Im letzten Jahr gab es eine Kürzung um 20 % mit der Zusage, das sei es jetzt aber gewesen. Und nun sagen Sie „April, April!“ und wollen das Blindengeld abschaffen. Ich bin wirklich gespannt, ob Ihren Einlassungen, man könne über einen Kompromiss nachdenken, wirklich Taten folgen. Ich hoffe, dass die 140 000 Unterschriften, die inzwischen gesammelt worden sind, diesen Nachdenkprozess befördern werden. Wie glaubwürdig ist eine Sozialpolitik, die blinde Menschen reihenweise auf die Straße treibt, weil sie zu Recht Angst haben, dass ihr Recht auf Teilhabe von dieser Landesregierung kaltherzig abgeschafft werden wird?
Wie glaubwürdig sind die Äußerungen einer Regierung, die alle Wohlfahrtsverbände dazu zwingt, Brandbriefe zu schreiben, weil sie die bewährte Sozialpartnerschaft extrem gefährdet sehen? Wie ernst dürfen wir den Stellenwert der Sozialpolitik der Regierung vor diesem Hintergrund noch nehmen?
Wie geht diese Landesregierung mit den in den sozialen Einrichtungen arbeitenden Menschen um? - Gelder werden nur schleppend oder verspätet bewilligt, Bescheide werden erst am Ende der Bewilligungsfrist erteilt und zudem mit der Bemerkung versehen, eine weitere Bewilligung könne im Hinblick auf die Haushaltslage nicht zugesichert werden. Damit ist soziale Arbeit nicht mehr planbar. Ein solches Vorgehen hat zudem eine verheerende Auswirkung auf die Motivation der dort arbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In der
fortdauernden Situation der Ungewissheit springen diese teilweise ab und sind nicht wieder zu ersetzen. Daneben werden Kürzungen sehr kurzfristig angekündigt und bringen die Einrichtungen auch in arbeitsrechtlich höchst problematische Situationen.
Meine Damen und Herren, Sie beschwören in allen möglichen Verlautbarungen das Ehrenamt und seinen hohen Stellenwert. Gleichzeitig bringen Sie Einrichtungen an den Rand der Existenz und sorgen dafür, dass Fachkräfte wegbrechen. Ohne hauptamtliches Rückgrat ist aber eine Gewinnung und Schulung von Ehrenamtlichen nicht möglich, denn die bewegen sich doch nicht im luftleeren Raum. Auch durch die angekündigte Streichung von Kleinstförderungen beschädigen Sie bürgerschaftliches Engagement erheblich.
Damals habe ich zu Ihrem Antrag „Partnerschaftliche Sozialpolitik“ gesagt: Der Antrag ist doch eigentlich überflüssig, denn alles, was in dem Antrag steht, ist selbstverständlich, und ich gehe davon aus, dass das so gemacht wird. Heute sage ich: Leider macht das Verhalten dieser Landesregierung diesen Antrag erforderlich; denn Sie müssen sich schon an Ihren eigenen dort formulierten Ansprüchen messen lassen. - Ich danke Ihnen.
Bevor ich Frau Meißner von der FDP-Fraktion das Wort erteile, möchte ich dem Abgeordneten Böhlke mitteilen, dass er nach § 39 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung den Antrag auf sofortige Abstimmung nicht stellen kann.
(Norbert Böhlke [CDU]: Eigentlich schade! - Heidemarie Mundlos [CDU]: Aber wir haben damit doch ein Signal ausgesandt! - Bernd Althusmann [CDU]: Wir empfehlen der SPD- Fraktion, das zu beantragen! So war das gemeint!)
Da die Zeit läuft, muss ich wohl anfangen. Es ist gerade wieder eine allgemeine Unruhe ausgebrochen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte diesen Antrag zum Anlass nehmen, einmal zu sagen, was aus liberaler Sicht sozial ist, denn es geht bei diesem Antrag ja um Sozialpolitik. Was also ist sozial? - Sozial ist es, für ein funktionierendes soziales mitmenschliches Gefüge zu sorgen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass ein menschliches Leben für alle bei uns möglich ist. Das heißt: Wir müssen denen helfen, die sich nicht selber helfen können, und darauf den Schwerpunkt staatlicher Hilfe setzen.
Ich habe gerade gesagt: Sozial ist es, für ein funktionierendes soziales Gefüge zu sorgen. Das heißt: Ein menschenwürdiges Leben muss für alle möglich sein. Das heißt auch: Wir müssen denen helfen, die sich nicht selber helfen können, und darauf die staatliche Hilfe als Schwerpunkt setzen. Alle anderen müssen wir in die Lage versetzen, möglichst eigenverantwortlich ihr Leben zu gestalten
und aus eigener Kraft ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Das halte ich für eine ganz soziale Aufgabe, denn es entspricht dem Bedürfnis aller Menschen, für sich allein etwas schaffen und darauf stolz sein zu können. Das stärkt das Selbstwertgefühl und setzt positive Energien frei.
Sozial ist es auch, Arbeitsplätze zu schaffen und für diejenigen, die Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, die passenden Rahmenbedingungen. Sozial ist es - das finde ich ganz wichtig -, an Starke zu appellieren, sich für die Schwächeren einzusetzen sowie Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement zu schaffen. Davon hat Frau Helmhold eben schon gesprochen.
Wir müssen also nicht den Staat stark machen - der ist im Moment auch gar nicht mehr in der Lage, für alles zu sorgen -, sondern wir sollten jeden Einzelnen stark machen, um für sich sorgen und auch für andere einstehen zu können.
Sozial ist es meines Erachtens genauso, Bürokratieabbau zu betreiben, z. B. in der Pflege. Bürokratie kostet Zeit und Geld und hindert die Menschen daran, das zu tun, was wirklich wichtig ist. Es hindert sie, die Arbeit zu erledigen, die getan werden muss, und es hindert sie unter Umständen auch, sich gesellschaftlich in der Art und Weise einzubringen, wie Sie es gern möchten.
Sozial ist es, an die Zukunft zu denken. Das ist für mich ganz wichtig. Das Motto für den Kirchentag - es war auch das Motto einer gemeinsamen Predigt am gestrigen Bußtag - lautet: „Wenn dein Kind dich morgen fragt“. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Wenn unsere Kinder, wenn meine und Ihre Kinder und Enkel uns morgen fragen: „Was habt ihr denn damals gemacht in der Regierung?“, möchte ich nicht antworten müssen: „Wir haben das Geld ausgegeben für Dinge, die wir für gut und richtig hielten, und nicht darauf geachtet, was die Zukunft bringt.“
Das heißt also - darüber haben wir ja schon oft gesprochen -: Ganz unsozial ist es, die Verschuldung des Landes weiter nach oben zu treiben. Das wäre das Falscheste, was wir tun können.
Ich komme zur partnerschaftlichen Sozialpolitik. Partnerschaftliche Sozialpolitik in Zeiten knapper Kassen heißt: Man muss miteinander reden, auch und gerade über Veränderungen. Das tun wir. Es heißt: Wir müssen unsere Gesprächspartner und deren Anliegen ernst nehmen. Auch das tun wir.
Partnerschaftliche Sozialpolitik heißt nicht, immer alles so zu lassen, wie es ist. Es ändert sich immer etwas und darüber muss man mit den Partnern reden. Wir müssen versuchen, notwendige Kürzungen möglichst sozial gerecht zu gestalten. Wir müssen Prioritäten gemeinsam verabreden, wie es neu im Antrag steht. Dem stimme ich voll zu, und
das tun wir auch. Partnerschaftliche Sozialpolitik bedeutet weiter, offen zu sein für Argumente der Betroffenen und Entscheidungen rechtzeitig zu verkünden
und auch zu begründen - das tun wir auch - und Übergangslösungen und Alternativen gemeinsam zu diskutieren und entsprechend zu handeln. Auch das tun wir.
Zur partnerschaftlichen Sozialpolitik gehört auch, gegebenenfalls neue Wege zu gehen. Gestern hat die rot-grüne Landesregierung in SchleswigHolstein die Privatisierung der Psychiatrie verkündet. Das ist ein ganz neuer Weg. Solche Überlegungen werden bei uns noch nicht diskutiert.
Letztlich heißt partnerschaftliche Sozialpolitik natürlich auch, verlässlich zu sein und nichts zu versprechen, was nicht zu halten ist.
Die Meinungen darüber, ob das passiert ist oder nicht, gehen auseinander. Ich kann für mich sagen: Ich habe mich im letzten Jahr gehütet, für meine Fraktion etwas zu versprechen, weil ich die Entwicklung der Finanzen noch gar nicht beurteilen konnte und nicht wusste, was wir in diesem Jahr halten können. Natürlich müssen wir verlässlich sein, und natürlich wollen auch wir Planungssicherheit. Das haben wir versprochen, das ist auch ein Ziel. Das Problem ist nur, dass wir aus finanziellen Gründen in vielen Bereichen bis jetzt noch keine Planungssicherheit geben konnten. Würden wir heute etwas versprechen, das wir später nicht einhalten können, wäre das unredlich.
Frau Hemme, Sie haben Demonstrationen angesprochen und gesagt, die Landesregierung lasse die Leute im Stich. Natürlich gibt es Demonstrationen. Sie sind ein demokratisches Mittel, durch das man seine Meinung äußern kann. Das ist bei uns in der Demokratie möglich. Demonstrationen waren immer möglich, das gab es bei der früheren Landesregierung, das gibt es bei der Bundesregierung, das gibt es auch bei uns. Das heißt aber nicht, dass wir völlig auf dem falschen Wege sind und keine partnerschaftliche Sozialpolitik machen.
Zum Antrag kann ich nur noch sagen - im Prinzip hat Herr Böhlke schon vieles genannt -: Sie haben unseren Antrag wieder aufgenommen, und natürlich sehen wir unseren Antrag als richtig an. Er beschreibt eine Zielsetzung, die wir für diese Legislaturperiode haben. Wir sind anscheinend mit Ihnen in dieser Richtung sogar einer Meinung; denn die Zielsetzung ist ja die gleiche. Darum hätte auch ich gleich darüber abstimmen können. Wenn das jetzt nicht geht, werden wir später im Ausschuss darüber beraten. Ich freue mich schon jetzt auf die Beratung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Böhlke, es tut mir ja furchtbar Leid, dass ich Ihnen nicht stürmisch genug war.
(Heiterkeit im ganzen Haus - Bernd Althusmann [CDU]: Das können Sie ja noch nachholen! - Zuruf von Norbert Böhlke [CDU])
Um aber wieder auf den Ernst des Themas zurückzukommen: Herr Böhlke, ich fand es schon haarsträubend, was Sie vorhin gesagt haben. Sie werfen den Wohlfahrtsverbänden und weiteren Betroffenen letztendlich vor, dass sie noch nicht begriffen haben, wie der Ernst der Lage ist. Wenn Sie so etwas behaupten, dann ist das eine Beleidigung der Betroffenen.