Danke. – Herr Engel, Sie haben gerade die offiziellen Berichte der Bundesregierung vorgelesen, die von einer Verringerung von ethnisch motivierten Vorfällen spricht.
Sind Ihnen auch die Berichte unabhängiger Beobachter in der Region bekannt, die mit den Betroffenen gesprochen haben und die sagen, dass die ethnische Segregation insbesondere von Roma und das Misstrauen gegenüber albanisch dominierten Sicherheitskräften sehr deutlich vermuten lassen, dass die meisten Übergriffe eben nicht in Statistiken einfließen?
Ist Ihnen der Bericht von Pro Asyl bekannt, der aufgrund von Befragungen zu dem gleichen Ergebnis kommt, weil die Opfer weitere Repressalien befürchten und weil die Kosovopolizei solchen Anzeigen nicht nachgeht? Sind Ihnen auch diese Berichte bekannt, oder lesen Sie nur offizielle Statistiken?
Frau Düker, auch das ist uns bekannt. Deshalb – ich wollte es mir eigentlich schenken – setze ich das Zitat der Bundesregierung zu diesem Aktenzeichen kurz fort, obwohl meine Redezeit zu Ende ist.
wonach eine Rückführung in das Kosovo für die bisher in Deutschland lebenden Roma ‚mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit’ ein Leben in ‚absoluter Armut, Arbeitslosigkeit und Verelendung’ bedeute.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erst knapp zwei Monate sind vergangen, seit der Antrag mit der Forderung eines Abschiebestopps mit deutlicher Mehrheit abgelehnt worden ist. Sachverhalt und Bewertung der Gesamtsituation im Kosovo haben sich bisher nicht verändert.
Wie der kosovarischen Regierung zugesichert und zwischen Bund und Ländern vereinbart, gestaltet sich seit Beginn der Rückführungen das Ganze sehr schonend. Seit April 2009 wurden bis zum 30. September 2009 von den Ländern bundesweit erst 44 Romaangehörige zurückgeführt, davon fünf aus NRW.
Ich darf wiederholen: Für die Bewertung der Verhältnisse im Zielstaat ist nach der Kompetenzverteilung die Bundesregierung verantwortlich. Der Kollege Engel hat schon aus der einschlägigen Kleinen Anfrage zitiert, die ganz deutlich macht, dass es aus Sicht der Bundesregierung keine Rechtfertigung und Notwendigkeit für einen vorläufigen Abschiebestopp gibt.
Auch die Kritik gegenüber dem Projekt „URA 2“, dessen Fortsetzung zugleich beantragt wird – das ist interessant –, ist unberechtigt. Den Betroffenen wird – nicht nur auf dem Papier – in den Bereichen Familienzusammenführung, Wohnungssuche und Behördengänge geholfen.
Im Jahr 2009 wurden bisher insgesamt 295 Rückkehrer, davon 92 aus NRW, im Rahmen des Projektes beraten. Hierunter waren 53 Angehörige der Roma. Für das Jahr 2010 wurde von den bisher beteiligten Bundesländern und dem Bund vorbehaltlich des ausstehenden Parlamentsbeschlusses zu den Haushaltsplanberatungen bereits eine Fortsetzung des Projekts vereinbart. Vom Kollegen Schmitz wurde gesagt, welche Verbesserungen angedacht sind. Vor diesem Hintergrund sehe ich für den vorläufigen Abschiebestopp kein Bedürfnis.
Was Punkt 2 des Forderungsteils im Antrag betrifft, ist die Fortsetzung des Projektes „URA 2“ bereits vereinbart. – Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat um direkte Abstimmung gebeten. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 14/10018. Wer dem zustimmen möchte, den bitte
ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist dagegen? – Die Fraktionen von CDU und FDP. Wer enthält sich? – Die SPD-Fraktion. Damit ist der Antrag abgelehnt.
9 Einrichtung einer historischen Kommission – Zur Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit der Landtagsabgeordneten nach der NRW-Landesgründung
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Die Vergangenheitsbewältigung der politischen Parteien ist und bleibt aus meiner Sicht ein sehr wichtiges Thema.
Für mich war dies, ebenso wie die in Landtagsdebatten geäußerten Aufforderungen, die eigene Parteigeschichte aufzuarbeiten, Anlass, genauer zu untersuchen, inwieweit insbesondere die bürgerlichen Parteien mit ihrer geschichtlichen Aufarbeitung sind.
Deswegen habe ich den Historiker Dr. Klepsch beauftragt, eine historisch-wissenschaftliche Studie zum Thema „60 Jahre Landtag Nordrhein-Westfalen – Das vergessene braune Erbe“ durchzuführen. Das Ergebnis sehen Sie vor sich.
Denn die Zusammensetzung der bundesdeutschen Länderparlamente in der Nachkriegszeit ist niemals näher beleuchtet worden. Nahezu alle bis heute dazu vorliegenden Informationen beruhen ausschließlich auf den persönlichen Angaben der Abgeordneten, die in den biografischen Handbüchern des Landtags veröffentlicht sind.
Eine unabhängige systematische Verifizierung anhand der aus dem „Dritten Reich“ überlieferten Akten wie der Mitgliederkartei der NSDAP ist bis heute nicht erfolgt. Auch in NRW wurde im Jahre 2006, herausgegeben von der Präsidentin des Landtags, nur aufgrund der persönlichen Angaben aller Abgeordneten das Buch „60 Jahre Landtag NRW“ veröffentlicht. Aufgrund der bei den Abgeordneten weit
hin fehlenden Hinweise auf eine nationalsozialistische Vergangenheit hat sich mir die Frage gestellt, ob dies tatsächlich so ist und die Angaben der Wahrheit entsprechen.
Ausgangsbasis der hier vorliegenden Untersuchung waren Angaben im biografischen Handbuch des Landtags. Es wurden alle CDU-, Zentrums- und FDP-Abgeordneten erfasst, die bei Kriegsende im Mai 1945 mindestens 18 Jahre alt waren. Die Gesamtzahl des überprüften Personenkreises lag bei 482. Zur Überprüfung wurden Akten aus dem ehemaligen Document-Center in Berlin, heute Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, sowie die Entnazifizierungsakten im Staatsarchiv in Düsseldorf herangezogen.
Unter den im Handbuch des Landtags veröffentlichten Selbstauskünften befindet sich nur ein Abgeordneter, der seine Mitgliedschaft in der NSDAP einräumt. Tatsächlich aber – so ergaben die Nachforschungen – sind es nicht weniger als 41 Abgeordnete, die Mitglied in der NSDAP oder nahen NSOrganisationen wie der SA oder SS waren. Dass die Betroffenen mit dem Eintritt in die NS-Bewegung keineswegs einem politischen Jugendirrtum erlagen, zeigt das Durchschnittsalter von 24 Jahren.
Es wurden 75 FDP-Abgeordnete überprüft. Davon waren 16 belastet, darunter nicht weniger als sechs Fraktionsvorsitzende. Das sollte Ihnen zu denken geben. Weiterhin wurden 346 CDU-Abgeordnete überprüft. Davon waren 25 belastet, darunter zwei Fraktionsvorsitzende. – Dies entspricht einem Prozentsatz von 6,6 %.
Für mich ist als Resultat besonders erschreckend, dass es sich nicht nur um einen nahtlosen Übergang nach 1945 handelt, sondern dass dieser in NRW von den alten Nazis offensichtlich systematisch organisiert wurde. Wenn man sieht, dass bei der FDP sechs Fraktionsvorsitzende bis in die 70erJahre hinein diese Position einnehmen konnten, sagt das, glaube ich, einiges über ihre Vergangenheit.
Aus meiner Sicht sollte das hier vorgelegte erste Ergebnis – so verstehe ich das auch – als weiter gehende Anregung verstanden werden, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und blinde Flecken im historischen Selbstverständnis zu beseitigen, zudem aber nicht zuletzt auch heutigen fremdenfeindlichen und faschistischen Aktivitäten bereits im Ansatz entschieden entgegenzutreten.
Deswegen habe ich einen Antrag mit sechs Punkten vorgelegt. Ein wesentlicher ist: Der NRWLandtag bildet eine historische Kommission. Diese wird beauftragt, parteiübergreifend die NSVergangenheit aller ehemaligen Abgeordneten des nordrhein-westfälischen Landtags zu überprüfen, die bei Kriegsende 1945 mindestens 18 Jahre alt waren. Meine Bitte ist, dass diese Kommission und die Vorschläge, die gemacht werden, vom Plenum
beschlossen und von der Präsidentin des Landtags übermittelt werden. Das ist im Wesentlichen mein Antrag. – So weit erst einmal.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktionen von CDU, SPD und FDP haben sich entschieden, dass ich für diese drei Fraktionen reden darf. Ich danke für dieses Entgegenkommen und das Vertrauen, das man mir entgegenbringt. Es handelt sich um ein Thema, bei dem man, denke ich, parteiübergreifend, so wie wir es in der Vergangenheit auch getan haben, sehr gut argumentieren und entscheiden kann.
Der Landtag Nordrhein-Westfalen, sehr geehrter Kollege Sagel – das wissen Sie auch aus Ihrer parlamentarischen Geschichte –, hat sich in den 60 Jahren seines Bestehens und auch in letzter Zeit immer wieder intensiv mit dem Nationalsozialismus und mit Gewaltherrschaft, aus welcher politischen Richtung auch immer, beschäftigt. Wir haben uns mit den Opfern beschäftigt, wir haben uns mit den Tätern beschäftigt, aber wir haben uns auch mit den politischen Nachfolgern vor allem aus der Zeit des Nationalsozialismus auseinandergesetzt.
In diesen Debatten, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir nichts verdrängt, nichts verschwiegen, da ist nichts verschwiemelt worden, da ist vor der Öffentlichkeit nichts verborgen worden.
Der Landtag hat bei seiner Auseinandersetzung mit jeder Form von Gewaltherrschaft, oftmals nach schwierigen Diskussionen untereinander, immer einen Weg gefunden, dass wir eng beieinander waren und gemeinsam beschlossen haben – in der Regel einstimmig. Manchmal war das nicht einfach zu erreichen, aber wir haben es nach langen Diskussionen immer geschafft. In der Einschätzung von Gewaltherrschaft, sei es von rechts – Nationalsozialismus – oder sei es von links, waren wir immer einer Meinung und haben das hier gemeinsam getragen. Das zeichnet im Übrigen diesen Landtag auch in hohem Maße aus.