Protocol of the Session on November 4, 2009

(Christian Lindner [FDP]: Das ist ein parteii- sches Institut!)

Das sagen ausgerechnet Sie, die Sie sich ansonsten immer darauf beziehen.

Norbert Walter von der Deutschen Bank, auf den Sie sich ansonsten auch gerne beziehen, das ist Ihnen jetzt wahrscheinlich unangenehm

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

wollen Sie eine Zwischenfrage stellen, Herr Kollege? –, hat sich zu der gleichen Frage geäußert und gesagt: Die Steuersenkungen sind überhaupt nicht gegenfinanziert – ganz im Gegenteil. – Von vielen anderen Stellen kommen die gleichen Kommentare.

Auch das trifft die FDP wenig. Sie hat das in den letzten Jahren verkündet. Sie muss jetzt da durch, damit die Glaubwürdigkeitslücke nicht zu groß wird.

Das Erschreckende ist, dass die CDU auf breiter Front mitmarschiert. Erschreckend ist auch, dass sie dies insbesondere in Nordrhein-Westfalen, dem größten Bundesland, tut; dem Bundesland, das mit besonderen Haushaltsschwierigkeiten dasteht, in dem übrigens auch die Kommunen mit besonderen Haushaltsschwierigkeiten dastehen. Ich darf noch einmal daran erinnern, dass über die Hälfte der kommunalen Kassenkredite bundesweit von nordrhein-westfälischen Kommunen in Anspruch genommen werden.

Im Saarland, in Sachsen, in Thüringen, landauf, landab kritisieren Politikerinnen und Politiker der CDU – übrigens zuletzt auch Frau Lieberknecht – das.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie sagen: Wir können uns diese Steuersenkungen nicht leisten. Sie kommen bei uns in den Landeshaushalten an. Sie kommen bei uns in den Kommunen an.

Ausgerechnet aber diese Landesregierung versucht das zu ignorieren. Da stellt man sich die Frage: Was ist der Grund dafür? Der Grund ist in der Tat die Landtagswahl im nächsten Mai. Dieser Haushalt ist voller Risiken, Herr Linssen, auch deshalb, weil Sie nach wie vor vieles überhaupt nicht im Haushalt etatisiert haben, was etatisiert sein müsste. Ich erinnere zum Beispiel an die Rückzahlung der Einheitslasten, die von den Kommunen überzahlt worden sind. Ein Ansatz dafür hat bis heute keinen Eingang in den Haushalt gefunden.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Sie wollen sich mit diesem Haushalt um jeden Preis über die nächste Wahl hinwegretten, und Sie wollen vor allen Dingen der Öffentlichkeit verschweigen, was da kommt. Der Preis, der hinterher zu zahlen ist, wird auch nicht von Ihnen gezahlt. Weder für die Bundespolitik noch für das, was Sie hier veranstalten, wird er von Ihnen bezahlt. Den Preis werden vor dem Hintergrund der in die Verfassung eingeführten Schuldenbremse durch Bund und Länder die Kommunen bezahlen müssen. Den werden die Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen über eine Verteuerung der Leistungen zu zahlen haben.

Lassen Sie mich noch einen Hinweis geben, der selbstverständlich relevant ist. Relevant ist auch der Hinweis darauf, dass die Bürgerinnen und Bürger etwa die kommunalen Leistungen der Daseinsvorsorge an vielen Stellen, an denen sie durch kommunale Unternehmen erbracht werden, in Zukunft teurer bezahlen.

Ihr Parteifreund, Herr Linssen, Dr. Reck – er ist Herrn Rüttgers aus früheren Zeiten noch gut bekannt – hat sich in Berlin ganz klar dazu geäußert. Er hat gesagt, dass das eine absolut verfehlte Maßnahme ist, dass es absolut nicht in Ordnung ist,

dass die kommunalen Unternehmen demnächst ihre Leistungen gegenüber den Bürgern mit Mehrwertsteuer- und Umsatzsteuer abrechnen müssen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch das bezahlen die Bürgerinnen und Bürger am Ende der Kette.

Lassen Sie mich noch einen Satz zu der Frage der Konjunkturprogramme sagen, Herr Linssen. – Wir haben sehr differenziert zu Konjunkturprogrammen Stellung genommen. Erstens. Wir haben im Land frühzeitig eines gefordert. Das haben Sie vor ziemlich genau einem Jahr noch als Spinnerei abgetan. Zweitens. Wir haben uns sehr klar gegen die Abwrackprämie und sehr klar für die Konjunkturprogrammteile ausgesprochen, die die Kommunen und die Bauwirtschaft gestützt haben. Wir haben dazu eine ausgesprochen differenzierte Haltung. Selbstverständlich haben wir die auch weiterhin.

Wir sind der Auffassung: Alles das, was die Konjunktur ankurbelt wie Zukunftsindustrie, die den Menschen Chancen bietet, die am Ende die Schulden zurückzahlen müssen, ist richtig. Alles das, was die Steinzeitindustrien von gestern finanziert oder was Geld in Steuersenkungen pumpt, was hinterher vom Staat über neue Schulden finanziert werden muss, ist falsch.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir erwarten von dieser Landesregierung zumindest das, was Müller, Lieberknecht, Böhmer und andere tun. Wir erwarten zumindest das, was selbst ein Herr Kubicki von den Liberalen inzwischen eingesehen hat. Ansonsten wird am Ende der Spruch von Herrn Fricke von der FDP gelten: Die Länder sollen einfach mehr sparen. Dann ist das schon zu finanzieren.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Für die FDP-Fraktion erhält Frau Kollegin Freimuth das Wort.

Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gäbe sicherlich vieles zu den bedenkenswerten Beiträgen heute in der Aktuellen Stunde anzumerken. Aufgrund der Kürze der Zeit will ich mich beschränken.

Ich habe mich vorhin bei den Ausführungen der Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen gefragt: Was haben Sie eigentlich für ein Bürgerverständnis? Ich möchte ausdrücklich nicht nach dem Staatsverständnis fragen – dies hängt ja davon ab-, sondern will ausdrücklich auf das Bürgerverständnis abstellen.

Meine Damen und Herren, ich stehe auf dem Standpunkt, dass den Bürgerinnen und Bürgern das

Geld, das sie selber durch ihre Leistung erarbeiten, gehört und dass der Staat die Beweislast dafür trägt, dass er das Geld, was er durch Steuern den Bürgerinnen und Bürgern von ihrem selbst erarbeiteten Geld wegnehmen will, zwingend für die Schaffung der Infrastruktur und die gesellschaftliche Solidarität benötigt.

Die Debatte, die heute Morgen zum Teil geführt wurde, finde ich gespenstisch. Ich vermisse bei Ihnen völlig, dass Sie den Bürger als eigenverantwortliches, freiheitliches Mitglied unserer Gesellschaft anerkennen.

Wenn ich mir die Debattenbeiträge unter dem Aspekt Gerechtigkeit anhöre, dann frage ich mich: Ist es gerecht, dass die kalte Progression gerade die kleinen und mittleren Einkommen immer stärker belastet?

Nach einer Studie des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung belastet die kalte Progression die Bürgerinnen und Bürger von 2006 bis 2012 mit 63 Milliarden €. Ich möchte dies einmal herunterbrechen, um es greifbarer zu machen: Ein Metallfacharbeiter mit einem Jahreseinkommen von 40.000 €, der eine Lohnerhöhung um 1,9 % erhält, wofür viele engagiert streiten und kämpfen, muss exakt 3,3 % mehr Einkommensteuer davon zahlen. Rechnet man dann eine durchschnittliche Inflationsrate von 2 % gegen, hat der Arbeiter durch die kalte Progression sogar Reallohneinbußen.

Meine Damen und Herren, Sie wollen mir doch nicht allen Ernstes erzählen, dass Sie gerade im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das für gerecht halten, was Sie über Jahre geduldet haben! Wir wollen das ändern und werden das ändern!

(Beifall von FDP und CDU)

Meine Damen und Herren, die FDP ist für ein einfaches und gerechteres Steuersystem eingetreten. Dies haben wir mit einem Stufentarif verknüpft und umfangreich die Vorteile dargelegt.

Ich bin froh, dass bei der Erarbeitung des Koalitionsvertrages in Berlin – dafür herzlichen Dank an die Beteiligten aus Nordrhein-Westfalen, insbesondere den stellvertretenden Ministerpräsidenten Professor Pinkwart und den Ministerpräsidenten Dr. Rüttgers – Wert darauf gelegt wurde, dass wir ein Steuersystem bekommen, das für die Bürgerinnen und Bürger wieder Leistungsanreize schafft. Denn das ist eine entscheidende Frage der Gerechtigkeit.

Die Entlastung der Unternehmen ist bereits angesprochen worden. Es hat doch hier in der Vergangenheit himmelschreiende Ungerechtigkeiten und Wachstumsbremsen gegeben. Unser aller Anliegen muss es doch sein, dass wir wieder Wachstum in Deutschland generieren und ermöglichen – gerade im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, die damit

wieder eine Chance auf Beschäftigung und Wohlstand haben.

An dieser Stelle möchte ich eine Anmerkung zu den sozialen Sicherungssystemen machen. – Wir alle wissen, dass die sozialen Sicherungssysteme allein schon aufgrund der demografischen Veränderungen vor enormen Herausforderungen stehen. Es kann und darf nicht die Aufgabe sozialer Versicherungssysteme sein, untereinander für einen Sozialausgleich zu sorgen. Das widerspricht dem Versicherungsgedanken. Solidarität ist eine originäre Aufgabe unseres Steuersystems. Die Weichenstellungen dafür sind erfolgt. Der Finanzminister Dr. Linssen hat gerade eindrucksvoll dargestellt, was die derzeitige Diskussion – das soll ja wohl der Aufhänger für die heutige Aktuelle Stunde sein – für den Landeshaushalt 2010, den wir im Augenblick im parlamentarischen Beratungsverfahren haben, bedeutet.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Ich komme zu meiner Schlussbemerkung, Herr Präsident. – Der Finanzminister hat es verbindlich zugesagt, und wir werden das als Koalitionsfraktionen unterstützen: Keine Erhöhung der Nettokreditaufnahme für das Haushaltsjahr 2010 über das hinaus, was bereits im Haushaltsplanentwurf steht. – Aufgrund der konjunkturellen Situation ist diese eh schon reichlich hoch genug. Wir arbeiten daran, dass diese wieder abgesenkt wird. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Jetzt hat der fraktionslose Abgeordnete Sagel das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst zur aktuellen Opelkrise: Vonseiten der Linken kann ich Ihnen nur sagen, dass das Desaster bei Opel absehbar war und nicht wirklich überraschend kommt. Die Bundesregierung ist blind in die Opel-GM-Falle gelaufen.

(Zuruf von Hannelore Kraft [SPD])

Man kann keine Politik gegen den Verwaltungsrat und die Opeleigner machen. Frau Kollegin, das können Sie heute zum Beispiel auch im „Handelsblatt“ lesen. Dort steht es ganz klipp und klar und sehr deutlich. Politischer Druck alleine ist hilflos, wenn er vor letzten Konsequenzen zurückschreckt, die da heißen: Vergesellschaftung mit einem Beteiligungsmodell und nicht Hinterherwerfen von Subventionen ohne Sicherung der Arbeitsverhältnisse und Beteiligung der bei Opel Arbeitenden.

(Christian Lindner [FDP]: GM ist doch längst ein Staatsunternehmen!)

Ich komme zur aktuellen finanzpolitischen Debatte. Die neue CDU/CSU-FDP-Bundesregierung vergrößert die soziale Benachteiligung noch weiter und betreibt eine brutale Schuldenpolitik, die sich auch massiv gegen NRW und seine Kommunen wendet. Normalverdienende, Geringverdienende, Renterinnen und Rentner sowie Beziehende von Sozialleistungen werden diese Politik zu bezahlen haben.

Vorsicht Schwarz-Gelb, so warnt zum Beispiel der „Spiegel“. Weiterwursteln im Merkel-Land. Merkel und Westerwelle treiben die Schulden in die Höhe und erwägen dabei sogar Tricksereien. Neue Schattenhaushalte – das hatten sie in Berlin vor, was aber verhindert worden ist. Neuer Steuerstreit zwischen CDU und FDP. CDU-Länder wie Thüringen und Hamburg befürchten massive Steuerausfälle. Selbst Eurofinanzchefminister Juncker warnt und sieht Eurostabilitätspakt gefährdet.

Das ist die reale Situation, vor der wir stehen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung praktiziert damit dasselbe, was Sie in NRW praktizieren: eine neue, dramatisch steigende Rekordverschuldung mit Milliarden Tilgungssummen, was jedes Jahr im Haushalt stehen wird.

Was ich gerade von Herrn Finanzminister Linssen gehört habe, ist alles andere als beruhigend. Wenn er sagt, es werde keine Nettoneuverschuldungserhöhung geben, dann frage ich: Erwägen Sie auch hier einen Schattenhaushalt? Wie stellen Sie sich das konkret vor? Oder wollen Sie das Ganze auf den Tag nach der Landestagswahl verschieben? Das wird sehr interessant. Ich bin sehr gespannt. Vielleicht setzen Sie aber auch Ihre Politik „Privat vor Staat“ fort und wollen noch irgendetwas verkaufen. Keine Ahnung. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Vorschläge. Das wird sehr interessant werden.

Das Bundesfinanzministerium rechnet in seiner Vorlage für die Beratung für 2009 mit Steuereinnahmen von rund 523 Milliarden €. Dies wären rund 4 Milliarden € weniger als noch im Mai vorausgesagt.