Das Thema „Information und Ansprache der Bevölkerung“ zum Thema „Impfen von Masern bei Kindern“ hat nicht die gewünschten Erfolge gebracht. Wenn man dann in einen Abwägungsprozess kommen muss, dann muss man sagen, jawohl, das Thema Gesundheitsschutz geht hier vor, vor den persönlichen Rechten, die Einzelne haben. Das sind ja jetzt nicht nur CDU und SPD, die diese Auffassung vertreten, sondern auch die Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland hat gesagt, das muss kommen.
(Torsten Renz, CDU: Dann kriegen wir vielleicht auch noch mal einen gemeinsamen Antrag hin, Herr Heydorn.)
Insofern wunderbar, prima, Herr Renz, dass wir uns hier noch mal unsere gegenseitige Auffassung versichert haben. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Verlauf der bisherigen Debatte zeigt, dass es gut, notwendig und erhellend ist,
sich noch einmal zu diesem Thema auszutauschen, weil es doch verschiedene Sichtweisen zur Thematik gibt und hier die Frage aufgeworfen wurde von Dr. Jess, ob wir denn dazu berufen wären, uns dazu auszutauschen, wo sich doch die meisten – zu denen gehöre ich auch – zu dem Thema vor allen Dingen belesen haben, beziehungsweise haben wir das bei uns in der Fraktion so gehalten, auch wenn wir klar, um auf die Frage von Herrn Ehlers zu antworten, dicht beieinander sind, was die Impfpflicht betrifft, dass wir am Montag dieser Woche noch mal sehr ausführlich mit ausgewiesenen Impfgegnern und Impfgegnerinnen gesprochen und die Argumente aufgenommen haben.
noch einmal ein paar Nachdenklichkeiten anbringen, aber berufen sind wir schon mit dem Mandat, Herr Dr. Jess. Das macht das Parlament als Spiegelbild der Gesellschaft aus, dass wir auch in der Pflicht stehen, uns Kenntnisse zu verschaffen, dass wir das Gespräch suchen, abwägen und Lernende in dem ganzen Prozess sind,
denn bei anderen Themen mag das nämlich auch sein. Ich sage mal, wenn wir uns zur Feuerwehr und der Aus
Also, wir bejahen das Thema auf alle Fälle, weil sich aus allen Erkenntnissen, die medizingeschichtlich verschafft wurden, herausgestellt hat, dass, um Krankheiten wirksam vorbeugend zu bekämpfen, maßgeblich drei Instrumente angewandt wurden: Das sind Impfungen, das ist eine verbesserte Hygiene und das ist der Einsatz von Antibiotika. Wenn man sich in der Fachliteratur, womit wir bei der Fachliteratur sind, beliest, wird eingeschätzt, dass sauberes Trinkwasser am deutlichsten dazu beigetragen hat, Krankheiten vorzubeugen, und dann kommt eben schon das Impfen. Das ist auch belegbar anhand der Verläufe und der Anzahl des Auftretens verschiedener Krankheitsfälle. Von den Pocken war die Rede, aber es gibt auch andere Beispiele, die anzuführen sind.
Ich beschäftige mich im Moment mit Genuss mit Fragen der Gesundheitsökonomie und bin auf ein paar Studien gestoßen, die mal nachgeschaut haben, woran lag es rückblickend, dass sich im vergangenen Jahrhundert die durchschnittliche Lebenserwartung um circa 25 Jahre erhöht hat. Es wird eingeschätzt, dass 40 Prozent dieser 25 Jahre mehr durchschnittlicher Lebenserwartung darauf zurückzuführen sind, dass sich die hygienischen Bedingungen verbessert haben und vor allen Dingen
Nahrung selbstverständlich, gesunde Nahrung. Aber eben das Impfen spielt dabei eine ganz große Rolle.
Die Kehrseite der Medaille, besser gesagt, schlechte Beispiele, dramatische Beispiele zeigen sich in jüngerer Geschichte auch. In Russland oder in der ehemaligen Sowjetunion galt Diphterie, zumindest der Statistik nach, soweit man das einschätzen kann, als ausgerottet. In den 90er-Jahren sind aufgrund eines abfallenden Impfstatus insgesamt mehr als 150.000 Fälle registriert worden mit mehr als 6.000 Toten. Das ist belegt, das ist auch erfasst worden und zeigt uns, welche Dimensionen und welche Dramatik etwas annehmen kann, wenn der Impfstatus fällt. Das sage ich auch vor dem Hintergrund, weil die Frage hier aufkam, warum die Masern. Zu der Tatsache, dass Masern nicht leichtfertig abgetan werden können, schon gar nicht als Kinderkrankheit bezeichnet werden kann, hat Minister Glawe ja etwas gesagt.
Was sich an solchen Fällen deutlich macht, ist die Verantwortung, die wir haben, und die soziale Verantwortung, die es in der Gesellschaft überhaupt gibt, für den Gesundheitsstatus und mit Blick auf die Wechselbeziehung zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft und umgekehrt, denn Impfungen schützen den Einzelnen, sind für den Einzelnen von Nutzen, aber schützen zugleich die Gesellschaft. Das ist für uns auch der Grund – also diese Fakten, die ich genannt habe und diese sozia
le Verantwortung, um die es geht –, das ist für uns LINKE der Grund gewesen, frühzeitig für gesundheitliche Aufklärung einzutreten, für eine Impfkampagne einzutreten, die hier angesprochen wurde, und für eine Impfpflicht, und zwar …
Warum wird die Gesellschaft oder wovor wird die Gesellschaft denn beschützt? Meines Wissens kann doch nur jemand krank werden, der nicht geimpft ist. Und wenn jeder doch für sich entscheidet, ich lasse mich impfen oder ich lasse mich nicht impfen, dann entscheidet er auch selbst, ob er das Risiko eingeht, eine Krankheit zu erlangen.
Ja, also wissenschaftliche Erkenntnisse verdeutlichen, dass es einer Durchimpfungsquote von mindestens 95 Prozent in der gesamten Gesellschaft bedarf, um von dem sogenannten Herdenschutz zu sprechen, um dann dafür zu sorgen, dass niemand erkranken kann. Wenn man das im Grunde genommen freistellt … Ich will gleich noch was zu der Bedeutung von Überzeugungsarbeit sprechen, aber aufgrund dieser Dramatik, die ich zum Beispiel anhand der Diphteriefälle in Russland hier illustriert habe, wird deutlich, dass das Allgemeinwohl an dieser Stelle der Einzelentscheidung gegenüber gewichtiger ist. Deswegen kommen wir zu dieser Erkenntnis.
Was das Impfen betrifft und die Masern, Herr Dr. Jess, ist es so, dass wir nicht nur die Masern in den Blick nehmen, sondern den dringenden Impfempfehlungen des Robert Koch-Institutes insgesamt folgen wollen. Also wir reden da auch über mehr.
Was die Masern betrifft – das will ich an dieser Stelle vertiefen –, ist erst einmal festzustellen, dass auch in Deutschland die Zahl der Masernfälle wieder zunimmt. Es gibt da keine Insellösung. Wenn wir jetzt sagen würden – Herr Dr. Jess hat ja damit gestartet, dass er sagt, das sollte Länderhoheit sein –,
dass jedes Land selber seine Regelung schafft, dann haben wir, Herr Kramer, eben nicht die Situation, dass wir den sogenannten Herdenschutz hinkriegen und die Gefahr für die Bevölkerung in der Tat immer noch besteht.
Bei den Masern – davon wird ausgegangen – ist jede zehnte Erkrankung statistisch gesehen mit Kurz- und Langzeitauswirkungen verbunden, die bis zur Hirnhautentzündung führen können, zu ernsthaften Atemwegserkrankungen und bezogen auf einen Masernfall pro tausend Masernfälle zu einem Todesfall, sagt die Statistik. Das sind alles Gründe, wo wir sagen, wenn wir darum wissen und wenn alle Statistiken das belegen, dann
Und was die Impfquote betrifft, da können wir in der Tat – Herr Ehlers hat ja seinen Redebeitrag damit begonnen, dass wir eine gute Impfquote haben – stolz drauf sein, aber das ist keine Selbstverständlichkeit. Wenn man sich die Impfquote zu den Masern insgesamt, zumindest bezogen auf den Jahrgang 2014, anschaut, gibt es deutschlandweit eine Impfquote von 73,9 Prozent.
Herr Kramer, wir haben also diesen Schutzstatus nicht und das ist für uns letztendlich Grund genug, an dieser Stelle zu handeln.
Die Frage ist – und damit bin ich bei Argumenten derjenigen, die als Impfgegnerinnen und Impfgegner auftreten –: Ist mit einer Impfpflicht sozusagen alles erreichbar? Eine Impfpflicht allein kann es nicht leisten, denn wenn man sich diesen Gesetzentwurf anschaut, dann hat der gewisse Schlupflöcher. Man kann sich ein Attest besorgen, dann ist man raus, denn es gibt durchaus Medizinerinnen und Mediziner, die auch impfskeptisch sind und dann Atteste – begründet oder weniger, das wäre eine Grauzone – ausstellen, und man kann sich, das ist auch von Herrn Ehlers gesagt worden, 2.500 Euro wäre das Bußgeld, man kann sich, wenn man einen entsprechenden sozialen Status hat, freikaufen. Das sind zwei Sachen, die kommen quasi einem Schlupfloch gleich.
Nun ist die Frage: Wenn das so ist, wie denn umgehen? Eine Impfpflicht kann immer nur Ultima Ratio sein, das letzte Mittel. Die Aufklärung steht vorne an. Deswegen haben wir ja auch insgesamt hier im Parlament entschieden, eine entsprechende Impfkampagne auf den Weg zu bringen.
Professor Saad Omer von der Universität Atlanta hat erforscht – das ist sehr interessant –, dass die Impfskepsis von denjenigen, die gegen das Impfen sind, wenn sie von Ärztinnen und Ärzten, also von Autoritäten, aufgeklärt werden, um 40 Prozent sinkt. Das ist erheblich. Da schlummert also noch viel Potenzial.
Wir möchten als LINKE anregen, Herr Minister, dass wir die Kampagne nicht nur über drei Jahre ausfinanzieren, sondern nach Möglichkeit auch evaluieren: Sind wir an der Stelle gut genug? Sind wir wirksam genug, damit wir im Zweifelsfall noch weiter steuern können, entsprechend weiter agieren können, damit es erfolgreich ist, was wir machen, was wir auf den Weg gebracht haben? Mit dem Gesetz – das hatte ich gesagt – kann es nicht allein um Masern gehen. Wir wollen uns anlehnen an die dringenden Empfehlungen des Robert Koch-Institutes und möchten eine Sache in den Blick nehmen, die nicht minder wichtig ist, gerade Krebserkrankungen, die Krankheitsgeißel schlechthin. Ich weiß nicht, ob einige von Ihnen dabei waren – es ist noch nicht allzu lange her –, als der Krebsvirusforscher zur Hausen auf Einladung des Hartmannbundes in Schwerin war und zu HPV, zu Gebärmutterhalskrebs vorgetragen hat. Er hat – das war für mich zumindest sehr erhellend – deutlich gemacht, dass es nicht allein eine Angelegenheit des Impfens von Mädchen ist, sondern gleichermaßen von Jungen.
Ich habe in Vorbereitung auf die heutige Debatte mal geschaut, wie denn die Zahl der Krankheits- und Todesfälle ist. Wir haben bei HP-Viren im Jahresdurchschnitt der letzten Jahre jährlich circa 6.900 Frauen und Mädchen, die verstorben sind an Gebärmutterhalskrebs, und Jungen an Mund- und Lungenkrebs oder Atemwegserkrankungen in Höhe von 1.300 Fällen. Das ist eine wirklich relevante Größe. Es handelt sich hier um Erkrankungen, zu denen es Gegenmittel gibt, wo es also wichtig ist aufzuklären, wichtig ist, darüber nachzudenken, wie damit umgegangen wird und wie wir eine Verbesserung der Situation des Gesundheitsstatus hinbekommen.
Das alles sei an dieser Stelle gesagt. Wir unterstützen das Anliegen. Es ist eine Frage, ob wir da noch mal was auf den Weg bringen sollten. Wir seitens der LINKEN regen an, dass sich die Gesundheitspolitikerinnen und Gesundheitspolitiker fraktionsübergreifend noch mal zusammensetzen und darüber nachdenken, ob die Bundesregierung an dieser Stelle Rückenwind braucht. – Vielen Dank, für die Aufmerksamkeit.