Protocol of the Session on December 9, 2005

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung hat eben erklärt, wie der Innenminister des Landes Niedersachsen sich die Entwicklung auf diesem Gebiet möglicherweise vorstellt. Ich frage die Landesregierung: Welche möglichen unterstützenden Maßnahmen insbesondere für diese Jugendlichen und jungen Menschen kann sich die Landesregierung in Zukunft vorstellen?

Frau Ministerin, bitte!

Ich habe Ihnen eben vorgelesen, unter welchen Voraussetzungen sich der Kollege Schünemann eine solche Regelung vorstellen kann. Er kann sich diese Regelung bei jugendlichen Ausländern bzw. jungen Erwachsenen zwischen 15 und 21 Jahren vorstellen, die hier in Deutschland besondere Integrationsleistungen erbracht haben, indem sie sich, was die Sprache, die Schule und die Ausbildung anbelangt, wirklich voll integriert haben. Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir Integrationsprobleme mit ganz anderen Personengruppen haben und nicht mit denen, über die ich soeben gesprochen habe. Allerdings kann im Bedarfsfall auf Integrationslotsen und das umfassende Integrationsnetzwerk zurückgegriffen werden.

(Beifall bei der CDU)

Herr Wenzel, bitte Ihre Frage!

Frau Ministerin, vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es bei diesen Fragen auch sehr stark um Grundwerte und unser Verständnis von Heimat und Familie geht, und vor dem Hintergrund, dass Kinder wie beispielsweise aus dieser vietnamesischen Familie, die kürzlich ausreisen musste, oder auch eines anderen Falles, den wir hier kürzlich diskutiert haben, bei dem es darum ging, dass

Kinder zwar nach zehn oder fünfzehn Jahren sagen „Wenn ihr mich fragt, wo meine Heimat ist, dann würde ich sagen, dass das Deutschland ist“, aber trotzdem zurück müssen, frage ich Sie: Würden Sie Ihre 15-jährige Tochter oder Ihren 15-jährigen Sohn allein in einem anderen Land zurücklassen, und zwar gerade in einer Situation, in der sie als Jugendliche ganz besonders der Unterstützung der Eltern bedürfen?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Ministerin! - Gut, Herr Ministerpräsident!

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage stellen wir, die wir Kinder haben, uns doch alle. Ich möchte deutlich machen, dass wir das in der Landesregierung angesichts der Einzelfälle, die wir hatten und die uns außerordentlich schwer fallen, ausführlich besprochen haben.

Selbstverständlich würden wir, wenn wir in ein anderes Land, auf einem anderen Kontinent, in einem anderen Sprachraum gehen, uns darum zu bemühen haben, dass unsere Kinder, solange nicht klar ist, dass man auf Dauer in diesem Land wird leben können, Kontakt zum Heimatland in der Form behalten, dass sie auch im Heimatland leben könnten.

(Beifall bei der CDU - Widerspruch bei der SPD)

- Ja, ich komme jetzt zu dem sehr konkreten Punkt. Darüber müssen wir uns - so finde ich - mit der nötigen Ernsthaftigkeit unterhalten. - Wir haben die Pflicht der Eltern einzufordern, dass sie mit ihren Kindern behutsam und verantwortlich umgehen.

Liebe Frau Merk, Sie sind außerordentlich engagiert in der Flüchtlingsarbeit. Deswegen nehme ich Ihre Einlassungen hierzu außerordentlich ernst und sage:

Erstens. Meine Beobachtung in den Ländern wie Neuseeland, Amerika, Australien, die klassische Einwanderungsländer sind, ist, dass der Konsens in der Gesellschaft über die Einwanderungsmöglichkeiten deshalb besteht, weil man unter bestimmten Bedingungen das Einreisen, das Leben

in diesen Ländern ermöglicht, dass man aber dann, wenn die Voraussetzungen nicht vorliegen, auch die entsprechende Rückführung, die Abschiebung und das Nichtleben in diesen Ländern konsequent durchsetzt. Das heißt, wenn es kriegerische Konflikte wie auf dem Balkan gibt, dann ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir hier in der Welt das Land sind, das am meisten Menschen aufnimmt. Millionen haben wir hier Hilfestellung gegeben. Das war richtig so, das war nötig. Aber das setzt voraus, dass der Konsens besteht, dass die, die hier dauerhaft leben können, hier dauerhaft gut leben können, dass aber die, denen dieses Recht nach unseren rechtlichen Regelungen nicht zugestanden wird, dann, wenn der Krieg zu Ende ist, wieder in ihre Heimatländer zurückkehren und diese Heimatländer wieder aufbauen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn dieser Konsens nicht besteht, dann wird es in diesem Land nicht Konsens bleiben, dass man in solchen Fällen auch zukünftig in der Form hilft, wie wir immer geholfen haben.

Zweitens. Wenn wir Menschen sagen, ihr könnt hier nicht bleiben, ihr müsst zurück, und sie dann zurückgehen, was sollen dann eigentlich diese Menschen sagen, wenn andere, die sich dem über Jahre verweigern, für jedes ihrer Kinder jede rechtliche Instanz ausnutzen, dadurch, dass die das über zehn Jahre fortgesetzt betrieben haben, möglicherweise sogar unter bewusster Inkaufnahme, dass die Kinder den Kontakt zum Heimatland in jeder Form verlieren, prämiert, belohnt werden? Das heißt, dass sie nur deshalb, weil das Verfahren zehn Jahre in die Länge gezogen wurde oder sie andere Voraussetzungen geschaffen haben, nicht kurzfristig ausreisen zu können, gegenüber denjenigen, die freiwillig ausgereist sind und jederzeit wieder in unser Land eingereist sind, belohnt werden.

(Beifall bei der CDU)

Die Eltern sind aus diesen Gründen, mit diesen beiden wesentlichen Argumenten bei weitem nicht in der Form schutzwürdig wie deren Kinder. Wir suchen nach Wegen, dass die Kinder nicht vorgehalten bekommen, dass sie Eltern haben, die nicht verantwortlich gehandelt haben. Das soll nicht zulasten der Kinder und Jugendlichen gehen. Das ist das, was uns die Schulen vortragen: Hier ist ein Kind, perfekt integriert, macht Abitur,

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das ist doch auch eine Leistung der Eltern!)

ist auf gutem Wege, bemüht sich, ist nicht straffällig geworden, lebt nicht auf Kosten der Sozialhilfe. Diesen Kindern eine Perspektive zu eröffnen, das ist das Ziel der Niedersächsischen Landesregierung.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Frau Kollegin Helmhold, bitte Ihre Frage!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stelle zunächst einmal fest: Der Ministerpräsident hat eben gesagt, dass innerhalb der Koalition vor allen Dingen über diese hier jüngst verhandelten Fälle und die Fälle, die uns menschlich doch sehr beschäftigt haben, gesprochen worden ist. Die Justizministerin dagegen hat erklärt - -

Ihre Frage bitte!

Vor dem Hintergrund, dass die Justizministerin dagegen erklärt hat, dass der Innenminister offenbar mit einer mit dem Koalitionspartner nicht abgesprochenen Position in die Innenministerkonferenz gegangen ist, frage ich die Landesregierung: In welcher Art und Weise, vor allen Dingen auch nach den öffentlich durch den Fraktionsvorsitzenden, Herrn Dr. Rösler, immer wieder erhobenen Forderungen nach mehr Humanität und Menschlichkeit hat sich der Koalitionspartner dort im Vorfeld der Innenministerkonferenz eingebracht?

Herr Ministerpräsident!

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Helmhold hat Recht: Wir haben mehrfach im Kabinett und in der Regierung über die Einzelfälle gesprochen, die uns hier große Schwierigkeiten machen. Ebenso ist richtig, dass die Position, die der Innenminister in der Innenministerkonferenz vertritt, seine Position ist und dass

das Kabinett erst dann mit dem Thema, das heute in Stuttgart behandelt wird, befasst wird, wenn die Sitzung sozusagen dazu führt, dass es verschiedene Modelle gibt, die zur Abstimmung stehen. Wenn sich Minister in Fachministerkonferenzen auf Ergebnisse einigen, werden die in der Regel von den Kabinetten gebilligt. Aber wenn es hier eine Diskussion über die Tage und die unterschiedlichen Positionen gibt, dann wird nicht zu jedem Zeitpunkt über jede Einlassung im Kabinett ein Konsens herbeigeführt. Das wäre völlig unüblich. Auch zu Ihren Regierungszeiten war das nicht der Fall.

(Beifall bei der CDU)

Herr Nahrstedt, bitte!

Die Grundsätze zur elterlichen Sorge besagen, dass zum Kindeswohl der Umgang mit beiden Elternteilen gehört. Ich frage die Landesregierung: Wie vereinbart sich Ihr Vorschlag, Kinder und Eltern zu trennen, mit dem Kindeswohl?

Frau Ministerin Heister-Neumann, bitte zur Beantwortung!

Ich habe Ihnen darauf schon geantwortet, Herr Nahrstedt. Ich habe darauf hingewiesen, dass es ein Angebot ist und dass es keine Pflicht ist. Das heißt, die elterliche Sorge in diesen Familien wird sicherlich darauf gerichtet sein, in der Diskussion innerhalb der Familie für die Kinder die beste Entscheidung zu treffen.

(Beifall bei der CDU)

Frau Kollegin Heiligenstadt!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund, dass auch der Ministerpräsident eben erklärt hat, dass der Landesregierung das Wohl der Kinder am Herzen liegt, frage ich mich,

warum dann die Landesregierung - hier der Innenminister - nicht der Regelung zustimmt, die aus Hessen vorgeschlagen wird, wonach auch die Kinder, denen das Fehlverhalten ihrer Eltern nicht angelastet werden kann und die unter 15 Jahre alt sind - im Alter von 0 bis 15 Jahren -, nicht abgeschoben werden müssen, dass Sie sich aber nach der Regelung, die Herr Schünemann vertritt, nur um die Kinder zwischen 15 und 19 Jahren Gedanken machen.

Sie haben die Frage an die Ministerin gestellt, nicht an sich selbst, nehme ich an.

(Bernd Althusmann [CDU]: Doch an sich selber gestellt!)

Ein schriftlicher Vorschlag von Hessen liegt mir nicht vor.

(Frauke Heiligenstadt [SPD]: Doch!)

- Nein, liegt mir nicht vor.

Herr Kollege Janßen, bitte!

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Frage schließt da an. Die Innenminister sind ja jetzt gerade deshalb zusammengekommen, weil sich herausgestellt hat, dass die jetzige Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete zu humanitären Problemen führt. Vor dem Hintergrund frage ich die Landesregierung: Hält sie die Rückführung von Familien, die schon über lange Zeit in Deutschland sind und Kinder unter 15 Jahren haben, die Deutschland mittlerweile als ihr Heimatland ansehen, weil sie ihr eigenes Heimatland, d. h. das Heimatland ihrer Eltern, kaum kennen - dies u. a. auch deshalb, weil nicht jeder über die finanziellen Möglichkeiten verfügt, den Kontakt zu dem Heimatland der Eltern so zu pflegen, wie das vielleicht andere tun könnten -, also mit langjährig hier lebenden Kindern, die hier sozialisiert sind, für eine humane Lösung und mit der Würde des Menschen für vereinbar?

Frau Ministerin, bitte!

Wir haben ein Zuwanderungsgesetz, wir haben ein Aufenthaltsgesetz, wir haben Stichtagsregelungen und allgemeine Bleiberegelungen von 1996 und 1999; danach wurden diese Regelungen in dieser Form von den Innenministern nicht mehr gewollt, sondern nur noch für besondere Personengruppen, wie ich bereits dargestellt habe.

Ansonsten verweise ich auf den Vorschlag von Herrn Schünemann, der diesem Personenkreis, nämlich jungen ausländischen, in Deutschland lebenden Menschen und jungen Erwachsenen, diese Möglichkeit eröffnet. Ich weiß nicht, ob dieser Vorschlag von Herrn Schünemann konsensfähig ist. Ich habe auch die Ergebnisse noch nicht. Das ist aber eine Regelung, die eine solche Möglichkeit tatsächlich eröffnen würde. Die jetzige gesetzliche Regelung und die angedachten Bleiberechtsregelungen sehen das nicht vor.