Protocol of the Session on November 9, 2005

Dass die Schulden ein Ausmaß erreicht haben, das kaum noch zu überbieten ist, haben wir im Wahlkampf immer betont. Sie haben das aber nicht klargestellt, um es deutlich zu sagen.

(Beifall von CDU und FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, in den früheren Debatten immer betont zu haben, dass entscheidend ist, dass wir mit Verbesserungen auf der Einnahmenseite erst beginnen, wenn tatsächlich die Ausgabenseite nach allen Regeln der Kunst durchforstet worden ist. Da kommt es auf Subventionsabbau an, da kommt es auf Abbau von Steuervergünstigungen an. Ich glaube, wir sollten uns am Ende der Woche erst einmal ansehen, was tatsächlich herauskommt, bevor wir jetzt eine Debatte führen, wie wir sie aus den Zeiten kurz vor der letzten Bundestagswahl kennen.

Ich glaube, dass es richtig ist, wenn wir zumindest 1 % dieser Mehrwertsteuererhöhung für die Senkung der Lohnnebenkosten verwenden. Dass das andere Prozent jetzt aus der Nürnberger Anstalt und den Ersparnissen dort kommen soll, freut mich, weil man so sehr viel schneller zu Effizienzgewinnen in diesem Sektor kommen kann. Dass dann die Konsolidierung des Haushalts eine Restgröße erfordert, die vermutlich über Mehrwertsteuererhöhungen gedeckt werden soll, ist eine Kröte, die wir, wenn anderen Kürzungen auf der Ausgabenseite versagen, schlucken müssen, weil es eine astronomische Verschuldung gibt und weil wir das Maastricht-Kriterium endlich einhalten müssen.

(Beifall von CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, wenn der Bund allerdings diese Mittel zur Konsolidierung seines Haushaltes benutzen will und muss, dann ist es die Pflicht der Länder, darauf zu pochen, dass sie zu 50 % oder einem entsprechenden Anteil an dieser Mehrwertsteuererhöhung teilnehmen. Ich habe immer wieder betont: Wenn eine Mehrwertsteuererhöhung zur Senkung der Lohnnebenkosten verwandt wird, muss das Geld auch beim Bund bleiben. Wenn sie zur reinen Konsolidierung des Haushalts benutzt wird, haben die Länder selbstverständlich das Recht, ihren Teil zu bekommen.

Ich glaube, dass wir uns das Gesamtpaket anschauen, danach hier debattieren und nicht auf Zwischenstände allein unsere Debatte beziehen sollten.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Wir wollen aber Einfluss nehmen!)

Ich verstehe Ihren Beitrag als Hinweis darauf, dass Sie an dieser Misere schuld sind, in den letzten sieben Jahren dazu beigetragen haben, dass Sie darauf hinweisen wollen, wie schwierig es ist, aber in den letzten Jahren selber nichts zur Lösung der schwierigen Haushaltskrise in Berlin beigetragen haben.

(Beifall von CDU und FDP – Sylvia Löhr- mann [GRÜNE]: Oh!)

Vielen Dank, Herr Minister.

Nach der Geschäftsordnung wird über Eilanträge sofort und direkt abgestimmt. Deshalb lasse ich über den Eilantrag, eingebracht von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 14/604 abstimmen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Fraktion Bündnis 90/Die

Grünen und Teile von CDU und FDP. Habe ich das richtig gesehen?

(Widerspruch bei CDU und FDP)

Ich nehme an, das war ein Irrtum. Ich lasse noch einmal abstimmen.

Wer ist für den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist dagegen? – Das sind CDU, FDP und SPD. Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Meine Damen und Herren, wir kommen zu:

7 Für eine praktikable neue EU-Chemikalienpolitik – Interessen von Beschäftigten, Verbrauchern, Umwelt und Unternehmen wahren

Antrag der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD und der Fraktion der FDP Drucksache 14/610

Ich eröffne die Beratung. Als erster Redner hat der CDU-Abgeordnete Herr Kress das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bereits seit dem Jahre 2001 diskutieren wir hier im Landtag die EUChemikalienpolitik, diskutieren wir Reach. Erst am 27. Oktober dieses Jahres haben alle Fraktionen im Rahmen einer Sondersitzung des Fachausschusses verabredet, einen gemeinsamen Antrag zu Reach zu formulieren und in der heutigen Plenarsitzung zu verabschieden. Das ist gut so. Reach muss praktikabel sein.

Durch die EU-Verordnung sollen Kenntnisdefizite bei den Altstoffen beseitigt werden; das sind alle Stoffe, die bereits vor 1981 auf dem Markt waren. Die Eigenverantwortung der Hersteller soll gestärkt und die Kommunikation innerhalb der Wertstoffkette verbessert werden.

Inzwischen ist die entscheidende Phase bei den Beratungen in Brüssel erreicht. Ab dem 14. November dieses Jahres finden Abschlussberatungen im Europäischen Parlament statt. Der Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie, der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz sowie der Ausschuss für Umweltfragen,

Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit haben ihre Beratungen beendet und Beschlüsse mit unterschiedlicher Tendenz gefasst.

Diese unterschiedlichen Beschlüsse machen uns sehr große Sorgen. So will der Binnenmarktausschuss die Datenforderung erst ab einer Produktion von 100 Jahrestonnen erheben. Der Industrieausschuss hat die Grenze bei 10 Jahrestonnen festgelegt. Der Umweltausschuss fordert die Sicherheitsbewertung für alle Stoffe schon ab einer Produktionsmenge von 1 t. Das Abstimmungsergebnis im Ausschuss war übrigens 31:30. Die Kommission hatte als Grenzwert 10 t vorgeschlagen. Die Genehmigungen für die diversen Verwendungen wurden vom Umweltausschuss auf fünf Jahre und vom Binnenmarktausschuss auf sieben Jahre befristet. Der Industrieausschuss will die fallweise Entscheidung. Begründete, voneinander abweichende Ausnahmen bei der Registrierungspflicht von FuE-Stoffen oder Polymeren finden sich in insgesamt 56 Änderungsanträgen wieder.

Meine Damen und Herren, die EU-Chemikalienpolitik ist für die zukünftige Innovationsfähigkeit der chemischen Industrie, der Industrie im Allgemeinen hier in Nordrhein-Westfalen von fundamentaler Bedeutung. Über 110.000 direkt betroffene Arbeitnehmer und ca. 350.000 Kolleginnen und Kollegen in nordrhein-westfälischen Zulieferbetrieben erwarten eine praktikable Reform des Chemikalienrechts. Sie erwarten, dass das Bewertungssystem Reach umsetzbar gestaltet und nicht zu einem Jobkiller wird. Sie erwarten, dass wir uns hier im Landtag eindeutig positionieren und gleichermaßen für die Sicherheit am Arbeitsplatz wie für die Sicherheit des Arbeitsplatzes eintreten.

Meine Damen und Herren, wenn das Ziel erreicht werden soll, den Gesundheits- und Umweltschutz in der EU durch Reach zu verbessern, ohne dass die Wettbewerbsfähigkeit der chemischen Industrie in unserem Lande gefährdet wird, dann müssen die in unserem Antrag genannten Forderungen insbesondere den aus Nordrhein-Westfalen stammenden Europaabgeordneten übermittelt werden. Die müssen sie auch vertreten.

Alle im Antragstext aufgeführten Punkte sind Ergebnisse unseres NRW-Praxistests, unseres Planspiels und wurden gleichermaßen auch nach dem europäischen Testlauf Sport und in der KPMG-Studie zu Reach erhoben. Wir fordern, dass die Anforderungen an Registrierung, Bewertung und Autorisierung so praktikabel ausgestaltet werden, dass sie auch von kleinen und mittleren Unternehmen erfüllt werden können. Wir fordern,

dass Importe den gleichen Regeln unterliegen wie Stoffe des europäischen Binnenmarkts.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in keinem europäischen Land wurden durch die Industrie so große Vorleistungen erbracht wie in Deutschland durch die chemische Industrie. Durch die freiwillige Selbstverpflichtung der Chemie wurden bereits Datenblätter mit Stoffbewertungen und Eckwerte für die maximale Konzentration von Stoffen am Arbeitsplatz erstellt, wurden Alt- und Neustoffe in Gefährdungsklassen eingestuft und auch die Mitarbeiter entsprechend geschult.

Dieser große Erfahrungsschatz der Berufsgenossenschaften, der IG BCE, des VCI, aber auch der Fachmediziner muss insbesondere bei der praktikablen Einführung des Reach-Systems genutzt werden. Dadurch können zusätzliche Prüfverfahren vermieden und aufwendige Zusatzprüfungen verzichtbar gemacht werden. Insbesondere sollten auch unnötige Wiederholungen von Tierversuchen vermieden werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, für den Chemiestandort Nordrhein-Westfalen ist es notwendig, dass die Interessen unseres Landes in der weiteren Diskussion geradlinig und mit einer Stimme vertreten werden. Darum begrüße ich es, dass der vorliegende Antrag gleichermaßen von CDU, FDP und SPD formuliert und gestützt wird. Damit unterstützen wir auch unsere Landesregierung, die in Brüssel wie in Berlin dafür eintritt, dass durch die Reform der EU-Chemikalienpolitik kein Wettbewerbsnachteil für den Chemiestandort, für den Industriestandort NRW entsteht.

Wir wollen, dass die guten Entwicklungschancen für das technologische Spitzenfeld Chemie in unserem Land genutzt und die Ausgaben für Forschung und Entwicklung nicht zurückgefahren werden. Vorfahrt für Arbeit! Neue Produkte schaffen Arbeitsplätze. In diesem Sinne verstehen wir den gemeinsamen Antrag von CDU, FDP und SPD und erbitten die Zustimmung des Hauses. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kress. – Für die SPD-Fraktion Herr Kuschke. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich kurz fassen. Wesentliche Aspekte der Vorgeschichte und des aktuellen Standes sind bereits von meinem Vor

redner erwähnt worden. Lassen Sie mich aber noch vier Punkte unterstreichen.

Punkt 1. Wir hatten uns in der angesprochenen Ausschusssitzung Sorgen hinsichtlich des Zeitdrucks gemacht, unter dem das Ganze steht. Wir hatten auch die Sorge, dass unter diesem Zeitdruck möglicherweise falsche Entscheidungen getroffen werden. Wir haben erreicht – wir haben versucht, da durch unsere Kontakte zu unseren Europaabgeordneten mitzuhelfen –, dass dieser Punkt zunächst sowohl von der Tagesordnung des Rates als auch von der des Europäischen Parlaments genommen wurde, sodass wir dort jetzt einen etwas längeren Beratungszeitraum haben.

Punkt 2. In der Tat haben wir im Umweltausschuss eine sehr gute Debatte gehabt. Wir waren sehr dankbar dafür – ich will das hier noch einmal unterstreichen –, dass die Landesregierung, Herr Minister Uhlenberg, unsere Anregung in der Sitzung aufgegriffen hat, nicht noch eine „gängige“ Resolution zu verabschieden, sondern den Versuch zu unternehmen, auch aufgrund der Hinweise der Experten in der Sitzung Anforderungskriterien zu formulieren, mit denen wir messen können, ob das Ganze für uns zuträglich, akzeptabel oder nicht akzeptabel ist. Das sind im Grunde genommen die zehn sehr konkreten Punkte, die im Beschlussteil unter II dargestellt worden sind.

Drittens sozusagen ein kleiner Ausblick in die Zukunft: Ich glaube, dass wir gut beraten sind – ich unterstelle jetzt einmal, von Optimismus geprägt, wie ich so bin, Herr Minister, dass wir letztendlich zu einem guten Ergebnis kommen werden –, das Verfahren, das wir eingeübt und gelernt haben, nämlich mit sehr konkreten und pragmatischen Überlegungen an die Sache heranzugehen – Stichwort Planspiel –, weiter anzuwenden, um in der Praxis genau abschätzen zu können, welche Folgen und Konsequenzen sich ergeben, und um den Blick insbesondere auf die kleinen und mittleren Unternehmen zu richten und zu fragen, wie dort die Betroffenheit aussieht. Das ist ein Weg, den wir uns auch bei anderen Vorhaben vorstellen könnten. In nenne das Stichwort Dienstleistungsrichtlinie, das uns zukünftig auch noch beschäftigen wird. Möglicherweise könnte das auch dort ein sinnvolles Vorgehen sein.

Ich hatte gerade von drei Punkten gesprochen, aber es sind letztlich doch vier.

Also viertens: Der Präsident hat gerade darauf hingewiesen, dass es sich um einen Antrag von drei Fraktionen handelt. Wir hatten in der Vergangenheit schon unterschiedliche Situationen: Ein

mal hatten wir einen Antrag, der von allen vier Fraktionen auf den Weg gebracht worden ist. Der letzte Antrag stammte dann wieder von drei Fraktionen. Wir hatten, Herr Kollege Remmel, lange die Hoffnung, dass es bei diesem Antrag wieder vier Fraktionen sein würden. Aber Sie werden ja gleich noch Stellung zu dem Antrag nehmen.

Ich glaube, dass im Umweltausschuss und auch von den Experten die Belange der Verbraucherinnen und Verbraucher und die Belange des Umweltschutzes sehr gewürdigt worden sind. Sie sind nicht unter den Tisch gefallen, und sie finden sich in dem hier von uns gemeinsam vorgelegten Antrag wieder. Von daher hätten wir es gut gefunden, wenn ein gemeinsames Vorgehen aller vier Fraktionen stattgefunden hätte. Vielleicht gelingt es uns ja, Sie doch noch dazu zu bewegen, diesem Antrag zuzustimmen.

Ansonsten glaube ich, dass es ein guter Weg ist, auf den wir uns verständigt haben, und dass der Antrag ein sehr deutliches Signal sein wird, das in Brüssel seine Wirkung nicht verfehlt. Also: Es war den Schweiß der Edlen wert. – Herzlichen Dank.

Vielen Dank, Herr Kuschke. – Für die FDP-Fraktion Herr Ellerbrock.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sagen in diesem Plenum auf breiter Basis Ja zu Reach. Wir sagen Ja zu einem neuen Chemikalienrecht. Wir sagen Ja zum Schutz von Mensch und Umwelt. Wir sagen Ja zu einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen chemischen Industrie im globalisierten Wettbewerb. Und wir sagen damit auch Ja zur Sicherung von Arbeitsplätzen bei uns. In dieser Hinsicht haben wir schon in der letzten Legislaturperiode eine ganz breite Position in diesem Haus gehabt. Die Grünen verabschieden sich derzeit davon.

In Pressemitteilungen begrüßt Noch-Umweltminister Trittin das Abstimmungsergebnis im EUUmweltausschuss. Er befürchtet, dass das europäische Chemikaliengesetz, wie von der chemischen Industrie gefordert, weiter verwässert wird, und bringt seine Freude darüber zum Ausdruck, dass der federführende Umweltausschuss des Europäischen Parlaments dieser Entwicklung entgegengetreten ist.

Meine Damen und Herren, da bleibt mir nur noch übrig zu sagen: Wissen ist Macht, Nichtwissen macht nichts, und das ist typisch Trittin.

Die gerade von Ihnen herausgegebene Pressemitteilung, Kollege Remmel, halte ich für außeror

dentlich bedauerlich. Ich empfinde sie als geistige Brandstiftung. Und es dauert lange, bis ich solche Worte sage.