Es sei nochmals daran erinnert, die freie Wahl eines Produkts ist eine Grundlage der Marktwirtschaft. Alles andere ist Sozialismus. Daher wäre dieser Antrag eigentlich abzulehnen. Andererseits können wir nicht gegen unsere eigene Wirtschaft stimmen, denn das Anliegen der Unterstützung ist ja berechtigt. Daher werden wir uns enthalten. – Vielen Dank.
(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Heiterkeit bei Andreas Butzki, SPD: Das war ein Quatsch eben. – Heiterkeit bei Wolfgang Waldmüller, CDU)
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Abgeordneten Holger Arppe, fraktionslos, auf Drucksache 7/4217. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag des Abgeordneten Holger Arppe, fraktionslos, auf Drucksache 7/4217 mehrheitlich abgelehnt.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 21: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Bundesratsinitiative „Fahren ohne Fahrschein als Ordnungswidrigkeit“ unterstützen, Drucksache 7/4202.
Antrag der Fraktion DIE LINKE Bundesratsinitiative „Fahren ohne Fahrschein als Ordnungswidrigkeit“ unterstützen – Drucksache 7/4202 –
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Im September dieses Jahres brachte der Freistaat Thüringen im Bundesrat einen Gesetzentwurf ein, der fordert, dass Fahren ohne Fahrschein in Bus und Bahn nicht mehr als Straftat nach Paragraf 265a StGB behandelt wird, sondern eben als Ordnungswidrigkeit eingestuft werden soll.
Ein entsprechender Wortlaut für einen Paragrafen 118 Ordnungswidrigkeitengesetz ist in diesem Gesetzentwurf mit enthalten.
Worum geht es bei dem Fahren ohne Fahrschein? Es geht darum, dass ohne entsprechenden Fahrschein und somit vertragswidrig und unbefugt vorsätzlich Bus und Bahn benutzt werden. Mal ganz davon abgesehen, dass in der juristischen wissenschaftlichen Literatur darum gestritten wird, ob es sich dabei um ein Erschleichen im Sinne des Paragrafen 265a, also ein Tatbestandsmerkmal, handelt, weil eben niemand beim fahrscheinlosen Fahren mit Bus oder Bahn getäuscht wird, oder eben nicht, Fakt ist, die Rechtsprechung sagt, dass dies unter den Tatbestand des Paragrafen 265a StGB fällt und somit strafbar ist. Die Folge ist, dass einem eine Freiheitsstrafe oder eben eine Geldstrafe droht. Kann man im letzteren Fall die Geldstrafe nicht aufbringen, egal aus
welchen Gründen, greift die Ersatzfreiheitsstrafe und der Verurteilte muss seine Strafe in den Justizvollzugsanstalten absitzen.
Erstens ist man ein verurteilter Straftäter mit entsprechendem Eintrag in das Bundeszentralregister. Das hat möglicherweise spätere Folgen auf das Berufsleben.
Und zweitens, wenn die Ersatzfreiheitsstrafe greift, hat man diese Strafe für vier bis sechs Wochen in der Haft dann abzusitzen.
Wir als Linksfraktion Mecklenburg-Vorpommern lehnen eine derartige Stigmatisierung ab und fordern deshalb unsere Landesregierung auf, sich der Bundesratsinitiative Thüringens anzuschließen, und das aus verschiedenen Gründen:
Wir finden, erstens, es verschärft, wenn es wie bisher ein Straftatbestand bleibt, die sozialen Probleme. Denn wer fährt Bus und Bahn? Es ist nicht der Manager, der vor seiner Tür den Porsche Cayenne hat, nein, es sind Kinder, Jugendliche, Schüler, Mütter mit Kinderwagen, Hilfsbedürftige, die mit Bus oder Bahn zu den Ämtern fahren, weil sie sich eben kein Auto leisten können, und ältere Menschen, die aus gesundheitlichen oder finanziellen Gründen auf Bus und Bahn angewiesen sind. Eben diese Personengruppen kommen nur als potenzielle Täter, wenn man es so bezeichnen will, überhaupt in Betracht. Damit trifft es hauptsächlich, aber nicht nur, Menschen, die weniger Geld in der Tasche haben. Alle anderen, die es sich leisten können, fahren in dem ohnehin schon ausgedünnten Bus- und Bahnnetz von MecklenburgVorpommern lieber Auto, weil man dann schneller und sicherer ankommt. Die Bestrafung führt zur hauptsächlichen Bestrafung von sozial und gesellschaftlich benachteiligten Personen, die es sich eben nicht leisten können, für beispielsweise eine Fahrt von Ludwigslust nach Schwerin 7 Euro für den Zug zu zahlen. Aber es gibt eben keine anderen Beförderungsmöglichkeiten als Bus oder Bahn für diese Menschen.
Zweitens werden diese Menschen dann ein weiteres Mal bestraft, wenn sie, wie gesagt, die Geldstrafe nicht aufbringen können, einfach, weil sie es vielleicht nicht haben, und ihre Strafe dann absitzen. 10 Euro Tagessatz bei Geldstrafen für Hartz-IV-Empfänger oder Aufstocker sind die Regel. Jeder, der jemals von Hartz IV gelebt hat – und glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede –, weiß, dass das Geld schon ohnehin kaum vorne und hinten reicht, um alltägliche Sachen zu begleichen, und erst recht reicht dieses Geld nicht, um dann auch noch eine Geldstrafe abzuzahlen. Deshalb ist dann der Weg in die Haft vorprogrammiert. Und hier handelt es sich nach Auskunft der Thüringer Justizvollzugseinrichtungen, und das kann man der Bundesratsinitiative entnehmen, bei den Personen, die wegen Beförderungserschleichung eine Haft verbüßen, vorrangig um Personen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind und/oder an seelischen Störungen oder körperlichen Krankheiten leiden. Und hier besteht eben ein Unterschied, ob es eine Straftat ist oder eine Ordnungswidrigkeit.
Wir sagen ja nicht, dass das Fahren ohne Fahrschein folgenlos bleiben soll. Jeder, der eine Leistung in Anspruch nimmt, hat diese zu bezahlen. Tut er dies nicht,
muss er zumindest mit zivilrechtlichen Folgen, Schadensersatzanspruch et cetera und Folgen eben nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz rechnen, schließlich haben die Bus- und Bahnunternehmen zum einen die Möglichkeit, ihre Ansprüche zivilrechtlich geltend zu machen, mit dem Recht verbunden, dass der Erwischte solange festgehalten werden kann, bis die Personaldaten festgestellt werden können.
Und zum Zweiten sagen wir, das soll derzeit eine Ordnungswidrigkeit sein. Bei der Ordnungswidrigkeit verhält es sich so, dass Bußgelder erhoben werden können. Wird dies nicht gezahlt, wird dann eine Erzwingungshaft verhängt werden können. Ob sie verhängt wird, prüft ein Richter und nicht wie im Fall der Ersatzfreiheitsstrafe ein Rechtspfleger. Es wird geprüft, warum nicht gezahlt wird: ist es ein böser Wille oder kann dieser Mensch eben nicht das Geld aufbringen.
Zweitens. Neben diesen sozialen Ungerechtigkeiten ist des Weiteren zu beachten, dass die Kosten bei Weitem den gesellschaftlichen Nutzen übersteigen. Die Fahrscheinkosten liegen bei bis zu maximal 20/30 Euro. Das variiert. In einigen Orten gibt es beispielsweise Sozialtickets für Bus und Bahn für hilfebedürftige, arme Menschen, wie zum Beispiel in Rostock, wo hilfsbedürftige Menschen für eine Wochenkarte – für den Warnowpass – nur noch 15 statt 20 Euro zahlen. Rechnet man das auf den Monat hoch, bleiben 20 Euro mehr im Portemonnaie – viel Geld, wenn man auf Hartz IV angewiesen ist oder gerade so darüber liegt. Also schon hier gibt es Ungleichheiten je nach finanzieller Situation der Stadt oder Gemeinden, die sich ein Sozialticket leisten oder einführen können oder nicht, und wo Menschen dann nicht mehr so schnell zu Straftätern werden.
Wenn es unserer Forderung entsprechend irgendwann ohnehin zum kostenfreien Bus- und Bahnverkehr käme, hätte sich das ganze Problem sowieso erledigt. Aber zurück zum Thema.
Diesen geringen Kosten von Fahrscheinen bis zu 20/30 Euro stehen jedenfalls Kosten für die Bearbeitung bei der Polizei, den Staatsanwaltschaften, bei Gericht und im schlimmsten Fall sogar in den Justizvollzugseinrichtungen gegenüber. Laut Kriminalstatistik von MecklenburgVorpommern waren wegen Beförderungserschleichung 2016 490 aufgeklärte Fälle zu verzeichnen, 2017 621 und 2018 616.
Die Polizei, die Staatsanwaltschaften, die Gerichte prüfen all diese Fälle sorgfältig. 2010 war jeder Zehnte zu einer Freiheitsstrafe Verurteilte wegen des Erschleichens von Leistungen bestraft. Geht der Verurteilte dann in Haft, kostet das den Steuerzahler richtig viel Geld. Um mal eine Zahl zu haben: In Mecklenburg-Vorpommern kostet ein Hafttag den Staat 170 Euro, also 1 bis 40 Euro für die Fahrtkosten steht ein Aufwand einer ohnehin stark belasteten Justizvollzugseinrichtung von mindestens 170 Euro pro Tag gegenüber.
Damit wird deutlich, dass die strafrechtliche Verfolgung der Beförderungserschleichung in einem großen Umfang bei Polizei und Justiz Ressourcen bindet, Ressourcen, die eigentlich zur Bekämpfung schwerer Formen von Kriminalität notwendig wären. Das sind auch die Gründe, warum sich der Richterbund beziehungsweise der Bund der Kriminalbeamten Mecklenburg-Vorpommern für die Entkriminalisierung dieses Tatbestandes aussprechen.
Der letzte Grund, den ich vortragen möchte, ist ein rechtssystematischer. Laut dem Bundesverfassungsgericht soll das Strafrecht, die Ultima Ratio des Rechtsgüterschutzes, also das schärfste Schwert des Staates sein. Das heißt, dass eine staatliche Bestrafung nur bei einer besonderen Sozialschädlichkeit des Verhaltens zum Einsatz kommen darf. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz muss bei solchen Gesetzen besonders stark beachtet werden. Das können alle Juristinnen und Juristen unter uns bestätigen.
Was ist durch das Schwarzfahren geschädigt? Die Verkehrsbetriebe erhalten für eine Dienstleistung kein ihnen zustehendes Beförderungsentgelt. Es findet keine Wegnahme einer fremden beweglichen Sache statt wie beim Diebstahl und es gibt auch keine Täuschung wie bei Betrug. Es wird die Leistung eines konkludent abgeschlossenen Vertrages nicht erbracht. Derartige Vertragsbrüche hat der Gesetzgeber bewusst aus der Strafbarkeit herausgenommen. Dafür gibt es die Zivilgerichtsbarkeit. Somit passt es schon rechtssystematisch nicht, im Falle des Fahrens ohne Fahrschein das schärfste Schwert des Staates auszupacken und dies unter Strafe zu stellen.
Meine Damen und Herren, bitte vergessen Sie nicht, wir reden hier über zivilrechtliche Verträge. Die Zeiten, in denen die Reichs- oder Bundesbahn staatlich und die Schaffner quasi Exekutivorgan waren, sind vorbei.
Da hat ja eine Strafbarkeit eventuell noch Sinn gemacht. Stellen wir es einer Ordnungswidrigkeit hingegen gleich, wie es beispielsweise die Massendelikte im Verkehrsrecht sind, beispielsweise einem Rotfahren über eine Ampel, wo sicherlich eine höhere Gefährdung von schutzwürdigeren Gütern, wie körperliche Unversehrtheit, geschützt wird, dann machen wir ebenfalls allen klar, dass das unbefugte entgeltlose Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel gesellschaftlich nicht erwünscht ist, es ähnlich wie bei vielen anderen verkehrsrechtlichen Verstößen aber keine Straftat ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Strafbarkeit des Schwarzfahrens ist sozial ungerecht und nicht mehr zeitgerecht, deshalb: Stimmen Sie dem Antrag zu und lassen uns im Bundesrat gegen die Kriminalisierung von Schwarzfahrern handeln! – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat wurde vereinbart, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 55 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion DIE LINKE, Thüringens Vorstoß zur Entkriminalisierung der Beförderungserschleichung, kurz,
des Schwarzfahrens oder die Schaffung eines entsprechenden Bußgeldtatbestandes zu unterstützen, wärmt eine immer wieder geführte Diskussion auf.
(Dr. Ralph Weber, AfD: So viel zum Abschreiben und Plagiat! – Zuruf von Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE)
Aber natürlich ist es legitim, Frau Bernhardt, die Strafwürdigkeit bestimmter Verhaltensweisen vor dem Hintergrund gesellschaftlichen Wandels regelmäßig rechtspolitisch zu hinterfragen und gegebenenfalls auch neu zu bewerten. Aus meiner Sicht kommt es aber dabei auf den Ansatz an.
Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach, das haben Sie gerade skizziert, dargelegt, dass das Strafrecht wegen seiner Ultima-Ratio-Funktion nur dann zum Rechtsgüterschutz einzusetzen ist, wenn das kriminalisierte Verhalten in besonderer Weise sozial schädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich ist und seine Verhinderung daher besonders dringlich. Damit macht das Bundesverfassungsgericht deutlich, worauf es bei der Beurteilung der Strafwürdigkeit eines Verhaltens – jedenfalls in erster Linie – ankommt, nämlich auf das missbilligte Verhalten selbst und seine unmittelbaren Auswirkungen auf die Gesellschaft und ihre Rechtsgüter.
Sie hingegen, meine Damen und Herren von den LINKEN, beschäftigen sich zur Begründung Ihres Antrages im Kern damit, wie die Straftäter und die vermeintlichen Folgen einer Straftat sich auswirken und wie sich das auf den Staatshaushalt auswirkt. Aus meiner Sicht machen Sie da den zweiten Schritt vor dem ersten, manchmal in Ihrer Begründung ohne den ersten. Ich möchte das Augenmerk deshalb noch mal deutlich auf diesen Gesichtspunkt legen: Ist Schwarzfahren strafwürdig? Ich meine, und dabei bleibe ich bei meiner konstanten Auffassung, ja, das ist es.
Die Beförderungserschleichung ist als Unterfall des Erschleichens von Leistungen gemäß Paragraf 265a des Strafgesetzbuches eine betrugsähnliche Handlung und setzt eine gewisse kriminelle Energie voraus. Wer schwarzfährt, umgibt sich vertragswidrig mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit, also ein Ticket gelöst zu haben. Tatsächlich verfolgt er aber die Absicht, das Entgelt nicht zu entrichten. Das ist ebenso strafrechtlich zu missbilligendes Verhalten wie beispielsweise eben doch Betrug, Unterschlagung oder Diebstahl, über deren Entkriminalisierung zu Recht nicht in dieser Weise diskutiert wird.
Schwarzfahren sorgt für Unfrieden innerhalb der Gesellschaft, insbesondere unter den vielen Pendlern und anderen Fahrgästen, die stets und immer einen Fahrschein kaufen und sich redlich verhalten. Und natürlich ist nicht jede einzelne Schwarzfahrt in besonderem Maße sozial schädlich. Der Schaden im Einzelfall ist sogar oft gering, allerdings beläuft sich der durch die Beförderungserschleichung verursachte Gesamtschaden in Deutschland nach aktuellen Medienberichten auf etwa 250 Millionen Euro pro Jahr, und das sind alles andere als Peanuts.
Das geht aus einer Umfrage hervor, die insbesondere zurückzuführen ist auf eine Umfrage des Geschäftsführers aus dem Rhein-Main-Verkehrsverbund, zuletzt auch noch mal veröffentlicht in der „Welt“ im letzten Jahr.
Hinzu kommt, dass der Vermögensschaden oft zulasten der Allgemeinheit geht, da die betroffenen Verkehrsunternehmen meist im Eigentum der öffentlichen Hand stehen. Erst an dieser Stelle, nämlich nach der Feststellung der Strafwürdigkeit des Schwarzfahrens, mag man in eine kriminalpolitische Diskussion eintreten zur Zweckmäßigkeit. Die darf allerdings aus unserer Sicht nicht in den Vordergrund gestellt werden.
Aber auch die unter kriminalpolitischen Aspekten für eine Entkriminalisierung angeführten Argumente Thüringens überzeugen mich nicht. Da wird behauptet, dass sich die strafrechtliche Verfolgung des Schwarzfahrens gegen sozial und gesellschaftlich benachteiligte Personen richte und somit soziale Probleme und Ungleichheiten verschärfe.