Erste Beratung: Zukunft der hausärztlichen Versorgung in Niedersachsen - Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 16/617
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gesundheit ist für uns alle existenziell. Daher ist ein leistungsfähiges und humanes Gesundheitswesen ausgesprochen wichtig.
Ich schicke vorweg: Wir in Deutschland können uns trotz aller immer wieder anklingenden Kritik, die sicherlich zum Teil auch berechtigt ist, glücklich schätzen, ein im internationalen Vergleich hervorragend ausgebautes, solidarisches Gesundheitssystem zur Verfügung zu haben. Im deutschen Gesundheitssystem arbeiten rund 4,2 Millionen Menschen. Demnach verdient jeder zehnte Erwerbstätige sein Geld im Gesundheitssektor. Es gibt noch eine Besonderheit: Die Gesundheitsbranche ist der Arbeitsmarkt der Frauen. Rund 3 Millionen Erwerbstätige in diesem Bereich sind weiblichen Geschlechts.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, 240 Milliarden Euro werden in Deutschland jährlich für die Gesundheit ausgegeben. Das entspricht einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von etwa 11 %. Angesichts des medizinisch-technischen Fortschritts müssen aber auch die Rahmenbedingungen für das Gesundheitswesen ständig angepasst und weiterentwickelt werden.
Insbesondere der demografische Wandel macht es notwendig, dass wir uns frühzeitig mit der Sicherung der ärztlichen Versorgung auch hier bei uns in Niedersachsen befassen. Ich halte fest: Wir haben in Niedersachsen das Thema frühzeitig aufgegriffen. Auf Antrag der Fraktionen von CDU und FDP wurde eine Enquetekommission eingesetzt, die einen Bericht vorgelegt hat. Wir haben uns mit diesem Bericht und den darin geforderten Konsequenzen intensiv auseinandergesetzt. Dazu gehört neben frühkindlicher Bildung die Frage, wie wir dafür Sorge tragen werden, dass unsere Menschen auch in Zukunft entsprechend hausärztlich versorgt werden können.
Viele Institutionen haben sich inzwischen dieses wichtigen Themas angenommen und sich positioniert. Ich greife nur eine Gruppierung heraus, die sich mustergültig und vorbildlich eingebracht hat: Die niedersächsischen Landfrauen haben frühzeitig gesagt, hier müsse man aktiv werden.
trag zuerst einmal der Kassenärztlichen Vereinigung gesetzlich zugewiesen ist. Festzuhalten ist, dass die Kassenärztliche Vereinigung diesen Versorgungsauftrag ausgesprochen ernst nimmt. Aber Politik darf sich bei dieser Thematik nicht einfach zurücklehnen und sich schon gar nicht auf Kompetenzdiskussionen zurückziehen; vielmehr muss sie ihre Verantwortung für die Menschen im ländlichen Raum wahrnehmen und sich für sie einsetzen. Das ist der Grund für diesen Antrag.
Wir wollen mit diesem Thema aber auch sehr sensibel umgehen. Deshalb füge ich ausdrücklich hinzu, dass wir über eine große Anzahl von gut ausgebildeten und qualifizierten Ärzten verfügen
und dass es derzeit in keinem Planungsbereich eine hausärztliche Unterversorgung gibt, die uns ganz besonders umtreiben müsste. Aber wir müssen schon heute daran denken, was zu tun ist, um die hausärztliche Versorgung von morgen sicherzustellen, da hierfür längerfristige Vorkehrungen erforderlich sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Weitsicht hat unsere Sozialministerin unter Beweis gestellt, indem sie einen runden Tisch eingerichtet hat, der darüber nachdenkt, welche Konzepte entwickelt werden können, um hier nachhaltig zu helfen.
Als besonders positiv hebe ich hervor, dass man sich dem Problem der Altersgrenze bei Medizinern, die derzeit bei 68 Jahren liegt, gestellt und sich dafür ausgesprochen hat, dass diese Grenze aufgehoben wird. Menschen sind heute im Alter fitter als früher; das trifft auch auf die Mediziner zu. Das, was hier auf Bundesebene geleistet wurde, ist grundsätzlich positiv zu bewerten.
Die hausärztliche Versorgung in Niedersachsen sicherzustellen, bedarf eines koordinierten Vorgehens aller Akteure und aller politischen Ebenen.
Die Ansätze sind vielfältig: Förderung der medizinischen Ausbildung, Werbung für und Unterstützung von Praxisneugründungen und -übernahmen, sektorübergreifende Kooperationen verschiedener medizinischer Leistungserbringer, Förderung der familienfreundlichen Arbeitswelt für Mediziner auf dem Lande - hier ist insbesondere für Frauen eine Perspektive zu sehen - und Projekte zur Delegation ärztlicher Aufgaben.
Diese Auflistung ist beispielhaft. Einiges hat sich in anderen Bundesländern bereits bewährt, einiges ist auch gemäß der Rechtslage bundeseinheitlich möglich. Wir stellen heute einen Prüfungsauftrag an die Landesregierung und möchten, dass festgestellt wird, mit welchen Maßnahmen die hausärztliche Versorgung nachhaltig gesichert werden kann, und beantragen, dass ein Konzept vorgelegt wird, um weiteres Handeln möglich zu machen. Wir sind davon überzeugt, dass unser heutiger Entschließungsantrag einen wesentlichen Baustein zur Lösung des Problems darstellt, dass wir also ein Problem, das sich morgen stellen könnte, bereits heute angehen. Deshalb freue ich mich auf eine zukunftsorientierte Beratung im Ausschuss.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die wohnortnahe Versorgung im Krankheitsfalle auch zukünftig sicherzustellen, ist eines der wichtigsten Themen unserer Tage. Eben wurde schon auf die Enquetekommission „Demografischer Wandel“ hingewiesen, die aufgezeigt hat, wo wir in Zukunft trotz einer kleiner werdenden Zahl von Menschen Hausärzte brauchen werden.
Die Kassenärztliche Vereinigung, die bei uns die Zuweisung vornimmt, hat in Niedersachsen 44 Planungsbereiche. Im Hinblick auf diese Bereiche wird von einer Vollversorgung gesprochen, wenn es, bezogen auf das Soll, 100 % Ärzte einer bestimmten Fachrichtung gibt, von Überversorgung bei 110 % und von Unterversorgung hinsichtlich der Hausärzte bei 75 % und hinsichtlich der Fachärzte bei 50 %.
Unter Zugrundelegung dieser Quoten hat man herausgefunden, dass bei Hausärzten ab 2015 eine Unterversorgung droht. Ab diesem Zeitpunkt wird man 1 600 neue Hausärzte benötigen, um die Vollversorgung herzustellen, sofern man davon ausgeht, dass sie mit 65 Jahren in Rente gehen; wenn sie mit 68 Jahren in Rente gehen, reduziert sich die Zahl auf 1 000.
Die FDP-Fraktion hat im August einen Kongress zur Zukunft des Gesundheitswesens in einem Flächenland wie Niedersachsen abgehalten. Dort
wurden verschiedene Modelle zur Lösung von Versorgungsproblemen vorgestellt. Es gibt bereits heute Kooperationen und Zusammenschlüsse, z. B. die medizinischen Versorgungszentren. Von einem Professor der Medizinischen Hochschule, Herrn Amelung, wurde die Vision dargestellt, in Zukunft könnte die Versorgung von großen Krankenhauskonzernen mit bis zu 300 angestellten Ärzten in medizinischen Versorgungszentren sichergestellt werden. Dies kann aber keine Lösung für den ländlichen Raum sein.
Wir brauchen eine wohnortnahe Versorgung für ältere Menschen, die dort leben wollen, wo sie aufgewachsen sind. Hier ist kein Versorgungszentrum zukunftsweisend, sondern eine hausärztliche Praxis, mit der sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aufbauen lässt. Generell haben die Hausärzte eine immer wichtiger werdende Scharnierfunktion zum Facharzt. Auch deswegen sollten wir auf jeden Fall an der hausärztlichen Versorgung festhalten.
Die Hausärzte selbst haben nun darüber nachgedacht, wie sie ihre Praxen für die Zukunft sichern können. Einer ihrer Vorschläge beinhaltete, ihre Fachangestellten mit Delegationen zu beauftragen. Es gibt medizinische Fachangestellte - üblicherweise werden sie Praxishelferinnen genannt -, die eine Menge Wissen haben und die nach einer dazwischengeschalteten Familienphase in den Beruf zurück wollen. Wenn ihre frühere Stelle besetzt wäre, könnte man sie durchaus im Rahmen der Delegation einsetzen, sodass sie mit ihrer Erfahrung aus der Praxis und aus ihrer Familienphase Aufgaben für den Hausarzt im Außenbereich übernehmen könnten.
Nicht jedes Mal muss der Hausarzt selber zu einem Besuch fahren. Trotzdem wäre es dann möglich, die Beziehung der Patienten zur Praxis fortzusetzen.
Ich habe dies so ausführlich dargestellt, weil es eine neue Idee ist, die ich für sehr gut halte. Wir werden uns in verschiedene Richtungen weiterentwickeln müssen, was die ärztliche Versorgung angeht. Aber es würde sich einmal lohnen, so etwas auszuprobieren. Es ist noch nirgendwo erprobt worden. Auch ist diskutiert worden, wieder „Schwester Agnes“ einzusetzen, eine Pflegekraft, die es in der DDR gab.
Viele sagen, die Variante mit den von Hausärzten delegierten Fachangestellten sei zukunftsweisender und besser. Wir würden also in diesem Bereich gern Modellprojekte in Niedersachsen einführen.
Darüber hinaus gibt es Möglichkeiten, Anreize zur Niederlassung als Hausarzt zu schaffen; darauf ist Frau Mundlos bereits eingegangen. Es ist auch darüber nachgedacht worden, ob für diejenigen Studenten der Studieneinstieg erleichtert werden sollte, die sich von vornherein dazu verpflichten, Hausarzt und nicht Facharzt werden zu wollen. Dies könnte die heute starke Orientierung der Studenten auf die Facharztausbildung reduzieren. Hier müssen wir tatsächlich überlegen, wie wir eine Umkehr bewirken können.
Unterstützen Sie bitte unseren Antrag. Auf diese Weise können wir zukunftsweisende Projekte für eine wohnortnahe ärztliche Versorgung der älteren Menschen auch in den entlegensten Gebieten Niedersachsens sicherstellen.
Herzlichen Dank. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Kollegin Helmhold das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieses Thema beschäftigt uns ja nicht zum ersten Mal. Es gab bereits vor der Sommerpause einige mündliche Anfragen zu diesem Thema. Der Ausschuss hat sich vor ziemlich genau einem Jahr ausführlich über die Situation unterrichten lassen.
Nun ist die Sicherstellung der ärztlichen und hausärztlichen Versorgung keine Angelegenheit des Landes, sondern der Selbstverwaltung, in diesem Fall der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen. Wer das damalige Ausschussprotokoll nachliest, wird merken, dass die Materie hoch komplex ist und die Problemlösung nicht einfach sein wird. Bereits die Prognosen über die Größe der möglichen Hausarztlücke sind sehr unterschiedlich, je nach dem, wie man die Annahmen z. B. zur Zahl der Ärztinnen und Ärzte, die in den Ruhestand gehen wollen, und zur Zahl der Studierenden, die die Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin beschreiten wollen, ansetzt.
Ich finde, die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen engagiert sich hier - unabhängig von dem zum Teil erheblichen Widerstand z. B. bei der
Natürlich ist das auch ihr Auftrag. Aber ich meine, dass die bisher erarbeiteten Vorschläge der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen wirklich klug sind, zumal sie eine Brücke zum Sektor der Krankenhausversorgung schlagen, die wir unter einem anderen Begriff, nämlich dem der integrierten Versorgung, fachlich schon sehr lange befürworten. Die von Ihnen in Ihrem Antrag in den Spiegelstrichen erwähnten Maßnahmen sind Teil der KV-Bemühungen und finden sicherlich, so denke ich, die Unterstützung aller hier Anwesenden.
Das bei Ihnen erwähnte Maßnahmenbündel ist aber nicht vollständig. Die KV ist da schon weiter, beispielsweise damit, dass in bestimmten Landstrichen ohne verbilligte Kredite für den Aufbau oder für die Übernahme von Landarztpraxen und vor allen Dingen ohne Umsatzgarantien für die zur Niederlassung bereiten Ärztinnen und Ärzte wahrscheinlich gar nichts mehr zu richten ist.
Sie haben eben das Problem des ländlichen Raums angesprochen. Das ist tatsächlich eines. Die Bereitschaft, in ein dünn besiedeltes Gebiet zu gehen, nachdem man im Regelfall in einer Großstadt mit allen Möglichkeiten studiert hat, ist nicht besonders intensiv ausgeprägt. Ich glaube, dass einerseits eine Infrastruktur im Bereich der Betreuung wichtig ist, andererseits aber auch eine gute Bildungsinfrastruktur. Und da, glaube ich, ergibt sich ein weiteres Argument: Sie werden ohnehin in Zukunft im ländlichen Raum bei sinkenden Bevölkerungszahlen, wenn Sie eine gute Bildungsinfrastruktur vorhalten wollen, nicht darum herumkommen, sich vom gegliederten Schulwesen zu verabschieden und auch gerade diesen Menschen, die gewisse Ansprüche haben, eine Schule für alle zur Verfügung zu stellen, die sie und ihre Kinder in zumutbarer Entfernung erreichen können.
Meine Damen und Herren, Ärztinnen und Ärzte bekommen ab dem 1. Januar 2009 einen kräftigen Schluck aus der Pulle - das ist das Wahlgeschenk der Rot-Schwarzen in Berlin -, gut verpackt in den neuen einheitlichen Beitragssätzen, die dann alle, die in der GKV versichert sind, zu bezahlen haben.