Protocol of the Session on December 14, 2017

(Peter Ritter, DIE LINKE: Von mir aus könnte es gleich losgehen.)

Es wird natürlich bis zur Zweiten Lesung genügend Anhörungen geben, die uns die Sicherheit geben werden, dass wir das Richtige für unser Land, für die Beamtinnen und Beamten tun. Ich bedanke mich abschließend bei denjenigen, die handwerklich gute Arbeit bei diesem Entwurf geleistet haben, und freue mich auf die anregenden Diskussionen im Ausschuss. – Ich danke Ihnen.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Herr Ritter.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Offensichtlich ist es jetzt so, dass im Innenministerium das zweistufige Gesetzgebungsverfahren erfunden worden ist. Wir machen beim FAG ein zweistufiges Verfahren, wir machen beim SOG ein zweistufiges Verfahren. Das ist etwas Neues, aber ob es unbedingt zur Qualitätsverbesserung beiträgt, weiß ich nicht. Bei dem vorliegenden Problem wäre ein umgedrehtes zweistufiges Verfahren angezeigt gewesen, nämlich zunächst die Regulierung der europäischen Dinge, die mit der EU-Datenschutzgrundverordnung auf der Tagesordnung stehen, und dann das, was jetzt vorgeschlagen wird. Also die Stufen stimmen nicht ganz, wenn man sich für ein zweistufiges Verfahren entscheidet.

Ich will nur nebenbei erwähnen, dass die Landesregierung mir auf eine Kleine Anfrage geantwortet hat, dass im Dezember zum Beispiel die Grundlagen für die Veränderung der Landesverfassung dem Landtag im Zusammenhang mit der EU-Datenschutzgrundverordnung zugeleitet werden. Wir haben Dezember, zugeleitet worden ist nichts. Ich weiß nicht, wie sozusagen die Erwartungshaltung in dieser Frage bis zum Inkrafttreten der EU-Datenschutzgrundverordnung eingehalten werden soll.

Zweite Vorbemerkung, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der vorliegende Gesetzentwurf wird auch mit der allge

meinen Terrorlage begründet. Das ist nicht zu bestreiten, dass wir uns in einer schwierigen Situation befinden. Allerdings weiß ich nicht, ob die hier vorgeschlagenen Mittel und Methoden in vollem Umfang gewährleisten, die Terrorgefahr zurückzudrängen.

Ich will dazu das Beispiel Anis Amri bemühen. In wenigen Tagen begehen wir ja leider den ersten Jahrestag dieses schrecklichen Terroraktes auf dem Berliner Weihnachtsmarkt und in einem ziemlich umfänglichen Bericht, in einer Reportage in der Zeitung „Die Zeit“ nachzulesen, erfährt man Interessantes. Dort heißt es unter anderem, am 17. Februar 2016 habe es ein Treffen im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum gegeben und auf der Tagesordnung – also ich sage noch mal: Februar 2016 – stand auch Anis Amri.

Es heißt in den dort beratenen Dokumenten, ich zitiere: „Amri werbe dafür, ,gemeinsam mit ihm islamistisch motivierte Anschläge zu begehen‘, und plane, sich in Frankreich ,großkalibrige Schnellfeuergewehre‘ zu besorgen; mit diesen Worten hat ein paar Tage zuvor ein V-Mann aus Nordrhein-Westfalen die Ermittler gewarnt.“ Es heißt weiter: „An der GTAZ-Sitzung in Berlin nehmen auch vier Polizisten aus Nordrhein-Westfalen teil. Sie sind beunruhigt. Sie glauben ihrem Informanten. ,Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt davon auszugehen, dass Amri seine Anschlagsplanungen ausdauernd und langfristig verfolgen wird‘ … Ihre Kollegen vom Bundeskriminalamt … hingegen reagieren kühler auf die Warnung. Die Runde verständigt sich lediglich darauf, den Fall ,ernst zu nehmen‘ … Die nordrhein-westfälische Bewertung dagegen kommt der Wirklichkeit sehr nahe. Zehn Monate später, am 19. Dezember 2016, erschießt Anis Amri in Berlin einen polnischen Fernfahrer, fährt mit dessen Lastwagen über den Weihnachtsmarkt … am Breitscheidplatz und richtet ein Blutbad an. Zwölf Menschen sterben, Amri bekennt sich im Namen des ,Islamischen Staates‘.“ Zitatende.

Ich weiß nicht, ob dieser Anschlag verhindert worden wäre, wenn Amri eine Fußfessel getragen hätte. Ich glaube eher, es liegt hier staatliches Behördenversagen vor, welches es ermöglicht hat, dass es zu diesem Anschlag gekommen ist.

Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist auch der vorliegende Gesetzentwurf, obwohl gerade vor diesem Hintergrund der Terrorlage hier angekündigt, insgesamt recht übersichtlich. Zum einen geht es um die sogenannten Bodycams, dazu sage ich dann noch etwas, und zum anderen geht es im Zusammenhang mit den drohenden terroristischen Straftaten um die elektronische Fußfessel.

Es stellt sich aber auch in der Auswertung und in der Auseinandersetzung mit dem Gesetzentwurf für mich die prinzipielle Frage, wer in diesem Land für Sicherheitsfragen die Richtlinienkompetenz hat. Sind das die Ministerpräsidentin oder der Innenminister dieses Landes oder ist es der Bundesinnenminister in Berlin? Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Koalitionsvereinbarung der laufenden Legislaturperiode sucht man vergeblich nach der Fußfessel. Dafür wird man im neuen BKA-Gesetz fündig. Unsere Koalitionsvereinbarung, besser Ihre, legt vielmehr fest, dass das SOG dann novelliert wird, wenn dies aufgrund geänderter EU-Vorschriften rechtlich geboten ist. Hier werden also offensichtlich die IMKBeschlüsse über die Landespolitik gestellt. Und auch der

mögliche Einwand, dass man doch auf den Berliner Terroranschlag reagieren musste, macht die Sache nicht besser. Wenn nämlich, ich wiederhole, die elektronische Fußfessel die sicherheitspolitische Antwort auf Anis Amri sein soll, dann hat man leider überhaupt nichts begriffen.

Laut Gesetzentwurf erfordere die aktuelle Sicherheitslage dringend die Anpassung des SOG, es müssten schnellstmöglich die notwendigen Befugnisse geschaffen werden. Wenn dem so ist, Herr Innenminister, dann stellt sich schon die Frage: Warum liegt der Gesetzentwurf erst jetzt im Dezember vor? Die IMK hat bereits im Januar entsprechende Beschlüsse gefasst, andere Bundesländer haben die Neuregelung bereits vollzogen und das neue BKA-Gesetz liegt seit dem Sommer vor. Dringend, schnellstmöglich – wir haben Dezember 2017!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, durch jede Zeile des Gesetzentwurfes und seiner Begründung ist deshalb auch für mich das Unwohlsein der Autoren förmlich zu fühlen. Eigentlich ist etwas ganz anderes dringender, aber darauf können wir nicht mehr warten und werden deshalb etwas anderes vorziehen. Es geht nämlich im Kern um die dringend notwendige und in der KoaVereinbarung festgelegte Anpassung des SOG an die EU-Datenschutzbestimmungen. Aber wie gesagt, es ist ein zweistufiges Verfahren. Deshalb findet man im aktuellen Gesetzgebungsverfahren keinerlei Hinweise auf die Anpassung an die EU-Vorschriften. Man müsse jetzt erst die Novelle des Landesdatenschutzgesetzes abwarten. Ich weiß nicht, wie lange dieser abwartende Prozess noch andauern soll!

Und, sehr geehrter Herr Innenminister, wer ist dann bei diesen Projekten federführend? Das ist Ihr Haus. Meine Fraktion hat bereits an dieser Stelle mehrfach einen rechtzeitigen und vor allem geordneten Anpassungsprozess an die EU-Datenschutzgrundverordnung und andere Bestimmungen angemahnt. Wenn man bei der Bodycam erst im Nachhinein entdeckt, dass hierfür die ausdrückliche Ermächtigung des SOG notwendig ist, spricht das nicht gerade für die Notwendigkeit oder für die Qualität der Koalitionsvereinbarung, oder man hat vor allem da die Notwendigkeit nicht gesehen, obwohl die Lage vor einem Jahr auch schon so war.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, selbstverständlich haben wir in diesem Haus unterschiedliche Grundpositionen in Sicherheitsfragen, also auch zum Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit, und das ist natürlich auch bei der elektronischen Fußfessel so. Hinzu kommt nun allerdings, dass die stärksten Bedenken nicht so sehr aus dem politischen Raum, sondern aus der polizeilichen Praxis selbst kommen. Namentlich das Bundeskriminalamt übt scharfe Kritik an dieser Maßnahme. Fußfesseln bei gefährlichen Islamisten könnten, so die Einschätzung des BKA, die Terrorgefahr sogar erhöhen, weil wichtige Informationen wegfallen – ein interessanter Aspekt, den wir in den Anhörungen im Innenausschuss beleuchten sollten. Die

Fußfessel könnte Auswirkungen auf das Verhalten des Betroffenen und somit auf verdeckte Maßnahmen zur Informationsgewinnung haben – auch eine interessante Frage, die wir bei der Anhörung im Innenausschuss beleuchten sollten.

So ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, für mich und meine Fraktion die Fußfessel ein Paradebeispiel für eine verfehlte Placebopolitik in der

inneren Sicherheit. Die öffentliche Botschaft lautet, man unternimmt ja alles, um einen weiteren großen Anschlag in Deutschland zu verhindern. Praktisch aber wissen die Fachleute, und Sie weisen uns darauf hin, dass Anis Amri auch mit Fußfessel den Anschlag hätte begehen können. Diese Begründung für die Einführung der Fußfessel für Gefährder ist also falsch oder nicht ausreichend. Wenn aber ausreichend schwere Verdachtsgründe vorliegen, ist eine polizeiliche Observation wesentlich besser geeignet, einen Anschlag zu verhindern. Nur muss man auch mit den gewonnenen Erkenntnissen entsprechend umgehen,

(Zuruf von Manfred Dachner, SPD)

denn dann lässt sich verfolgen, was der Verdächtige unternimmt, und nicht nur, wo er sich aufhält.

Hinzu kommt, lieber Kollege Dachner, dass es keine fassbare Definition gibt, ab wann wer als Gefährder eingestuft wird. Die jüngsten Pleiten bei den Antiterroreinsätzen in Mecklenburg-Vorpommern bestätigen das ja eindeutig. Da wird mit großem Besteck aufgefahren, weil eine Terrorgefahr vermutet wird, und wenig später wird durch den Generalbundesanwalt erklärt, ganz so war es nicht. Wir haben das doch mehrfach im Innenausschuss miteinander diskutiert, ohne dabei weiterzukommen, weil uns leider die Einsicht in die Dokumente des Generalbundesanwaltes verwehrt wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, gegen das Pilotprojekt zur Prüfung der Praxistauglichkeit der Bodycams ist zunächst nichts einzuwenden. Inhaltlich haben wir Fragen der Eigensicherung der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten bereits mehrfach diskutiert. Erfahrungen aus anderen Bundesländer liegen vor. Auch deshalb hätte sich die GdP Mecklenburg-Vorpommern schon jetzt mehr als einen Probelauf gewünscht, denn man kann auch auf Erfahrungen anderer Bundesländer zurückgreifen. Man kann aber auch auf Erfahrungen anderer staatlicher Institutionen zurückgreifen, nämlich auf die Erfahrungen der Sicherheit bei der Deutschen Bahn. Bei der Deutschen Bahn gibt es seit Anfang des Jahres mehrere Pilotprojekte zum Einsatz von Bodycams. Bei der Bahn heißen sie Körperkameras.

Herr Ritter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dachner?

Bitte schön, Herr Dachner.

Also wenn Sie alles für nicht wirksam halten, dann warte ich eigentlich immer noch darauf, dass Sie selbst einen Vorschlag machen. Niemand hat behauptet, dass Fußfesseln und andere Maßnahmen …

Einen Moment, Herr Dachner! Es sollte schon eine Frage sein und keine Bemerkung. Ich hoffe, Herr Ritter hat die Frage verstanden, weil ich das Fragezeichen am Ende nicht gehört habe.

Aber versuchen Sie es, Herr Ritter.

Ich weiß ja, was der Kollege Dachner meint.

Also grundsätzlich, lieber Kollege Dachner, ist der vorliegende Gesetzentwurf mit der Begründung eingebracht worden, wir müssen etwas gegen die wachsende Terrorgefahr tun. Es wird der Eindruck suggeriert, dass mit der Einführung der Fußfessel die Terrorgefahr eingedämmt werden kann. Dem ist nicht so. Als Alternative habe ich hier dargestellt, dass polizeiliche Observationen von anerkannten oder erkannten Gefährdern sinnvoller sind, aber nur dann, wenn die dort gewonnenen Erkenntnisse auch entsprechende strafrechtliche Relevanz finden. Das habe ich gerade vor zwei oder drei Minuten gesagt. Ich habe es gern noch mal wiederholt. – Danke schön.

Es sieht so aus, als ob der Abgeordnete Dachner noch eine zweite Frage stellen will. Lassen Sie das auch noch zu?

Natürlich.

Bitte schön.

Sind Sie der Meinung, dass eine Rundum-Observation fehlerlos ist?

Ob eine Rundum-Observation fehlerlos ist, kann ich nicht einschätzen. Das müssen Sie aus der polizeilichen Praxis kennen. Aber vielleicht bleiben Sie dann doch noch bis zum Ende stehen, da können wir uns gern mal unterhalten.

Zu dem konkreten Fall Amri habe ich hier gerade zitiert aus den Hinweisen, die gegeben worden sind, welche Ziele er verfolgte und dass sozusagen die Quelleninformationen von der einen Stelle ernst genommen worden sind, aber von der anderen Stelle nicht. Da liegt – auch das habe ich schon gesagt – offensichtlich Behördenversagen vor,

(Manfred Dachner, SPD: Sicher.)

dass sozusagen die Dinge, die zur Erkenntnis gebracht worden sind, nicht zu den notwendigen Schlussfolgerungen führten. Da sind wir wieder bei der Diskussion über Sinn und Zweck des Einsatzes von V-Personen oder Informanten. Das will ich jetzt hier nicht aufrufen, aber Sie sehen, dass es einen viel komplexeren Zusammenhang gibt bei der Bekämpfung des Terrors, als den Eindruck zu vermitteln, dass wir mit der Einführung der Fußfessel einen wesentlichen Beitrag zur Eindämmung des Terrors leisten können.

Also Ihr Vorschlag ist auch nicht perfekt.

Es ist eine Zwischenfrage zugelassen, aber keine Kommentare zu dem, was der Redner ausgeführt hat. Ich bitte um Beachtung.

Nein, wir kennen uns und schätzen uns ja seit Langem und ich habe für mich nicht den Anspruch, Kollege Dachner, dass meine Antwort perfekt wäre, aber ich meine schon,

(Jochen Schulte, SPD: Sie geben sich große Mühe.)

dass man in der Lage sein muss, die unterschiedlichen Argumente gegeneinander abzuwägen. Ich habe hier meine Argumente dargestellt, Sie haben dazu Ihre Frage

gestellt und haben vielleicht zu dem einen oder anderen Sachverhalt eine andere Position. Ich denke aber doch, dass wir im Ausschuss viel weiter und intensiver darüber ins Gespräch kommen können.

Ich will zurückkommen zu den Bodycams. Ich war stehen geblieben bei der Deutschen Bahn, bei der Sicherheit der DB. Dort gibt es, wie gesagt, seit Anfang des Jahres ein groß angelegtes Pilotprojekt. Ich glaube, der Kollege Pofalla ist auch ein Parteifreund von Ihnen, Herr Innenminister. Der ist ja für die Sicherheit bei der Deutschen Bahn zuständig. Wenden Sie sich mal an Herrn Pofalla und lassen Sie sich von ihm die Erfahrungen des Pilotprojektes der DB übergeben!

(Andreas Butzki, SPD: Hat er bestimmt schon.)

Vielleicht erspart uns das eine längere Pilotphase in Mecklenburg-Vorpommern. Vielleicht kommen wir dann an dieser Stelle dazu, die Eigensicherung unserer Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten schneller umzusetzen. Die Tests, so Pofalla, waren rundweg positiv.