Protocol of the Session on April 29, 2004

Wir sind da weiter, und ich habe den guten Eindruck, dass die Schulstrukturreform im August dieses Jahres ein Erfolg werden wird. - Danke schön.

Nach § 71 Abs. 2 hat sich die Abgeordnete Korter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet. Ich erteile Ihnen eine Minute Redezeit.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer Minute komme ich natürlich kaum zu den Argumenten. - Herr Minister, Sie haben uns vorgeworfen, wir würden uns ideologisch gegen eine Verkürzung der Schulzeit sperren. Niemand hätte

etwas gegen ein Abitur nach Klasse 12, wenn Sie echte Ganztagsschulen schaffen würden, wenn es wirklich Bildungszeit gäbe und vor allen Dingen, wenn Sie die Durchlässigkeit noch weiter gewährleisten würden. Das tun Sie alles nicht.

Unser Antrag ist keine verrückte Idee von irgendwelchen Grünen - da gibt es nämlich eigentlich gar keine Verrückten -, sondern er wird unterstützt von vier Philologenverbänden aus dem süddeutschen Raum, von Ihren Parteigängern aus BadenWürttemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Sie können doch nicht sagen, da sei keine schulpolitische Kompetenz.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Uns geht es nämlich nicht - weil Sie immer Ihr nettes Bild vom fahrenden Zug nehmen - um Geschwindigkeit, uns geht es um Qualität.

(Ursula Körtner [CDU]: Das eine schließt das andere aber nicht aus, Frau Korter!)

Deshalb haben wir bereits im Sommer 2003 - wahrscheinlich hat Sie das Gedächtnis schon im Stich gelassen - den Antrag gestellt, individuelle Schulzeitverkürzung durch flexible Eingangsstufen, durch Überspringen und durch Unterstützungsmaßnahmen in den Klassen 10 und 11 zuzulassen. Das haben Sie offensichtlich schon vergessen. Uns geht es darum, dass vielen Schülerinnen und Schülern in Niedersachsen die Chance offengehalten wird, das Abitur zu schaffen, und zu verhindern, dass durch diesen Schnelldurchgang schon vorher viele durch das Raster fliegen. Wenn man nämlich nur auf Tempo setzt, dann stürzen auch viele. Das wollen wir nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? Das Erste war die Mehrheit.

Ich rufe nun verabredungsgemäß den neuen Tagesordnungspunkt auf:

Zusätzlicher Tagesordnungspunkt: Erste Beratung: Ausländerfeindlichkeit und Gewalt verurteilen - Integration fördern - Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD, der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/996

Dieser Antrag wird vom Abgeordneten Jüttner eingebracht. Ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es muss Schluss sein mit der „Humanitätsduselei“ unter diesem Motto hat vor wenigen Wochen ein CDU-Ortsvorsitzender im Landkreis Schaumburg eine rassistische Rede gehalten, die es in sich hatte. Der vorgeblich ansteigende Ausländeranteil in der Bevölkerung sei ein - ich zitiere - „wachsendes Geschwür“, es gelte, den „Chirurgen zu finden, der diesen Tumor wegoperiert“.

Die Rede war schriftlich ausgearbeitet. Der Autor und Redner war 30 Jahre lang aktives CDUMitglied und nicht erstmalig auffällig. Die Aktion war den örtlichen Journalisten als „Paukenschlag“ angekündigt - ein Skandal, wie ich meine, im Schaumburger Land, meiner alten Heimat.

Meine Damen und Herren, hier geht es aber nicht um die Bestimmung der Grenzen von Meinungsfreiheit. Das ist Sache von Gerichten. Es geht um die Frage, was in und von politischen Parteien in Niedersachsen geäußert wird, wie die Parteien ihre Rolle definieren in der Mitwirkung an der Willensbildung, wie sie die Ausgestaltung von Demokratie praktisch vorleben. Ich weiß, meine Damen und Herren, dass man in einer mitgliederstarken Organisation vor Überraschungen, schwerwiegenden programmatischen Ausrutschern niemals gefeit ist. Entscheidend ist, wie die Führung, die politisch Verantwortlichen damit umgehen.

Herr Wulff hat vor einigen Wochen in einem Interview im Deutschlandfunk gesagt, die SPD solle sich einmal an die eigene Nase fassen. - Das ist in Ordnung. Das haben wir aber gemacht. Bei einem ähnlich gelagerten Fall im Herbst 2003 hat die SPD ein Ordnungsverfahren eingeleitet und den Ausschluss eines Parteimitgliedes herbeigeführt. Ich zitiere aus der Begründung der Schiedskommission:

„Zu den aus den Erfahrungen mit Diktatur und Terror der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gewonnenen Grundsätzen der SPD gehört es, besonders wachsam zu sein gegenüber der Verharmlosung nationalsozialistischer Verbrechen und einem Wiederaufleben faschistischer Ideologie. Für eine politische Partei wie die SPD, zu deren Geschichte die Verfolgung und Ermordung zahlreicher, sich zu ihr bekennender Frauen und Männer, darunter einer Vielzahl jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger, durch die Gewalt- und Willkürherrschaft des nationalsozialistischen Terrors zählt, gehört der Widerstand und der Widerspruch gegen jegliches Aufkeimen von fremdenfeindlichen, völkischnationalen, rassistischen oder gar antisemitischen Haltungen zu ihrem grundlegenden Selbstverständnis. Damit sind die Äußerungen des Antragsgegners in seinen Leserbriefen zur Hohmann-Rede schlechthin unvereinbar.“

(Beifall bei der SPD)

Das Fazit ist: Wir haben entsprechend reagiert, wir haben diesen Vorgang abgearbeitet mit dem Ergebnis des Ausschlusses.

In der Aktuellen Stunde am 20. November des letzten Jahres zu dem Vorfall Hohmann/Thümler legte Herr Gansäuer für die CDU-Fraktion hier im Hause die Messlatte ähnlich hoch. Ich zitiere Herrn Gansäuer:

„Mitglied der CDU kann aber eben nur jemand sein, der keine Geschichtsklitterung vornimmt, der die Einmaligkeit des Holocaust nicht leugnet und der nicht versucht, nicht Aufrechenbares miteinander zu verrechnen.“

(Beifall bei der CDU)

„Die wahren Konservativen“,

- so Herr Gansäuer

„sind... keine Antisemiten, sondern die wahren Konservativen treten dafür ein, was immer gelten muss: Freiheit,

Demokratie, Menschenwürde und vielleicht sogar Nächstenliebe.“

(Beifall bei der CDU)

Herr Jüttner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gabriel?

Herr Kollege Jüttner, sind Sie nicht auch der Auffassung, dass sich relativ wenige Vertreter der Landesregierung bei diesem Thema auf ihren Positionen befinden? Insbesondere der betroffene Ministerpräsident und der Innenminister, so meine ich - ich weiß nicht, wie Ihre Auffassung ist -, sollten der Debatte eigentlich lauschen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich räume ein, ich habe mich auf die Rede konzentriert. Ansonsten hätte ich zu Beginn darauf hingewiesen, dass es eine Verabredung zwischen den Fraktionen gibt, dass dieser Tagesordnungspunkt in Anwesenheit von Herrn Wulff diskutiert wird. Das war die Voraussetzung, unter der wir der Zurücknahme der Aktuellen Stunde zugestimmt haben.

Herr Jüttner, fahren Sie Ihre Rede fort!

Der Anspruch, wie er von Herrn Gansäuer formuliert ist, ist in Ordnung. Das ist keine Frage. Das ist die Messlatte an Sie, meine Damen und Herren in der CDU. Aber wie sieht Ihre Praxis aus? - Das glatte Gegenteil dessen, was Herr Gansäuer für Sie in die Debatte im letzten Jahr eingebracht hat.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Deshalb haben wir heute über das Verhalten von Herrn Wulff, Herrn Ripke und Herrn Runkel zu reden.

Die Rede sei langweilig gewesen - wird der Landtagskollege Runkel in der Lokalpresse zitiert.

(Zuruf von der CDU: Herr Dr. Runkel!)

- Herr Dr. Runkel. So viel Zeit ist vorhanden. Das macht es für ihn übrigens nicht einfacher, meine ich.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Eine Rede, die von Volksverhetzung nur so gespickt ist, wird von einem Landtagskollegen als „langweilig“ wahrgenommen. Wie sollen wir das verstehen, Herr Runkel? Regt Sie das nicht auf, wenn offen Fremdenhass gepredigt wird? Sehen Sie keine Veranlassung, Ihren Parteifreund zurechtzuweisen? - Dieser Parteifreund hat sich übrigens 1996 in einer öffentlichen Veranstaltung schon einmal ähnlich hervorgewagt. Sein damaliger Kreisvorsitzender hatte es im Kreuz und hat ihn zurechtgewiesen. Respekt! Aber auch angemessen und notwendig!

Der örtliche Landtagsabgeordnete und der örtliche Kreisvorsitzende der CDU - beide anwesend sehen überhaupt keine Veranlassung, in dieser Versammlung zu intervenieren. Man kann der Lokalpresse entnehmen: Die Stimmung war gelöst, und es gab hinterher bei der Debatte über den Kassenbericht einige Scherze. - Meine Damen und Herren, wenn das die Qualität der politischen Kultur in einer großen niedersächsischen Volkpartei ist, dann frage ich mich: Wo sind wir denn in der Zwischenzeit angekommen?

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich bin froh darüber, meine Damen und Herren, dass wir heute in einer gemeinsamen Entschließung noch einmal die besondere Rolle von Mandatsträgern zur Sicherung von Demokratie und zum Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit herausstellen - mit Ihrer Zustimmung, sage ich der CDU.

(David McAllister [CDU]: Aha!)

Ich hoffe für Sie und für uns alle, dass wir das Thema in wenigen Wochen nicht wieder auf der Tagesordnung haben müssen. Das ist doch die Messlatte, um die es geht.

Damit bin ich bei Ihnen, Herr Wulff. Ich stelle fest, dass in den letzten Monaten mehrmals rassistische

und rechtspopulistische Äußerungen aus der niedersächsischen CDU erfolgt sind, und zwar von Mandatsträgern und Funktionären Ihrer Organisation. Die Spektakulärsten kamen von Herrn Klett in Wolfsburg - er hat Konsequenzen gezogen - und - am auffälligsten, wie ich finde - von Herrn Thümler im letzten Herbst in der Auseinandersetzung über die Rede von Herrn Hohmann - Herr Thümler, der übrigens immer noch jugendpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion ist und der heute Morgen in einer politischen Debatte hier im Hause der SPDFraktion etwas über politische Kultur beibringen wollte.