Bevor ich auf die zukünftigen Regelungen eingehe, will ich anhand eines Falles, der in der FAZ diskutiert wurde, kurz die unterschiedlichen Folgen der beiden Vorschläge darstellen:
Frau M. ist 75 Jahre alt und wohnt in Sachsen. Der Ehemann ist verstorben. Mit Geduld und Hilfen Dritter bewältigt sie den Alltag in ihrer Wohnung noch selbstständig. Von mehreren Erkrankungen - einem Diabetes, einer Beinamputation, einer schweren Osteoporose mit Wirbelbrüchen - ist sie schwer gezeichnet. Die Nierenfunktion ist eingeschränkt, das Sehvermögen vermindert. Die Therapie ihrer Leiden liegt in der Hand ihres Hausarztes, den sie seit Jahren kennt. Frau M. bewegt sich im Rollstuhl und kann dank nachbarlicher Hilfen noch am Leben ihres Dorfes und am Gottesdienst teilnehmen.
An ihrem 75. Geburtstag spricht sie mit den Kindern darüber, wie sie im Fall schwerer gesundheitlicher Krisen ihr Leben beschließen möchte. In den nächsten Tagen setzt sie eine Patientenverfügung auf, in der sie bestimmt, dass keine lebensverlängernden Maßnahmen wie künstliche Beatmung und Dialyse erfolgen sollen, wenn keine Aussicht besteht, dass sie wieder außerhalb des Bettes mit klarem Verstand und ohne medizinische Hilfe würde leben können. Außerdem verfügt sie eine Vorsorgevollmacht in Gesundheitsangelegenheiten. Bevollmächtigte sollen ihre drei Töchter sein.
Wenige Tage später ereilt sie ein Schlaganfall, und sie fällt in tiefe Bewusstlosigkeit. Sie wird im Krankenhaus künstlich beatmet. Die Nierenwerte verschlechtern sich so, dass nur eine Dialyse ihr Leben erhalten kann. Die Töchter legen nun den Ärzten die Patientenverfügung und die Vorsorgevollmacht vor. Meine Damen und Herren, Sie erinnern sich, der Wille der Mutter war: keine Dialyse. Die Ärzte respektieren das, und nach zwei Tagen tritt der Tod durch Herzstillstand ein.
Rechtlich problematisch war das Ganze nach der gegenwärtigen Rechtslage schon; denn der BGH fordert eigentlich, dass die Ärzte eine Todesnähe feststellen müssen. Wenn die Dialyse durchgeführt worden wäre, hätte Frau M. durchaus noch weiterleben können, aber in monatelangem Koma.
Nun komme ich auf die Diskussion im politischen Bereich zurück. Die Empfehlungen der EnqueteKommission des Bundestages sehen vor, dass Patientenverfügungen über einen Behandlungsabbruch nur dann beachtet werden sollen, wenn das Grundleiden irreversibel ist und trotz medizinischer Behandlung nach ärztlicher Erkenntnis zum Tode führen wird. Obwohl Frau M. viele schwere chronische Erkrankungen hatte, die sie sehr einschränkten, war doch keine davon unmittelbar töd
lich. Entsprechend der von der EnqueteKommission so genannten Reichweitenbegrenzung würde die Patientenverfügung der Frau M. nicht gelten und wirkungslos bleiben. Die Ärzte hätten nach dieser Meinung die Dialyse bei Frau M. durchführen müssen. Der klare Wille der Patientin wäre dann auf der Strecke geblieben.
Es bedarf deshalb gesetzlicher Regelungen, die den erklärten Willen des Patienten - auch seinen Wunsch, zu sterben - respektieren. Dem steht aber die Meinung der Enquete-Kommission entgegen, die Sie nach Ihrem Antrag zur Grundlage machen wollen. Ich finde es verwunderlich, dass der vorliegenden Antrag von der FDP mit eingebracht wurde. Im Bundestag steht die FDP-Fraktion doch als einzige Fraktion geschlossen gegen die Vorschläge der Enquete-Kommission. Ich zitiere den Bundestagsabgeordneten Kauch von der FDP:
„Die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen gegen jede Form von Bevormundung ist ein geradezu klassisches Thema liberaler Politik.“
Ich bedauere außerordentlich, dass der vorliegende Antrag einseitig nur der Meinung der EnqueteKommission folgt und die Vorschläge der so genannten Kutzer-Kommission einfach ausblendet. Im Rechtsausschuss werden wir deshalb noch großen Diskussionsbedarf haben, und zwar in Bezug auf die Verbindlichkeit und Reichweite, die Formvorschriften, die von der Enquete-Kommission vorgeschlagene zwingende Einschaltung des Vormundschaftsgerichts und eines Konzils und vor allem das Selbstbestimmungsrecht der Patienten. Ich bedanke mich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immer mehr Menschen machen sich Gedanken um ihre Zukunft, vor allem darum, was mit ihnen geschieht, wenn sie einmal sehr krank und gebrechlich werden, wenn sie auf einmal nicht mehr in der Lage sein sollten, Entscheidungen über sich selbst zu treffen. Aus meiner eigenen anwaltlichen Praxis weiß ich aus zahllosen Fällen, wie wichtig es für
den Betroffenen ist, eine Patientenverfügung zu treffen, die verbindlich ist. Es kommt den Betroffenen ganz besonders darauf an, dass das, was sie verfügt haben, später von Dritten, insbesondere von Ärzten, eingehalten werden muss. Es besteht insofern kein Zweifel: Die Leute wollen selbst bestimmen, was im Falle einer schweren Erkrankung mit ihnen geschieht. Sie wollen nicht von den Entscheidungen Dritter abhängig sein, ob es Ärzte oder Verwandte sind. Ihr Wille soll zu jedem Zeitpunkt einer Erkrankung Wirksamkeit entfalten.
Für uns Liberale ist klar - jetzt komme auf das zurück, was der Kollege Helberg soeben angesprochen hat -: Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen hat Vorrang. - Das ist insofern auch kein Widerspruch zu den Ausführungen des Kollegen Kauch, den Sie soeben zitiert haben, der Meinung der FDP-Bundestagsfraktion und dem Antrag, der hier vorliegt. Wir haben in diesem Antrag bewusst eine sehr offene Formulierung gewählt. Es geht nämlich nur darum, zu prüfen, wie man zu Rechtssicherheit, wie man zu Verbindlichkeit und wie man zu einer praxisnahen Anwendung einer Patientenverfügung gelangen kann. Es besteht überhaupt keine Festlegung, dem Gesetzentwurf der Bundesregierung oder möglicherweise den Empfehlungen der Ethik-Kommission zu folgen. Es geht hier wirklich darum, dass wir hier im Land Hilfestellung leisten, wie die Patientenverfügung derart verbindlich ausgestaltet wird, dass - mit besonderer Betonung - in allererster Linie der Wille desjenigen, der betroffen ist, der erkrankt ist und eine Willenserklärung abgegeben hat, umgesetzt wird und nicht versucht wird, etwas anderes hineinzureden. Das Ziel ist: Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen soll Vorrang haben.
Eine konkrete gesetzliche Regelung zu diesem Themenkreis gibt es bekanntlich nicht. Es verwundert daher auch nicht, dass ungefähr 85 000 Abrufe einer entsprechenden Musterverfügung der Ärztekammer registriert worden sind. Das macht deutlich, dass es ein sehr großes Bedürfnis nach einer vorsorgenden Regelung gibt.
Deshalb muss dafür Sorge getragen werden, dass diese Regelungen auch ohne formalen Aufwand wirksam werden und dass sie uneingeschränkt verbindlich sind und auch bleiben. Gleichzeitig dürfen auch die behandelnden Ärzte nicht im Unklaren darüber bleiben, welche Behandlungsme
thoden und -therapien sie anwenden dürfen oder müssen; denn nichts wäre schlimmer, als wenn der Patient dort liegt, sich nicht mehr äußern kann und niemand genau weiß, was gemacht werden darf und was nicht gemacht werden darf. Schließlich will niemand etwas gegen den Willen des Betroffenen unternehmen; jedenfalls ist das unser Verständnis.
Unnötige Anforderungen bzw. überzogene Hürden dürfen nicht aufgebaut werden. Um Beweis- und Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden, sollte eine Patientenverfügung schriftlich abgefasst werden. Ich meine, dass das am praktikabelsten ist; alles andere wäre unsinnig. Weitere Wirksamkeitsvoraussetzungen brauchen wir dagegen nicht.
Leider hat die Rechtsprechung bislang nicht zu einer vollständigen Klarheit auf diesem Rechtsgebiet geführt. Der Bundesgerichtshof hat zwar entschieden, dass das Selbstbestimmungsrecht grundsätzlich auch vermeintlich unvertretbare Entscheidungen schützt. Er hat aber auch entschieden, dass der Abbruch von Behandlungen nur bei irreversibel tödlichem Verlauf erfolgen darf. Insofern korrespondiert diese Rechtsprechung auch mit dem, was der Kollege Helberg bereits ausgeführt hat. Allein schon durch dieses rechtlich nicht zu fassende Kriterium ist eine große Unsicherheit bezüglich der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen eingetreten. Das Recht auf Selbstbestimmung gehört zum Kern der Menschenwürde. Ich gehe davon aus, dass wir alle uns darin einig sind. Daher unterliegen alle Handlungen, die die Gesundheit und das Leben eines jeden Menschen betreffen, der Zustimmung des Betroffenen selbst. Nichtjuristisch gesagt: Jeder Mensch darf für sich entscheiden, wie er behandelt werden will und ob für ihn lebenserhaltende Maßnahmen ergriffen werden sollen. Die Fürsorgepflicht des Arztes steht nicht über dem Willen des Patienten; das ist für uns ganz klar. Der Wille des Patienten ist bindend. Trotzdem muss im Einzelfall der genaue Wille herausgearbeitet werden. Ferner muss dieser Wille auch auf den Behandlungsfall anwendbar sein. An dieser Stelle bestehen in der Praxis die eigentlichen Schwierigkeiten, nämlich die Fälle so abzugrenzen und abzufassen, dass man wirklich weiß, ob der Betroffene den gegebenen Krankheitsverlauf gemeint hat und ob er eine Vorstellung von den Behandlungsmethoden hatte, die es gibt, und wie es weitergehen könnte.
legte Wille nicht hinreichend erkennbar ist, darf der Arzt, der Betreuer oder der Bevollmächtigte eigene Entscheidungen treffen. Zuvor muss aber geprüft werden, ob die Willenserklärung des Patienten auf die konkret vorliegende Krankheitssituation anwendbar ist. In Zweifelsfällen muss nach wie vor das Vormundschaftsgericht entscheiden.
Daneben ist es sinnvoll, Patientenverfügungen mit Vorsorgevollmachten zu verbinden. Ein gutes Beispiel dafür ist der vom Niedersächsischen Justizministerium schon vor längerer Zeit entwickelte Vordruck für eine Vorsorgevollmacht. Gerade in einer Situation, in der es immer mehr ältere Menschen gibt und in der die Möglichkeiten der medizinischen Betreuung und Versorgung immer größer werden, weshalb immer unüberschaubarer wird, welche Behandlungsmethoden und insbesondere Behandlungschancen es gibt, steigt die Notwendigkeit für eine gesetzlich verbindliche Regelung der Patientenverfügung. Wir alle sollten daher konstruktiv an der Umsetzung einer gesetzlichen Regelung mitwirken. Es ist zwingend notwendig, den Geltungsbereich von Patientenverfügungen verbindlich zu regeln.
Lassen Sie mich abschließend noch auf Folgendes hinweisen: Es kommt natürlich nicht darauf an, hiermit mögliche Straftatbestände abzudecken oder einzuarbeiten. Das, was bisher gesetzlich nicht erlaubt ist, z. B. Töten auf Verlangen, soll auch künftig nicht erlaubt werden. Aber wir müssen hier einfach eingreifen und Regelungen schaffen. Das geschieht im Interesse und zum Wohle der Menschen. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist ein schwieriges, ein sehr komplexes Thema, gleichwohl ein sehr spannendes Thema, wie ich finde. Der Grund für die Zunahme der Zahl der Patientenverfügung ist die heute in unserer Gesellschaft bestehende Angst vor einem schmerzhaften und einem grausamen Sterben. Es ist mehrfach gesagt worden: Durch die moderne Medizin kann Leben gerettet werden, aber das Sterben kann eben manchmal auch qualvoll lange
hinausgezögert werden kann. Es finden in unserer Gesellschaft, in unseren Institutionen teilweise sehr würdelose Sterbeprozesse statt. Ich nehme an, dass darüber Einigkeit besteht. Deshalb ist die Patientenverfügung so populär geworden. Viele Menschen wollen im Zeitalter der Intensivmedizin und der künstlichen Ernährung nun einmal selbst über das eigene Sterben bestimmen und nicht gegen ihren Willen am Leben gehalten werden.
Das Thema Patientenverfügung ist sehr komplex, wie eine Vielzahl von Publikationen und eben auch die eingesetzte Enquete-Kommission des Bundestages deutlich machen. Bei der Patientenverfügung spielen so komplizierte Fragen wie die passive und die indirekte Sterbehilfe hinein, und auch die Grundrechte eines jeden Menschen, wie die Würde, die Freiheit, die Selbstbestimmung und das Recht auf Leben, spielen eine zentrale Rolle.
Mindestens vier Voraussetzungen müssen bei einer Patientenverfügung erfüllt sein - ich nehme an, dass darüber Konsens herrscht -: Die verfügte und die aktuelle Situation müssen übereinstimmen. Der Wille des Verfügers ist aktuell. Das ist eine sehr wichtige Forderung. Sonst können Zweifel angemeldet werden, ob die Patientenverfügung noch gelten soll. Insoweit hat der BGH eine, wie ich finde, sehr schwierige Rechtsprechung getroffen. Wenn es aber keine Anzeichen für eine Willensänderung gibt, dann ist es meines Erachtens auch heute so, dass die Patientenverfügung Rechtskraft entfaltet. Eine weitere wichtige Forderung ist, dass die Verfügung bei klarem Verstand und ohne äußeren Druck entstanden sein muss. Außerdem - auch das wurde hier mehrfach gesagt - wird keine aktive Sterbehilfe verlangt. Es ist sehr interessant, dass im deutschen Recht der assistierte Suizid nicht unter Strafe gestellt ist. Insoweit besteht also ein sehr schmaler Grat.
Dissens gibt es aber in der Frage, ob eine Verfügung nur bei einem terminalen Krankheitsstadium Gültigkeit entfaltet oder eben auch in Fällen von schweren und schwersten Krankheiten, in denen aber noch die Aussicht auf weiteres Leben, z. B. bei Wachkoma-Patienten oder schweren Schlaganfällen, besteht. Sehr, sehr schwierige Fragen nach Lebensqualität und Lebenssinn werden hier angesprochen. Ich nehme an, dass wir uns einig sind, dass niemals ein anderer das Lebensrecht eines schwer Kranken infrage stellen darf und dass auch kein gesellschaftlicher oder gar finanzieller Druck auf schwer Kranke ausgeübt werden darf - sozusagen zum sozialverträglichen Ableben.
Ich bin gleichwohl für die strenge Verbindlichkeit einer Verfügung, und ich will gerne erläutern, warum. Irgendjemand muss letztlich entscheiden, und dann will ich die Entscheidung, so unvollkommen sie auch sein mag, über mein Leben und Sterben selbst treffen und nicht anderen in die Hand geben, weder einem Arzt noch meiner Familie und auch keinem Vormundschaftsgericht. Ich kann eben nicht einsehen, warum ich im bewussten Zustand jede medizinische Behandlung ablehnen kann, aber eine Vorausverfügung für den Fall einer Bewusstlosigkeit nur noch eingeschränkt gilt. Diese Rechtslogik ist mir nicht eingängig, und deswegen bin ich dezidiert für eine strenge Verbindlichkeit.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch ein bisschen Kritik an Ihrem Antrag äußern. Ich finde, dass er zum Teil Schwächen hat. Er suggeriert nämlich, dass Ärzte grundsätzlich zur Erhaltung des Lebens verpflichtet sind. Sie, Herr Biester, haben zutreffend gesagt - insofern besteht meines Erachtens ein gewisser Widerspruch zwischen dem, was Sie in dem Antrag geschrieben haben, und Ihrer Rede -, dass prinzipiell im deutschen Recht gilt: Der Wille des Patienten ist oberstes Gesetz. Niemand braucht sich gegen seinen Willen medizinisch behandeln zu lassen. Verstößt ein Arzt dagegen - aus welchen Gründen auch immer -, begeht er Körperverletzung. Es ist außerdem auch heute schon ein schwerer Behandlungsfehler, wenn ein Arzt bei einem terminal irreversiblen Krankheitsverlauf eine Behandlung nicht einstellt. Es gibt also weder eine medizinische noch eine rechtliche, noch eine ethische Verpflichtung und schon gar keine staatliche Verpflichtung zum Leben bis zuletzt. Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, aber es gibt eben keine Pflicht, zu leben.
Die Meinungen und Einstellungen in Sachen Patientenverfügung gehen also quer durch die Fraktionen. Es gibt sowohl innerhalb der CDU als auch bei den Grünen unterschiedliche Ansätze. Das macht die Sache so kontrovers. Ich finde es sehr gut, wenn wir eine Anhörung zu dem Thema durchführen. Ich plädiere hier für eine Gewissensentscheidung ohne Fraktionsdruck. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der medizinische Fortschritt ermöglicht heute ärztliche Behandlung und Therapien, die vor Jahren noch gänzlich undenkbar gewesen sind. So werden wir das in der Zukunft auch erleben. Wir alle profitieren davon, aber wir müssen uns auch bewusst sein: Zugleich haben die medizinischtechnischen Möglichkeiten zur Verlängerung eines Lebens zugenommen, auch wenn es keine Aussicht auf Heilung oder auch nur auf Besserung des Leidens gibt. Die moderne Medizintechnik ermöglicht es, einen schwerstkranken Menschen auch dann am Leben zu erhalten, wenn Körperfunktionen wie Herz, Kreislauf und Atmung unwiederbringlich ausgesetzt haben und auch sein Bewusstsein unwiederbringlich verloren ist. Dabei denke ich z. B. an einen älteren Menschen, der einen schweren Schlaganfall erlitten hat. Aber, meine Damen und Herren, es kann genauso gut einen jungen Menschen betreffen, der durch einen Unfall plötzlich ins Koma gefallen und auf Beatmungsgeräte und Magensonden angewiesen ist.
Bei der Diskussion um Patientenverfügungen geht es also um das Letztentscheidungsrecht über Leben oder Tod durch den Betroffenen, durch Ärzte oder durch Angehörige. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Weder der ärztliche Heilauftrag noch unsere gesellschaftliche Verantwortung enden gegenüber einem Menschen in seiner letzten Lebensphase. Aber vielen Menschen macht die Vorstellung einfach Angst, am Ende des Lebens vielleicht nur mithilfe einer Apparatemedizin am Leben erhalten - oder besser: am Sterben gehindert - zu werden. Für manche Menschen ist der Gedanke unerträglich, nicht sterben zu dürfen, obwohl der Körper seinen Dienst längst versagt und das Bewusstsein den Körper längst verlassen hat. Sie möchten nicht, dass ausschließlich medizinisch-technische Möglichkeiten ihr Sterben bestimmen. Ihr Tod soll nicht von der Entscheidung eines anderen Menschen oder gar einer staatlichen Institution abhängig sein.
Die Eigenverantwortlichkeit dieser Entscheidung über das Sterben ist für viele Menschen ein ganz wichtiger Bestandteil ihrer Menschenwürde. So verfassen immer mehr Menschen eine Patientenverfügung. 7 Millionen sollen es nach einer Schätzung der Deutschen Hospizstiftung bereits sein. Sie möchten Selbstbestimmung, bestimmen, welche Behandlung ihnen in der ihrer letzten Lebens
phase zuteil werden soll. Sie möchten selbst entscheiden, welche Maßnahmen in der letzten Lebensphase vielleicht auch unterbleiben sollen.
Eine Vielzahl von Broschüren empfiehlt nun Formulierungen und Textbausteine, die bei der Abfassung der Patientenverfügung helfen sollen. Auch der Bundesgerichtshof - Herr Briese hat schon darauf hingewiesen - hat sich bereits mehrfach mit der Thematik befasst und inzwischen Patientenverfügungen auf jeden Fall grundsätzlich für verbindlich erklärt.
Trotz allem herrscht nach wie vor bei Patienten, aber auch bei Ärzten und Juristen eine große Unsicherheit darüber, wie mit Patientenverfügungen umzugehen ist. Die Patienten fragen sich: Was kann ich vorab für den Fall meiner späteren Entscheidungsunfähigkeit bestimmten? Muss ich meine Wünsche aufschreiben, oder reicht es, mich mit meinen Angehörigen oder mit meinem Hausarzt zu besprechen? Wie aktuell muss die Verfügung sein? Ist es garantiert, dass meine Wünsche, meine Verfügung überhaupt beachtet werden?
Ärzte wiederum stehen vor der Frage, ob und mit welcher Konsequenz sie den vorab geäußerten Willen des Patienten zu beachten haben. Kann der Patient das Unterlassen von lebenserhaltenden Maßnahmen vorab bestimmen, obwohl der Arzt diese Maßnahmen für geboten hält? Muss der Arzt strafrechtliche Sanktionen befürchten, wenn er lebenserhaltende Maßnahmen beendet?
Mit dem Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts unternahm das Bundesministerium der Justiz im Februar 2005 den Versuch, Patientenverfügungen gesetzlich zu regeln. Dieser Entwurf räumt dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten eine praktisch unbegrenzte Reichweite ein. Vor dieser Erweiterung wiederum hat die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages unter Hinweis auf die Verpflichtung des Staates zum Lebensschutz gewarnt: Es gelte, so die Kommission, zu vermeiden, indem Druck auf ältere oder schwer kranke Menschen ausgeübt wird, ihr Leben mittels einer Patientenverfügung beenden zu lassen.
Kann eine Patientenverfügung also auch verbindlich sein, wenn das Leiden des Patienten noch nicht zu einem Stadium geführt hat, in dem mit dem Tod des Patienten sicher gerechnet werden muss? Soll es künftig möglich sein, unter Berufung auf eine Patientenverfügung eine Hilfeleistung zu
unterlassen, obwohl das ärztlich geboten wäre? Soll es unterlassen werden, einen Arzt hinzuzuziehen, obwohl dies erforderlich und auch notwendig wäre, um eventuell auch noch in diesem Fall zu überleben?
Gerade für solche Fälle gilt es beschränkende Regelungen zu schaffen, um - das muss man auch ganz deutlich sagen - den Missbrauch einer Patientenverfügung zu verhindern. Denn zwischen der Abfassung der Patientenverfügung und dem tatsächlichen Eintreten dieser Entscheidungssituation können viele Jahre ins Land gehen.
Bei allem Verständnis für die Forderung nach größtmöglicher Patientenautonomie, eines muss dabei auch noch bedacht werden. Eine Patientenverfügung kann nicht etwas erlauben, was strafrechtlich verboten ist. Um es genau zu sagen, die Tötung auf Verlangen kann auch nicht durch eine Patientenverfügung legalisiert werden. Anders als z. B. in den Niederlanden wird diese Tötung auf Verlangen in Deutschland weiter strafbar bleiben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es bleibt festzustellen, die Diskussion hinsichtlich Umfang und Wirkung von Patientenverfügungen ist notwendig. Es besteht Klärungsbedarf hinsichtlich des Umfangs und auch der Formerfordernisse. Ich glaube, meine Damen und Herren, es besteht auch ein Handlungsbedarf. Dabei ist allerdings angesichts der immensen Auswirkungen einer solchen Regelung auf größte Sorgfalt zu achten.