Die unnötige Novelle der Handwerksordnung hat zu einem rapiden Rückgang der Zahl der Ausbildungen in den nicht meisterpflichtigen Berufen geführt. Ich frage mich: Wer hat eigentlich 2004 in Berlin regiert?
Meine Damen und Herren, um den Fachkräftebedarf zu sichern, wollen wir den Übergang von der Schule in den Beruf konstruktiv begleiten. Bereits vorhandene Maßnahmen und Unterstützungsmöglichkeiten, die ich hier aus zeitlichen Gründen nicht nennen kann, müssen ergänzt und aufeinander abgestimmt werden. Schulen und Ausbildungssysteme müssen kooperativ zusammenarbeiten. An dieser Stelle möchte ich unseren Landtags- und Fraktionskollegen Dr. Max Matthiesen, der dieses Thema vor zwei Jahren aufgegriffen hat, ausdrücklich loben.
In der Folgezeit haben die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, aber auch die SPD-Fraktion konstruktiv mit uns an diesem Thema gearbeitet. Das Ergebnis ist ein gemeinsamer förderlicher Antrag, in dem die Landesregierung u. a. gebeten wird, weiterhin Projekte für betriebliche Ausbildung zu fördern, gemeinsam mit Betrieben und Kammern - hiermit sind nicht nur die Handwerkskammern gemeint, sondern alle Kammern wie die IHK usw. -, Verbänden, Sozialeinrichtungen und Schulen ein Netzwerk an außerschulischen Lernstandorten aufzubauen, Schülerfirmen zu fördern und zu überprüfen, ob und wie EU-Mittel in der noch laufenden Förderperiode, aber auch in der kommenden Förderperiode zur Realisierung der Maßnahmen eingesetzt werden können. Weitere Punkte sind im Antrag gut beschrieben. Ich bitte Sie, diesen Antrag zu unterstützen, und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Als Nächste hat sich Frau Korter von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet. Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Fachkräftemangel ist längst in den Betrieben angekommen. Es fehlen uns nicht nur hoch qualifizierte Fachkräfte, sondern Fachkräfte auf allen Niveaustufen. Damit sich dieser Mangel nicht in großem Umgang in der Innovationskraft unserer Wirtschaft negativ niederschlägt, sind gute Konzepte vonnöten.
Vor Kurzem haben Mitglieder aller Fraktionen mit den Industrie- und Handelskammern über neue Vorschläge diskutiert. Heute geht es in unserem gemeinsamen Antrag um den Übergang von der Schule in den Beruf.
Wir brauchen mehr Anstrengungen für eine Verbesserung der Unterrichtsqualität. Wir brauchen mehr Anstrengungen für gute, wirksam ausgestattete Ganztagsschulen. Wir brauchen aber auch an allen Schulformen eine bessere Berufsorientierung und bessere Konzepte, den Übergang von der Schule in den Beruf vernünftig und erfolgreich sicherzustellen.
An allen weiterführenden Schulen müssen die jungen Menschen die Chance haben, in Schülerfirmen eigene Erfahrungen zu machen. An allen Schulen sollen sie lernen, ihre eigenen Stärken und Schwächen einzuschätzen, sich über ihre beruflichen Wünsche klar zu werden und ein eigenes Kompetenzprofil zu erfahren.
Für einen gelungenen Weg in den Beruf braucht eine Reihe von jungen Menschen verlässliche Ansprechpartner, die sie bei Bedarf unterstützen; das war uns besonders wichtig.
Gute Berufsorientierung ist auch an den Gymnasien wichtig. Dort haben wir sie lange vernachlässigt. Längst nicht alle Abiturientinnen und Abiturienten nehmen ein Studium auf. Viele wechseln gleich in eine Ausbildung. Aber auch die Wahl des richtigen Studienfachs ist nicht für jeden selbstverständlich und einfach. Das belegen die hohen Abbrecherquoten.
Wenn wir wirksam dem Fachkräftemangel begegnen wollen, müssen wir frühzeitig und systematisch an allen weiterführenden Schulen Berufsorientierung und nach Bedarf auch Übergangsbegleitung auf hohem Niveau organisieren.
Dazu soll der gemeinsame Antrag beitragen. Er hat eine längere Entstehungsgeschichte, die ich hier nicht ausbreiten will. Auch wenn nicht alle Forderungen aus unserem grünen Antrag vom
April 2010 aufgenommen worden sind, so doch die meisten. Das begrüßen wir. Deshalb ergreifen wir gemeinsam diese Initiative. Wir hoffen, dass wir damit einen großen Schritt vorankommen, um junge Menschen bei der Berufswahl zu unterstützen, einen erfolgreichen Übergang von der Schule in die Ausbildung und den Beruf oder auch in das Studium zu gewährleisten, Studienabbrüche zu reduzieren und vor allem unnötige Warteschleifen möglichst zu vermeiden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie mein Kollege Bley schon ausgeführt hat, ist die Überschrift das Motto des Antrages und sagt schon alles aus.
Wie bekommen wir die junge Generation noch besser in den Arbeitsmarkt und sichern die Arbeit für die Zukunft? Wie schaffen wir es, allen eine Perspektive aufzuzeigen, für die es sich lohnt, weitere Anstrengungen zu vollziehen und das eigene Leben selbstständig und auskömmlich zu bestreiten, und gleichzeitig die dringend benötigten Fachkräfte für die Unternehmen zur zukünftigen Sicherung aller Arbeitsplätze und der Wirtschaftsleistung zu generieren?
Auch wenn wir mit Stolz darauf verweisen können, dass die Projekte der laufenden Fördermaßnahmen ihre Wirkung erzielt haben - immerhin ist die Jugendarbeitslosigkeit eminent gesunken -, werden wir nicht eher ruhen, bis wir auch dem Letzten eine reelle Chance unterbreiten können.
Aber nicht nur die Ausbildungslotsen an den allgemeinbildenden Schulen, die Einzelberatung an Förder-, Haupt- und Realschulen sowie die Projekte „Auszubildende gesucht“ und „Schneller in Ausbildung“ haben zu Verbesserungen geführt, sondern auch die Agentur für Arbeit war hier erfolgreich, und ganz besonders die Wirtschaft hat sehr viel dazu beigetragen und weit mehr Ausbildungsplätze geschaffen, als wir annehmen durften.
Es bleiben hingegen immer noch zu viele unbesetzte Stellen, nämlich mehr als 20 %. Was wir also unbedingt noch verbessern müssen, sind die Ausbildungsfähigkeit und die Berufsorientierung. Hier geht es besonders darum, die Abbrecherquote von derzeit 21,5 % der Auszubildenden zu senken und Berufe attraktiv zu gestalten. Wir müssen Schüler und Betriebe noch näher zusammenführen und die Begleitung der Auszubildenden in den Ausbildungsgängen verstärken, um ihnen zeitnah Hilfestellung zukommen zu lassen; denn leider gehen nur etwa 50 % der Abbrecher wieder einen Ausbildungsvertrag ein, und das ist effektiv zu wenig.
Niedersachsen hat große Fortschritte gemacht und viele Schüler qualifiziert und zu einer besseren Ausbildungsreife gebracht. Das ist ein wichtiger Weg, der aber noch längst nicht zu Ende ist. Wir werden diesen Weg weiter beschreiten, evaluieren und ergänzen. Der Antrag ist dazu ein wichtiger Teil im Ganzen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Linke wird sich bei dem gemeinsamen Antrag von SPD, Grünen, CDU und FDP enthalten. Ich möchte das an zwei Punkten festmachen.
Ihr Antrag „‚Übergang Schule - Beruf’: Schule und Ausbildungssystem noch besser zusammenbringen - Fachkräftenachwuchs weiterhin sichern - Ausbildungsschleifen vermeiden“ beschönigt doch schon in der Überschrift die Situation.
Hier sprechen Sie von „Ausbildungsschleifen“. Meine Damen und Herren, das sind keine Ausbildungsschleifen, das sind Warteschleifen, in denen Jugendliche keinen qualifizierten Berufsabschluss erhalten. Diese Warteschleifen sind für diese Jugendlichen ganz häufig vertane Zeit, weil diese Schleifen zu keiner besseren Bewerbungssituation im nächsten Jahr führen als im vergangenen Jahr.
darf man nicht schweigen - das jedoch tun Sie in Ihrem gemeinsamen Antrag; dieser Punkt steht nicht darin, wenn auch der Kollege Schneck ihn in seinen Ausführungen erwähnt hat -: Es gibt nach wie vor nicht ausreichend viele Ausbildungsplätze.
Jedes Jahr suchen bundesweit Zehntausende Schulabgängerinnen und Schulabgänger vergeblich nach einem Ausbildungsplatz. Nur jedes vierte Unternehmen bildet noch aus.
In der Landesstatistik sieht es ähnlich aus. In einzelnen Regionen und Branchen sieht es durchaus anders aus. Aber in der landesweiten und branchenübergreifenden Statistik ist es ganz eindeutig, und das möchte ich mit einigen Zahlen belegen.
Die Bundesagentur für Arbeit hat 61 787 ausbildungswillige - wie sie es nennt - und ausbildungsfähige Bewerberinnen und Bewerber für das letzte Ausbildungsjahr registriert. Eigentlich muss man noch die hinzurechnen, die die Bundesagentur als nicht ausbildungswillig einstuft. Aber selbst wenn wir diese statistische Grauzone außer Acht lassen, stehen diesen knapp 62 000 Jugendlichen nur 50 000 Ausbildungsplätze gegenüber. Das heißt, auf einen Jugendlichen kamen 0,82 Ausbildungsplätze.
Wir können also noch so tolle Übergangsprogramme machen, es nützt alles nichts, wenn es nicht genügend Ausbildungsplätze gibt.
Meine Damen und Herren, die Berufswahl prägt den Lebensweg wie kaum eine andere Entscheidung. Deshalb muss auch die Politik Voraussetzungen dafür schaffen, dass Jugendliche einen vernünftigen Berufsabschluss bekommen können.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass der Übergang von der Schule in den Beruf die entscheidende Weichenstellung ist, die entscheidende Brücke für eine erfolgreiche Bildungsbiografie unserer Jugendlichen, unserer Kinder. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb kann der Landtag über die Parteigrenzen hinweg eine gemeinsame Entschließung fassen. Ich denke, das ist ein sehr vernünftiges, ein sehr gutes Signal.
Ich will allerdings zu einigen Punkten, die hier - berechtigt oder weniger berechtigt - aufgeworfen wurden, Stellung nehmen.
Erstens. Wir haben zurzeit bundesweit eine Schulabbrecherquote - junge Menschen, die ohne Schulabschluss nach Hause gehen - von durchschnittlich 7 %. In Niedersachsen liegt diese Zahl zurzeit bei etwa 6 %. Immerhin - das darf man durchaus auf der Erfolgsseite der Bilanz dieser Landesregierung buchen - ist diese Zahl von 10,3 % auf unter 6 % gesunken.
Die Zahl, die mich auch mit Blick auf die gesamtdeutsche und nicht nur die niedersächsische Situation viel mehr umtreibt, weil sie in fast allen Ländern gleich ist, ist die, dass etwa 18 bis 20 % der Jugendlichen heute eine Ausbildung im zweiten oder dritten Ausbildungsjahr abbrechen. Das ist für eine Volkswirtschaft wie Deutschland, die im Wesentlichen auf ihre geistigen Ressourcen, Bildungsressourcen angewiesen ist, viel, viel zu hoch.
Selbst wenn man unterstellt, dass 8 % dieser 18 % wieder eine neue Ausbildung beginnen und diese womöglich abschließen, gehen wir inzwischen davon aus, dass bundesweit immer noch 10 % der Jugendlichen ohne entsprechende Berufsausbildung und damit ohne entsprechende Zukunftschancen in ein Arbeitsleben geschickt werden, in dem sie am Ende gar keine Arbeit erhalten werden. Ich meine, dass es alle Mühen wert ist, durch eine gemeinsame, darauf ausgerichtete Schulpolitik alles dafür zu tun, dass dieser Zustand so schnell wie möglich verbessert und diese Quote mindestens um die Hälfte gesenkt werden kann.
Es ist nicht hinzunehmen, dass sich im Jahr 2010 ca. 350 000 junge Menschen in sogenannten Warteschleifen in schulischen Systemen befanden, ohne dem Vorrang der dualen Ausbildung entsprechend Rechnung tragen zu können.