahlt?

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

1,3 Milliarden € werden an der Betreuungsinfrastruktur vorbeigeführt, damit Kinder zu Hause bleiben.

(Beifall von der SPD)

Ich dachte, wir wären auch in diesem Haus in der familienpolitischen Diskussion einen erheblichen Schritt weiter.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Ja, Sie können sich da aber nicht rausstehlen, weil unter diesem Koalitionsvertrag unter anderem auch der Name Ihres Parteivorsitzenden steht.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP] – Gegen- ruf von Hannelore Kraft [SPD])

Sie haben im Wahlkampf angekündigt, Sie würden beim Betreuungsgeld auf keinen Fall mitmachen. Jetzt sind Sie mit dabei. Das ist Ihre Wahllüge.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Dann stellt sich mir noch einmal die Frage, was Sie für ein Bürgerverständnis haben, wenn es zum Beispiel um diejenigen geht, die im Transferleistungsbezug sind. An der Stelle liest man im Koalitionsvertrag – das soll der große Schritt der FDP gewesen

sein –, dass es möglicherweise mit Gutscheinen gehen soll.

Ich sage ganz ehrlich: Das ist eine doppelte Stigmatisierung: Wenn Kinder in Bedarfsgemeinschaften leben, wird das Betreuungsgeld nur ausgezahlt. Wenn sie ihre Kinder zu Hause behalten und im Transferleistungsbezug sind, dann bekommen sie Gutscheine.

(Christian Lindner [FDP]: Nein, nein!)

Mein lieber Herr Gesangsverein! Da fragen Sie, was wir für ein Bürgerverständnis haben?

(Beifall von der SPD)

Ich kann nur sagen: Was haben Sie denn für ein Bürgerverständnis?

(Christian Lindner [FDP]: Aber das ist ein Vorschlag von Frau Merkel!)

Ja, Herr Lindner, aber Sie sind jetzt in einer Koalition, und da können Sie nicht mehr so einfach heraus. Die Zeiten ändern sich.

(Gisela Walsken [SPD]: Ja!)

Bei einem anderen Punkt, der Ihr Bürgerverständnis betrifft, geht es um die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Hartz-IV-Empfänger. Da kann man sicherlich sagen: „Das ist ein ganz großer Schritt, den wir an der Stelle gemacht haben“, aber in der Zwischenzeit wird deutlich, was Sie damit eigentlich bezwecken.

Es geht Ihnen doch gar nicht darum, tatsächlich etwas für die Menschen, die im SGB-II-Bezug sind, zu ändern. Sie wollen eine Ausweitung des Aufstockens, weil Sie das für einen durchaus vernünftigen Weg halten. Sie glauben tatsächlich – das wird in der Zwischenzeit insbesondere durch Beiträge von Mitgliedern der FDP-Bundestagsfraktion deutlich –, dass auf diese Art und Weise auch das Thema „Erhöhung des tatsächlichen Renteneinstiegalters“ erledigt werden kann, indem man Rente wieder ab einem Alter von 60, 62 oder 63 Jahren bekommt und dann aufstocken oder hinzuverdienen kann. – An der Stelle ist man als verantwortliche Politik dann fein heraus.

An die Kollegen von der CDU-Fraktion gerichtet kann ich nur appellieren: Passen Sie schön auf, dass Ihnen da nicht das Wasser abgegraben wird.

(Beifall von der SPD)

Ich kann nur sagen: Angesichts dieses Koalitionsvertrages freue ich mich auf den Landtagswahlkampf. Das werden muntere Diskussionen.

Ich sage Ihnen: Wenn die FDP weiterhin so wie Frau Freimuth auftritt, bin ich absolut sicher, dass es eine Menge Möglichkeiten gibt, den Bürgerinnen und Bürgern zu verdeutlichen, welcher Geist tatsächlich in diesem Land herrscht. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Altenkamp. – Jetzt hat noch Herr Abgeordneter Krückel für die CDU-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es erstaunlich, womit wir auf Antrag von Grünen und SPD heute Morgen die Zeit vertrödeln müssen, statt uns den drängenden Problemen unseres Landes – ich nenne nur das Stichwort „Opel“ – widmen zu können.

Das, was Herr Sagel zu Opel gesagt hat, kann man getrost in die sozialistische Klamottenkiste werfen. Ich möchte aber kurz auf Herrn Becker eingehen, der Herrn Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, sinnentstellend zitiert hat. Ich will das richtigstellen. Herr Walter schreibt:

Mein Urteil lautet: Wir müssen die Steuer- und Abgabenlast der Mittelschicht reduzieren. Daraus wird freilich nur eine seriöse Debatte, wenn wir gleichzeitig Staatsaufgaben und -ausgaben reduzieren …

Ich glaube, da wird ein ganz anderer Tenor deutlich als der, den Herr Becker hier aufzuzeigen versucht hat.

Die Grünen und die SPD spekulieren über eine mögliche Steuerreform, deren Ob und Wie von Bedingungen abhängt, die wir heute noch nicht exakt kennen. Mich erstaunt heute am meisten der Auftritt von Frau Kraft. Nach dem Wahldebakel und noch mehr nach dem Führungsdebakel der SPDBundespartei gehört Frau Kraft nun zum letzten personellen Aufgebot in Berlin und lässt nichts unversucht, sich hier zu profilieren.