Protocol of the Session on April 27, 2010

Was geschah dort? - Wir haben es vorhin bereits gehört. Die Länderfinanzminister legten eine geniale Berechnung vor, nach der man jetzt nicht mehr 25 Milliarden Euro brauchte, um das 10-%Ziel zu erreichen, sondern plötzlich nur noch 13 Milliarden Euro. Der Trick: Pensionszahlungen für ehemalige Lehrer, Kosten für die Überlassung von Liegenschaften und sogar das Kindergeld für Volljährige wurden bei den Bildungsausgaben mit eingerechnet. Ja, so kommt man natürlich der

10-%-Marke näher, obwohl man nicht einen Deut mehr für wirklich bessere Bildung tut.

Konkrete Beschlüsse zur Bildungsfinanzierung gab es beim zweiten Bildungsgipfel auch wieder nicht. Vertröstet wurden wir auf einen dritten Gipfel im Juni 2010. Das Fazit: Die Kanzlerin ist mit ihren Bildungsgipfeln bisher grandios gescheitert.

Was hat sich aber inzwischen in den Bundesländern, vor allem in Niedersachsen, getan? - Wenn ich mir die Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion ansehe, muss ich sagen: nichts. Bei den Kindergartenplätzen, ganz besonders bei den Krippenplätzen, ist Niedersachsen weiter Schlusslicht. Und da helfen auch keine Modellprojekte im Brückenjahr. Selbst den quantitativen Ausbau des Betreuungsangebots stellt die Landesregierung unter Haushaltsvorbehalt. Von der dringend notwendigen qualitativen Weiterentwicklung ist schon gar nichts zu sehen.

Mehr Mittel für bessere Personalstandards? - Fehlanzeige. Anhebung der Erzieherinnenausbildung auf europäisches Niveau? - Keine Rede davon. Im Gegenteil: Diese Landesregierung steuert nach dem Lehrkräftemangel jetzt auch auf einen Erzieherinnenmangel zu.

Das gleiche traurige Bild im Schulbereich! Zusätzliche Mittel etwa für den Ausbau zu echten Ganztagsschulen? - Keine Rede davon. Im Gegenteil: Der Finanzminister denkt bereits laut darüber nach, wie viele Tausend Lehrerstellen er wohl in den nächsten Jahren streichen kann. Von qualitativen Ansätzen zur Verbesserung der Schulen ist weiter nichts zu sehen. Starrköpfig hält die Regierung lieber an alten und wenig effizienten Strukturen fest.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Mich wun- dert, dass das Wort „Gesamtschule“ noch gar nicht gekommen ist!)

Auch die Antworten im Hochschulbereich sind vielfach nichts als Blendwerk. Fakt ist: Niedersachsen liegt mit einer Studienanfängerquote von 30,6 % weit abgeschlagen auf Platz 13 im Ländervergleich. Von der selbst gesetzten Zielmarke von 40 % sind Sie meilenweit entfernt. Meine Damen und Herren, alle vollmundigen Beschwörungen der offenen Hochschule und des Herabsetzens gesetzlicher Zugangsregelungen nutzen doch wenig, wenn parallel die Hürden zur Aufnahme eines Studiums durch Studiengebühren weiter erhöht werden.

Wenn in Zukunft Masterstudiengänge im Gros nur noch als teure Weiterbildungsstudiengänge angeboten werden, für die kostendeckende Gebühren erhoben werden, ohne dass es zur Finanzierung dieser Gebühren ein eigenständiges Kreditangebot gibt, wird sich die soziale Auslese an dieser Stelle noch einmal verstärken. Von Aufstieg durch Bildung kann da wohl keine Rede mehr sein.

Wenn man die Bildungspolitik der Regierung Wulff betrachtet, muss man zu dem Schluss kommen: In Niedersachsen geht es nicht um Aufstieg durch Bildung, sondern eher um Ausschluss von Bildung.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Korter. - Herr Kollege Klare von der CDU-Fraktion hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Sie haben genau anderthalb Minuten. Herr Kollege Klare!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Damit ich nicht immer dazwischenrufen muss, weil mich die falschen Informationen so sehr aufregen, mache ich jetzt eine Kurzintervention.

(Zuruf von der LINKEN: Sie regen mich auch manchmal auf, Herr Klare!)

Wer auch immer diese Aussage gemacht hat: Den Vorwurf aber zu erheben, dass sich eine Landesregierung an Haushaltsbeschlüsse hält, das kann doch wohl nicht wahr sein!

(Björn Thümler [CDU]: Ziemlich unge- heuerlich!)

Natürlich hält man sich an Haushaltsbeschlüsse. Im Übrigen erinnere ich daran, dass wir im Laufe unserer Regierungszeit die Haushaltssituation um mindestens 1 Milliarde Euro verbessert haben. Das ist ein Ausweis dafür, wie wichtig uns die Bildung ist, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von Wolfgang Jüttner [SPD])

Frau Korter und Frau Heiligenstadt, Sie haben behauptet, die Förderung des Krippenbereichs, die Sprachförderung und die Förderung der Ganztagsbetreuung seien nicht ausreichend gewesen. Als wir die Regierung übernommen haben, gab es in diesen Bereichen gar nichts, meine Damen und Herren. Wir haben damit angefangen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie behaupten jedoch ständig, es sei nichts passiert. Sie sollten einfach einmal die Fakten zur Kenntnis nehmen.

Ich habe mir das schon fast gedacht: Sie sind sich nicht einmal zu schade, eine Statistik zu den Abiturquoten, von der Sie wissen, dass sie nur einen Teilaspekt darstellt, hier zur Diskussion zu stellen. Zu den dort aufgeführten Zahlen kommen viele Hochschulzugangsberechtigte über Fachgymnasien und aus anderen Bereichen hinzu.

(Die Präsidentin schaltet dem Redner das Mikrofon ab)

Herr Kollege Klare, anderthalb Minuten gehen schneller herum, als man glaubt.

(Zuruf von der SPD: Das war nicht viel Information!)

Frau Kollegin Korter, möchten Sie antworten? - Auch Sie haben eine Redezeit von exakt anderthalb Minuten.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Klare, was Sie gesagt haben, war wenig informativ. Sie haben nicht ein einziges meiner Argumente widerlegen können. Das werden Sie auch weiterhin nicht können, weil es stimmt, was ich vorgetragen habe.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herzlichen Dank. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht nun Herr Perli. Bitte schön, Sie haben das Wort.

(Zuruf)

- Wir bitten, von Bewertungen abzusehen, wenn jemand ans Rednerpult geht. Übrigens kann ich einige Stimmen gut identifizieren. Im Laufe der Jahre habe ich einige gut kennengelernt. Ich bitte, dass das jetzt eingestellt wird.

(David McAllister [CDU]: Ich war es nicht!)

Herr Perli, Sie haben das Wort.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Wir sind im- mer noch ein Parlament, Frau Präsi- dentin!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor eineinhalb Jahren fand unter großem Tamtam der Bildungsgipfel in Dresden statt. Schon damals gingen die Bewertungen über die Substanz des Beschlusses weit auseinander. Herr Klare hat uns am 12. November 2008 in einer Aktuellen Stunde mitgeteilt, welches Signal er aus Dresden vernommen habe. Ich zitiere:

„Wir wollen jeden Einzelnen in die Lage versetzen, seine Lebensplanung in eigener Verantwortung gestalten zu können. Jedem müssen unabhängig von seiner Herkunft der bestmögliche Start ins Leben und Aufstieg durch Bildung ermöglicht werden.“

Meine Kollegin Frau Reichwaldt erwiderte damals vollkommen zu Recht, dass für ein solches Ziel die Gipfelstürmer aus den Staatskanzleien das falsche Rüstzeug dabei hatten. Anstatt den Gipfel zu erklimmen und die wirklichen Probleme anzupacken, sei man vielmehr bei einem Picknick im Tal geblieben und habe das Wetter genossen.

Heute können wir mit Blick auf das, was wirklich beschlossen wurde und was seitdem passiert ist, konstatieren, dass die linke Seite dieses Hauses mal wieder klüger war als die rechte Seite.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Die Antworten der Landesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion belegen das eindrucksvoll. Zahlreiche Fragen werden mit einem Verweis auf Maßnahmen und Programme beantwortet, die bereits vor dem Bildungsgipfel bestanden oder geplant waren. Kein Wunder! Schließlich haben die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin nur das beschlossen, was niemandem wehtut und möglichst unkonkret bleibt.

Das vermeintliche Signal aus Dresden, das Herr Klare gehört haben will, nämlich dass jedem unabhängig von seiner Herkunft der Aufstieg durch Bildung ermöglicht wird, verhallte auch in diesem Hause ungehört. Wie sonst ist es beispielsweise zu erklären, dass Sie, die Mehrheit, unseren Antrag abgelehnt haben, sich aufgrund der bestehenden Wissenslücken mit den privaten Kosten des Bildungssystems auseinanderzusetzen?

Die lernende Generation, deren Eltern und die Lehrer müssen leider zur Kenntnis nehmen, dass sich CDU und FDP nicht nur einer Auseinandersetzung über die soziale Schere im Bildungssystem verweigern. Nein, sie sind nicht einmal bereit, die wachsende Ungerechtigkeit zur Kenntnis zu nehmen.

Meine Damen und Herren, in Dresden gab es zwei Beschlüsse, die nicht gänzlich unverbindlich waren. Zum einen ging es um die sogenannte demografische Rendite. Herr Wulff und die anderen Ministerpräsidenten sicherten zu - ich zitiere -: Soweit sich aus der demografischen Entwicklung Ressourcenspielräume ergeben, werden die Länder sie insbesondere zur Verbesserung der Bildungsqualität nutzen. Hintertürchen, wohin man schaut!

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Seit vier Jah- ren!)

Die Ressourcenspielräume sollen lediglich „insbesondere“ und nicht etwa in vollem Umfang zur Verbesserung der Bildungsqualität genutzt werden. Diese Hintertürchen sind das wahre Signal von Dresden, Frau Wanka und Herr Klare. Einen Aufbruch sucht man vergeblich.

(Beifall bei der LINKEN - Karl-Heinz Klare [CDU]: Seit vier Jahren!)

Die Landeregierung hat den Hinterausgang längst beschritten. Sie will Mittel aus dem Bildungsetat nehmen und zum Stopfen von Haushaltslöchern verwenden. Eine solche Politik hat maßgeblichen Anteil daran, dass sich die Krise des Bildungssystems seit Jahrzehnten verschärft. Die Bildungsausgaben wurden von der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abgekoppelt und sind, daran gemessen, stetig gesunken.

Der zweite verbindliche Punkt aus Dresden gibt eine andere Richtung vor:

„Bund und Länder sind sich in dem Ziel einig, dass in Deutschland der Anteil der Aufwendungen für Bildung und Forschung gesamtstaatlich auf 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis zum Jahr 2015 gesteigert wird.“

Eigentlich ein klarer Beschluss, doch anscheinend etwas zu klar. Denn bis heute warten wir auf eine klare Ansage, was dieses Ziel bedeutet und wie die 10 % erreicht werden sollen. Stattdessen gibt es wilde Überlegungen durch Finanzminister Möllring und seine Kollegen, wie man dieses Ziel her

unterrechnen kann, indem man möglichst alle Kosten einbezieht, die nur in der Welt der Finanzminister etwas mit Bildung und Forschung zu tun haben können. Auf diese Weise sollen etwa die millionenschweren Aufwendungen für das als „Forschungsbergwerk“ deklarierte Atommülllager Asse II in das 10-%-Ziel eingerechnet werden; schließlich handele es sich dabei um Ausgaben für die Forschung. Derartiges, meine Damen und Herren, ist an Dreistigkeit kaum noch zu überbieten.