Protocol of the Session on September 19, 2003

Hier haben sich vernünftige betriebliche Bündnisse bewährt. Ich kenne jedenfalls keinen Betrieb, der an der fehlenden Flexibilität von Betriebsrat, Belegschaft und Gewerkschaft zugrunde gegangen wäre.

(Beifall bei der SPD)

Dagegen kenne ich aber viele Betriebe, die aufgrund von Managementfehlern kaputtgehen. Aktuell habe ich zwei Betriebe in meinem Wahlkreis - Herr Hirche, Sie kennen beide Beispiele -, in denen sich Betriebsrat und Belegschaft den Kopf zerbrechen und auch zu Zugeständnissen bereit sind, um Arbeitsplätze zu retten. Nur das Management interessiert diese Bereitschaft überhaupt nicht. Es geht vielmehr um strategische Entscheidungen von Konzernvorständen, und die werden offensichtlich in diesen beiden Beispielen auch zu Schließungen und Verlagerungen von Arbeitsplätzen führen.

Herr Ministerpräsident, ich sage Ihnen heute: Ihre betrieblichen Bündnisse sind aus meiner Sicht eine Mogelpackung. Sie fordern zwar mehr Rechte für

Betriebsräte, aber wenn man im Gesetzentwurf weiterblättert, findet man zwei Seiten weiter das Anliegen, dass Sie die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes in wesentlichen Punkten wieder zurücknehmen wollen, insbesondere was Freistellungsmöglichkeiten von Betriebsräten anbetrifft. Herr Wulff, Sie müssen sich entscheiden, was Sie wollen: Mehr Rechte für Betriebsräte oder die Einschränkung dieser Rechte? Beides in einem Gesetzentwurf - das macht wohl deutlich, dass es hier um etwas ganz anderes geht.

(Beifall bei der SPD)

Ich weiß jedenfalls aus eigener Erfahrung genau, was Ihr Gesetzesvorhaben bewirken würde. Belegschaften und Betriebsräte kämen weiter unter Druck. Oder sagen wir lieber. Sie würden noch erpressbarer werden. Sie sollen zu Zugeständnissen gegenüber Arbeitgebern bereit sein, die schlimmstenfalls mit Entlassungen oder gar mit Betriebsschließungen drohen.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert übernimmt den Vorsitz)

Zugleich würde mit diesem Gesetzesvorhaben ein Grundanliegen der Tarifautonomie aufgegeben, nämlich den Wettstreit zwischen Unternehmen, aber auch zwischen Beschäftigten einer Branche auf dem Gebiet der Arbeitsbedingungen zu unterbinden. Lohndumping würde im Ergebnis schließlich Tür und Tor geöffnet. Folgerichtig kritisiert Dietrich Kröncke, der NiedersachsenMetallGeschäftsführer, Ihren Gesetzentwurf in der HAZ vom 15. September als „unausgegoren und kontraproduktiv“.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Kröncke hält Ihre Idee, Betriebsräten Verhandlungsvollmachten für Abweichungen von Tarifverträgen zu geben, sogar für Gift. Der Mann weiß, wovon er redet, denn wer Betriebsräten tarifvertragliche Verhandlungsvollmachten gibt, der muss ihnen auch das Streikrecht einräumen. Betrieblicher Häuserkampf und ein Ende der fast streikarmen Zone Bundesrepublik Deutschland wären die Folge. Außerdem, meine Damen und Herren, sind gesetzliche Öffnungsklauseln für Tarifverträge sicherlich auch verfassungsrechtlich problematisch.

(Bernd Althusmann [CDU]: Er lebt immer noch im 19. Jahrhundert!)

Herr McAllister hat Ihren Regierungsstil vorgestern hier gekennzeichnet, indem er ihn folgendermaßen charakterisiert hat: nachdenken, diskutieren, Risiken abschätzen, entscheiden, durchsetzen. - Ich stelle heute fest: Sie haben offensichtlich nicht nachgedacht, Sie haben nicht diskutiert, schon gar nicht mit den Gewerkschaften und den Betriebsräten, offensichtlich aber auch nicht mit den Arbeitgeberverbänden und, wie man munkelt, auch nicht ausreichend in Ihrer eigenen Fraktion, von Risikoabschätzung ganz zu schweigen. Also kann es nur eine Entscheidung geben: Ziehen Sie Ihre Gesetzesinitiative zurück, und kommen Sie - wie man so schön sagt - zur Besinnung, Herr McAllister! Unterstützen Sie mit Ihrer Fraktion den Antrag der SPD-Fraktion. - Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD - Bernd Althusmann [CDU]: Niemals!)

Herzlichen Dank. - Zu Wort gemeldet hat sich nun Kollege Hermann. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Verehrte Damen, meine Herren! Lieber Herr Lenz, erst gestern wurde uns wieder von höchster Stelle

(Oh! bei der SPD - Werner Buß [SPD]: Wer ist das?)

bestätigt, wie ernst die Lage in Deutschland ist. Der Internationale Währungsfonds

(Ah! bei der SPD)

geht davon aus, dass die deutsche Wirtschaft im dritten Jahr in Folge schwach bleibt. Aber jetzt kommt es: Die Eurozone sei durch die anhaltenden Schwierigkeiten in Deutschland negativ beeinflusst. Wir müssen deshalb mithelfen, dass Deutschland endlich wieder seinen Platz als Lokomotive in diesem Europa bekommt. Deshalb hat auch die Landesregierung die Initiative für Wachstum und Beschäftigung durch nachhaltige Reformen am Arbeitsmarkt in den Bundesrat eingebracht. Diese Initiative setzt dort an, wo am dringendsten reformiert werden muss: Das sind der Arbeitsmarkt und natürlich auch der Flächentarifvertrag. Der Flächentarifvertrag muss flexibler gehandhabt werden, um den besonderen wirtschaftlichen Erfordernissen einzelner Betriebe besser gerecht zu werden. Diese Forderung stammt

aus der Agenda 2010 der jetzigen Bundesregierung.

(Jörg Bode [FDP]: Hört, hört!)

Wir stimmen dem in vollem Umfang zu. Die Zeiten, in denen ein Tarifvertrag für alle ausreichend ist, sind endgültig vorbei. In einer zunehmend komplexen und globalisierten Wirtschaft, in der sich verschiedene Unternehmen immer stärker voneinander unterscheiden, ist es unerlässlich - das muss einfach so sein -, die besondere Situation vor Ort stärker zu berücksichtigen, indem in die Tarifverträge Öffnungsklauseln eingebaut und Abweichungen ermöglicht werden. In seiner jetzigen starren Form - das mit der starren Form stimmt schon, nicht wahr? - wirkt der Flächentarifvertrag immer mehr als Bremse und als Hindernis bei der Entstehung neuer Arbeitsplätze.

Unternehmen, die abweichende Regelungen brauchen, haben derzeit nur eine Möglichkeit, mehr Flexibilität zu erhalten: Sie fliehen aus den Verbänden. - Genau das machen leider immer mehr Unternehmen, übrigens große und kleine oder kleine und große. Dadurch verliert der Flächentarifvertrag in seiner jetzigen Form, Herr Lenz, wohl immer mehr an Bedeutung. Das kann aber nicht in unserem Interesse sein. Ein bewährtes Instrument wie den Flächentarifvertrag in die Bedeutungslosigkeit zu bringen, ist der falsche Weg. Durch eine gründliche Reform, eine Flexibilisierung der starren Regeln und eine Absenkung der überhöhten Mindeststandards muss er fit für die Zukunft gemacht werden. Dieses hat übrigens auch ExBundeskanzler Helmut Schmidt erkannt, als er im letzten Jahr in der Zeit schrieb:

„Im Bereich der Lohnfindung muss der flächendeckende Tarifvertrag verschwinden, dazu muss im Tarifvertragsgesetz die Verordnung der Allgemeinverbindlichkeit gestrichen und im Betriebsverfassungsgesetz müssen jene Paragraphen abgeschafft werden, die es den Geschäftsleitungen und den Betriebsräten verbieten, Betriebsvereinbarungen über Löhne, Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen abzuschließen.“

Genau in diese Richtung zielt die Bundesratsinitiative der Landesregierung. Die Idee ist so einleuchtend wie auch nahe liegend. Entscheidungen sind vor Ort, in den Unternehmen, zu treffen. Dort sind

die Menschen, die sich mit den örtlichen Bedingungen am besten auskennen und besser als ferne Verbandsfunktionäre wissen, was getan werden muss.

Meine Damen und Herren, der Flächentarifvertrag gibt Grundlagen vor, die vor Ort gemeinsam mit den Beschäftigten an die betrieblichen Bedürfnisse angepasst werden. Doch davor haben Sie scheinbar ein wenig Angst. Ihr Vertrauen in die richtige Handlungsweise der Menschen in den Betrieben ist leider nicht sehr groß. Anders ist es nicht zu erklären, dass Sie auf jeden Vorschlag für mehr Selbstbestimmung mit dem Vorwurf reagieren, mehr Selbstbestimmung führe unausweichlich zu einem ruinösen Wettbewerb. Da bekommt man doch den Eindruck, dass nach Ihrer Definition praktisch jeder Wettbewerb ruinös ist.

Herr Lenz, bitte geben Sie sich einen Ruck, setzen Sie Vertrauen in die Menschen in den Betrieben, und geben Sie ihnen die Freiheit zu mehr Selbstbestimmung, damit Arbeitnehmer und Arbeitgeber vor Ort die besten Entscheidungen für ihr Unternehmen treffen können. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Zu Wort gemeldet hat sich nun der Kollege Herr Hagenah.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was kann es eigentlich Schlimmeres für zwei Unionsministerpräsidenten geben, als dass eine vorgeblich wirtschaftsfördernde Initiative, die sie gemeinsam machtvoll ergreifen wollen, von allen, die sie damit vorgeblich unterstützen wollen, abgelehnt wird, selbst von den Industrieverbänden?

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ihr Vorschlag ist nicht nur unausgegoren und kontraproduktiv, er belegt auch in weiten Teilen mangelnde Sachkenntnis. Einerseits bleiben Sie unter bestehenden Möglichkeiten. So ist z. B. schon heute in der Metallindustrie ganz ohne staatliche Vorgaben die Arbeitszeit zwischen 29 und 40 Stunden pro Woche flexibilisiert. Da bleibt kein Spielraum für noch mehr Abweichung vom Tarif

vertrag. Wie weit soll es denn nach Ihrer Sicht gehen, Herr Ministerpräsident? Wieso wollen Sie, Herr Wulff, durch dieses Gesetz 10 % Lohnabschlag bei Einstellungen durchsetzen, wenn bei Arbeitslosen heute schon 13 % Abschlag möglich sind?

Andererseits kündigen Sie mit Ihrem Gesetzesvorschlag den Konsens über den Flächentarifvertrag in unserem Land, die eigentliche Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg, für das Wirtschaftswunder. Nur auf der Grundlage des Flächentarifvertrages war es möglich, im deutschen rheinischen Kapitalismus in den 60er-, 70er- und 80er-Jahren die Aufbauarbeit so voranzubringen, wie es geschehen ist.

(Hermann Eppers [CDU]: Da überhö- hen Sie jetzt den Flächentarifvertrag!)

- Das ist ein Baustein für dieses Wirtschaftswunder. Sie wissen, wenn man Bausteine herausnimmt, dann muss man schon sehr begründet sagen, was man stattdessen hat.

(Hermann Eppers [CDU]: Eine aben- teuerliche Argumentation!)

Was wollen Sie gegen absehbare Negativauswirkungen bei der von Ihnen geforderten Lockerung des Flächentarifvertrags unternehmen? Ihre Arbeitsmarktpolitik gleicht inzwischen fatal der CDU-Sozialpolitik. Auf die Solidargemeinschaft soll verzichtet werden, um dem Wettbewerb zwischen Starken und Schwachen mehr Raum zu geben. Wie in der Sozialpolitik ist das auch in der Wirtschaftspolitik nur von begrenztem Vorteil für die Starken und mit großem Nachteil für die Schwachen verbunden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist kein zukunftsfähiges Modell. Wenn Sie uns, den Arbeitgebern und dem DGB schon nicht glauben wollen, hören Sie doch zumindest auf Ihre eigenen Leute, Herr Ministerpräsident. Kollege Matthiesen, Landesvorsitzender der ChristlichDemokratischen Arbeitnehmerschaft in Niedersachsen und Kollege hier im Landtag, argumentiert zutreffend zu Ihrem Gesetzentwurf:

„Dieses Gesetz baut Arbeitnehmerrechte in einer Weise ab, die mit der sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar ist.“

Herr Wulff, Herr Hirche, ziehen Sie Ihre Bundesratsinitiative zurück, und arbeiten Sie bei den anstehenden Reformen endlich konstruktiv mit der Bundesregierung zusammen. Nur damit nützen Sie Niedersachsen und dem Arbeitsmarkt. - Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, zu Wort gemeldet hat sich der Kollege Hillmer. Herr Hillmer, bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Lenz, wir sprechen über ein Gesetz für mehr Wachstum und Beschäftigung. Sie haben über Arbeitslosigkeit und Arbeitslose gar nicht gesprochen. Das zentrale Anliegen unserer Politik ist nämlich genau die Reduzierung der Arbeitslosigkeit. Wir dürfen diejenigen, die Arbeit suchen und in unseren abgeschotteten Arbeitsmarkt hinein wollen, nicht aus dem Blick verlieren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der Arbeitsmarkt in Deutschland befindet sich in einer sich selbst verstärkenden Abwärtsspirale: Hohe Lohnnebenkosten verteuern den Faktor Arbeit in Deutschland. Betriebe können dann ihre Standorte im Wettbewerb nicht halten. Die Arbeitslosigkeit steigt und führt damit zu noch höheren Lohnnebenkosten. Diesen Kreislauf gilt es zu durchbrechen, und dazu leistet der Gesetzesvorschlag der Landesregierung einen ganz entscheidenden Beitrag.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, es muss uns doch alle gemeinsam nachdenklich machen, dass bei uns im Unterschied zu unseren Nachbarländern zusätzliche Beschäftigung erst bei mehr als 2 % Wirtschaftswachstum entsteht. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung hat in seinem Jahresgutachten 2002/2003 gefordert, das Günstigkeitsprinzip im Tarifvertragsgesetz so zu verändern, dass die Arbeitsplatzsicherheit bei Abweichung von den tarifvertraglichen Vorgaben berücksichtigt werden kann. Genau das setzt die Landesregierung in ihrem Gesetzentwurf um. Auch die Monopolkom