Protocol of the Session on June 17, 2009

- Ich finde es reizend, dass das jetzt schon in Aussicht gestellt wird.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Aber über- fordern Sie uns nicht!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist meine drittletzte Rede. Ich sage das, damit alle wissen, wann sie abschließend für mich applaudieren können, wenn sie mögen.

Es geht um Kinderarmut. Herr Humke-Focks, ich glaube, es ist wirklich zu kurz gesprungen, wenn man sagt, das Alleinheilmittel, um das Problem der Kinderarmut zu lösen, sei eine Umverteilung von oben nach unten.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Dr. Manfred Sohn [LINKE]: „Allein“ hat er nicht gesagt!)

Wir brauchen vielmehr ein Bündel von Maßnahmen. Vollkommen klar ist, dass jedes Kind, das in Armut lebt, ein Kind ist, das zu wenig Chancen hat. Wir wollen den Kindern mehr Chancen bieten. Dafür sind aber sehr viele Dinge notwendig.

Von Frau Helmhold wurde eben vollkommen zu Recht angesprochen, dass man völlig andere Kinderregelsätze im SGB II braucht. Darüber sind wir uns einig. Die FDP-Fraktion hat übrigens als Erste im Bundestag diese Forderung erhoben. Wir hatten dazu eine Bundesratsinitiative. Es gab auch einen Gesetzentwurf - darauf bin ich schon im September eingegangen -, den ich gut fand, der aber keine Mehrheit gefunden hat. Es ist vollkommen klar, dass wir hier eine Änderung brauchen. Das ist aber etwas, was auf Bundesebene geschehen muss.

Das ist nur eine Facette der Maßnahmen, die notwendig sind. Frau Helmhold, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir dieses Jahr im Haushalt Mittel ausgewiesen haben, die u. a. speziell für Lernmittel eingesetzt werden können, solange die Regelsätze nicht verändert sind. Auf Bundesebene gab es bereits Berechnungen, nach denen ungefähr 140 Millionen Euro pro Jahr notwendig wären, um die Kinder bei besonderen Bedarfen, z. B. zu Schulbeginn, besser auszustatten. Das ist also etwas, was auf Bundesebene passieren muss.

Auf Landesebene haben wir, wie aufgeführt wurde, viele Maßnahmen in Angriff genommen. Uns wurde bescheinigt, dass wir uns auf jeden Fall auf dem richtigen Weg befinden. Vor der aktuellen Wirtschaftskrise ist die Armut zurückgegangen.

Das heißt natürlich nicht, dass alles gut ist. Wir müssen weiterhin alles tun, um Kindern aus Armut

herauszuhelfen. Jedes Kind braucht eine Chance, gesund aufgezogen und behütet zu werden, um sich dann nach seinen Möglichkeiten vernünftig und gut entwickeln zu können.

Dafür brauchen wir sowohl Elternbildung als auch Unterstützung von Eltern. Ich habe immer wieder das Modellprojekt PiAF in Alfeld im Landkreis Hildesheim genannt. Das funktioniert hervorragend. Es ist eine Vernetzung sämtlicher Akteure, die sich um Kinder und um Familien in prekären Situationen kümmern, und greift wirklich gut. Es ist aber ein Modellprojekt, das noch erprobt wird. Wir werden dann sehen müssen, welche Rückschlüsse wir daraus für eine landesweite Einführung ziehen.

Wir brauchen natürlich auch Mittagessen für Kinder. Wir können es nicht dulden, dass Kinder mit knurrendem Magen in der Schule sitzen. Das ist vollkommen klar. Wer nicht satt und nicht gesund ist, kann auch nicht lernen. Darum sind wirklich alle diese Initiativen erforderlich.

Wir haben auch das Programm „Familie mit Zukunft“ angeführt, weil es bei diesem Programm nicht nur um Tagespflege geht, sondern weil damit auch soziale Brennpunktarbeit unterstützt werden kann. Diese Möglichkeit haben wir ganz bewusst hineingenommen, und sie wird auch genutzt.

Sämtliche Programme, die wir aufgezählt haben, sind nachweislich gute Programme, die greifen und Kindern in Armut helfen, ein besseres Leben führen zu können.

Darum bitte ich Sie sehr, unseren Antrag zu unterstützen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Zu einer Kurzintervention hat sich Frau Helmhold von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gemeldet. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Meißner, ich möchte nur richtigstellen, dass der Rückgang der Armut, auf den Sie eben abgestellt haben, lediglich etwas mit statistischen Effekten zu tun hat. - Sie nicken. - Die Armut ist also nicht real zurückgegangen, sondern die Veränderung beruht nur darauf, dass andere statistische Methoden angewendet worden sind. Das ist quasi nur ein

virtueller Rückgang der Armut. Den Betroffenen geht es nicht besser; sie haben nicht einen Euro mehr.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Meißner möchte gerne erwidern. Bitte!

(Heidemarie Mundlos [CDU]: Stell das einmal richtig!)

Frau Helmhold, der Rückgang von Armut im vergangenen September, als wir das erste Mal darüber gesprochen haben, ergab sich tatsächlich aufgrund einer anderen statistischen Berechnung. Wir haben uns deswegen ja zu Recht im Sozialausschuss erläutern lassen, wie Armut berechnet und definiert wird, damit wir die gleiche Grundlage haben.

Trotzdem gab es schon andere Vergleiche, nach denen die Armut zurückgegangen ist. Das ist zwar immer noch nicht gut, wir sind aber mit den Programmen, die wir für Kinder haben und auch dafür, Menschen in Arbeit zu bringen, auf dem richtigen Weg.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, nächster Redner ist Herr Böhlke für die CDU-Fraktion. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird in seiner Ursprungsfassung von uns abgelehnt, weil er die Bestrebungen und Anstrengungen der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen von CDU und FDP sehr subjektiv und, wie wir meinen, unzutreffend bewertet. Es überrascht deshalb nicht, dass wir einen Änderungsantrag eingebracht haben, der diesem Thema nach unserer Auffassung deutlich gerechter wird. Wir wollten auf keinen Fall eine schlichte Ablehnung des Grünen-Antrages, weil das natürlich ein falsches Signal nach außen wäre.

Meine Damen und Herren, Armut von Kindern ist auch immer Armut von Familien. Armut ist ein sprachlich geläufiger Begriff, dessen genaue wissenschaftliche Definition aber alles andere als einfach ist. Wer ein Einkommen unterhalb von 50 % des verfügbaren Durchschnittseinkommens

erzielt, gilt als relativ arm. In unserer Gesellschaft gilt Armut als mangelnde Möglichkeit der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Es wird vorausgesetzt, dass gewisse Grundbedürfnisse gedeckt sind, dass dies aber nicht dazu führt, vollständig am sozialen Leben mit all seinen vielen Facetten wie Bildung oder auch Freizeitaktivitäten teilzuhaben.

Wenn der Kollege Humke-Focks von „bitterer Armut“ spricht, dann mache ich deutlich, dass man sehr genau differenzieren muss, wenn man solch einen Vortrag hält. Ich will darauf hinweisen, dass es eine ganze Reihe von Kindern gibt, die zwar in materiellem Wohlstand leben, denen aber Zuneigung, Zuwendung, Liebe und Zeit fehlen. Auch diese Kinder sind recht arm dran.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Finanzielle Armut ist sicherlich ein wichtiger und relativ einfach zu messender Indikator. Aber letztlich geht es um mehr: Es geht um Lebens- und Verwirklichungschancen.

Unstrittig scheint mir zu sein, dass diese Situation nicht eine einzige, sondern eine Vielzahl verschiedener Ursachen hat, die über Jahrzehnte zusammengewirkt haben. Das Problem ist komplex und gesamtgesellschaftlicher Art. Es lässt sich nicht eindimensional lösen, sondern es fordert die Aktivität aller gesellschaftlich relevanten Kräfte, zu denen natürlich auch die Politik gehört.

Für die CDU-Landtagsfraktion hat die Bekämpfung der Armut große Bedeutung. Jedes Kind, das in sozial schwachen Verhältnissen aufwächst und dadurch Nachteile erleiden könnte, ist eines zu viel. Wir wollen kraftvoll mit dafür sorgen, dass diese Kinder nicht um ihre Lebens- und Verwirklichungschancen gebracht werden.

In der Vergangenheit war unser zentrales Anliegen, die Chancengleichheit unserer Kinder zu gewährleisten. Dieses Anliegen gilt auch für die Zukunft. Deshalb möchte ich noch einmal unterstreichen: Kinderarmut zu bekämpfen bedeutet zuallererst, die Lebenssituation der Eltern, auch der alleinerziehenden Eltern, zu verbessern.

Aus diesem Grunde heben wir in unserem Änderungsvorschlag auch hervor, dass wir in den vergangenen Jahren eine Reihe von Maßnahmen umgesetzt haben, um Familien, die von Sozialtransferleistungen abhängig sind, zu unterstützen.

(Zustimmung bei der CDU)

Hier hat die Landesregierung, hier hat unsere Sozialministerin beachtliche Leistungen vollbracht. Ich nenne beispielhaft das 100-Millionen-EuroProgramm „Familie mit Zukunft - Kinder bilden und betreuen“. Mit diesem Programm und mit der zwischen dem Bund und den Ländern vereinbarten Erhöhung der Betreuungsquote unter dreijähriger Kinder auf 35 % bis zum Jahre 2010 helfen wir Eltern, Beruf und Familie miteinander zu verknüpfen. Zudem bieten wir in Niedersachsen ein beitragsfreies letztes Kindergartenjahr an.

(Zustimmung bei der CDU)

Die Jüngsten profitieren von einer qualifizierten Betreuung; diese ist faktisch umgesetzt. Ich möchte auch daran erinnern, dass Kinder mit Sprachschwierigkeiten unter dieser Landesregierung frühzeitig eine Chance auf gute Bildung haben. Jungen und Mädchen mit Migrationshintergrund bzw. aus benachteiligten Familien wird ab dem dritten Lebensjahr in den Kindertagesstätten von zusätzlichen Fachkräften Sprachunterricht erteilt. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung für ihre Entwicklung.

Frau Kollegin Helmhold, da Sie uns immer kritisieren, muss ich an dieser Stelle auch einmal sagen: Dort, wo Sie politische Verantwortung tragen - beispielsweise in der Hansestadt Bremen, wo RotGrün regiert -, ist die Situation deutlich schlechter als bei uns im Lande Niedersachsen.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das liegt aber nicht an uns! - Helge Limburg [GRÜNE]: Da haben auch Sie mal re- giert!)

Da muss man also sehr deutlich differenzieren.

Das Ganze ist, wie ich eingangs schon sagte, also kein lokales Problem, kein Problem, mit dem wir ausschließlich in Niedersachsen konfrontiert wären. Dieselben Entwicklungen sind bundesweit zu verzeichnen. Es sollte unsere gemeinsame Aufgabe sein, darauf zu reagieren.

Ich will ein weiteres Beispiel nennen. Mit dem „Bündnis für Kinder“ leisten die Landesregierung, die Kirchen, die Kinderschutzverbände und viele andere gesellschaftliche Gruppen einen wichtigen Beitrag zur Förderung von benachteiligten jungen Menschen. Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch unsere Landesstiftung „Familie in Not“, die ausdrücklich die Zielgruppe „benachteiligte Kinder“ betreut.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir haben schließlich auch die Aufgabe, auf die Bundespolitik einzuwirken. In unserem Änderungsvorschlag machen wir deutlich, dass wir sicherstellen wollen, dass künftig eine verbesserte kinderspezifische Hilfe angeboten wird. Hier, in einem föderalen Rechtsstaat, ist auch die Bundesregierung gefordert.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch daran erinnern, dass nach unserer Auffassung die Bemessungsgrößen nach dem SGB XII neu festgelegt werden sollten. Dabei sind auch die Aufwendungen für Mittagsverpflegung und Ganztagseinrichtungen sowie für den besonderen Schulbedarf zu berücksichtigen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren - ich hätte beinahe noch gesagt: liebe Kinder -,

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Der Mär- chenonkel erzählt!)