Für die Landesregierung erteile ich nunmehr Herrn Minister Hirche das Wort. Herr Minister, bitte schön!
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Aufkündigung des MautVertrages war längst überfällig. Die Bundesregierung steht aber jetzt vor einem hausgemachten Problem. Sie ist auf diesen Fall offensichtlich nicht vorbereitet. Deswegen ist ihr vor allem der Vorwurf
zu machen, weder Alternativen entwickelt noch in Angriff genommen zu haben. Damit nimmt das Problem riesige Ausmaße an. Bevor ein neuer Anlauf - unter Umständen mit anderen Partnern gemacht werden kann, werden wieder neun Monate ins Land gehen.
Meine Damen und Herren, auf Ihre Zwischenrufe hin kann ich sagen: Ich habe den Bundesverkehrsminister im April letzten Jahres darauf aufmerksam gemacht, dass das wahrscheinlich nicht funktionieren wird. Herr Stolpe hat noch im August öffentlich verkündet: Der Termin 1. September wird gehalten. - Er hat das dann von Monat zu Monat gesagt. Ich habe im Oktober letzten Jahres eine Neuausschreibung gefordert. Meine Damen und Herren, mich verwundert sehr - ich sage das sehr zurückhaltend -, dass Berlin in den letzten Monaten Warnungen, die ja auch aus SPD-Reihen gekommen sind,
nicht zur Kenntnis genommen hat. Man hätte aber zumindest eines erwarten können - und sei es zum Aufbau einer eindrucksvollen Kulisse -, nämlich dass im Bundesverkehrsministerium an den Plänen gearbeitet worden wäre, die jetzt zum Aufbau einer Neueinführung der Vignette und zu Verhandlungen mit anderen Partnern erforderlich sind, um zusätzlichen Druck zu erzeugen. Es wäre nicht schlecht, wenn intensiver aufgeklärt würde - z. B. in einem Untersuchungsausschuss oder wo auch immer -, unter welchen Umständen es zur Auftragsvergabe gekommen ist.
Denn eines ist in diesem Zusammenhang interessant: Das ist ein Stückchen In-Geschäft der Bundesregierung mit sich selber. Als Hauptaktionär der Telekom hatte und hat die Bundesregierung
(Heinrich Aller [SPD]: Sind Sie nicht in dieser Kontrollkommission? - Weitere Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)
ein legitimes Interesse daran, diesen Auftrag sozusagen im eigenen Dunstkreis zu halten. Deswegen, Herr Hagenah, verstehe ich es und missbillige es nicht, dass die Bundesregierung weiter verhandelt, um zu einem Ergebnis zu kommen. Dennoch,
meine Damen und Herren, besteht das Landesinteresse darin, jetzt nicht weitere zwei Monate oder vielleicht auch weitere sechs Monate abzuwarten, bis endlich eine Klärung erreicht worden ist, sondern wir brauchen die Mittel aus dem Bundesverkehrsetat für unseren Straßenbau jetzt. Das ist das unmittelbare Landesinteresse.
Ich habe in den letzten Tagen sehr vorsichtig Zahlen bezüglich der Auswirkungen auf den niedersächsischen Arbeitsmarkt genannt. Mir liegen heute Schätzungen der niedersächsischen Bauindustrie vor, die deutlich über das hinausgehen, was ich in den letzten Tagen gesagt habe. Ich habe damals gesagt, dass bei uns etwa 3 000 Arbeitsplätze betroffen sind. Die niedersächsische Bauindustrie - ich nehme an, dass solche Grafiken auch Ihnen zugegangen sind - rechnet in diesem Jahr aufgrund fehlender Maut-Einnahmen mit dem Verlust von 5 000 Arbeitsplätzen in der Bauindustrie unmittelbar und von 6 000 Arbeitsplätzen in der Zulieferindustrie.
Meine Damen und Herren, hier liegt der Vorwurf: In Niedersachsen werden aufgrund des dilettantischen Nichthandelns der Bundesregierung in den letzten sechs Monaten 11 000 Arbeitsplätze gefährdet. Das kann niemand hinnehmen, meine Damen und Herren.
Deshalb müssen jetzt zwei Voraussetzungen geschaffen werden: Zum einen muss ein Ausweg in der Sache gefunden werden - Einführung der Maut, satellitengestützt oder in einem anderen System, mit Sicherstellung der Einnahmen. Zum anderen muss gleichzeitig klargestellt werden, das die Straßenbauvorhaben in den Ländern - natürlich nicht nur in Niedersachsen, sondern in allen Bundesländern - auch finanziert werden; denn eines hat die Bundesregierung auch von sich aus veranlasst, nämlich die Kürzung der normalen Bundesverkehrswegemittel um mehr als 1 Milliarde im Hinblick darauf, dass man eines Tages - die Bundesregierung dachte, ab 1. September letzten Jahres - mehrere Milliarden Einnahmen aus der Maut erzielen wird. Derjenige, der so handelt und im eigenen Haushalt Mittel unter Hinweis auf Chimären an anderer Stelle streicht, der ist verdammt noch mal verpflichtet, diese Mittel zur Verfügung zu stellen, damit nicht weiterhin Ortsumgehungen im Maut-Loch verschwinden und damit nicht tausende
Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, an dieser Stelle versagt die Bundesregierung in ihrer sozialen Verantwortung vor der Öffentlichkeit und vor den Bauarbeitern.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wundere mich ein bisschen über das Niveau dieser politischen Debatte.
Die Redner von CDU und FDP und auch der Wirtschaftsminister des Landes Niedersachsen - das hat mich am meisten gewundert - haben sich hier ausnahmslos an einer Diskussion über politische Schulzuweisungen beteiligt. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Das ist total vordergründig. Zumindest von Ihnen, Herr Hirche, hätte ich erwartet, dass Sie ein einziges Wort über die industriepolitische Dimension verlieren, die das Maut-Vorhaben hat.
In dieser Woche war in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung zu lesen, dass das Maut-System in einem sehr engen Zusammenhang mit dem Versuch der Europäischen Gemeinschaft steht, das Galileo-System zu installieren und damit eine neue Technologie zu entwickeln, die exportträchtig ist und Arbeitsplätze schafft, aber auch die Abhängigkeit von den Amerikanern verringert. Geo-Business ist das Stichwort. Es wird geschätzt, dass dies ein Milliarden-Markt ist. Sie als Wirtschaftsminister, der Sie auch Technologieminister sind, hätten wenigstens ein Wort zu dem technologischen Problem verlieren müssen, um das es hier geht.
Das Konsortium hat es nicht geschafft, diese Technik so fit zu machen, dass sie zum vorgesehenen Zeitpunkt angewendet werden kann. Diese Tatsache kann man doch nicht ausschließlich als politisches Versagen der Bundesregierung diskutieren. Wenn Herr Dinkla uns dann ausgerechnet den verstorbenen Möllemann - Gott hab‘ ihn selig als ein Musterbeispiel für politische Korrektheit bei Rücktritten andient, dann wird es wirklich peinlich, Herr Dinkla.
Herr Hirche, Sie haben gesagt, Sie hätten Manfred Stolpe, Ihrem früheren Ministerpräsidenten in Brandenburg, geraten, frühzeitiger auszusteigen. Ich habe Sie so verstanden, dass Sie schon im Sommer wussten, dass das nicht funktionieren kann. Nun hat Manfred Stolpe Ihren Rat aber nicht befolgt. Vielleicht war er ja in diesem besonderen Fall auch etwas zu kritisch. Vielleicht hat er sich noch daran erinnert, dass Sie als sein Wirtschaftsminister - wenn man den Bundeshaushalt und brandenburgischen Landeshaushalt einmal in Relation stellt - vermutlich mehr Geld, mehr Millionen in den märkischen Sand gesetzt haben, als dies im Augenblick in Berlin der Fall ist.
Herr Dinkla, dass Sie hier nur eine parteipolitische Diskussion führen wollen, kann man wunderbar erleben. Als Herr Hirche im Sommer schon wusste, dass das System nicht funktionieren kann, sind Sie immer noch davon ausgegangen, dass das MautSystem kommen wird. Seinerzeit haben der Ausschussvorsitzende und auch Sie argumentiert, die Maut stelle für die deutsche Speditions- und Logistikwirtschaft ein riesiges Problem und eine enorme Belastung dar, die sie im internationalen Konkurrenzkampf kaum ertragen kann. Außerdem haben Sie die Maut als zusätzliche Belastung für die deutsche Wirtschaft kritisiert. Heute aber kritisieren Sie, dass die Maut nicht gezahlt werden kann.
Herr Dinkla, man kann ja beide Positionen vertreten. Sicherlich gibt es für beide Positionen Argumente. Eines aber kann man nicht: Man kann beide Positionen nicht gleichzeitig vertreten.
Wir haben ein gutes Gedächtnis. Sie argumentieren wohlfeil, wie es Ihnen gerade passt. So wird das Argument vorgeschoben. Das aber ist kein Beleg für Seriosität.
Wenn Sie sich jetzt um die niedersächsische Bauwirtschaft Sorgen machen, dann teilen wir diese Sorge. Auch wir sind der Meinung, dass die Bundesregierung in der Pflicht ist, die Mittel für das Anti-Stau-Programm bereitzustellen. Diese Mittel müssen über den Nachtragshaushalt bereitgestellt werden. Herr Dinkla, das wollten wir mit Ihnen zusammen in einem gemeinsamen Antrag beschließen. Es wäre gut gewesen, wenn der Landtag dies einstimmig beschlossen hätte. Sie waren aber nur an Klamauk interessiert. Sie wollten in einem solchen Antrag auch Polemik gegen die Bundesregierung und gegen Minister Stolpe haben. Das haben wir nicht mitgemacht. Das zeigt, woran Sie wirklich interessiert sind.
Wenn Sie sich über die Bauwirtschaft Sorgen machen, dann erweitern Sie diese Sorge doch ein bisschen. Sie haben hier im Dezember einen Haushalt mit der niedrigsten Investitionsquote in der Geschichte des Landes Niedersachsen verabschiedet. Das ruiniert die Bauwirtschaft.
Wir erwarten vom Bund, dass die Straßenprojekte fortgesetzt werden und dass die Infrastrukturprojekte, die Deutschland dringend braucht, tatsächlich auf den Weg gebracht werden. Der Bundesverkehrswegeplan wird kein MünchhausenProgramm, Herr Dinkla. Aber bei „Münchhausen“ ist mir schon eingefallen, dass der letzte Bundesverkehrswegeplan, den CDU und FDP im Bund zu verantworten hatten, 90 Milliarden Luftbuchungen enthielt. Sie haben doppelt so viele Straßen in den Bundesverkehrswegeplan eingestellt - Herr Hirche hat neulich diese Tatsache im Ausschuss auch eingeräumt -, wie Sie Geld zur Verfügung hatten. Das ist ein Münchhausen-Plan.
DaimlerChrysler-Chef Schrempp hat gestern in seiner Bilanzpressekonferenz erklärt, dass sie versuchen wollen, das Projekt noch zu wuppen. Innerhalb von zehn Tagen soll Klarheit geschaffen werden. Ob er dabei den Mund zu voll genommen hat, werden wir sehen.