Protocol of the Session on May 12, 2009

Herr Wenzel, Sie können mir glauben, dass ich die Aussagen und Proteste der Eltern so ernst nehme wie wir alle. Aber ich merke auch, dass viele Eltern falsch oder nur halb informiert sind. Mit diesen Debatten und Informationen - nicht Sie persönlich, aber andere - tragen Sie dazu bei. Dabei verfolgen Sie das Ziel, Eltern für Ihre parteipolitische Kritik zu instrumentalisieren. Dies lassen wir nicht zu; das sage ich Ihnen in aller Klarheit.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, das Neustädter Modell ist vom Herrn Bundespräsidenten als Hauptschule mit dem besten Berufsvorbereitungskonzept Deutschlands ausgezeichnet worden. Ich freue mich sehr, dass heute der Leiter der KGS Neustadt, Herr Dowerk, und der Leiter der BBS Neustadt, Herr Marsch, mit zwei Mitarbeitern bei uns

sind. Ihnen gratuliere ich an dieser Stelle ganz herzlich für diese besondere Auszeichnung und wünsche Ihnen weiterhin alles Gute bei Ihrer großartigen Arbeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP und Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir haben uns dieses Modell angeschaut. Auch unsere Ministerin war dort. Ich kann nur sagen: Jedes Mal, wenn wir dort sind, sind wir aufs Neue begeistert. Mit dem Neustädter Modell erlangen die Schülerinnen und Schüler der Hauptschule und der Realschule eine Doppelqualifikation. Sie erwerben einerseits alle Abschlüsse der allgemeinbildenden Schule und erhalten andererseits gleichzeitig am Ende der Klasse 10 ein Zertifikat für ein bestandenes Berufsgrundbildungsjahr, also für das erste Ausbildungsjahr. Was die Neustädter machen, ist das Ergebnis eines fast einmaligen eindrucksvollen Konzepts auf der Grundlage einer absoluten Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung. Dies ist die Zukunft, und das streben wir übrigens auch mit dem Schulgesetz an, über das wir nachher beraten werden.

Die Schülerinnen und Schüler der Hauptschule werden bis zur 8. Klasse ganz normal unterrichtet. In den 9. und 10. Klassen wird etwa ein Drittel des Unterrichtes genutzt, um berufliche Qualifikationen zu vermitteln. Diese berufliche Grundbildung wird in den Werkstätten der Berufsbildenden Schule in Neustadt in der Regel durch Fachpraxislehrer vermittelt und findet in den vier Schwerpunkten Holz, Metall, Körperpflege und Ernährung statt. Das offene Geheimnis - wenn ich das so sagen darf - ist: Alle Beteiligten arbeiten dort in großer Gemeinsamkeit.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Herr Klare, Sie haben es doch als erfahrener Gewährsmann nicht nötig abzulesen!)

Das sind die Schulen, die Ausbildungsbetriebe, die Handwerkskammern, die IHK, die Eltern, die Schulträger und die Bundesanstalt für Arbeit.

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Das nennt man Vorlesen! - Christa Reich- waldt [LINKE]: Er liest nur ab!)

Meine Damen und Herren, das ist ein großartiges Ergebnis. Alle Schülerinnen und Schüler - es gibt nur ganz wenige Ausnahmen - erhalten einen Schulabschluss. Sie erhalten zusätzlich einen Ausbildungsvertrag für das zweite Ausbildungsjahr. Man mag ja hier und da immer wieder über unmo

tiviertes Verhalten von Schülern reden, vielleicht besonders an Hauptschulen und besonders in den letzten Klassen. In Neustadt erleben wir etwas ganz anderes: hoch motivierte Schüler, voll an der Schule und an der Sache interessiert, erfolgreich, begeistert bei ihrer Arbeit und - meine Damen und Herren, Sie müssen es selbst erleben - mit Stolz in den Augen, wenn sie über ihre Arbeit berichten. Ich sage Ihnen das auch als ehemaliger Hauptschullehrer und Leiter einer Hauptschule: Man muss das erleben. Es ist wirklich eine Freude, diese jungen Menschen bei ihrer schulischen Arbeit zu sehen.

Das steht im Übrigen in einem völligen Gegensatz zu dem, was hier in Endlosdebatten von Ihnen aus der Opposition immer wieder über die Hauptschulen gesagt wird: Ständig kommt dieser Schwanengesang auf die Hauptschulen, ständig gibt es Debatten über null Perspektive, über Hauptschüler als Restschüler - was auch immer. Was würden wohl gerade die Schüler in Neustadt denken, wenn sie das hören würden, was Sie immer wieder sagen, wie Sie eine Schule in Grund und Boden reden, die für diese Schüler eine Berufsperspektive und damit eine Lebensperspektive bietet?

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, das Neustädter Modell ist übrigens ein Modell mit vielen weiteren guten Konzepten zur beruflichen Bildung. Es ist auch an anderen Hauptschulen ganz besonders gut und erfolgreich. Ich weise darauf hin, dass andere Hauptschulen ebenfalls sehr gute Konzepte zur beruflichen Orientierung haben. Deswegen wollen wir mit unserem Gesetzentwurf, den wir heute noch einbringen, erreichen, dass das Neustädter Modell überall da eingerichtet werden kann, wo Schulen und Schulträger dies gerne möchten und die entsprechenden Bedingungen erfüllt sind.

Meine Damen und Herren, die Erfolge des Modells sind sehr genau dokumentiert. Sie können genau nachlesen, dass fast alle Schüler einen Abschluss und eine Doppelqualifikation erreichen. Ich kann nur hoffen, dass Sie diese hervorragenden Ergebnisse des Neustädter Modells beachten und sich auch daran erfreuen. Wenn Sie dieses Modell trotzdem schlechtreden, weil Sie Argumente für Ihre Einheitsschule konstruieren wollen, dann tun Sie mir - das darf ich als Pädagoge aus dem Herzen so sagen - wirklich leid. Wir wollen viele „Neustadts“ und damit viele neue Chancen für unsere Kinder.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Bevor ich Frau Korter das Wort erteile, möchte ich auch Sie, Herr Kollege Klare, auf § 49 Abs. 4 unserer Geschäftordnung hinweisen. Wir haben andere daran erinnert und möchten auch Ihnen diese Erinnerung angedeihen lassen.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Ich konnte das auswendig! Ich habe das verin- nerlicht!)

Frau Korter, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Klare, es wäre schön, wenn alle Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen mit leuchtenden Augen von ihrer Schule sprechen würden und nicht nur die in Neustadt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Karl- Heinz Klare [CDU]: Das wäre es! Aber Sie machen sie schlecht!)

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, seit mindestens sechs Jahren reden Sie jetzt von der Stärkung der Hauptschulen, allerdings mit dem Erfolg, dass trotzdem immer weniger Schüler die Hauptschule besuchen. Jetzt glauben Sie, Sie hätten den Schlüssel gefunden, mit dem Sie das gegliederte Schulsystem noch aufrechterhalten und retten können: das Neustädter Modell. Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, damit tun Sie den Neustädtern keinen Gefallen.

Ich freue mich - das sage ich ausdrücklich -, dass es wieder eine Gesamtschule geschafft hat, eine bundesweite Auszeichnung für engagierte Arbeit zu erhalten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - David McAllister [CDU]: Eine kooperative! - Karl-Heinz Klare [CDU]: Das ist eine andere, als Sie sie wollen!)

Dieser Kooperativen Gesamtschule Neustadt ist es nämlich gemeinsam mit einer berufsbildenden Schule gelungen, die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die Schule nach der 10. Klasse ohne Abschluss verlassen, ganz deutlich zu reduzieren - nämlich auf null.

Frau Korter, Herr Klare möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

Er hat gerade Redezeit gehabt. - Aber gehört es nicht zur Ehrlichkeit dazu, meine Damen und Herren von CDU und FDP, dann auch zu sagen, dass die Schülerinnen und Schüler, die in die 10. Klasse gegangen sind, alle schon einen Hauptschulabschluss hatten? Ansonsten wären sie nämlich gar nicht in die 10. Klasse gekommen. Also kann die Erfolgsquote in diesem Bereich ja nur bei null Abgängern ohne Abschluss liegen.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das ist auch wieder falsch! - Jörg Bode [FDP]: Wa- ren Sie eigentlich jemals bei der KGS in Neustadt?)

Aber mit den Statistiken, Frau Heister-Neumann, hat ja schon Ihr Amtsvorgänger, Herr Busemann, sein Problem gehabt. Bevor Sie hier das Neustädter Modell als Modell für ganz Niedersachsen propagieren, meine ich, sollten Sie so ehrlich sein und mit uns über die konkreten Bedingungen dieses Modells reden. Eine wesentliche Grundlage ist nämlich, dass die Schülerinnen und Schüler bei diesem Modell mindestens 35 Stunden Unterricht pro Woche erhalten. In Neustadt sind es nach meiner Kenntnis sogar 39 Stunden. Wenn Sie dieses Modell landesweit einführen wollen, brauchen Sie mindestens 700 zusätzliche Fachpraxislehrerinnen und -lehrer - die GEW spricht von 1 100. Die Debatte über die Unterrichtsversorgung haben Sie sicherlich noch im Ohr. Sie werden uns bestimmt gleich sagen können, wie Sie das finanzieren und woher Sie diese Lehrkräfte bekommen wollen. Wir wären froh - das sage ich ausdrücklich -, wenn Sie diese hervorragende Unterrichtsversorgung auch allen anderen niedersächsischen Schulen angedeihen lassen würden.

(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Eine weitere Bedingung für das Gelingen des Neustädter Modells ist, dass sich KGS und berufsbildende Schule weitgehend am gleichen Ort befinden. Bei vielen Hauptschulen in Niedersachsen ist das aber nicht der Fall. Herr Kollege Thümler, unsere Hauptschulen in der Wesermarsch liegen zig Kilometer weit von den berufsbildenden Schulen entfernt. Die zusätzlichen Fahrtkosten und Fahrtzeiten, die dabei entstehen - die Fahrtkosten werden die Kommunen sicherlich „gerne“ übernehmen; ich erwähne in diesem Zusammenhang nur das Stichwort Konnexität -, spielen bei Ihnen offensichtlich keine Rolle.

Das Neustädter Modell ist auch nur auf einige wenige Berufsfelder beschränkt, die die jeweilige kooperierende berufsbildende Schule anbieten kann. Das sind aber nicht immer die Felder bzw. die beruflichen Schwerpunkte, die sich die Schülerinnen und Schüler aussuchen würden, die für sie infrage kommen. Deshalb kann das Modell nicht landesweit ausgedehnt und für jede Schule vorgeschrieben werden.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das will doch auch gar keiner!)

Das haben Sie, Herr Klare, ja auch richtig erkannt: Auf freiwilliger Basis kann man das durchaus machen. Aber dann müssen Sie auch sagen, was sie alles dazu brauchen.

Ein letzter Punkt dazu: Verschweigen Sie bitte nicht, dass die Schülerinnen und Schüler aufgrund der Hausaufgaben, der 35 Wochenstunden und längeren Fahrzeiten ab Klasse 9 mindestens 40 Wochenstunden haben werden. Ich erinnere nur an die Diskussionen zu den Themen Klasse 9, Turboabitur und Unterrichtsbelastung.

(Ulf Thiele [CDU]: Genau wie in der Ausbildung ein Jahr später!)

Für einige Schülerinnen und Schüler ist das Neustädter Modell sicherlich sehr hilfreich und eine sehr gute Alternative. Wenn Sie aber glauben, dass Sie damit die Diskussion um die Hauptschulstruktur und die Zukunft der Hauptschulen vom Tisch haben, dann haben Sie sich gründlich getäuscht. Das Neustädter Modell soll nicht ohne Grund nur auf freiwilliger Basis eingerichtet werden. Für mich ist klar: Sie haben dieses Thema heute nur auf die Tagesordnung gesetzt, um die Ministerin von dem Druck auf ihre Schulpolitik zu entlassen - ich meine „entlasten“; das war ein Freudscher Versprecher -, der aufgrund ihrer Schulpolitik besteht. Das ist ein Ablenkungsmanöver.

(Jörg Bode [FDP]: Was für ein Druck? - Karl-Heinz Klare [CDU]: Sie gönnen denen nicht den ersten Platz! Weil ei- ne Hauptschule mal gut ist!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Klare, das wird Ihnen nicht gelingen. Ihr Entlastungsversuch geht mit dieser Aktuellen Stunde deshalb gründlich nach hinten los, weil dabei ganz klar wird: Sie trauen sich nicht, eine zukunftsweisende Entscheidung zur Schulstruktur, zur Zukunft der Hauptschulen zu treffen. Sie haben sich mit diesem freiwilligen Modell wieder darum herumgedrückt.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das machen wir doch heute Nachmittag!)

Sie haben kein Konzept, wie es mit den Hauptschulen in Niedersachsen weitergehen soll, weil sich Ihr Ministerpräsident, Ihre Kultusministerin und Sie sich nicht trauen, gegen die mächtige Philologenlobby und die Gymnasiallobby aufzustehen und zu sagen: „Wir brauchen ein anderes Schulsystem“. Das hat diese Aktuelle Stunde gezeigt. Seit sechs Jahren doktern Sie an dem Problem herum. Es wird Ihnen nicht gelingen, darüber hinwegzutäuschen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD - Karl-Heinz Klare [CDU]: Sie wollen die Realität nicht sehen! - David McAllister [CDU]: Sie wollen nicht, Sie können nicht, so sind Sie! - Gegenruf von Heiner Bart- ling [SPD]: Vorsicht!)

Die nächste Rednerin ist Frau Reichwaldt von der Fraktion DIE LINKE. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich gestern die Mitteilung las, dass die CDU das Neustädter Modell zum Thema der Aktuellen Stunde machen will, war ich, ehrlich gesagt, nicht besonders überrascht.

(David McAllister [CDU]: Wir sind gut!)

Das hört sich an wie eine Steilvorlage: Ein Modellprojekt ist als beste Hauptschule Deutschlands ausgezeichnet worden.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Dass Sie dieses Stöckchen begierig aufgreifen, um Ihren drängenden Schulproblemen abzulenken, war keine Überraschung.

(Zustimmung bei der LINKEN - Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Man muss auch mal gönnen können!)

Ich denke, die Auszeichnung steht für einen Teil des Problems. Die Kooperative Gesamtschule Neustadt am Rübenberge hat die Auszeichnung „Starke Schule“ erhalten, weil sie am besten auf die Ausbildung vorbereitet. Meine Damen und Herren, erinnern Sie sich noch an den Zwischenbericht der Schulinspektion vom letzten Dezember, den wir hier debattiert haben? Dabei wurde ganz