Protocol of the Session on January 29, 2009

Fakt ist: Wir haben mittlerweile über 800.000 Menschen, die arbeitslos oder von Kurzarbeit betroffen sind. Ministerpräsident Rüttgers ist nicht mehr der selbst ernannte Arbeiterführer, sondern der Führer der Arbeitslosen. Das ist die reale Situation in Nordrhein-Westfalen.

Eines muss man auch sehr deutlich sagen: Die Zahlen, die Sie hier vortragen, sind ein Witz, denn es sind frisierte Statistiken. Ganz viele Menschen, die in Qualifizierungsmaßnahmen, Praktika oder sonstigen Situationen sind, erscheinen in dieser Statistik nicht. In Wirklichkeit sind weit mehr als eine Million Menschen in Nordrhein-Westfalen betroffen.

Das ist die eigentliche und tatsächliche Situation. Von daher ist das, was Sie heute vorgetragen haben, ehrlich gesagt nur ein Witz, Herr Laumann.

Wenn wir über den Haushalt reden sollen, muss man feststellen: Arbeitsmarktpolitik findet in Ihrem Haushalt faktisch gar nicht mehr statt. Sie haben nach und nach alle Programme zurückgefahren. Das ist die konkrete Situation. Die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik in NRW ist mit diesem Haushalt endgültig zu Grabe getragen worden.

Die Arbeitslosen und die prekär Beschäftigen, die nicht einmal existenzsichernde Löhne erhalten, sondern auf ergänzende Sozialhilfe angewiesen sind – das sind insgesamt mehr als eine Million Menschen in Nordrhein-Westfalen – haben die Botschaft des Sozialräubers Rüttgers und seines Gesellen Laumann sehr wohl verstanden. Die Forderung nach Mindestlöhnen bleibt natürlich. 7,50 € reichen bei Weitem nicht aus.

Wir brauchen einen öffentlichen Beschäftigungssetzer, denn es wird vielen Menschen nicht die Möglichkeit gegeben sein, wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen. Wir brauchen öffentliche Beschäftigung gerade im Gesundheits- und im Umweltbereich, aber auch in der Altenpflege. In vielen Bereichen kann und muss eine Menge mehr getan werden.

Das Ende der Arbeitslosenberatung, das Schließen der Beratungsstellen infolge des Wegfalls der Landesförderung und damit auch das Ende dieser Arbeitsplätze, ist ein sozialer Kahlschlag. Das drückt die ganze Kälte Ihrer Politik aus.

(Widerspruch von Minister Karl-Josef Lau- mann)

Der Kahlschlag bei den Arbeitslosenzentren ist aus Sicht der Linken völlig unerträglich. Er ist aber auch eine Folge der Hartz-Gesetze von SPD, Grünen, CDU und FDP.

(Dr. Stefan Romberg [FDP]: Nein, nicht die FDP!)

Die CDU bringt es nur auf den Punkt: Sie will nicht fördern, was ihr schadet. Von daher will sie die Hartz-IV-Empfänger möglichst uninformiert lassen. Das ist die konkrete Politik. Es gibt auch Abgeordnete von Ihnen, die das ebenfalls so deutlich ausdrücken.

(Peter Brakelmann [CDU]: Ach Herr Sagel!)

Auch in NRW hat Hartz IV zu einem Flächenbrand geführt. Über eine Million Menschen sind davon betroffen. Dazu zählen vor allem viele Kinder in Nordrhein-Westfalen, nämlich über 500.000. Das sind die Arbeitslosen der Zukunft. Das wird die reale Perspektive dieser Menschen sein. Hier schaffen Sie die Arbeitslosigkeit der Zukunft. Ich kann ehrlich gesagt nicht erkennen, dass Sie einen anderen Weg beschreiten – ganz im Gegenteil: Sie machen es nur noch immer schlimmer. Gemäß Ihrem neoliberalen Motto „Privat vor Staat“

(Holger Ellerbrock [FDP]: Ja!)

setzen Sie auch unvermindert weiter Ihren Rotstift an. Das ist die konkrete Politik, die wir bei der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in NRW erleben.

(Minister Karl-Josef Laumann: Diese Rede glaubt Ihnen nicht einmal Ihre Großmutter!)

Vielen Dank, Herr Kollege Sagel. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr für den Teilbereich Arbeit vor.

Damit kommen wir zum

Teilbereich Gesundheit und Soziales

Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Gebhard.

(Minister Karl-Josef Laumann: Lob mich mal! Das tut mir auch gut!)

– Ich glaube, im Ausschuss machen wir das viel zu oft.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Haushaltsdebatten stehen in den Medien in dem Ruf, die Stunde der Opposition zu sein. Manchmal werden sie sogar als Stunde der Abrechnung bezeichnet. In der Tat ist es meines Erachtens die Pflicht der Opposition, für die Menschen in unserem Land zu überprüfen, ob sich die vielen vollmundigen Versprechungen der Landesregierung im Haushalt wiederfinden oder nicht. Genau das will ich hier und heute tun. Derjenige, dessen Blick nicht durch die schwarze oder gelbe Brille getrübt ist, wird die Dis

krepanz zwischen Reden und Tun unschwer feststellen.

Erstens. Herr Minister, Sie stellen immer wieder heraus, wie wichtig die Arbeit der freien Wohlfahrtspflege und die damit verbundene ehrenamtliche Tätigkeit sind. Wie wir alle wissen, stammen die Zuschüsse des Landes an die in der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossenen Organisationen im Wesentlichen aus Erlösen aus Wett- und Glücksspielen. Die Verbände hängen also von der Höhe dieser Erträge ab.

Bereits zu dem Zeitpunkt, als Sie dafür gesorgt haben, dass die Erträge in den Landeshaushalt eingepflegt wurden, zeichnete sich ab, dass sie kontinuierlich zurückgehen werden. Der nun vorliegende Landeshaushalt bestätigt das, denn er enthält eine Kürzung von fast 500.000 €. Er enthält aber keine Kompensation vonseiten des Landes.

Wie halten Sie es mit Ihren Ankündigungen und Belobigungen der Arbeit der Wohlfahrtspflege, wenn Sie nicht gleichzeitig selber Geld in die Hand nehmen, um zukünftig sicherzustellen, dass die Verbände die Aufgaben, die sie für den Staat subsidiär wahrnehmen, auch tatsächlich erfüllen können?

Zweitens. Herr Minister, Sie bezeichnen die Behindertenpolitik insbesondere auf Veranstaltungen für und mit Behinderten immer als Königsdisziplin der Sozialpolitik. Wenn das in Ihren Augen so ist, frage ich mich, warum sich das nicht im Landeshaushalt wiederfindet. Erzählen Sie uns nicht, Sie hätten den Ansatz für die gesellschaftliche Integration von behinderten Menschen um 800.000 € erhöht. Dieses Argument heben Sie sich bitte für Ahnungslose auf. Das Zusammenführen zweier Titel unter Beibehaltung aller Aufgaben ist nämlich keine Vermehrung von Geld.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wenn Ihnen die gesellschaftliche Integration von behinderten Menschen wirklich wichtig ist, frage ich Sie, warum Sie bei Ihrem Kabinettskollegen Bauminister nicht durchsetzen, dass er mehr Mittel für die Schaffung barrierefreien Wohnens bereitstellt. Warum sorgen Sie bei Ihrem Kabinettskollegen Kinderminister nicht dafür, dass die Anerkennung und damit die Förderung einer Behinderung auch noch nach dem Eintritt in eine Kindertagesstätte erfolgt?

Aus meiner zehnjährigen Tätigkeit als Elternratsvorsitzende einer Kita weiß ich, dass oft erst die Erzieherinnen Eltern darauf aufmerksam machen, dass ihr Kind wohl eine besondere Förderung benötigt, die es abzuklären gilt. Sie sind es, die den Eltern Wege aufzeigen, wo und wie sie Unterstützung erfahren können. Je früher die Kinder Kitas besuchen, desto mehr wird die Feststellung von Behinderungen in vielen Fäller erst nach dem Eintritt in die Kita erfolgen.

Drittens. Herr Minister, im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales haben Sie ausgeführt, dass Sie entschieden der Meinung sind, dass für die Armutsbekämpfung das Sozialministerium eines Landes zuständig ist. Deshalb sei das Landesprogramm „Kein Kind ohne Mahlzeit“ vom Schuletat auf den Sozialetat übergegangen. So ist es auch im Ausschussprotokoll festgehalten. Ich frage Sie: Ist in Ihren Augen die Bekämpfung der Wohnungslosigkeit nicht auch Armutsbekämpfung? Warum haben Sie dann dafür im Sozialetat nicht die Verantwortung übernommen?

(Beifall von der SPD)

Wie konnten Sie es zulassen, dass Ihr Kabinettskollege den kompletten Titel streicht und mit der Ausfinanzierung der bereits bewilligten Projekte in Höhe von 300.000 € den Familienhilfeetat zu drei Vierteln in Anspruch nimmt,

(Widerspruch von Walter Kern [CDU])

also diesen Etat quasi um diesen Betrag kürzt, und somit nur noch ein Viertel für den originären Bereich zur Verfügung steht? Heute Abend werden wir bei der Beratung des Eilantrages ja noch Gelegenheit haben, näher darauf einzugehen.

Mit Verlaub, meine Damen und Herren von CDU und FDP: Dass Sie nach der Anhörung in der letzten Woche zu diesem Thema mit Ihrem Änderungsantrag das Auslaufen dieser Förderung faktisch noch bestätigen, macht mich fassungslos.

Nicht fassungslos, sondern zornig macht mich, dass Ihr oberster Chef öffentlichkeitswirksam die Schirmherrschaft für den Verein „Gemeinsam gegen Kälte“ übernimmt und Sie gleichzeitig die Chuzpe haben, diesen Verein und allen anderen zukünftigen Wohnungslosenprojekten die Förderung komplett zu streichen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann)

Wenn der Ministerpräsident unseres Landes auch nur ein Fünkchen Anstand besäße, würde er entweder seinem Fachminister die Streichung dieser Mittel untersagen oder aber die Schirmherrschaft zurückgeben.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Minister Karl-Josef Laumann: Wir reden gerade über den Haushalt!)

Das ist Sache des Haushaltes. Sie wollen doch die Armutsbekämpfung in Ihrem Haushalt haben. Dann kümmern Sie sich auch um diese Sache.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Schauen Sie sich unseren entsprechenden Änderungsantrag zum Haushalt genau an.

(Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Kommen wir nun zu einem meiner Lieblingsthemen, der Krankenhausfinanzierung.

(Minister Karl-Josef Laumann: Das ist gut so!)

Ja, das finde ich auch; immer wieder gern. – Während die Bundesebene mehr Mittel für die Krankenhäuser bereitstellt, hält die Landesregierung für den Teil, für den sie Verantwortung trägt, nämlich für die Krankenhausinvestitionen, nicht einmal das Niveau des Vorjahres.

Wer nicht mit den anderen Bundesländern nach einem Weg sucht, um mehr Mittel nach NordrheinWestfalen fließen zu lassen, sondern um der Schlagzeilen willen in den heimischen Medien nur auf Konfrontation macht, verhält sich pharisäerhaft. Statt in Berlin die Backen aufzuplustern und das Gegenteil dessen zu erreichen, was Sie vorgeben, erreichen zu wollen, sollten Sie lieber hier in Nordrhein-Westfalen Ihre Hausaufgaben machen.

Zu unserem Bedauern hat der nordrheinwestfälische Finanzminister sich zulasten unserer Kommunen 30 % der Bundesmittel im Rahmen des Konjunkturpaketes II gesichert. Dabei geht es immerhin um 840 Millionen € und zusätzlich 210 Millionen €, die das Land dazutun muss. Eine Reihe Ihrer Kabinettskollegen haben bereits „Hier!“ geschrien.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das können sie immer schnell!)