Protocol of the Session on October 18, 2019

(Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE: Genau.)

Dass der Straftatbestand der Beförderungserschleichung in der Konsequenz tatsächlich mehrheitlich den so beschriebenen Täterkreis betrifft, ist nicht erwiesen. Nach der Stellungnahme des Verbandes der Deutschen Verkehrsunternehmen e. V. vom 19. September 2019 zu genau diesem Gesetzentwurf Thüringens zeigt die Erfahrung der Verkehrsunternehmen, dass Schwarzfahrer aus allen so- zialen Schichten kämen. Eine deutschlandweite Erhebung durch myMarktforschung, veröffentlicht im Juni 2017, beschäftigt sich unter anderem mit der Alters- und Einkommensstruktur von Schwarzfahrern. Danach zeige sich, dass der Anteil der jüngeren Befragten vergleichsweise hoch sei. Dieser Anteil nehme mit steigendem Alter ab. Innerhalb der Einkommensgruppen sei kein klarer Trend zu erkennen.

Eines will ich aber durchaus festhalten: Die Einkommensgruppe mit dem größten Anteil an Personen, die den öffentlichen Personennahverkehr vorsätzlich ohne gültiges Ticket nutzen, sei die mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen zwischen 1.500 und 2.000 Euro – das der Vollständigkeit halber. Die Erhebung zeigt aber vor allem, dass Schwarzfahren ein typisches Phänomen von Jugend- und Jungen-Erwachsenen-Delinquenz ist und keinesfalls mehrheitlich von sozial benachteiligten Tätern begangen wird.

Auch die Erkenntnisse des Verhaltensforschers Herrn Professor Dr. Sutter, Direktor des Max-Planck-Institutes in Bonn mit Lehrstuhl an der Universität Köln, zu den Gründen des Schwarzfahrens stützen Ihre Behauptungen zu den sozialen und gesellschaftlichen Verhältnissen vieler Täter nicht, meine Damen und Herren von der Fraktion DIE LINKE. Nach einem Interview vom 14. November 2017 gebe es viele unterschiedliche Motive. Einige Täter beabsichtigen, Geld zu sparen. Bei anderen spiele die Demonstration ihrer politischen Ansicht eine Rolle, für den öffentlichen Nahverkehr, der – so ihre Aussage – ohnehin über Steuergelder mitfinanziert werde, nicht zusätzlich zur Kasse gebeten werden zu können. Manche machten sich, so wörtlich, „einen Spaß“ aus dem Schwarzfahren und sehen den Anreiz in dem Versuch, nicht erwischt zu werden. Wieder andere fänden Schwarzfahren einfach und schlicht – Anführungszeichen – „cool“.

Wie Sie sehen, gibt es eine Vielzahl von Gründen für das Schwarzfahren, die sich nicht allein auf Geldmangel, Dissozialität oder Ähnliches beschränken und fokussieren lassen. Deshalb vermag ich diesem Teil des Antrages, meine Damen und Herren von der LINKEN, nicht zu folgen.

Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Umstände der Tat sind dann im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen, aber nicht bei der Frage, ob ein bestimmtes Verhalten überhaupt strafbar sein soll. Auch das für die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens herangezogene Argument, die Kosten der Strafverfolgung seien im Verhältnis zum gesellschaftlichen Nutzen unverhältnismäßig hoch, trägt aus meiner Sicht nicht. Ich warne vor Wirtschaftlichkeitserwägungen und Kosten-Nutzen-Analysen bei der Strafverfolgung. Strafrechtlich relevantes Verhalten ist zu verfolgen, und zwar unabhängig davon, welche Kosten dem Staat dabei hierfür erwachsen. Einen Rechtsstaat nach Kassenlage, da bin ich mir sicher, wollen auch Sie nicht.

(Beifall Egbert Liskow, CDU – Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE: Haben wir doch sowieso schon! Haben wir schon!)

Ich habe es kürzlich schon an anderer Stelle gefragt: Wo bleiben bei dieser Diskussion eigentlich die Werte unserer Gesellschaft? Und dennoch will ich mich einmal kurz auf diese Argumentationsebene begeben, denn es ist mir ein Bedürfnis, die Fehlvorstellung auszuräumen, eine Herabstufung des Schwarzfahrens zur Ordnungswidrigkeit würde eine bessere Kosten-Nutzen-Bilanz nach sich ziehen.

Mit einer wesentlichen Einsparung von Ressourcen wäre gerade nicht zu rechnen, denn das Bußgeldverfahren ist an das Strafverfahren angelehnt und bindet in vergleichbarer Weise Institutionen und Personal. Das Schwarzfahren würde auch als Ordnungswidrigkeit unter Beteiligung der Polizei als Ermittlungsorgan der Verwaltungsbehörden verfolgt.

Einstellungsmöglichkeiten gibt es in den beiden Verfahren. Bei einem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid wird die Staatsanwaltschaft zur Verfolgungsbehörde und vor dem Amtsgericht findet ein Hauptverfahren statt, ebenso wie beispielsweise bei einem Einspruch im Strafbefehlsverfahren, das bei der Beförderungserschleichung im Falle der Ahndung der Regelfall sein wird.

Auch die Vollstreckung im Bußgeldverfahren ist mit derjenigen im Strafverfahren vergleichbar. An die Stelle der uneinbringlichen Geldstrafe tritt Ersatzfreiheitsstrafe. Bei Nichtzahlung einer Geldbuße wird gegen den Betroffenen Erzwingungshaft bis maximal sechs Wochen beziehungsweise bei mehreren Geldbußen in einer Bußgeldentscheidung bis maximal drei Monate angeordnet. Die Anordnung der Erzwingungshaft unterbleibt nur dann, wenn der Betroffene zahlungsunfähig ist. An die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit sind aber hohe Anforderungen gestellt. Sie wird in der Praxis selten bejaht.

Das Bußgeldverfahren weist im Vergleich zum Strafverfahren zwei weitere Nachteile auf, die sich, wenn man das betrachten will, eben negativ auf die Kosten-NutzenBilanz dieses Verfahrens auswirken. Gegen Jugendliche und Heranwachsende, die nach der genannten Studie

den größten Teil des Schwarzfahrens ausmachen, könnte im Bußgeldverfahren keine erzieherische Maßnahme nach dem Jugendgerichtsgesetz angeordnet werden. Diese dürften jedoch in den meisten Fällen wirkungsvoller und angemessener sein als eine Geldbuße. Im Gegensatz zur Strafverfolgung gibt es bei der Vollstreckung von Bußgeldentscheidungen für den Betroffenen nicht die Möglichkeit, Haft durch freie Arbeit abzuwenden. Nur bei der Vollstreckung gegen Jugendliche kann die Geldbuße unter bestimmten Voraussetzungen durch Arbeit, Wiedergutmachung und sonstige Leistungen ersetzt werden.

Meine Damen und Herren, selbst wenn man sich also der Zweckmäßigkeitserwägungen annimmt und sich von diesen leiten lassen wollte, was aus meiner Sicht, wie ich dargelegt habe, nicht richtig ist, das Ordnungswidrigkeitsverfahren bietet hier die von Ihnen beschriebenen Vorteile genau nicht. Und deshalb fasse ich zusammen: Die vom Gesetzgeber getroffene Wertentscheidung, die Beförderungserschleichung als Straftat einzuordnen, ist richtig. Individuelle Umstände sind im Einzelfall bei der Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens oder bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Der vorliegende Antrag ist damit – aus meiner Sicht jedenfalls – abzulehnen. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU – Torsten Renz, CDU: So machen wir es.)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Herr Förster.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete! Ja, eigentlich, Frau Ministerin, gibts da nicht mehr viel zu sagen. Ich könnte Ihnen ja eigentlich vollkommen zustimmen, aber ich habe das ja mal so schön vorbereitet, also müssen Sie das über sich ergehen lassen.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktion der CDU – Torsten Renz, CDU: Nee, das ist keine stichhaltige Begründung!)

Es soll eine Runterstufung zu einer Ordnungswidrigkeit erfolgen. Das ist das Thema. Das unter Strafe stehende Erschleichen von Leistungen, konkret: die alternative Beförderung durch ein Verkehrsmittel, soll gestrichen und die unbefugte Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels als neue Ordnungswidrigkeit eingeführt werden. Begründet wird dies im Wesentlichen damit, dass die Strafverfolgung soziale Ungleichheiten verschärfe. Betroffen seien vor allem sozial und gesellschaftlich benachteiligte Personen. Zudem stünde der Aufwand in keinem Verhältnis zum Nutzen. Es handle sich um ein Massendelikt mit einem im Einzelfall sehr geringen Schaden, bei dem eine strafrechtliche Sanktionierung völlig unangemessen sei.

Das ist, um es vorwegzunehmen, ein rechtspolitischer Irrweg. Allerdings ist die Umwandlung einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit nichts grundsätzlich Neues. Bis 1975 gab es im Strafrecht nämlich neben den Verbrechen, das sind die schweren Straftaten mit einer Mindeststrafe von einem Jahr, und den Vergehen, das sind die übrigen Straftaten, auch die sogenannten Übertretungen. Dabei handelte es sich um geringfügige Verge

hen, die mit Haft bis zu sechs Wochen oder Geldstrafen bis zu 500 D-Mark geahndet werden konnten. Diese Übertretungen wurden zu einem geringen Teil ganz aufgehoben oder blieben nunmehr als Vergehen weiterhin eine Straftat. Der Rest, vorwiegend Übertretungen des Straßenverkehrsrechts, wurde in Ordnungswidrigkeiten umgewandelt. Danach gab es weitere Reformen, in der Tendenz weg vom Strafrecht hin zur sozialen Hilfe.

Allerdings gibt es Grenzen der Liberalität und des Verständnisses. Plätze und ganze Viertel der Verkommenheit und sichtbarer Kriminalität im öffentlichen Raum lassen durchaus Zweifel aufkommen, ob Nachsicht und Verständnis für alles letztlich nicht eine zerstörerische Wirkung auf den Rechtsstaat haben. Genau auf diesem Weg befindet sich DIE LINKE mit ihrem Antrag, der sich nahtlos an den kürzlich gestellten Antrag der Freigabe von Cannabis anschließt.

Bei der Herabstufung des Schwarzfahrens geht es um die Bewertung von Unrecht. Eine Straftat ist etwas anderes als eine Ordnungswidrigkeit. Eine Straftat hat Gewicht, dafür wird man bestraft und geht schlimmstenfalls ins Gefängnis. Wegen einer Straftat droht soziale Ächtung. Niemand rühmt sich einer Straftat, der normale Bürger schämt sich dafür.

Bei einer Ordnungswidrigkeit sieht das anders aus, hier können zwar auch Bußgelder in immenser Höhe verhängt werden, aber eine Ordnungswidrigkeit ist eben etwas ganz anders als eine Straftat. Sie ist eben nur Verwaltungsunrecht, so wie etwa zu schnelles Fahren oder ein Parkverstoß oder ein zu später TÜV. Kurzum, das ist etwas, was man sich und seinem Nachbarn auch zutraut, also nicht etwas wirklich Schlimmes. Entsprechend unterschiedlich werden Strafe, das bedeutet, Freiheitsstrafe oder Geldstrafe, und Bußgeld wahrgenommen. Es macht einen Unterschied, ob man im Bundeszentralregister für Strafsachen oder im Verkehrszentralregister steht.

Über Sinn und Zweck der Strafe, über Abschreckung und Resozialisierung lässt sich viel sagen. Eines ist völlig unbestritten: Eine Rechtsordnung und damit der Rechtsstaat hat nur Bestand, wenn das Recht verteidigt und durchgesetzt wird. Und das heißt, der Rechtsverstoß muss Konsequenzen haben, und zwar so, dass es sich grundsätzlich nicht lohnen darf, den Rechtsverstoß zu begehen. Nur dann besteht die Gewähr, dass die für den Rechtsstaat notwendige Rechtstreue der Bevölkerung erhalten bleibt.

Das Schwarzfahren ist eine betrugsähnliche Tat, auch wenn die Täuschung einer Person hier nicht vorausgesetzt wird. Es reicht nach der Rechtsprechung, dass sich der Täter mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt. Die Nähe zum Betrug und einer Täuschung wird aber deutlich, wenn der Täter beim Fahrer einsteigt und keinen Fahrschein hat beziehungsweise diesen nicht abstempelt. Richtig ist, dass im Einzelfall der Schaden meist gering ist. Das ist aber bei längeren Fahrten, zum Beispiel mit dem Zug, keinesfalls so. Es handelt sich zudem um ein Massendelikt und der Gesamtschaden ist immens.

Wer ohne Fahrschein fährt, macht das im Zweifel nicht nur einmal. Bei geringer Kontrolldichte kann sich das Schwarzfahren rechnerisch lohnen. Den Schaden zahlen all jene, die die Regeln beachten und den Fahrschein lösen. Darunter sind viele, die in bescheidenen Verhält

nissen leben, aber nicht betrügen und nicht auf Kosten anderer eine Leistung in Anspruch nehmen. Schwarzfahren ist eben kein Kavaliersdelikt, es ist ein Schlag in das Gesicht aller rechtschaffenden Bürger. Es ist ein Tritt gegen das Bein einer solidarischen Gemeinschaft. Es besteht überhaupt keine Veranlassung, das Schwarzfahren zu entkriminalisieren und damit ein Stück mehr salonfähig zu machen.

Die Begründung, die Strafverfolgung verschärfe soziale Ungleichheiten, weil sie vornehmlich Personen mit psychischen Problemen träfe, zeugt nur scheinbar vom sozialen Mitgefühl. Mit dieser Logik könnte man mindestens die Hälfte aller Straftaten von der Rolle nehmen, denn fast alle Straftäter haben soziale Probleme. Und das ist, wenn man dem Menschen nicht seine Eigenverantwortung nehmen will, meist nicht die Schuld der Gesellschaft. Zudem ziehe ich in Zweifel, dass es sich bei den Schwarzfahrern vornehmlich um Obdachlose und Personen handelt, die sich den Fahrschein nicht leisten können. Ich bin sicher, dass es sich zu einem großen Teil um Leute handelt, die ihre ganz eigene soziale und gesellschaftliche Einstellung haben.

Im Übrigen hat die Ministerin hier konkrete Ausführungen aufgrund von Untersuchungen vorgebracht zum Tätertyp, dass nämlich gerade nicht nur die von Ihnen genannten armen Leute die Täter sind, sondern dass hier der Tätertyp über alle Gesellschaftsschichten verbreitet ist. Dem kann ich mich nur anschließen.

Richtig ist, dass dem, der die Geldstrafe nicht zahlt, eine Ersatzfreiheitsstrafe droht. Die Geldstrafe wird in Tagessätzen verhängt und für jeden Tagessatz gilt ein Tag Freiheitsstrafe. Das ist die notwendige Konsequenz einer Geldstrafe, an der es nichts zu rütteln gibt. Zudem kann anstelle der Geldstrafe auch gemeinnützige Arbeit geleistet werden.

Zum Punkt „Missverhältnis von Aufwand und Nutzen“: Hier machen die Antragsteller eine Milchmädchenrechnung auf, wenn sie den Fahrscheinpreis mit den Kosten einer Ersatzhaft vergleichen. Es geht um die konsequente Durchsetzung des Rechts und darum, durch eine Bagatellisierung und Herabstufung auf eine Ordnungswidrigkeit einen Dammbruch zu verhindern, an dessen Ende sich die redlichen Bürger an den Kopf fassen und fragen, weshalb sie noch einen Fahrschein lösen.

Dem Berliner Antrag ist zu entnehmen, dass die S-Bahn in Berlin nur eine Strafanzeige erstattet, wenn eine Person in einem Zeitraum von einem Jahr mindestens dreimal ohne gültigen Fahrschein angetroffen wird. Die Berliner Verkehrsbetriebe, U-Bahn, BVB und so weiter, sind etwas strenger und erstatten eine Anzeige, wenn eine Person in zwei Jahren dreimal ohne Fahrschein erwischt wird. Mit dieser Inkonsequenz findet eine wirksame Abschreckung natürlich nicht statt. So kann man den Rechtsstaat auch ruinieren. Aber diese Handhabung steht für Berlin und seine rot-rot-grüne-Regierung.

Was wäre die Konsequenz einer Herabstufung? Nun, die Hemmschwelle zum Schwarzfahren würde zweifelsfrei gesenkt. Wie die finanziellen Folgen für die Verkehrsbetriebe und damit letztlich für die Bürger aussähen, weiß niemand. Die Feststellung der Personalien bereitet oft Schwierigkeiten und erfordert ein Festhalten der Person. Das jedermann zustehende Festnahmerecht nach Paragraf 127 Strafprozessordnung gilt nur für Straftaten, nicht

für Ordnungswidrigkeiten. Hier kommt allerdings zur Durchsetzung der zivilrechtlichen Ansprüche ein Festhalterecht nach Paragraf 229 BGB in Betracht. Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob die Polizei bei Herabstufung zu einer Ordnungswidrigkeit ein Eingreifen unter Verhältnismäßigkeitsgründen stets noch für geboten hält. Es liegt hier nahe, dass in vielen Fällen eine Ahndung der Ordnungswidrigkeit bereits an der fehlenden Identitätsfeststellung scheitern würde.

Das Bußgeld wird wie eine normale Geldforderung vollstreckt. Der in geordneten Verhältnissen lebende Bürger wird sich kaum dagegen wehren können. Er könnte allerdings bei geringem Entdeckungsrisiko und der letztlich nicht sozial schädlichen Verhängung eines Bußgeldes geneigt sein, das Risiko des Schwarzfahrens zu erproben. Die Anordnung von Ersatzfreiheitsstrafe kommt, wie ausgeführt, nur bei einer Freiheitsstrafe in Betracht und ist bei einer Ordnungswidrigkeit folglich ausgeschlossen.

Zur Unterstützung bei der Beitreibung verhängter Bußgelder sieht das Gesetz allerdings, wie auch schon ausgeführt, nach Paragraf 96 Ordnungswidrigkeitengesetz Erzwingungshaft vor. Bei erweislich zahlungsunfähigen Personen kommt diese aber nicht in Betracht. Erzwingungshaft darf nur gegen Personen angeordnet werden, die das Bußgeld grundsätzlich zahlen können. Das heißt, wer in ungeordneten Verhältnissen lebt und bei dem nichts zu holen ist – und manchem gelingt es durchaus, das auch einfach nachzuweisen –, kommt auch als Serientäter ungeschoren davon. Wer das einmal durchgezogen hat und bei den Vollstreckungsbeamten entsprechend gelistet ist, verfügt dann gewissermaßen über einen „Freifahrtschein“ für den gesamten öffentlichen Nahverkehr. Das ist kein Modell für einen funktionierenden Rechtsstaat.

Der Antrag der LINKEN ist ein Antrag gegen das Recht und gegen die Interessen der einfachen und ehrlichen Menschen und ist deshalb entschieden abzulehnen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Andreas Butzki, SPD: Tosender Beifall! – Heiterkeit bei Torsten Renz, CDU)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Herr Friedriszik.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Damen und Herren Abgeordnete! Die beabsichtigte Gesetzänderung würde zwar möglicherweise zu einer Verringerung des Vollzugsaufwandes führen, die Herabstufung von einer Straftat zu einer bloßen Ordnungswidrigkeit könnte aber auch als Signal einer Bagatellisierung verstanden werden und würde womöglich zu einer Zunahme von Fahrten ohne Fahrschein führen. Bereits die Feststellung, dass sich die strafrechtliche Verfolgung des Fahrens ohne Fahrschein in vielen Fällen gegen sozial und gesellschaftlich benachteiligte Personen richtet und somit soziale Probleme und Ungleichheiten verschärfen werde, ist in der Pauschalität zweifelhaft.

Entgegen der Ausführung in der Antragsbegründung sah der Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE im Bundestag keine Herabstufung des Fahrens ohne Fahrschein von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit vor, sondern es sollte ausschließlich „in § 265a Strafgesetzbuch … die

Beförderungserschleichung als Strafbarkeitsalternative gestrichen“ werden. Darin hieß es, „die Herabstufung des ,Schwarzfahrens‘ zu einer Ordnungswidrigkeit“ sei „unnötig, da die Vertragspflichtverletzung schon durch ein … ,erhöhtes Beförderungsgelt‘ sanktioniert“ werde.

Die in Rede stehende Bundesinitiative Thüringens sieht dem entgegen vor, dass „das ,Fahren ohne Fahrschein‘ durch die Streichung der Tatbestandsvariante der Beförderungserschleichung in § 265a Strafgesetzbuch entkriminalisiert (wird) und … ein neuer Ordnungswidrigkeitentatbestand der unbefugten Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels eingeführt (wird). … Mit der Entkriminalisierung entfällt auch die Anordnung von Ersatzfreiheitsstrafen wegen Beförderungserschleichung.“ Die Initiative wurde am 20.09.2019 im Bundesratsplenum vorgestellt und anschließend in die Ausschüsse überwiesen.

Der vorliegende Antrag soll die Koalition beziehungsweise die SPD als uneinig erscheinen lassen. Dass das Fahren ohne Fahrschein keinen Straftatbestand mehr darstellen soll, wird von der SPD-Fraktion Thüringen unterstützt. Dazu Oskar Helmerich, justizpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion Thüringen: „Schwarzfahren ist kein Kavaliersdelikt und muss auch weiterhin konsequent sanktioniert werden, allerdings nicht schlimmstenfalls mit dem Entzug der Freiheit. In meisten Fällen handelt es sich bei den Schwarzfahrerinnen und Schwarzfahrern um Menschen, die sich aufgrund sozialer, psychischer oder materieller Probleme kein Fahrticket leisten.“

Vor Antragschluss,

(Horst Förster, AfD: Das genau stimmt eben nicht! – Peter Ritter, DIE LINKE: Na, wenn Sie das so genau wissen, Herr Förster! – Zuruf von Horst Förster, AfD)

vor Antragschluss vermeldeten Medien am 22.09.2019, dass Justizministerin Hoffmeister Schwarzfahren weiter als Straftat ahnden will und eine generelle Herabstufung des Schwarzfahrens von der Straftat zur Ordnungswidrigkeit entschieden ablehnt. Nach einer Erhebung des Justizministeriums werden notorische Schwarzfahrer im Nordosten ohnehin nur äußerst selten zu Haftstrafen verurteilt. Eine Entkriminalisierung wäre ihrer Ansicht nach ein völlig falsches Signal. Der Staat hat die Pflicht, seine Bürger und Unternehmen effektiv vor kriminellen Handlungen zu schützen. Wenn Schwarzfahren als Kavaliersdelikt gelten würde, wäre das ein schlechtes Zeichen für alle, die Bus und Bahn redlich nutzen. Zudem dürften Schwarzfahrer in ihrem unredlichen Tun nicht noch bestärkt werden.

Nach Angabe des Justizministeriums wurden im Jahr 2018 in Mecklenburg-Vorpommern 1.036 Menschen nach Paragraf 265a Strafgesetzbuch wegen Erschleichens von Leistungen verurteilt, zum ganz überwiegenden Teil Schwarzfahrer. In 72 Fällen, das entspricht etwa sieben Prozent, seien Haftstrafen verhängt worden, die aber meist zur Bewährung ausgesetzt wurden. Die Zahl der Verfahren geht tendenziell zurück, die Strafverfolgungsstatistik zeigt, dass Strafandrohungen wirken. Ministerin Hoffmeister betonte, dass nicht jeder ohne Fahrschein in Bus und Bahn sofort zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werde. Die Gerichte prüfen sorgfältig, welches Strafmaß für welche überführten Angeklagten angemessen erscheint. Jedem Täter müsse aber unmissverständlich

verdeutlicht werden, dass auch Taten wie das Schwarzfahren von der Gesellschaft als strafwürdig angesehen werden.