Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf der Zuschauertribüne! Medienpolitik ist ein spannendes Politikfeld, es ist aber auch extrem kompliziertes Politikfeld. Wir Medienpolitikerinnen und Medienpolitiker haben uns angewöhnt, durch Chiffren möglichst viel dazu beizutragen, dass wenige Menschen das verstehen, was wir tun. Schon der Begriff „Zwölfter Rundfunkänderungsstaatsvertrag“ strahlt eine solche Sympathie und Leidenschaft aus, dass ich genau weiß, was mein Kollege Günter Garbrecht gerade denkt, wenn ich in sein Gesicht blicke. Wir dürfen es gar nicht laut sagen, weil es wahrscheinlich unparlamentarisch wäre, lieber Kollege Günter Garbrecht.
Also: Wir reden über den Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag. Das ist – Minister Krautscheid hat es überwiegend zutreffend formuliert – ein Regelungsvorhaben – so hat es beispielsweise der Medienrechtler Dieter Dörr formuliert –, das zu sehr hitzigen medienpolitischen Debatten geführt hat. Wir debattieren über den Zwölften Rundfunkänderungs
staatsvertrag, doch die Wahrheit ist, wir haben ihn schon in vielen Runden in diesem Haus diskutiert und einzelne Aspekte miteinander besprochen.
Ganz sicher ist: Der Zwölfte Rundfunkänderungsstaatsvertrag wird in die Geschichte der Medienpolitik nicht als ein besonders schlankes Gesetzgebungswerk eingehen. Die SPD ist der Überzeugung: Es ist auf Sicht ein fairer Kompromiss, um auf der einen Seite Entwicklung und Bestand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Bereich Telemedien zu garantieren und um auf der anderen Seite die Angebote Kommerzieller weiterhin möglich zu machen. Beide leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Vielfalt.
Vergessen wird in der hitzigen Debatte um presseähnliche Angebote und den Drei-Stufen-Test häufig, dass der Zwölfte Rundfunkänderungsstaatsvertrag das weltweit umfangreichste lineare öffentlichrechtliche Angebot beauftragt. Es gibt nirgendwo auf der Welt einen so vielfältigen öffentlichrechtlichen Rundfunk, was das lineare Fernsehen und was den linearen Hörfunk anbelangt. Es ist ein gutes Signal, dass wir uns in dieser Republik auf diesen gebührenfinanzierten Rundfunk in all seiner Vielfalt verständigt haben. Wer könnte heute noch auf ein so wunderbares Fernsehprogramm wie Phoenix verzichten, wer könnte heute noch auf den Kinderkanal verzichten? Diese Vielfalt öffentlichrechtlicher Sender soll auch in Zukunft möglich sein.
(Ralf Witzel [FDP]: Es gibt all diese Sparten- programme, weil sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk in seinen Hauptprogrammen sei- nem Programmauftrag entledigt hat!)
Nach dem Rundfunkänderungsstaatsvertrag, lieber Kollege Witzel, ist vor dem Rundfunkänderungsstaatsvertrag. Wir alle wissen, dass wir schon bald über die Rundfunkänderungsstaatsverträge 13, 14 und 15 diskutieren werden.
Ich möchte aber auf den Zehnten zurückkommen, Herr Minister Krautscheid und das zum Anlass nehmen, der Gremienvorsitzendenkonferenz und der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten insgesamt zu gratulieren. Sie haben gestern einen, wie ich finde, wegweisenden Beschluss in der Umsetzung des Zehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrages gefasst. Sie haben sich nämlich dazu durchgerungen, eine gemeinsame Geschäftsstelle zu organisieren, und haben sich tatsächlich auf einen Standort verständigt.
Über den Standort kann man natürlich immer streiten, Herr Kollege Krautscheid. Aber ich sage Ihnen ausdrücklich, es ist auch eine gute Tugend im Föderalismus, sich auf einen Standort zu verständigen. Der SPD ist ganz wichtig, dass damit der von uns so dringend geforderte Schritt zur Medienanstalt der Länder unumkehrbar ist. Die Medienanstalt der Länder hat gestern einen großen Schritt nach vorne gemacht. Ich will allen Akteuren danken – wir haben
mit Herrn Prof. Schneider auf der einen Seite und Frau Gerlach auf der anderen Seite zwei Akteure –, die an dieser sehr, sehr guten Entscheidung mitgewirkt haben.
Was zu unserem großen Erstaunen auch im Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag lange verborgen geblieben ist – auch das ist ein Phänomen dieser Mediengesellschaft, die sich üblicherweise durch eine gewisse Inkontinenz und eine große Kommunikationsfreude auszeichnet –, ist die Verabredung der Ministerpräsidenten, Sponsoring gleich Werbung zu setzen und damit den Einstieg in den Ausstieg aus Werbung und Sponsoring insgesamt zu organisieren. Das haben die Ministerpräsidenten am 18. Dezember verabredet; aber erst in den letzten Tagen hat das bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt, nachdem der zuständige Staatssekretär Martin Stadelmaier das auf dem sehr guten DLMSymposium nochmals formuliert hat. Daraufhin haben es auch diejenigen, die es gar nicht glauben wollten, begriffen.
Es ist richtig – das sage ich ausdrücklich –, dass sich die eine Säule der dualen Rundfunkordnung über Rundfunkgebühren finanziert – das hat Minister Krautscheid richtig formuliert: über EU-konforme kommerzielle Aktivitäten in Tochtergesellschaften organisiert – und die andere Säule über andere Einnahmen, bis auf Weiteres vorwiegend aus Werbung, Sponsoring usw.
Ich will auch etwas Thema Drei-Stufen-Test sagen. Ich stimme zu, das ist für die Gremien eine extrem herausfordernde Arbeit, und will zunächst zwei Bemerkungen zu denjenigen Kolleginnen und Kollegen machen, die dieses Verfahren schon jetzt auf der Grundlage eines noch nicht gültigen Rundfunkänderungsstaatsvertrags durchführen.
Ich sehe, dass es da Schwierigkeiten und auch Mängel gibt, aber ich teile ausdrücklich nicht die Kritik derjenigen, die gesagt haben: Ihr dürft das noch gar nicht machen, weil es das Gesetz noch nicht gibt. – Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, was wäre passiert, wenn der MDR Kikaninchen ohne ein Drei-Stufen-TestVerfahren auf den Weg gebracht hätte? Dann wäre der Aufschrei zu Recht sehr viel größer gewesen. Also waren die Kolleginnen und Kollegen beim MDR an der Stelle ohne Alternative.
Sie hatten aufgrund der zeitlichen Vorgaben des Intendanten allerdings nicht die Chance, die der WDR-Rundfunkrat, wie ich finde, vorbildlich genutzt hat. Ich habe Ihnen das Gutachten, das der WDRRundfunkrat in Auftrag gegeben hat, mitgebracht, das den etwas sperrigen Titel „Rahmenbedingungen für die Durchführung des Drei-Stufen-Tests“ trägt. Das Institut für Rundfunkökonomie, vor allem
Dr. Manfred Kops, und die Anwaltskanzlei Olswang, vor allem Frau Sokoll und Frau Dr. Bensinger, haben einen, wie ich finde, hervorragenden Leitfaden erarbeitet. Dieser Leitfaden soll nicht nur für die Mitglieder des WDR-Rundfunkrates sein, sondern allen Gremien innerhalb der ARD zur Verfügung gestellt werden.
Wenn Sie in einer schlaflosen Nacht die Gelegenheit haben, die knapp 200 Seiten zu lesen: Sie finden ab Seite 26 ff. den Verfahrensablauf des DreiStufen-Tests. Da geht es um Fragen: Ist es ein neues oder ein geändertes Telemedienangebot? Liegt ein hinreichend konkretes Angebotskonzept vor? Ist das Angebot bereits gesetzlich beauftragt? Ist es zulässig? Welche Beschränkungen gibt es?
Ich finde, das ist ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Drei-Stufen-Test. Er macht mir Mut, dass die Gremien in der Lage sind, diesen Drei-StufenTest zu bestehen.
Auf einen Punkt will ich noch hinweisen: Die Ministerpräsidenten haben im Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag verabredet, dass das Gutachten am Ende veröffentlicht werden muss. Ich glaube, es dient sehr dem Frieden und der Transparenz des Verfahrens, dass wir noch einmal eine Anleihe beim BBC Trust nehmen. Der BBC Trust gibt denjenigen, die Stellung bezogen haben, die Gelegenheit, bevor der Trust die endgültige Entscheidung fällt, das Gutachten und die Erklärungen – in NordrheinWestfalen beispielsweise des Intendanten/der Intendantin zu kommentieren. Dann kann das Gremium, der Rundfunkrat, von seinem Spielraum Gebrauch machen, das Telemedienangebot möglicherweise für zulässig zu erklären, aber beispielsweise beim Thema Verweildauerkonzept den Intendanten/die Intendantinnen auf eine Anpassung und Veränderung hinzuweisen.
Mit dem letzten Beispiel habe ich ein Thema für die Feinschmecker der Medienpolitik angerissen, bei dem deutlich wird, dass die Gremien bei dem Thema „Programm und Programmautonomie von Intendant und Intendantin“ in ein neues Verhältnis zu Intendant/Intendantin vorstoßen. Das wird eine spannende Reise sein.
Wir sind insgesamt gut beraten, innerhalb der ARD gemeinschaftlich eine Serviceeinrichtung zu organisieren, um die jeweils notwendigen Kompetenzen zu bündeln; das muss nicht an neun Stellen geschehen. Auch da ist der Föderalismus gut beraten, sich auf die Kernkompetenzen zu konzentrieren und hier die Kompetenz an einer Stelle zu bündeln.
Ich mache an dieser Stelle Schluss und sehe in Ihren begeisterten Blicken, dass Sie den Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag mindestens genauso spannend finden wie alle, die schon gesprochen haben und gleich noch sprechen werden. Ich freue mich auf die Diskussion und sage Folgendes: Wir stimmen der Überweisung zu. Ich verrate Ihnen,
damit Herr Krautscheid heute gut schlafen kann: Wir stimmen auch dem Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag zu.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stehen heute vor dem Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrags. Das ist schon ein Stück weit ein epochales Werk; denn es ist der erste Anlauf, mit der Aufnahme der Thematik „Digitalisierung des Internets“ den Rundfunkänderungsstaatsvertrag zu modernisieren.
Es stellt sich die Frage, ob der erste Anlauf, die Version 1.0, schon ein fehlerfreies Kind ist, das perfekt funktioniert, oder ob es vielleicht noch eine verkappte Betaversion ist, die der Überarbeitung bedarf. Wir werden das sicherlich in den nächsten Monaten und Jahren lernen, wenn all die Dinge, die darin stehen, tatsächlich in Kraft getreten sind.
Klar ist jedenfalls, dass sich die Rundfunkwelt drastischer verändert, als wir es uns vor einigen Jahren noch haben vorstellen können. Wenn Sie die aktuellen Studien JIM und KIM der MPFS lesen, stellen Sie fest, dass bei den nachwachsenden Medienkonsumenten, nämlich bei den Jugendlichen, das Fernsehen mittlerweile nicht mehr das Leitmedium ist; es ist längst abgelöst. Auf die Frage danach, welches Medium das wichtigste ist, kommt zunächst der Computer, dann das Internet, dann der MP3Player und erst auf Platz 4 das Fernsehen. Das Radio finden Sie noch viel weiter hinten in der Aufstellung. Die Zeitungen sind gerade noch für 2 % der Jugendlichen ein unverzichtbares Medium.
Es findet also ein großer Umbruch statt. Das Internet ist wohl daran schuld. Ganz offensichtlich saugt es insbesondere die jungen Konsumenten auf, kann sie begeistern und ersetzt auch die herkömmlichen Medien.
Es gibt ein Gesetz, das sagt: Alte Medien werden nie komplett ersetzt, sie werden höchstens marginalisiert. Das ist der Prozess, den wir zurzeit beobachten können. Wir sehen das an vielen Stellen.
Wenn man sich ältere Nutzer anguckt, sind sie froh, ihre eigene Medienwelt zu beherrschen. Sie sind souverän im Umgang mit analogen Radios, mit analogem, vielleicht auch schon digitalem Fernsehen, mit den Zeitungen. Bei jungen Menschen sieht die Welt eben anders aus. Man geht in die neuen Medien hinein, ist allerdings offenkundig nicht bereit, für diese Dinge Geld zu bezahlen.
einer Lösung bedarf, nämlich der Frage: Wie können wir Qualitätsjournalismus und qualitative Inhalte auch im Internet sicherstellen, obwohl offensichtlich niemand mehr bereit ist, Geld für Inhalte zu bezahlen?
Das trifft den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eher weniger – wir kommen bei dem Staatsvertrag genau zu der Debatte –, viel mehr hingegen die Verleger, denn sie leben wesentlich von ihren Abonnementeinnahmen, hinter denen in der Zukunft ein großes Fragezeichen steht; darüber werden wir beim übernächsten Tagesordnungspunkt noch einmal diskutieren.
Das Aufeinandertreffen von zwei verschiedenen Mediengattungen in dem neuen Medium Internet löst die gesamte Problematik aus, was sich der eine oder andere nicht vorstellen kann.
Die Frage, wie das Radio der Zukunft aussieht, beschäftigt uns momentan intensiv. Dabei hört man von alten, erfahrenen Radiomachern nicht die ganz große Sorge, wie viele Leute es noch nutzen werden, wie die technischen Qualitäten sein werden, sondern: Wird das Radio in Zukunft noch ein eigenständiges Medium sein oder nur noch einer von ganz vielen Diensten im Internet?
Darauf bezieht sich die gesamte Diskussion. Mancher Medienmacher kann es sich nicht vorstellen, nur noch ein Teil im Internet zu sein. Aber darauf wird es hinauslaufen. Deshalb halte ich es für einen Fehler, wenn wir versuchen sollten, noch einmal ein digital-terrestrisches Radio in den Markt zu bringen. Seine Zeit, seine Chance hat es gehabt; sie wurde nicht genutzt. Das Internet überrollt diese Dinge.
Für das Fernsehen wird es genauso kommen. Wir diskutieren darüber, wie man auf der einen Seite die kommerziellen Angebote der Verleger, auf der anderen Seite der öffentlich-rechtliche Rundfunk, dabei noch der private Rundfunk, voneinander abgrenzen kann.
Das versuchen wir jetzt durch den Drei-Stufen-Test zu lösen. Ich bin gespannt, wie das Ganze dann aussieht. Der Minister hat zutreffend gesagt: Das ist der Lackmustest dafür, wie eigenständig und stark die Gremien der Anstalten sind.
Wir gucken mit Interesse zum Mitteldeutschen Rundfunk, die erste Frage steht an: Soll es den Dienst www.kikanichen.de geben oder nicht? Wie ist die Konkurrenzsituation zwischen dem privaten Angebot der RTL-Gruppe – „TOGGOLINO“ –, das ebenfalls ein werbefreies, nicht kommerzielles, für Kinder angemessenes – wie sie selber behaupten – , qualitativ wertiges Format ist, allerdings mit 69 € im Jahr zu bezahlen ist, und dem kostenlosen Programm der Öffentlich-Rechtlichen, das dieses Angebot wahrscheinlich verdrängen wird? Ich beobachte das mit Spannung. Wir werden sehen, was dabei herauskommt.
Kompliziert ist der Drei-Stufen-Test allemal. Ich bin sehr daran interessiert, zu sehen, wie die Gremien das in den Griff bekommen, denn wir brauchen zeitnahe Entscheidungen.
Und natürlich müssen sich öffentlich-rechtliche Programme im Internet weiterentwickeln. Wie soll das denn sonst gehen? Wenn wir davon ausgehen, dass das Internet die Zukunft aller Medien ist, müssen die Öffentlich-Rechtlichen selbstverständlich eine Chance haben, sich dort genauso präsentieren zu können wie bisher. Die Frage ist, wie dies geschehen soll.
Die Sieben-Tage-Regelung ist eine der Antworten, die dieser Staatsvertrag dafür bietet. Man kann fragen, ob es vernünftig ist, diese Dinge nach sieben Tagen zu löschen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich das Problem, dass durch den Auftrag die Gebühren definiert werden und dass eine unendlich lange Speicherdauer nicht zuletzt technische Kosten und Kosten für die Rechte mit sich bringt. Besonders offensichtlich wird das bei Sportübertragungen, bei denen die Speicherdauer nach diesem Staatsvertrag wegen der ansonsten deutlich davongaloppierenden Rechtekosten nur 24 Stunden betragen soll.
Wir werden sehen, worauf das hinausläuft. Mir ist dabei wichtig, dass wir zwar heute diesen Staatsvertrag beschließen, aber an anderer Stelle diese Angebote bei Plattformen wie YouTube eingestellt werden, sodass die Produzentenlandschaft Nordrhein-Westfalens ihrer Rechte beraubt wird, während wir tatenlos zusehen.