Ich denke, Sie stimmen mit mir mit einem gewissen Schmunzeln überein, wenn ich die Sinnhaftigkeit so mancher in Deutschland existierenden Ordnung infrage stelle. Grund genug, könnten Sie sagen, aus diesem Grund unseren Entwurf eines Nachbarrechtsgesetzes abzulehnen. Dass wir das anders sehen, wird Sie kaum überraschen. Und da überzeugen auch die immer wieder stereotyp vorgebrachten Argumente gegen ein Nach
Wie Sie sicherlich wissen, wird mit dem von meiner Fraktion vorliegenden Gesetzentwurf zum zweiten Mal der Versuch unternommen, einheitliche Regelungen für ein privates Landesnachbarrecht zu erlassen. Der eine oder andere Abgeordnete wird sich vielleicht noch genau daran erinnern, dass die schwarz-rote Landesregierung am Ende der 2. Legislaturperiode versuchte, ein Nachbarrechtsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern in Kraft zu setzen.
Der Versuch scheiterte bekanntlich. Der Gesetzentwurf schaffte es nur bis zur Ausschussüberweisung. Über zehn Jahre ist dies nun her.
Warum unternimmt die Fraktion DIE LINKE einen neuen Versuch? Ganz einfach, weil uns die Argumente dagegen nicht überzeugen. Gegen ein solches Gesetz wird immer wieder argumentiert, dass der Streit zwischen den Nachbarn nicht durch detaillierte Regelungen verhindert werde. Auch würde der Verzicht auf ein Gesetz ja kaum Raum für vernünftige Lösungen unter den Nachbarn schaffen. Wir befänden uns auch ohne ein Gesetz nicht in einem rechtsfreien Raum, schließlich gäbe es die Rechtsprechung und diverse einfachgesetzliche Regelungen im Zivilrecht und im öffentlichen Recht. Wir hören auch immer wieder, dass die Landesregierung bereits im Frühjahr 2007 eine Broschüre herausgegeben habe, welche wichtige Hinweise enthalte. Auch sei die Anzahl nachbarrechtlicher Streitigkeiten vor Gerichten im Land verhältnismäßig gering und, so das letzte Argument, im Ergebnis sei auch aus Gründen der Deregulierung kein Gesetz erforderlich.
Nun, DIE LINKE hat sich mit den Argumenten natürlich auseinandergesetzt, hat Für und Wider abgewogen. Unterstützt wurde dieser Prozess durch zahlreiche Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern, aber auch mit Entscheidungsträgern auf den unterschiedlichsten Ebenen. Bei dem von uns organisierten Parlamentarischen Abend zu der Frage: „Benötigt MecklenburgVorpommern ein Nachbarrechtsgesetz?“, in dem wir mit Vertretern des Bundes Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen, der unteren Bauaufsichtsbehörden und des Landkreistages gemeinsam diskutierten, gelangten wir zu der Auffassung, dass wir ein Gesetz brauchen.
Denn, meine Damen und Herren, praktische Erfahrungen und Probleme erfordern ein Gesetz. Dies wurde insbesondere auch aus Sicht der Bauämter verdeutlicht. Zumindest in den Bereichen Einfriedungen, Hammerschlags- und Leiterrecht sowie Grenzabstände bei Anpflanzungen besteht dringender Handlungsbedarf. Und genau diese Fragen werden in unserem Gesetz angesprochen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dies ist übrigens auch eine langjährige Auffassung des Bürgerbeauftragten. Die einschlägigen Berichte sind im Gesetzentwurf aufgeführt.
Wir sind der Überzeugung, dass der Nachbar durch ein Gesetz einen unmittelbaren zivilrechtlichen Anspruch durchsetzen sollte. Dies ist nach der bisherigen Rechtslage nicht möglich. Wir brauchen eine möglichst klare und überschaubare Zusammenstellung der nachbarrechtlichen Rechte und Pflichten in einem schlanken
Gesetz. Dies trägt dazu bei, den Bürgern Inhalt und Grenzen der Eigentumsbefugnisse zu verdeutlichen, Konflikte zu vermeiden und eine gütliche Einigung der Nachbarn zu erleichtern.
Frau Justizministerin Kuder, Ihre Broschüre halten wir für unzureichend, da sie den Bürgern keine konkreten Anleitungen in die Hand gibt. Als begleitende Information und Aufklärung begrüßen wir sie ausdrücklich, und das nicht nur, weil die Idee zur Erarbeitung der Broschüre unter Rot-Rot entstanden ist und vom jetzigen Ministerpräsidenten damals in Auftrag gegeben wurde.
Meine Damen und Herren, ich möchte auch auf die Sonderstellung Mecklenburg-Vorpommerns hinweisen. Als einziges Flächenland verzichten wir auf ein entsprechendes Gesetz. Und selbstverständlich wird Frau Kuder sagen, dass wir ganz bewusst verzichten. Meinen Sie wirklich, dass in den anderen Bundesländern entsprechende Gesetze aus Jux und Tollerei auf den Weg gebracht worden sind
oder die Regierungen dieser Länder eher zur Bürokratisierung neigen? Vielleicht sollten Sie dann mal mit Ihren Amtsbrüdern und -schwestern sprechen.
Hierzu möchte ich auf den noch im Verfahren befindlichen Gesetzentwurf der Landesregierung zur Umsetzung der EG-Dienstleistungsrichtlinie im Binnenmarkt hinweisen. Dort wird in Artikel 8 beabsichtigt, das Restauratorengesetz aufzuheben. Begründung: „Mecklenburg-Vorpommern ist das einzige Bundesland, das eine Regelung zum Schutz der Berufsbezeichnung ‚Restaurator‘ getroffen hat. Schon aus diesem Grund ist das Gesetz seit längerem im Zuge der Deregulierungsbemühungen der Landesregierung im Fokus.“ Zitatende.
Mal abgesehen davon, dass wir es für falsch hielten, dieses Gesetz aufzuheben, frage ich Sie: Ist es nicht an der Zeit, die Sonderstellung Mecklenburg-Vorpommerns nicht nur im Zusammenhang mit Deregulierungsbemühungen zu hinterfragen, sondern auch dann, wenn es darum geht, neue Gesetze zu schaffen und mit anderen Bundesländern gleichzuziehen? Harmonisierung vor Deregulierung!
Meine Damen und Herren, ich meine, dass wir zumindest im Europa- und Rechtsausschuss die Erforderlichkeit eines Nachbarrechtsgesetzes ergebnisoffen hinterfragen sollten. Wir sind dazu jedenfalls bereit. Geben wir dem Gesetzentwurf eine Chance! Führen wir zum ersten Mal überhaupt ein Beratungsverfahren durch.
Dass auch in den Koalitionsfraktionen nach wie vor kein klares Nein zu einem entsprechenden Gesetz vorhanden ist, zeigte nach unserer Auffassung deutlich die Debatte im Zusammenhang mit dem Bericht des Bürgerbeauftragten. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass seinerzeit die CDU, allen voran Herr Dr. Jäger, Sympathien für ein Nachbarrechtsgesetz bekundete. Ich hoffe, daran hat sich auch nichts geändert, nur weil DIE LINKE den vorliegenden Gesetzentwurf in das parlamentarische Verfahren eingebracht hat. Ich beantrage die Überweisung in den federführenden Europa- und Rechtsausschuss und zur Mitberatung an den Verkehrsausschuss. – Danke schön.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.
Um das Wort hat zunächst gebeten die Justizministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern Frau Kuder. Frau Kuder, Sie haben das Wort.
Frau Borchardt, die Frage, brauchen wir in MecklenburgVorpommern ein Landesnachbarrechtsgesetz, ist zu Recht gestellt. Und die Forderung, das haben Sie auch schon gesagt, ist in der Vergangenheit immer wieder erhoben worden.
Die Landesregierung hat sich bisher gegen ein entsprechendes Gesetzvorhaben entschieden. Heute liegt uns der Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE vor, sodass wir uns ein weiteres Mal mit diesem Thema befassen müssen. Auch auf die Gefahr hin, Altbekanntes zu wiederholen, möchte ich der Diskussion zwei Tatsachen voranstellen:
Erstens. Entgegen einer weitverbreiteten Meinung ist das private Nachbarrecht in Mecklenburg-Vorpommern durchaus und auch hinreichend geregelt.
Der Bundesgesetzgeber hat im Bürgerlichen Gesetzbuch ganz wesentliche Regelungen getroffen, zum Beispiel zum Überwuchs, zur Beeinträchtigung durch Lärm und Gestank oder zum Notwegerecht. Rechte wie etwa das Hammerschlags- und Leiterrecht können darüber hinaus, ohne dass es dafür einer spezifischen Regelung im Landesrecht bedürfte, aus dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme begründet werden.
Zweitens. Der Landesgesetzgeber darf zwar weitere privatrechtliche Regelungen im Nachbarrecht treffen, hierfür gelten aber enge Grenzen. Viele Streitfälle, wie zum Beispiel die Hühnerhaltung in der Nachbarschaft, das Aufstellen von Gartenzwergen oder das Nacktbaden in Nachbars Swimmingpool, sind einer Regelung im Landesrecht überhaupt nicht zugänglich.
Was ließe sich nun aber mit dem wiederholt eingeforderten Gesetz erreichen? Die Verfechter eines Nachbarrechtsgesetzes erwarten erklärtermaßen mehr Rechtsklarheit und weniger Nachbarkonflikte. Ich befürchte jedoch, dass sie eine Enttäuschung erleben würden. Auch ein spezielleres Gesetz wird häufig nicht helfen, einen Streit zwischen Nachbarn zu vermeiden oder beizulegen, sondern das Gegenteil könnte bewirkt werden.
Unsere Erfahrungen zeigen hier, Nachbarstreitigkeiten haben häufig eine lange Vorgeschichte und die Ursachen sind mehr menschlicher und weniger juristischer Natur. Der vermeintliche Rechtsverstoß ist dann nur noch willkommener Anlass, den Nachbarn vor Gericht zu ziehen. Regeln wir beispielsweise detailliert die Heckenhöhe, so ist zu befürchten – und hier möchte ich den Ministerpräsidenten und damaligen Justizminister zitieren –, „dass wir in erster Linie den Umsatz der Baumärkte an Zollstöcken fördern, aber nicht den Frieden unter Nach
barn“. Die Nachteile einer kleinteiligen Regelung würden die Vorteile nach Einschätzung der Landesregierung bei Weitem überwiegen. Ich darf Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion DIE LINKE, daran erinnern, dass auch Sie als Koalitionspartner einer früheren Landesregierung diese Bedenken geteilt haben.
Lassen Sie mich meine Kritik an einem Beispiel, nämlich der vorgeschlagenen Regelung zu Pflanzabständen, veranschaulichen. Paragraf 11 des Gesetzentwurfes schreibt Mindestabstände für Bäume, Sträucher und Hecken vor. Eine bemerkenswerte Frage bleibt offen: Fällt der Bambus oder das Elefantengras, beides gehört zur Familie der Gräser, unter die Regelung? Ein Gericht sagt Ja, das andere sagt Nein. Detaillierte Regelungen würden einige Streitfragen beantworten, aber auch viele neue Fragen aufwerfen. Gerade deshalb ist zur Konfliktlösung nicht auf ein Zentimetermaß, sondern auf Augenmaß zu setzen.
Die Landesregierung setzt deshalb im Bereich des Nachbarrechts auf die einvernehmliche Konfliktlösung und nicht auf Klein-Klein-Regelungen. Diese fördern eher die Neigung zur Rechthaberei. Die Vorteile dieser Lösung sind, es kann eine schnellere und kostengünstigere Streitbeilegung erzielt werden und die Chancen für einen dauerhaften Rechtsfrieden zwischen den Nachbarn werden verbessert.
Meine Damen und Herren, Mecklenburg-Vorpommern hat aus guten Gründen bislang bewusst auf ein Nachbarrechtsgesetz verzichtet.
Hieran ist festzuhalten, denn der beste Weg, Streit zwischen Nachbarn beizulegen, bleibt das Gespräch miteinander. – Herzlichen Dank.
Frau Borchardt, Sie fingen an mit dem Badengehen und nannten komplizierte Verordnungen für Sandburgen und so weiter. Wenn Sie heute mit Ihrem Antrag baden gehen, liegt das am einfachen Mehrheitsprinzip.
Die Forderung nach dem Erlass eines Nachbarrechtsgesetzes ist nicht neu, sondern, wie wir gehört haben, ein immer wiederkehrendes Thema. Es ist zuletzt im Rechtsausschuss erörtert worden. Und es ist richtig, wir sind das einzige Flächenland. Aber wir wollen daran festhalten, dass wir es nicht brauchen. Und die sogenannten Zentimeterentscheidungen, die wollen wir auch nicht.
Und, Frau Borchardt, wenn Sie mit den Kolleginnen und Kollegen jedenfalls aus meinen Fraktionen im Bundesmaßstab reden, und es wird abends etwas gesprächiger, dann sagen viele von denen, die so ein Gesetz haben, das braucht ihr nicht, macht das bloß nicht.
Offiziell sagen sie es natürlich nie. Aber auch diese Erfahrung muss man, glaube ich, mit einfließen lassen.