Protocol of the Session on November 9, 2005

Frau Kollegin Walsken, Sie haben hier ja immerhin noch im Juli mit Leidenschaft und Inbrunst vertreten, warum denn eine Mehrwertsteuererhöhung Gift sei, und zwar mit guten Argumenten, wie ich bereits im Juli zugestanden habe.

Jetzt sprechen Sie hier von einer Reichensteuer; ich betitele sie als reine Neidsteuer. Sie haben immer nur im Kopf, wie Sie von den Bürgern noch mehr Geld bekommen können. Bezeichnend fand ich in diesem Zusammenhang schon die Frage, was mit dem Geld eigentlich gemacht werden soll.

Meine Damen und Herren, das ist das Geld der Bürgerinnen und Bürger. Die FDP ist der Meinung, dass die Bürgerinnen und Bürger damit auch am besten umgehen können und dass wir

es in ihrer Tasche belassen sollten, anstatt es in irgendwelche schönen Projekte zu stecken, um damit die Begehrlichkeiten des einen oder anderen zu befriedigen.

(Beifall von FDP und CDU)

Eines ist ja bei dem Ganzen, was hier im Augenblick an Pirouetten gedreht wird, um wieder einmal eine Steuererhöhung zu rechtfertigen, besonders verlogen: Bei all dem, was wir an Abschaffung von Steuersondertatbeständen, an Abschaffung von Subventionen diskutieren, finde ich es dann schon bemerkenswert, dass Sie die Steinkohlesubventionen nach wie vor ausklammern und daran festhalten.

Ich kann es einfach nur immer wieder betonen: So lange Sie an diesen Steinkohlesubventionen festhalten und dafür den Bürgerinnen und Bürgern mehr Geld, mehr Steuern aus der Tasche ziehen wollen, ist und bleibt das, was Sie hier vorhaben, unsozial. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Frau Freimuth, für Ihren Beitrag. – Für die Landesregierung erteile ich Finanzminister Dr. Linssen das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Fraktion der Grünen hätte ich mir doch sehr gut überlegt, ob ich hier eine solche Debatte anzettele.

(Beifall von der CDU)

Man muss ja immerhin sehen, Frau Löhrmann, dass Sie damit den Fokus auf einen Tatbestand richten, der so bedauernswert ist, dass offensichtlich potenzielle Koalitionäre in Berlin nicht mehr ein noch aus wissen und zu diesem von uns allen ungeliebten Instrument der Mehrwertsteuererhöhung greifen wollen.

Verursacht ist das durch Ihre Finanzpolitik der letzten Jahre.

(Beifall von CDU und FDP)

Darauf wollen Sie mit dieser Debatte aufmerksam machen, Frau Löhrmann. Ich danke Ihnen dafür.

Die Koalitionsverhandlungen haben gezeigt, dass ein Loch von 35 Milliarden € zu stopfen ist. Dieses Loch ist sicherlich nicht von jetzt auf gleich entstanden, sondern Sie haben dadurch, dass Sie jahrelang die Sache immer vor sich her gescho

ben haben, erheblich zu dieser großen Schwierigkeit beigetragen.

(Beifall von der CDU)

In der „Rheinischen Post“ von heute ist zu lesen, was der Soziologe Niklas Luhmann sagt: Politik wartet offensichtlich darauf, dass die Probleme so dringlich werden, dass man ohne Aussicht auf Verlust von Wählerstimmen aktiv werden kann.

Ja, das ist das Problem, dass offensichtlich das Kind immer erst in den Brunnen gefallen sein muss, bevor dann gehandelt wird. Dann muss zu Instrumenten gegriffen werden, die wir alle als sehr schwer verträglich bezeichnen.

Ich habe hier in den vorhergehenden Debatten sehr deutlich gemacht, dass eine Mehrwertsteuererhöhung eine Kröte ist, die man nur schlucken kann, wenn man auf der anderen Seite etwas bekommt, was einen größeren Erfolg verspricht. Deshalb bin ich immer dafür eingetreten, in einem solchen Zweifelsfall für die Senkung der Lohnnebenkosten zu plädieren, damit es endlich zu der von uns allen seit Jahren erhofften Wirtschaftsbelebung

(Beifall von der CDU)

und zu mehr Arbeit und Wachstum kommt.

Die Maastricht-Kriterien haben Sie offensichtlich in der früheren Koalition in Berlin überhaupt nicht interessiert. Ich begrüße es, wenn jetzt eine Koalition endlich sagt: Wir wollen sie wenigstens 2007 einhalten. Sie haben dazu beigetragen, dass sie aufgeweicht wurden und nach Möglichkeit überhaupt keine Geltung mehr haben sollen.

(Beifall von der CDU)

Frau Löhrmann, Sie haben davon gesprochen, dass offensichtlich eine Täuschung der Wähler stattfindet. Wir als CDU haben vor der Wahl gesagt, dass wir die Mehrwertsteuer erhöhen wollen.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Wofür? Lohn- nebenkosten!)

Insofern kann sich kein Wähler getäuscht fühlen. Es ist allerdings über die Höhe zu sprechen und darüber, ob es neben der Senkung der Lohnnebenkosten einen Teil gibt, der am Ende eines Diskussionsprozesses zur Haushaltskonsolidierung erforderlich ist. Das ist das große Problem.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Aha! Das haben Sie vor der Wahl so aber nicht gesagt!)

Liebe Frau Löhrmann, die Täuschung der Wähler hat dadurch stattgefunden, dass Sie jahrelang

die wahren Haushaltsverhältnisse nicht offenkundig gemacht haben.

(Beifall von CDU und FDP)

Es muss mit einem Gesamtkonzept, das wohl Ende der Woche vorliegt, klar werden, dass zunächst alle Möglichkeiten des Sparens wirklich ausgenutzt werden. Das ist der Subventionsabbau, von dem Sie gesagt haben, Sie hätten ihn immer gefordert.

Nun stellen Sie sich einmal vor, die frühere Opposition hätte dem beigegeben. Dann wäre das Geld, das wir jetzt wenigstens noch als Spielraum haben, auch schon verbraten worden. Das ist die Tatsache.

(Beifall von CDU und FDP)

Herr Finanzminister, ich habe zwei Wortmeldungen zu Zwischenfragen, und zwar von Herrn Becker und von Frau Löhrmann. Lassen Sie die zu?

Ja bitte.

Herr Becker hat sich weggedrückt. Dann ist jetzt Frau Löhrmann dran. – Drücken Sie sich noch einmal ein, Herr Becker.

Herr Dr. Linssen, wie erklären Sie sich die Schlagzeilen und die Kommentierung dieser Maßnahme durch die gesamte öffentliche Presse, auch die Wirtschaftspresse? Können Sie uns das einmal erklären?

Liebe Frau Löhrmann, ich komme gleich noch dazu. Dass eine Mehrwertsteuererhöhung auch aus Sicht von Wirtschaftsexperten ein großes Problem ist, habe ich immer betont. Ich habe zu dem Tatbestand zwei Debatten geführt. Das ist jetzt die dritte, die allerdings unter etwas veränderten Verhältnissen stattfindet. Jetzt sind Sie diejenigen, die gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer antreten, und die SPD hat Schwierigkeiten, ihr Ja zu einer Mehrwertsteuererhöhung zu erklären, was ich nachvollziehen kann.

Ich glaube, dass Frau Walsken die Methode „Haltet den Dieb!“ gewählt hat, um möglichst davon abzulenken, was Sie doch sehr beschwert.

(Gisela Walsken [SPD]. Ganz klar und deut- lich!)

Ich kann das nachvollziehen, Frau Walsken. Mir ginge es, glaube ich, an Ihrer Stelle genauso.

Darf ich dann dem zweiten Fragesteller das Wort erteilen?

Bitte schön.

Bitte schön, Herr Becker.

Herr Minister, würden Sie mir in Anbetracht Ihrer Ausführungen von eben zustimmen, dass das nicht in Deckung zu bringen ist mit dem Hinweis darauf, dass der langjährige Finanzminister Waigel der CSU und der langjährige Finanzminister Eichel der SPD angehört hat? Würden Sie mir weiterhin zustimmen, dass jetzt nicht mehr die Rede davon ist, dass die gesamte Mehrwertsteuererhöhung dafür genutzt werden soll, die Lohnnebenkosten zu senken, sondern die Rede davon ist, dass sie zu allem Möglichen in der Haushaltsdefizitabdeckung dienen soll?

Auf den letzten Teil Ihrer Frage komme ich gleich sehr ausführlich.

Beim ersten Teil, was Herrn Waigel angeht, weiß ich nicht, welches Zitat von ihm Sie jetzt im Auge haben. Natürlich hat Herr Waigel während seiner langen Amtszeit und danach vieles erklärt. Ich weiß nicht, worauf Sie sich jetzt beziehen.

(Horst Becker [GRÜNE]: Auf die Schulden! – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Auf die Schul- den! – Johannes Remmel [GRÜNE]: Auf die schwarzen Löcher!)

Dass die Schulden ein Ausmaß erreicht haben, das kaum noch zu überbieten ist, haben wir im Wahlkampf immer betont. Sie haben das aber nicht klargestellt, um es deutlich zu sagen.