Protocol of the Session on February 18, 2015

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Einen anderen Bereich haben Sie bei den ganzen Regelungen komplett außer Acht gelassen - davor haben wir Sie immer wieder gewarnt -, und zwar das ehrenamtliche Engagement. Es gibt durchaus ehrenamtliches Engagement, für das Übungsleiter, für das Menschen, die sagen „Wir machen etwas für unseren Verein, aber ein kleines Dankeschön auch für die Kosten wollen wir schon haben“, eine kleine Anerkennung bekommen haben, die weit unter 8,50 Euro lag, weil es eine Tätigkeit war, die sie eigentlich auch gerne für ihren Verein wahrgenommen haben. Alle diese Menschen werden dies zukünftig nicht mehr tun können, weil die Vereine ihnen jetzt auch diesen kleinen Obolus als Anerkennung für ihre Tätigkeit nicht mehr zahlen können. Damit schaden Sie der Gesellschaft in ganz Deutschland massiv, weil hier eine Ehrenamtskultur gefährdet wird. - Das muss man doch einmal einsehen, und dann muss man auch wieder den Rückwärtsgang einlegen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir haben die Diskussion auch bei den Sportvereinen, bei den Fußballvereinen - natürlich nicht in der Bundesliga; man bekommt ja nicht 8,50 Euro Stundenlohn, wenn man beim FC Bayern München spielt, noch nicht einmal bei Hannover 96, da gibt es ja ganz andere Dimensionen. Aber auch bei dem Fußball, der sozusagen nicht in der hohen Profiliga spielt, hat man den Spielern Entschädigungen und Arbeitsverträge gegeben. Diese Vereine, die natürlich auch mit Leib und Seele dabei sind, trainieren und spielen, kommen jetzt auf einmal bei der Berechnung mit den 8,50 Euro nicht mehr hin. Diese Fußballer agieren quasi nebenbei als Halbprofis. Wie gehen Sie denn jetzt damit um? - Das ist eine sehr gute Frage. Sie ignorieren das Problem für den Sport bei dieser Frage ganz eiskalt. Der Fußball ist Ihnen bei Rot-Grün vollkommen egal, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Besonders gewundert habe ich mich dann aber, als die SPD den Titel dieser Aktuellen Stunde ein

gereicht hat: „Mindestlohn durchsetzen“. Herr Kollege Toepffer hat das wahrscheinlich noch gar nicht erkannt: Es gibt einen neuen Wettbewerb, nämlich Umgehungsmöglichkeiten für die Regeln des Mindestlohns zu finden, zu erfinden und in die Welt zu setzen.

Eine Regelung, bei der Sie ja auch vor Missbrauch Angst gehabt haben, ist, dass Arbeitsentgelte teilweise auch in Form von Kost und Logis ausgehändigt worden sind. Ich habe den Wirtschafts- und Arbeitsminister des Landes Niedersachsen gefragt, wie es denn eigentlich ist, wenn Kost und Logis normalerweise der Gehaltsbestandteil waren, dieser Gegenwert aber nach der Mindestlohnverordnung nicht als Entgelt angerechnet werden darf. Ich habe speziell zur Walz gefragt, Herr Minister, wie es dann bei dieser Tradition wäre. Ich hatte eigentlich gedacht, Sie sagen: Das ist ein traditionelles Kulturgut, hier braucht man eine Ausnahmegenehmigung! - Nein, Sie haben für alle, die Kost und Logis als Arbeitsentgelt haben, eine Lösung gefunden, wie man der Mindestlohnregelung komplett entgehen kann. Sie haben mir am 10. Februar dieses Jahres geantwortet:

„Eine Anrechnung auf den Mindestlohnanspruch ist nicht berücksichtigungsfähig.“

Dann geht es weiter:

„Möglich bleibt aber nach dem Mindestlohngesetz wie für alle Arbeitsverhältnisse die Aufrechnung. Rein rechtlich sind dabei der Anspruch des Arbeitnehmers auf den Mindestlohn und der Anspruch des Logisgebers auf Bezahlung von Kost und Unterkunft zwei getrennte Verträge. Ausbezahlt wird dann der Saldo.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ihr eigener Minister macht mit beim Umgehungswettbewerb!

(Dr. Gero Hocker [FDP]: So ist es!)

Er macht Vorschläge. Man muss ihn nur fragen. - Und Sie sagen hier: Die Regelungen des Mindestlohns müssen durchgesetzt werden!

Liebe SPD, klären Sie einmal Ihr gestörtes Verhältnis zum Mindestlohn! Klären Sie Ihr gestörtes Verhältnis zu Arbeitnehmern und zu Unternehmern! Es sind nicht alles Verbrecher, die in Deutschland Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Es sind Menschen, die sich für die Gesellschaft einsetzen. Das sollten Sie anerkennen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Bode. - Zu Wort gemeldet hat sich Thomas Schremmer, Bündnis 90/Die Grünen. Herr Schremmer, Sie haben das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Toepffer hat es gesagt: Die Einführung des flächendeckenden Mindestlohnes in Deutschland ist aus unserer Sicht ein Meilenstein. Aus meiner Sicht ist es auch richtig, dass wir heute eine Aktuelle Stunde dazu machen. Der freie Fall der Löhne ist gestoppt worden.

In Ihre Richtung, liebe FDP, kann man sagen: Sozial ist eben nicht automatisch, was Arbeit schafft, sondern bei den Niedriglöhnen maximal sozialbürokratisch.

Insofern hilft es vielleicht, noch einmal an die Ausgangslage zu erinnern - auch wenn es manchem wehtut -: 2011 verdienten fast 7 Millionen Menschen weniger als 8,50 Euro in der Stunde, davon 3 Millionen weniger als 6 Euro in der Stunde und 1,8 Millionen weniger als 5 Euro in der Stunde. Das sind ungefähr 800 Euro im Monat. Diejenigen, die Fußball spielen - bei Hannover 96, die das am Wochenende schlecht getan haben, auch mein Lieblingsspieler, der dabei ist -,

(Jörg Bode [FDP]: Wer ist denn das?)

verdienen das in anderthalb Stunden. Ich glaube deswegen, dass man sich mit dem Thema deutlich ernsthafter beschäftigen muss, als Sie es zum Teil hier machen.

Überfällig war die Einführung des Mindestlohnes aber auch, weil die Tarifbindung, die hier so herbeigeschworen wird, massiv gesunken ist. In 14 Jahren ist sie von 76 % auf 60 % gesunken. Im Gegensatz zu unseren europäischen Nachbarländern mit Mindestlohn hat sich Deutschland so zu einem Billiglohnland entwickelt. Wir von Rot-Grün haben dem hier im Parlament entgegengesteuert. Wir haben gemeinsam ein Tariftreue- und Vergabegesetz beschlossen. Das Mindestlohngesetz macht genau da weiter. Als Gewerkschafter kann man dazu sagen: Gut gemacht, SPD!

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, allen Unkenrufen zum Trotz läuft es auf dem Arbeitsmarkt hervorragend. Die letzte Zahl zur Arbeitslosigkeit beträgt 6,7 %. Die Zahl war zuletzt 1992 so niedrig. Also ist die gute Botschaft: Der Arbeitsmarkt bleibt

stabil - und auch mit dem flächendeckenden Mindestlohn, Herr Bode. Da hat sich etwas verbessert.

Die hartgesottenen Kritiker haben wir hier wieder gehört. Sie wollen verlorene Schlachten wiederaufleben lassen - und das vor dem Hintergrund, dass die Massenentlassungen, die Sie schon prophezeit haben, als die Lohnuntergrenzen über das Arbeitnehmerentsendegesetz oder andere tarifliche Regelungen geschaffen worden sind, ausbleiben. Beim Mindestlohn werden sie ausbleiben.

Sie geißeln das jetzt als vermeintliches Bürokratiemonster. Das ist aus meiner Sicht sehr durchsichtig und vorhersehbar. Die CDU im Bund hat innerhalb von nicht einmal drei Wochen, nachdem der Mindestlohn beschlossen war, gesagt, welche Ausnahmen hiervon geltend gemacht werden sollen. Das ist wenig seriös, weil man überhaupt keine Gelegenheit gehabt hat, an dieser Stelle zu evaluieren, was ja auch noch gefordert wird.

Ich finde, die aktuelle Kampagne, die die Arbeitsministerin gestartet hat, wird nach dem Motto gestartet: Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil! - Denn wer so anfängt mit der Kritik, der muss sich nicht wundern, wenn diejenigen, die den Mindestlohn richtig und gut finden, an dieser Stelle das tun, was notwendig ist - nämlich dafür zu werben, dass das eine gute Sache ist.

Ich will noch etwas zu der Frage sagen, was kontrolliert werden muss. Natürlich ist es richtig, dass wir davon ausgehen müssen, dass die Arbeitgeber in aller Regel zumindest an dieser Stelle ihre Arbeitsplätze seriös dokumentieren. Wir wissen aber alle, dass wir im Bereich der Minijobs ein Riesenproblem hatten. Dort wird am meisten mit Arbeitszeiten getrickst. Wenn wir sie von der Dokumentationspflicht ausnehmen würden, wäre überhaupt nichts gewonnen. Deshalb sage ich ganz deutlich: Ein Mindestlohn, der nicht kontrolliert wird, ist komplett wirkungslos. Das würde gar keinen Sinn machen. Insofern bestehen wir darauf, dass an dieser Stelle weiter kontrolliert wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Evaluierung ist auch wichtig. Das ist gar keine Frage. Aber nach ca. drei Wochen zu sagen, dass wir schon evaluieren können und schon wissen, was alles falsch läuft, lässt doch nur einen einzigen Schluss zu: Sie von der CDU haben Silvester in die Glaskugel geguckt und gesagt: Na ja, wir wollten das sowieso nicht. Also fangen wir jetzt an dieser Stelle an, besonders stark zu kritisieren. - Das geht so nicht! Sie müssen schon darauf warten, dass sich Ergebnisse zeigen, die der Einführung des Mindest

lohnes geschuldet sind. An dieser Stelle tun Sie etwas, was Sie eigentlich schon hätten vorher machen können. Warum haben Sie eigentlich diesem Gesetz Ihre Zustimmung gegeben, wenn Sie schon drei Tage nach dem Inkrafttreten des Gesetzes hier wieder herumzetern?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gezeter der Kritiker kann man in diesen Tagen in der Süddeutschen lesen. Ich finde es zusammenfassend treffend beschrieben. Ich zitiere es einmal:

„Wie bei jedem Gesetz mit historischen Ausmaßen gibt es am Anfang allerdings ein paar Kinderkrankheiten. … Das Geschrei deswegen ist groß und verständlich, aber in ein paar Monaten dürfte es damit vorbei sein. … Ein Erfolg wird er“

- der Mindestlohn -

„aber nur, wenn Nahles bei den Kontrollen hart bleibt.“

So lautet aus meiner Sicht das Fazit der Einführung des flächendeckenden Mindestlohnes wie folgt: Die Einführung war überfällig. Der Arbeitsmarkt wird durch ihn wesentlich stabiler. Die Bezahlung der Beschäftigten wird deutlich gerechter.

Wenn Sie schon Zusammenhänge herstellen, dann stelle auch ich einmal einen her: Selbst der DAX steigt im Angesicht des Mindestlohnes auf nie gekannte Höhen. - Insofern: Bleiben Sie eisenhart, Frau Nahles!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Schremmer. - Jetzt liegt eine Wortmeldung des Wirtschaftsministers vor. Herr Minister Lies, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bode, gestatten Sie mir die Bemerkung: Angesichts von 500 000 Beschäftigten in Niedersachsen, die bisher weniger als 8,50 Euro verdient haben, und angesichts von Tausenden von Menschen - gerade rumänische und bulgarische Werkvertragsarbeitnehmer -, die immer noch nicht das Geld bekommen, das ihnen eigentlich zusteht -, hier ein Beispiel vom Fußball zu bringen, finde ich absolut unangemessen und pietätlos. Es

zeigt, wie sehr Ihnen die Beschäftigten hier in Niedersachsen am Herzen liegen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Karl-Heinz Bley [CDU]: Amateurfußball! Hören Sie doch mal zu!)

Übrigens gilt das auch für das Beispiel Ehrenamt. Ich habe schon x-mal beantwortet, dass es dafür nicht gilt. Es hier noch einmal anzubringen, finde ich unangemessen.

Ich will betonen: Zeiterfassung und die Kontrolle von Arbeitszeit sind kein bürokratisches Monster. Wir müssen endlich wieder dahinkommen, dass man in Deutschland für seine Arbeitszeit bezahlt wird und nicht für das, was wir in der Vergangenheit in erheblichem Maße erlebt haben: für irgendein Stückgut, bei dem es am Ende egal ist, wie lange man dafür arbeiten muss. Es ist eine gute Entscheidung: Es muss kontrolliert werden, und zwar zum Schutz der Beschäftigten, aber auch zum Schutz der Betriebe, die sich an die Bedingungen halten, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Christian Grascha [FDP]: Die Klagen aus der Wirtschaft müss- ten doch bei Ihnen ankommen! Oder reden Sie nicht mit der Wirtschaft?)

Deswegen möchte ich der SPD-Fraktion ganz herzlich dafür danken, dass sie uns die Gelegenheit gibt, acht Wochen nach Inkrafttreten des Mindestlohnes noch einmal darüber zu reden, warum wir den Mindestlohn in Deutschland überhaupt eingeführt haben. Der Grund geht in den Diskussionen der letzten Wochen ein wenig unter. Man hat den Eindruck, als sei völlig in Vergessenheit geraten, worum es ging. Dieses Schreckensszenario - so oft habe ich „Bürokratiemonster“ lange nicht mehr gehört. Arbeitszeiterfassung als Bürokratiemonster zu bezeichnen, ist hoch spannend. Übrigens sind in der Aufzeichnungsverordnung die Ausnahmen geregelt.

(Christian Grascha [FDP]: Dann ge- hen Sie doch mal in die vielen kleinen Betriebe, wo das ein Problem ist! Kei- ne Ahnung!)

Bevor man kritisiert, dass es eine Verordnung gibt, sollte man erst einmal in diese Verordnung hineinschauen. Es mag manchmal im Leben hilfreich sein, sich ein bisschen besser zu informieren, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Herr Minister, ich möchte Sie kurz unterbrechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen André Bock?

Nein.