Protocol of the Session on November 19, 2004

Um aber wieder auf den Ernst des Themas zurückzukommen: Herr Böhlke, ich fand es schon haarsträubend, was Sie vorhin gesagt haben. Sie werfen den Wohlfahrtsverbänden und weiteren Betroffenen letztendlich vor, dass sie noch nicht begriffen haben, wie der Ernst der Lage ist. Wenn Sie so etwas behaupten, dann ist das eine Beleidigung der Betroffenen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie sagen: Die Betroffenen sehen Notwendigkeiten nicht ein. - Ich frage mich dann: In welcher Welt leben Sie denn?

Sie reden davon, dass wir uns von Sozialträumen zu verabschieden hätten. In diesem Land hat aber

niemand mehr Sozialträume. Dafür haben u. a. auch Sie gesorgt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wenn wir dadurch, dass wir diesen Antrag auch ein drittes oder viertes Mal wiederholen,

(Bernd Althusmann [CDU]: Jetzt wer- den Sie aber doch stürmisch!)

weil Sie nämlich nicht in der Lage sind, Ihren selbst eingeschlagenen Weg zu verfolgen, sondern immer wieder vom Wege abkommen, erreichen, dass die Halbwertzeiten Ihrer Versprechungen erhöht werden, dann haben wir auch kein Problem damit, diesen Antrag heute zur Abstimmung zu stellen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Thorsten Thümler [CDU]: Eure Halbwertzeit ist ohnehin nicht hoch!)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe daher die Beratung.

Die SPD-Fraktion als antragstellende Fraktion hat den Antrag auf sofortige Abstimmung gestellt. Ich lasse nun über diesen Antrag der SPD-Fraktion abstimmen. Wer für die sofortige Abstimmung ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Stimmenthaltungen? - Ich sehe, das ist nicht der Fall.

Meine Damen und Herren, damit kommen wir zur Abstimmung über den Antrag. Wer dem Antrag so zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Stimmenthaltungen? Das ist einstimmig so geschehen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 31: Mehr Aufklärung und Information für mündige Bürgerinnen und Bürger - Das Europäische Informations-Zentrum erhalten Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/1421

Die Fraktionen sind übereingekommen, dass dieser Antrag direkt überwiesen wird, und zwar federführend an den Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien und mitberatend an den Ausschuss für Haushalt und Finanzen und an den Kultusausschuss. Wer dem so zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Stimmenthaltungen? - Das ist so beschlossen.

Ich rufe nun auf

Tagesordnungspunkt 32: Erste Beratung: Kommunale Verantwortung für die Abfallwirtschaft sichern - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/1432

Der Antrag wird eingebracht von der Abgeordneten Frau Steiner. Frau Steiner, ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entsorgung von Abfällen auf angemessenem Niveau ist ebenso wie die Trinkwasserversorgung oder die Abwasserentsorgung ein Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Die Rahmenbedingungen der Abfallentsorgung haben wir zum Thema dieses Antrages gemacht.

(Unruhe)

Frau Steiner, einen Augenblick, bitte. - Fahren Sie bitte jetzt fort.

Wir können feststellen: Die kommunalen Strukturen in der Abfallwirtschaft haben sich bewährt. Die Entsorgungssicherheit ist auf hohem technischen und ökologischen Niveau gewährleistet. Kommunale Träger und ihre Beauftragten stellen für die Bürgerinnen und Bürger und die kleineren Gewer

bebetriebe ein umfangreiches Dienstleistungsangebot zur Verfügung, und zwar sowohl bei der Entsorgung als auch bei der Verwertung und Beseitigung von Siedlungs- und Gewerbeabfällen.

(Christian Dürr [FDP]: Gut so!)

Viele Städte und Landkreise in Niedersachsen, ca. die Hälfte der entsorgungspflichtigen Körperschaften, sind zwar die Träger der Entsorgung, aber sie lassen ihre Abfälle ganz oder zum Teil von privaten Unternehmen einsammeln, behandeln und entsorgen.

(Christian Dürr [FDP]: Wettbewerb ist immer gut!)

Sie profitieren derzeit von einem starken Wettbewerb unter den Betrieben. Herr Dürr, das müsste Ihnen doch Recht sein.

Nun fordert aber die Entsorgungswirtschaft eine vollständige Liberalisierung im Abfallbereich. Bei den Industrievertretern heißt das „stärkere Unterwerfung unter marktwirtschaftliche Prinzipien“. Konkret heißt das, die Andienungspflicht für Hausmüll und Gewerbemüll von kleineren Unternehmen an die kommunalen Entsorger aufzuheben. Der Restabfall soll frei handelbar werden. Er wäre dann zu behandeln wie ein x-beliebiges Wirtschaftsgut, und die Beteiligung von kommunalen Gremien und Kreistagen an abfallwirtschaftlichen Entscheidungen wäre ausgeschaltet. Bei dieser Problemlage ist es vonseiten des Umweltministers völlig verfehlt, öffentlich die Liberalisierung der Hausmüllentsorgung in die Diskussion zu bringen.

Stellt man jetzt die Überlassungs- und Entsorgungspflicht für Abfälle aus privaten Haushalten und kleineren Gewerbebetrieben zur Disposition, so ebnet man den Weg für die Bildung von Müllmonopolen. Das Bundeskartellamt prüft zurzeit die geplante Übernahme von 70 % des Entsorgungsunternehmens RWE Umwelt durch den Konkurrenten Rethmann Entsorgung. Rethmann, bisher die Nummer 2 auf dem bundesweiten Entsorgungsmarkt, würde mit dieser Übernahme zum unangefochtenen Branchenstärksten aufrücken. Er wäre etwa dreimal größer als der nächste Mitbewerber.

Die Branche, bisher mit ca. 600 meist mittelständischen Betrieben, befürchtet, dass Rethmann damit die Möglichkeit hat, die Wettbewerber unter sein Preisdiktat zu zwingen. Das Unternehmen sei logistisch derart aufgerüstet, dass es in jedem Ge

biet jeden Wettbewerber, der nicht nach den Vorgaben von Rethmann spielt, aus dem Markt fegen könne. Solche Zustände kann doch auch diese Landesregierung nicht wirklich wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Christian Dürr [FDP]: Dafür gibt es ja das Bun- deskartellamt!)

Eine Entwicklung wie auf dem Strommarkt, auf dem sich als Konsequenz völliger Liberalisierung nach einer Übergangsphase monopolartige Strukturen verstärkt haben, darf sich auf dem Entsorgungsmarkt nicht wiederholen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Christian Dürr [FDP]: Dazu sage ich gleich et- was!)

Bei dieser Ausgangssituation kann eine ordnende Hand des Marktes, auf die der liberale Urvater Adam Smith noch gesetzt hat, nicht erwartet werden, eher aber Wildwest im Müllbereich.

Was würde es nun bedeuten, wenn man voll liberalisierte und privatisierte? - Um Fehlinterpretationen vorzubeugen, die ich schon erahne, die zumindest vonseiten der FDP-Fraktion gleich eingebracht werden, möchte ich gleich betonen, dass es sich hier nicht um den Ausbau des staatlichen Sektors handelt, sondern es geht um den Erhalt der Rahmenbedingungen für die kommunale Abfallwirtschaft und um eine flächendeckende umweltgerechte Entsorgung zu sozialverträglichen Preisen.

Stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn die Andienungspflicht bei den Kommunen fällt und sich Hausbesitzer und kleine Gewerbebetriebe mit einem kleinen Schein die anderweitige Verwertung bestätigen lassen können. Die Kommunen werden auf ihren Investitionen sitzen bleiben, sie werden die Kosten für die Langzeitvorsorge allein bezahlen müssen, und die kommunalen Betriebe kommen in schweres Wasser. Die Kosten würden auf die Bürgerinnen und Bürger umgelegt werden müssen. Parallel dazu sind diese Bürger abhängig von den Kosten, die ihnen die privaten Entsorger berechnen. Die Gewinne, die vorher von den kommunalen Trägern zur Verringerung der Kosten genutzt werden konnten, würden dann im Säckel der privaten Entsorger landen und bei den kommunalen Haushalten fehlen. Der Staat bliebe im Interesse aller weiterhin zur Kontrolle der Abfallverwertung verpflichtet. Wie die Kommunen das

dann effektiv durchführen sollen, müssen Sie mir einmal erklären.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Von der Aufrechterhaltung ökologischer Standards in der Entsorgung brauchen wir dann gar nicht mehr zu reden.

Wollen Sie solche Zustände in Niedersachsen herbeiführen? Wir Grünen nicht. Wir befinden uns dabei in guter Gesellschaft,

(Beifall bei den GRÜNEN - Christian Dürr [FDP]: Ja, ja, die böse Marktwirt- schaft!)

und zwar in Gesellschaft der Vertreter der Kommunen und des Sachverständigenrats für Umweltfragen. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat in seinem jüngst vorgestellten Gutachten gefordert, dass die Hausmüllentsorgung weiterhin in der ausschließlichen Zuständigkeit der kommunalen öffentlichen-rechtlichen Entsorgungsträger verbleiben soll. Auch er sieht die Gefahr, „dass sich ein diffuser, mehr an Gewinninteressen als an Umweltverträglichkeit orientierter Entsorgungsmarkt ausbreitet, der nicht mehr genügend kontrollierbar ist und einen ganz erheblich gesteigerten Sammlungsund Transportaufwand mit sich bringt“. Nach seiner Auffassung würde eine Liberalisierung in diesem Bereich die Kontrolle über die Abfälle erheblich erschweren.

Auf europäischer Ebene wird im nächsten halben Jahr neu definiert, was unter Abfall, unter Verwertung und unter Beseitigung zu verstehen ist. Der Umweltrat fordert die Bundesregierung auf, auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass die Mitgliedsstaaten weiterhin dazu berechtigt sind, zumindest die Hausmüllentsorgung vollständig der öffentlichen Daseinsvorsorge zuzuweisen. Dafür treten auch wir ein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Damit kommen wir zur Abfallwirtschaft in Niedersachsen zurück. Meine Damen und Herren, die Forderung nach Liberalisierung ist ein falsches politisches Signal. Das richtige Signal heißt: Grün für den Erhalt der kommunal bestimmten Abfallwirtschaft. Grün für die Beibehaltung der Andienungsund Entsorgungspflicht. Grün für den Erhalt einer mittelständischen Entsorgungswirtschaft. Der Landtag sollte sich für dieses Signal entscheiden,

und die Planspiele im Umweltministerium sollten eingestellt werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion hat die Abgeordnete Frau Klopp um das Wort gebeten. Ich erteile es ihr.