Protocol of the Session on December 16, 2004

Herr Minister, Sie haben eben darauf verwiesen, dass bei der Abschiebung kein unmittelbarer Zwang angewendet wurde. Würden Sie mir denn Recht geben, dass bei einem Einsatz mitten in der Nacht vor schlafenden Kindern in einem Raum, in dem sich die Familie in Sicherheit fühlt, weil man ihr versichert hat, dass sie sich in sakralen Gebäuden befindet und Kirchenasyl genießen, zumindest von mittelbarem Zwang sprechen kann, wenn plötzlich 20 Beamte mitten in der Nacht auftauchen?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister Schünemann für die Landesregierung!

Verehrte Frau Kollegin, eine Abschiebung ist keine freiwillige Ausreise; es ist eine Zwangsmaßnahme. Aber hier ist es so, dass der Termin genau abgesprochen worden ist, dass alle Modalitäten abgesprochen worden sind. Man hat daher gewusst, um welche Uhrzeit die Abschiebung erfolgt. Man hat sich mit dem Pastor zusammengesetzt und hat intensive Gespräche geführt. Deshalb gibt es keine andere Möglichkeit, als nach den klaren Äußerungen, dass es zur Abschiebung kommt, die Abschiebung durchzuführen. Dass das keine schöne Situation ist, will ich Ihnen sehr gern zugestehen. Aber die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise hat acht Jahre lang bestanden.

(Beifall bei der CDU)

Die nächste Zusatzfrage stellt die Abgeordnete Frau Korter.

Herr Minister, ich möchte noch einmal eines klarstellen: Es geht jetzt nicht um die rechtliche Situation, sondern es geht darum, in welcher Art und Weise die Abschiebung in einer Nacht-und-NebelAktion vorgenommen wurde.

(Zurufe von der CDU: Fragen, fragen!)

Ich frage Sie in diesem Zusammenhang: Warum und zu welchen Zwecken wurde die gesamte polizeiliche Maßnahme gefilmt, und wo werden die Daten gespeichert?

Herr Minister Schünemann!

Ich hatte schon ausgeführt, dass auch das Landeskirchenamt in Hannover darauf hingewiesen hat, dass man sich als Pastor strafbar machen kann, wenn man eine Abschiebung verhindern will. Ich kann das aus diesem Rundschreiben vorlesen:

„Kirchenvorstände, die sich vor die Entscheidung gestellt sehen, in einem Einzelfall das so genannte Kirchenasyl zu gewähren, stehen aufgrund der bestehenden Rechtslage vor folgenden Risiken: Sie können Straftatbestände erfüllen, wenn sie einem Ausländer Hilfe leisten, der ohne Duldungs- oder Aufenthaltsgenehmigung bzw. ohne Pass und Ausweisersatz in das Bundesgebiet eingereist ist und sich hier aufhält oder der unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen eine Duldungs- bzw. Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen, oder der gegen ihm auferlegte Duldungs- und Aufenthaltsbeschränkungen verstößt. Gleiches gilt, wenn Kirchenvorstände Ausländer zu einem

solchen Verhalten anstiften. Darüber hinaus können sie unter Umständen Straftatbestände erfüllen, wenn sie eine staatliche Vollzugsmaßnahme Abschiebung und Ähnliches - vereiteln. Je nach Fallkonstellation können unterschiedliche Straftatbestände des Strafgesetzbuches in Betracht kommen, u. a. Begünstigung, Strafvereitelung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.“

Insofern ist diese Maßnahme auch polizeilich gefilmt worden. Das Video befindet sich bei der Staatsanwaltschaft und wird zurzeit ausgewertet.

Ihre zweite Zusatzfrage stellt Frau Abgeordnete Polat.

Herr Minister Schünemann, ich möchte Sie aus dem letzten November-Plenum zitieren. Sie haben gesagt, dass es im Ausländergesetz eine Regelung für bestimmte Situationen mit besonderer Härte gibt, bei denen man außerhalb der normalen rechtlichen Regelungen Entscheidungen treffen muss. Sehen Sie keine Härte darin, ein autistisches Kind mit Klaustrophobie abzuschieben, und sehen Sie in Zukunft nicht die Möglichkeit, solche Regelungen zu treffen?

Herr Minister Schünemann!

Auch darauf habe ich schon eine Antwort gegeben. Dies festzustellen ist Sache des Bundesamtes. Das Bundesamt hat festgestellt, dass dies kein Hinderungsgrund ist. In dem neuen Zuwanderungsgesetz ist die Möglichkeit einer Härtefallkommission vorgesehen. Das Parlament hat entschieden, dass man ähnliche Möglichkeiten über das Petitionsverfahren einräumt. Aber es ist genauso festgelegt worden, an welche Bedingungen das geknüpft ist. Eine Bedingung ist ganz klar, dass man keine staatlichen Leistungen wie etwa Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe erhält. Dies liegt

hier nun unstrittig vor. Insofern gibt es keine Möglichkeit. Deshalb ist dieser Fall ganz eindeutig.

(Beifall bei der CDU)

Eine weitere Zusatzfrage stellt der Abgeordnete Wenzel.

Herr Minister Schünemann, Kirchenvorstände machen sich solche Fragen ja nicht einfach. Kirchenasyl ist immer auch eine Frage an unser Gewissen, an unser Rechtsverständnis und letztlich auch an unser Verständnis von christlicher Nächstenliebe. Gerade vor dem Hintergrund unserer Geschichte müssen wir uns Gedanken machen, wenn so viele Menschen es nicht verstehen können, dass behinderte Kinder nachts aus dem Bett geholt werden.

(David McAllister [CDU]: Frage! Wo ist denn die Frage?)

- Haben Sie vielleicht einmal die Peiner Zeitung gelesen, Herr McAllister?

Herr Wenzel, stellen Sie bitte Ihre Frage!

Ich komme zur Frage. - Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass in Peine und in der Region so viele Menschen sehr peinlich von dem berührt sind, was dort passiert ist, und beschämt sind, frage ich Sie erstens: Wie wollen Sie künftig damit umgehen, wenn sich Kirchengemeinden und Kirchenvorstände dazu entschließen, einer Familie in einem besonderen Fall Kirchenasyl anzubieten?

Meine zweite Frage: Was ist für Sie der Unterschied zwischen einem Kirchenasyl und einem so genannten Kirchenasyl?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister Schünemann!

Das ist doch gar keine Frage. Wenn man hier zehn oder elf Jahre lang gewohnt hat und dann ausreisepflichtig ist und abgeschoben wird, ergibt sich daraus eine schwierige Situation. Das ist doch unbestritten. Ich muss Ihnen aber sagen: Wenn Sie sich jetzt hier hinstellen und diejenigen, die Recht ausgeübt haben, in eine moralisch schwierige Ecke stellen, dann halte ich das für schwierig. Ich darf daran erinnern, dass dies meiner Ansicht nach auch etwas mit Doppelmoral zu tun hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Sie haben doch das C im Parteinamen!)

- Kleinen Moment! - Wenn Sie sich hier hinstellen - -

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Ist es denn zu viel verlangt, noch einen Tag zu warten und die Situation zu bespre- chen und darüber zu reden, was man machen kann? Muss man dann in der Nacht kommen?)

Diese Doppelmoral von Ihnen - um diesen Satz zu Ende zu bringen - macht mir schon zu schaffen. Es kann nicht angehen, dass Sie im Rahmen des Petitionsverfahrens anerkannt haben, dass all das, was bisher durchgeführt worden ist, absolut rechtmäßig war.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Jetzt aber stellen Sie sich hierhin und tun so, als ob diejenigen, die Recht ausgeübt haben, irgendwo etwas Unmoralisches getan haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich kann Ihnen noch einmal sagen, wie das an dem betreffenden Tag abgelaufen ist. Sie sind Mittags aufgesucht worden. Mit denen ist im Detail besprochen worden, wie die Abschiebung vollzogen werden soll. Erst am Abend hat man die Nachricht bekommen, dass man sich an den Pastor gewandt hat. Aus meinem Protokoll geht hervor, dass sich der Pastor an die Familie gewandt hat, um dort noch etwas zu erreichen. Es war ganz klar, um welche Uhrzeit die Abschiebung vollzogen werden soll. Deshalb hätte man sich genau darauf vorbereiten sollen. In letzter Sekunde hat man versucht, hier etwas zu machen. Das hat mit den Ver

einbarungen, die zwischen dem Land und den Kirchen geschlossen worden sind, aber überhaupt nichts zu tun. Man hat sich nicht an die Vereinbarungen gehalten. Deshalb darf es keinen Zweifel daran geben, dass sich die Behörden vor Ort völlig korrekt verhalten haben.

Ich sage Ihnen: Ich habe ein Problem damit, wenn man hier so tut, dass die etwas Unmoralisches getan haben. Die Mitarbeiter, die vor Ort tätig geworden sind, werden jetzt sogar zum Teil bedroht. Ich kann Ihnen nachher einmal zeigen, welche Briefe eingehen. Das finde ich schlimm. Deshalb sollten auch Sie sich meiner Meinung nach hinter die Beamten stellen, die hier nur das ausführen, was Sie mitbeschlossen haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, bevor ich den Abgeordneten Klein aufrufe, möchte ich Sie daran erinnern, dass wir es hier mit einer wirklich schwierigen Situation zu tun haben. Wir sollten darüber so sachlich wie möglich debattieren. Dieser Hinweis von mir gilt für alle. - Herr Klein, Sie möchten eine Zusatzfrage stellen.

Ausweislich der Aussagen von Augenzeugen hat sich das kranke Kind im Flugzeug übergeben, hat Nasenbluten gehabt und hat Wutausbrüche bekommen. Sind Sie der Meinung, dass in diesem Fall unabhängig davon, welche Ursachen diese Vorkommnisse hatten, nicht doch eine ärztliche Versorgung angebracht gewesen wären?

Herr Minister Schünemann!

Während der gesamten Zeit - auch das habe ich schon ausgeführt - war eine Ärztin zugegen.

(Hans-Jürgen Klein [GRÜNE]: Die nicht eingegriffen hat! Das haben Sie selbst gesagt!)

Die Ärztin hat uns nach ihrer Rückkehr schriftlich bescheinigt, dass es während des Fluges zu kei

nen Auffälligkeiten gekommen ist. Ich habe überhaupt keinen Zweifel daran, dass uns diese Ärztin die Wahrheit gesagt hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eine Zusatzfrage stellt jetzt die Abgeordnete Dr. Heinen-Kljajić.

Herr Minister, ich frage die Landesregierung: Ist es richtig, dass gegen den Pastor der Kirchengemeinde ein Strafverfahren eingeleitet wurde, und gibt es weitere Personen, gegen die ein solches Verfahren eingeleitet wurde?