Protocol of the Session on October 22, 2008

Mitte August fordert Ministerpräsident Rüttgers ein Antirezessionsprogramm. Dabei geht es um Themen wie die Absetzbarkeit der Steuerberatungskosten, also um Themen, die die Menschen in der jetzigen Situation wirklich bewegen.

Mitte September 2008 gibt es den Kollaps bei Lehman Brothers. Zehn Tage später sagt Frau Thoben im Wirtschaftsausschuss, dies alles sei kein Anlass für konjunkturpolitischen Aktionismus.

Herr Rüttgers will ein Antirezessionsprogramm. Und bei Ihnen gibt es überhaupt keinen Anlass, irgendetwas zu tun?! – Das passt doch überhaupt nicht zusammen. Gleichzeitig haut Herr Laumann noch rein und möchte den Autobahnbau forcieren. Ich weiß nicht mehr, welche Linie diese Landesregierung an dieser Stelle vertritt, Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Man kann den Eindruck gewinnen, Herr Ministerpräsident Rüttgers möchte ein Antirezessionsprogramm, in das schlechte Ideen hineinkommen, die andere bezahlen sollen. Und hier soll nichts passieren, weil keine guten Ideen und kein gutes Geld da sind, Kolleginnen und Kollegen. Das passt doch einfach nicht!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich fordere nicht irgendwelche Konjunkturprogramme, aber ich fordere zumindest, dass Sie bei dem, was im Landeshaushalt von Nordrhein-Westfalen passiert, auf die vorhandenen Problemlagen fokussieren. Das aber passiert nicht. Es gibt keine Antworten auf das, was im Moment in Rede steht.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ich habe gerade keine einzige Antwort auf die Situation bei Opel und der Automobilindustrie im Allgemeinen gehört. Nicht eine Antwort zu einer Branche! Nichts dazu, wie es gehen soll.

(Ministerin Christa Thoben: Doch! Sie hören nicht zu!)

Dort wird im Moment für zwei Wochen die Produktion stillgelegt. Das hat Auswirkungen auf die Zulieferindustrie. Frau Thoben hinkt nach wie vor – mittlerweile seit eineinhalb Jahren – mit der Einführung des Automobil-Clustermanagements hinterher. Wir fragen immer wieder nach. Die Ausschreibungsfrist ist vorbei. Demnächst soll es kommen. Das dauert alles ohne Ende, Frau Thoben. Wir brauchen jetzt von Ihnen ein Arbeitsplatzsicherungskonzept zum Beispiel in dieser Branche.

(Beifall von der SPD)

Frau Thoben, Kolleginnen und Kollegen, im Boomjahr 2007 ist die Gründungsintensität in NordrheinWestfalen um über 7 % zurückgegangen. In einem Boomjahr, das darf doch nicht wahr sein!

(Beifall von der SPD)

Die seit fast einem Jahr angekündigten Mikrodarlehenprogramme für Kleinstgründer, deren Beginn vor einem Jahr ausgerufenen worden ist, sind nach mehrmaligem Nachfragen von uns jetzt – vor drei Tagen – auf den Weg gebracht worden. Es ist gut, dass das passiert ist, aber es ist zu spät; es hat über ein Jahr gedauert, Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD)

Die „Ziel-2-Wettbewerbe“ sind kein zusätzliches Konjunkturprogramm, sondern hier geht es um Geld, das zwar eingestellt ist, aber im Moment nicht ankommt. In keinem der Wettbewerbe ist bis zum Ende des ersten Halbjahres 2008 auch nur ein Cent ausgezahlt worden. Das wäre etwas, was wirtschaftliche Entwicklung in Nordrhein-Westfalen positiv begleitet. Aber nichts dergleichen kann man feststellen, Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall von der SPD)

Kommen wir zum Thema „Kreditklemme“! Frau Thoben, ich gebe Ihnen recht: Man darf nichts dramatisieren, was nicht da ist, man darf aber auch nicht weggucken, wenn es denn kommt. Was das Thema Kreditklemme anbelangt, ist es, glaube ich, ein Stück zu kurz gesprungen, immer nur mit den Banken zu reden. Die Kreditklemme betrifft die kleine und mittelständische Wirtschaft. Mit der muss man reden. Wenn man sich die Umfragen zum Beispiel der Verbände „Die Familienunternehmer“ – ASU – und „Die jungen Unternehmer“ – BJU – ansieht, so geben – vor wenigen Tagen veröffentlicht – knapp 20 % an, dass sie die Folgen bei der Versorgung ihres Unternehmens mit Fremdkapital spüren.

Wir müssen zumindest die Sorge haben, dass die Kreditklemme auf die Realwirtschaft übergreift.

Frau Thoben, Creditreform – wahrlich nicht verdächtig, uns besonders nahezustehen – hat eine Umfrage der KfW zitiert: Von den kleinen Unternehmen mit weniger als 1 Million € Umsatz klagt jedes zweite über Probleme, an einen Kredit zu kommen. Dieser Anteil sei etwa drei Mal so hoch – so ist zu lesen – wie bei großen Unternehmen mit mehr als 50 Millionen € Umsatz.

Wenn ich das höre, dann ist es zu kurz gesprungen, nur mit Banken und Großunternehmen zu reden. Dann muss ich die Vertreter des Mittelstandes und der kleinen Wirtschaft auch an den Tisch holen, um zu erkennen, wie es wirklich aussieht.

Noch einmal: Ich will keine Kreditklemme herbeireden, aber man darf die Augen auch nicht verschließen, wenn sie kommt, weil man reagieren muss, wenn eine solche Kreditklemme aufzieht. Reden Sie mit allen. Da Sie das aber nicht tun, sage ich Ihnen jetzt schon: Wir werden im Wirtschaftsausschuss eine Anhörung zu diesem Thema beantragen, um auch die zu Wort kommen zu lassen, die diese Befürchtung haben.

(Beifall von der SPD)

Lassen Sie mich noch einmal auf das vorhin von Ihnen benannte Thema „Emissionszertifikate“ zurückkommen. Damit es noch einmal klar ist: Für die Industrie fordern wir keine Vollauktionierung, sondern nur für die Energiewirtschaft, um zum Beispiel aus diesen Erlösen die energieintensiven Industrien, die es gerade jetzt nicht leichter haben werden, auf dem Weg zu unterstützen, Produktion wirtschaftlich

aufrechterhalten zu können und auf dem Weltmarkt nicht nur mitzuhalten, sondern vorne dabei zu sein.

Wir möchten damit zum Beispiel Wohnungsbausanierungsprogramme und Ähnliches finanzieren. Ihre Haltung, nicht dafür zu kämpfen, dass in NordrheinWestfalen – wenn es 44 % der Emissionen hat und 44 % der Zertifikate bezahlen muss – 44 % des Geldes wieder investiert werden, ist ein Konjunkturprogramm, aber nicht für NRW, sondern für den deutschen Süden, Osten und den Norden, Frau Thoben.

(Beifall von der SPD)

Lassen Sie mich auf einen letzten Punkt zu sprechen kommen. Der Ifo-Geschäftsklimaindex – auch hier darf man den Teufel nicht an die Wand malen, Kolleginnen und Kollegen – für die gewerbliche Wirtschaft hat, was die Geschäftserwartungen angeht, im Monat September seinen tiefsten Stand seit 2001 erreicht. Das sind die Erwartungen und das heißt nicht, dass schon alles dramatisch ist. Man muss jetzt aber aufpassen, damit es nicht dramatisch wird. Man muss jetzt reagieren, dort Schwerpunkte zu setzen, wo es möglich und notwendig ist, Frau Thoben. Das tun Sie nicht.

Ich will Ihnen sagen: Der ifo-Index und auch die Mittelstandsfinanzierung müssen kein Grund sein, in blinden Aktionismus zu verfallen, Frau Thoben. An der Stelle bin ich ganz bei Ihnen. Es darf aber auch nicht dazu führen, dass sich diese Landesregierung schlafen legt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Eiskirch. – Für die CDU-Fraktion erhält Herr Kollege Weisbrich das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Walsken hat vorhin völlig zutreffend festgestellt: Wir stehen vor einer der größten Herausforderungen, die die Politik zu bestehen hat. Wir haben eine weltweite Finanzkrise. Ich frage mich jetzt: Wie gehen wir mit diesem ernsten Sachverhalt um? Was sollen beispielsweise die Zuhörer hier im Saal über die Debattenkultur, die wir bisher erlebt haben, denken?

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Die haben sie noch nicht gehört! – Weitere Zurufe von der SPD)

Worum geht es bei diesem Tagesordnungspunkt? – Herr Eiskirch hat eben einen sehr breiten Aufschlag gemacht. Ich will nicht auf alles eingehen, sondern mich auf wenige Punkte konzentrieren. Es geht zum einen um die Bewertung des Verhandlungsergebnisses in Berlin, zum anderen um die Ursachen der

Krise und Möglichkeiten zur Vermeidung in der Zukunft.

Lassen Sie mich das Verhandlungsergebnis, so wie ich es verstanden habe, bewerten und erklären: Meine Damen und Herren, wer den ersten Entwurf des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes mit der Endfassung vergleicht, die der Finanzminister heute vorgestellt hat, der muss sich die Augen reiben. Ich kann nur sagen: Was der Ministerpräsident und der Finanzminister Linssen innerhalb einer Woche da heraus- bzw. hineinverhandelt haben, ist für Nordrhein-Westfalen ein großartiges Ergebnis, das kaum einer von uns, einschließlich der Opposition und auch unserer Fraktion, für möglich gehalten hätte.

(Beifall von der CDU)

Lassen Sie es mich konzentriert zusammenfassen:

Erstens. Das maximale Risiko des Landes aus dem Fonds ist bei 1,6 Milliarden € gedeckelt.

Zweitens. Bei der Abwicklung des Fonds ist Nordrhein-Westfalen nicht mehr einseitig an einem möglichen Defizit beteiligt, sondern am Schlussergebnis. Der Bundesfinanzminister wollte es anders. Das Schlussergebnis kann durchaus positiv sein, wie das Beispiel Schweden aus den 90er-Jahren zeigt. Es muss nicht sein, dass überhaupt Verluste eintreten.

(Ewald Groth [GRÜNE]: In den Tagen hatten wir auch keine Krise!)

Ein dritter Punkt. Die Lasten für Sparkassen und öffentliche Versicherungen müssen wir künftig nicht mehr allein tragen, wie es der Bundesfinanzminister gewollt hatte, jetzt beteiligt sich der Bund auch hier mit 65 %.

Dann komme ich zu den Lasten für die WestLB und die Zweckgesellschaft, auf die die Risikopositionen der WestLB übernommen wurden: Diese werden vom Land jetzt nur noch entsprechend der eigenen Beteiligung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens, das heißt zu 38 %, getragen. Auch das ist im Vorhinein völlig anders gesehen worden.

Schließlich bedarf die Rechtsverordnung – das hat der Finanzminister schon dargestellt –, die bezüglich Abwicklung und Auflösung des Fonds zu verabschieden ist, nunmehr der Zustimmung der Bundesländer. Der Finanzminister kann jetzt nicht mehr nach dem Motto „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“ verfahren, wie er das an allen Ecken und Enden versucht hat, gerade so, als wäre er niemals Ministerpräsident eines Landes und schon gar nicht von Nordrhein-Westfalen gewesen.

Herr Kollege Weisbrich, darf ich Sie kurz unterbrechen? Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sagel, fraktionslos?

Also, fraktionsloser Abgeordneter, bitte schön.

Bitte, Herr Sagel.

Herr Weisbrich, können Sie mir sagen, in welcher Höhe mit welchen Summen sich die Manager, die an dieser Krise auch verdient haben, und diejenigen, die vorher schon die Milliarden abgezockt haben, beteiligen?

(Ewald Groth [GRÜNE]: Kommen alle ins Ge- fängnis!)

Herr Kollege Sagel, das ist relativ einfach zu beantworten: der eine oder andere mit dem Verlust seines Jobs. Eine Haftung der Sache nach ist nach der geltenden Rechtsordnung nicht durchsetzbar, es sei denn, es ist Fahrlässigkeit oder grober Vorsatz im Spiel gewesen. Das wird in einem Streitverfahren schwer zu beweisen sein. Dieser Punkt ist durchaus diskussionswürdig. Sie wissen, dass nach dem unternehmerischen Leitbild meiner Fraktion der haftende Eigentümer Unternehmer ist. Im Hinblick darauf gibt es sicherlich Verbesserungsbedarf.