Umso mehr freut es uns als SPD-Fraktion heute, dass es uns gelungen ist, gemeinsam eine Entschließung zu formulieren, die einen deutlichen Fortschritt für die intersexuellen Menschen bedeutet. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Beteiligten für die gute, konstruktive Zusammenarbeit bedanken.
Bei aller Freude über die gemeinsame Entschließung bleibt allerdings die Überzeugung, dass bei dieser komplexen Thematik - wir haben sie wirklich nur gestreift - noch relativ viel zu tun ist.
Herzlichen Dank, Frau Kollegin Tiemann. - Nun spricht für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Schwarz. Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema Intersexualität hat, seitdem der Ethikrat seine Empfehlung dazu im Februar dieses Jahres abgegeben hat, mit Sicherheit einen etwas größeren Bekanntheitsgrad erlangt, auch wenn die Bekanntheit noch nicht umfänglich ist. Einige Punkte der Empfehlungen des Ethikrates finden sich in der Beschlussempfehlung des Ausschusses wieder.
Betonen möchte ich in diesem Zusammenhang, dass die Debatte außerordentlich sachlich und konstruktiv geführt wurde, in der tatsächlich fraktionsübergreifend ein gutes Ergebnis gefunden wurde.
Das ist zum einen das Intensivieren der Beratungsangebote für die Betroffenen und deren direkte Angehörige durch die Beratungs- und Selbsthilfeeinrichtungen, zum anderen ein Prüfungsauftrag an den Bund und an die anderen Bundesländer, gemeinsam zu prüfen, ob eine bundesweite Beratungsstelle oder eine Beratungsstelle auf Landesebene bei der Aufklärung über das Thema Intersexualität am geeignetsten sein könnte. Wichtig ist auch die Ermunterung der Heilberufskammern und des Niedersächsischen He
bammenverbandes, die Aufklärungsarbeit sowie die Fortbildung bei dem Thema zu verstärken. Es sind aber auch schon bestehende Aktivitäten anzunehmen; das muss man an dieser Stelle feststellen.
Des Weiteren wird die Behandlung des Themas im Schulunterricht in angemessener Form eingefordert. Im Kultusausschuss ist allerdings dargestellt worden, dass dies schon seit vielen Jahren geschieht. Vielleicht kann durch die Diskussion hier im Landtag noch eine etwas andere Form gefunden werden, damit die Bedeutung klar wird.
Bei der Verlängerung der Fristen für die Aufbewahrung der Krankenakten von 10 auf 30 Jahre kommt man der Forderung des Ethikrates nach. Meine Damen und Herren, wir müssen auch feststellen, dass damit das Krankenhausgesetz sicherlich noch einmal einer Überarbeitung bedarf. Auch diese Änderung wird also noch weitere Folgewirkungen nach sich ziehen.
Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass die Diskussion über das Personenstandsrecht bzw. die Eintragung in die Geburtsurkunde über die Zuordnung zu „männlich“ oder „weiblich“ hinaus eventuell ermöglicht, eine weitergehende Formulierung zu finden. Man muss aber dazu sagen, dass man hier nicht das Blaue vom Himmel versprechen kann. Wer hier überzogene Erwartungen hegt, dem muss bewusst sein, dass das weitergehende Auswirkungen hat, z. B. auf das Eherecht. Aber das sollte man gemeinsam auf der Bundesebene weiter vollziehen können. Hier ist es hinreichend zu beleuchten. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind dabei in ihrer Auswirkung zielgenau zu betrachten.
Ebenso ist die Veränderung bei der statistischen Erhebung mit in Augenschein zu nehmen, damit auch hier der Intersexualität Rechnung getragen werden kann. Wesentlich ist insbesondere die Intensivierung der Beratungsleistungen bzw. der Aufklärungsarbeit gegenüber der Öffentlichkeit. Wesentlich für einen Teil der Betroffenen ist die Regelung des Personenstandsrechts. Das ist zumindest der Offenlegung der Onlineumfrage des Ethikrates und dem daraus folgenden Bericht vom Februar 2012 sehr deutlich zu entnehmen.
Herzlichen Dank, Frau Kollegin Schwarz. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Twesten. Bitte!
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In seinem Ausblick auf diese Plenarwoche zählte der rundblick einige Themen auf, die uns heute beschäftigen. Dazu zählte auch eher nebenbei und vielleicht auch nur durch Zufall dieser Antrag, der uns heute, fraktionsübergreifend unterstützt, vorliegt. Dabei verdient dieser Tagesordnungspunkt weitaus mehr Aufmerksamkeit; denn es geht um nicht weniger als um die Rechte und um die endlich zu verwirklichende Akzeptanz unserer intersexuellen Mitmenschen. Seit mehreren Jahren kämpfen nicht nur die Grünen vehement für die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz und konsequente Gleichstellung von Schwulen, von Lesben, von Bi-, Trans- und Intersexuellen in dieser Republik. Bündnisgrüner Politik ist auch zu verdanken, dass unsere Gesellschaft offener und pluralistischer geworden ist.
Das Gesetz zur eingetragenen Lebensgemeinschaft hat zu mehr Toleranz gegenüber Schwulen und Lesben geführt. Damit können wir uns aber nicht zufriedengeben. In den letzten Jahren ist es den intersexuellen Menschen in unserer Gesellschaft gelungen, sichtbarer zu werden und ihre Forderungen lautstark zu artikulieren. Dem schließen wir uns gerne an.
Die Intersexuellen haben eine breite Öffentlichkeit für sich hergestellt. Es ist in erster Linie ihrem Mut und ihrem Engagement zu verdanken, dass diese berechtigten Anliegen enttabuisiert werden und den Weg in den öffentlichen Diskurs gefunden haben. Als Grüne stellen wir uns jeder Art von Ausgrenzung aktiv und engagiert entgegen. Wir bekämpfen nicht nur alle Formen von Homo- und Transphobie, sondern fordern Bund und Länder zu einem entschiedenen Vorgehen gegen die Diskriminierung von Intersexuellen auf. Aus Politik und Gesellschaft und nicht zuletzt im Februar vom Deutschen Ethikrat wurden klare Forderungen aufgestellt, denen es jetzt nachzukommen gilt.
Mit dem vorliegenden fraktionsübergreifenden Antrag wird die Landesregierung aufgefordert, sich aktiv in die Diskussion um das Personenstandsgesetz einzubringen. Ziel muss es aber ebenso sein, dass medizinisch nicht notwendige Operationen unterbleiben, um die Identitätsfindung - insbeson
dere in der Pubertät - nicht negativ zu beeinflussen. Alles andere wäre ein Vergehen an Körper und Psyche - eine Praxis, die leider schon viel zu lange vollzogen wird.
Wir können dafür sorgen, dass intersexuelle Menschen zu ihren Rechten kommen, dass allein sie darüber entscheiden, welches Geschlecht sie nicht nur fühlen, sondern welches Geschlecht sie auch leben möchten.
Aber wir können auch dafür sorgen, dass das Thema immer wieder in das Bewusstsein unserer Mitbürger rückt und dort verbleibt.
Wir hätten es gut gefunden, wenn die Beratung auch dazu geführt hätte, das Thema Intersexualität neben den Themen Liebe und Partnerschaft in den schulischen Kerncurricula zu verankern, um schon den Schülerinnen und Schülern Kompetenzen in dieser Hinsicht zu vermitteln. Wir brauchen keine Unverbindlichkeit, sondern ein klares Bekenntnis, dass in Zukunft auch Lehrerinnen und Lehrer nicht nur für das Thema sensibilisiert werden, sondern ihren Schülerinnen und Schülern dieses Wissen verbindlich mit auf den Weg geben können.
Der gemeinsame Antrag ist eine erste Grundlage hin zu mehr Akzeptanz gegenüber unseren intersexuellen Mitmenschen. Er war längst überfällig.
Wir würden den intersexuellen Menschen damit unseren Respekt und unsere Unterstützung aussprechen. Jetzt müssen Landes- und Bundesregierung tätig werden und die Empfehlungen des Deutschen Ethikrates umsetzen. Wir bieten unsere Unterstützung an.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen über ungefähr 10 000 Menschen in Deutschland, die allgemein als intersexuell eingestuft werden und bei denen die Natur praktisch bei der Geburt „unentschieden“ gesagt hat, weil die weiblichen und die männlichen Sexualmerkmale - sowohl die inneren als auch die äußeren - nicht eindeutig sind. Das Schlimme ist - und jetzt spreche ich über Menschenrechtsverletzungen -, dass aufgrund des Drucks der Gesellschaft dieses uneindeutige Geschlecht häufig mit dem chirurgischen Messer eindeutig gemacht wird. Das führt dann bei den betroffenen Menschen, den Kindern, z. B. wenn sie ins Pubertätsalter kommen, häufig zu schweren Traumatisierungen, vor allen Dingen dann, wenn sich herausstellt, dass dieser chirurgische Eingriff mit dem Messer ein falsches Geschlecht hergestellt hat.
In dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD, der FDP und der Grünen sind viele richtige Forderungen enthalten, die wir auch unterstützen. Aber an einer bestimmten Stelle - da geht es eigentlich ans Eingemachte - ist uns die Formulierung zu weich; denn der Kern des Themas ist das Personenstandsrecht. Das ist zwar Bundesrecht, aber der Niedersächsische Landtag kann durchaus anregen, wie man es ändern sollte. Da sind uns die Formulierungen zu weich. Im Antrag steht nur, man müsse eine Diskussion über eine möglicherweise andere Eintragung vornehmen oder nicht.
Vergegenwärtigen wir uns, was im Personstandsgesetz steht! In den §§ 18, 19 und 21 steht, dass durch die Eltern innerhalb einer Woche nach der Geburt die entsprechenden Angaben zu machen sind, einschließlich des Geschlechts. Wenn dieses aber nicht eindeutig ist, dann gibt es ein Problem, und dieses Problem wird gegenwärtig durch das Personenstandsrechts nicht gelöst. Denkbar wäre, dass man z. B. eine Eintragung eines dritten Geschlechts zulässt. Denkbar wäre aber auch, dass man eine Eintragung zulässt, die diese Frage des Geschlechts erst einmal offen lässt und das Kind selbst entscheiden lässt, wenn es so weit ist, selbst darüber entscheiden zu können.
2012 in einem weltweit einmaligen Gesetz beschlossen hat. In diesem argentinischen Gesetz ist festgelegt, dass die jeweilige Person selbst über ihr Geschlecht bestimmen kann, und zwar so, wie sie selbst fühlt. Diese einmalige Regelung in Argentinien, die erst vor wenigen Monaten beschlossen worden ist, hat weltweit Aufsehen erregt, aber auch weltweit bei allen Betroffenen Zustimmung gefunden. Ich finde, sie sollte ein Vorbild für das deutsche Personenstandsrecht sein. Ich meine, wir müssten hier entschieden auf eine Änderung drängen -
aber nicht mit einer solchen lauen Formulierung wie im vorliegenden Entschließungstext. Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung enthalten, weil uns diese Formulierung nicht weit genug geht.
Danke schön, Herr Adler. - Für die FDP-Fraktion hat sich Herr Riese zu Wort gemeldet. Bitte schön, jetzt haben Sie das Wort!
Ganz herzlichen Dank. Sehr verehrte Frau Präsidentin! Ich weiß nicht ganz genau, ob ich meinem Vorredner zustimmen kann, dass der von ihm erwähnte Punkt der Kern des Themas sei. Aber es ist sicherlich ein ganz wichtiger Kern.
Meiner Auffassung nach haben die vier Fraktionen, die sich auf diese Formulierung geeinigt haben, damit einen Weg gefunden, sehr deutlich zu zeigen, dass das Land Niedersachsen die Hinweise der Ethikkommission ernst nimmt und sich auf den Weg begibt, das Personenstandsrecht in diesem Sinne weiterzuentwickeln.
Nun wissen wir allerdings, dass es im Personenstandsrecht auch Gesichtspunkte gibt, die mit der Persönlichkeit zu tun haben. Diesbezüglich stimme ich Ihnen ausdrücklich zu, Herr Adler. Am besten wäre es natürlich, wenn dort ein hohes Maß an Selbstbestimmung möglich wäre. Das ist sicherlich in dem Alter, in dem solche Entscheidungen in der Gegenwart zu treffen sind, in der Form nicht der Fall.