(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Dr. Armin Jäger, CDU: Da können Sie sich blind drauf verlassen.)
(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ich nehme Sie beim Wort, Herr Jäger. – Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)
Um das Wort hat gebeten die Sozialministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern Frau Schwesig. Frau Schwesig, Sie haben das Wort.
Lieber Detlef Müller, du hattest zitiert: Kein Zweifelhaft, wenn es sich um einen zweifelhaften Fall handelt. Ich möchte mit einem Zitat ganz klar sagen, wo ich für die Landesregierung bei diesem Thema stehe. Ich zitiere Grönemeyer: „Kinder an die Macht“, und deswegen ganz klar, Kinderrecht ins Grundgesetz verankern.
„Kinder an die Macht“ hat Herbert Grönemeyer bereits 1986 gefordert. Bis heute haben wir noch keinen achtjährigen Fußballbundestrainer, keine zehnjährige „Wetten, dass...?“-Moderatorin und auch noch keine zwölfjährige Sozialministerin.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE – Heinz Müller, SPD, und Dr. Armin Jäger, CDU: Aber wir arbeiten dran. – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)
Grönemeyer hat damals eine Utopie formuliert. Aber trotzdem, der Song enthält eine ernsthafte Botschaft, die jeder von uns beherzigen sollte. Wer Kinder als Persönlichkeiten respektiert, sollte ihre Rechte stärken. Das muss, nein, das darf keine Utopie bleiben. Kinder drohen in Deutschland allein deshalb ins Abseits zu geraten, weil es immer weniger von ihnen gibt. Wir steuern auf eine kindentwöhnte Gesellschaft zu. Und wer im Alltag mit Kindern unterwegs ist, bekommt das leider auch manchmal zu spüren. Schon aufgrund der demografischen Entwicklung werden Kinder immer mehr zu einer Minderheit, deren Stimme weniger zählt. Und angesichts der aktuellen Debatten um bessere Lebensverhältnisse, mehr Chancengleichheit für Kinder, wachsende Kinderarmut, unterschiedliche Bildungschancen und Fällen von Vernachlässigung wäre die Stärkung der Kinderrechte ein wichtiges Signal.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir Kinder einstweilen auch nicht die Macht über die Fußballnationalmannschaft, über „Wetten, dass...?“ oder das Sozialministerium einräumen, bleibt doch die spannende Frage: Wie gelingt es uns, Kindern ein bisschen mehr Macht zu verleihen? Wie Sie wissen, ist die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen die wesentliche Grundlage aller Gedankenspiele. Vor fast 20 Jahren wurde sie verabschiedet. Es gibt eigentlich keinen vernünftigen Zweifel, dass die Konvention verlangt, die Rechte von Kindern in der Verfassung des jeweiligen Staates zu verankern. Das würde unter anderem dazu führen, dass sich der Staat stärker als bisher dazu verpflichtet, das Wohl der Kinder zu beachten. Es müsste beispielsweise bei der Planung von Straßen und Wohnvierteln berücksichtigt werden.
In letzter Konsequenz würde die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz bedeuten, dass man auf vermutete Verstöße mit Verfassungsbeschwerden reagieren kann. Die Rechte der Kinder würden hier einklagbar werden – eine insbesondere in Deutschland deutliche Stärkung der Rechtsposition von Kindern, die eine hohe symbolische Aussagekraft hat. Im April des vergangenen Jahres machte das Bundesverfassungsgericht allen Mut, die UN-Konvention sinnvoll zu finden: Kinder seien Träger von Grundrechten, urteilten die Richter. Der vorerst letzte Versuch, die UN-Konvention in Deutschland umzusetzen, scheiterte kürzlich im Bundesrat. Bremen und Rheinland-Pfalz hatten einen gemeinsamen Antrag vorgelegt. Ich will hier in aller Deutlichkeit sagen, dieses Nein zu Kinderrechten im Grundgesetz ist nicht akzeptabel.
Frau Ministerin, Sie haben eben auf die Bundesratsinitiative hingewiesen. Können Sie uns erklären, warum das Land MecklenburgVorpommern sowie ein anderes Land nicht dieser Bundesratsinitiative beigetreten ist, wo doch der politische Ansatz sozusagen gewollt war?
Sie kennen die Antwort, Frau Abgeordnete Borchardt. Es ist so, dass es unter den Koalitionspartnern dazu erst unterschiedliche Meinungen gab und man sich deswegen enthalten hat. Zwischenzeitlich gab es einen weiteren Diskussionsprozess. Es ist bekannt, dass es quer durch die Parteien aus verfassungsrechtlichen Gründen heraus – für meine Begriffe, aus formaljuristischen Gründen – Bedenken gibt. Es hat in der Zwischenzeit ein Diskussionsprozess stattgefunden,
sodass die Koalitionspartner sich im Ausschuss, und das schlägt sich ja nieder in dem Beschlussvorschlag des Rechtsausschusses, vereinbart haben, sich vehement für die Verankerung einzusetzen. Ich bin jetzt an einem Punkt angelangt, wo es, wie ich finde, so typisch ist für Deutschland, wenn es darum geht, denn alle reden davon, Kinder sind unsere Zukunft, wir müssen was verändern, wir müssen was für sie verbessern, etwas zu tun, dann fangen die großen Aber an. Ohne dass ich Juristen auf die Füße treten will, aber ich habe wenig Verständnis für das Ganze, denn in meinen Augen ist es Bedenkenträgertum. Aber ich finde es wichtig, dass es in dieser ganzen Phase insgesamt in Deutschland einen Diskussionsprozess gegeben hat. Ich bitte herzlichst darum, dass es nicht mehr in der parlamentarischen Debatte, wenn ich mir das als Ministerin erlauben darf, darum gehen sollte, wer wann was beantragt hat, wer wie wo was gesagt hat. Für mich als Ministerin ist heute entscheidend, dass eine große breite demokratische Mehrheit in diesem Parlament Rückenwind gibt für das Thema „Kinderrechte im Grundgesetz verankern“. Dafür wäre ich sehr dankbar. – Danke.
Also, wie gesagt, bei uns im Land wünschen sich beide Koalitionspartner, SPD und CDU, auch unterstützt von der Fraktion DIE LINKE, einen neuen Kinderrechtepassus im Grundgesetz. Ich habe es bereits gesagt, Sie können sich auf mich verlassen. Wenn es denn heute zu dieser Entscheidung kommt, werde ich mein Amt nutzen, dieses weiterhin voranzubringen. In diesem Sinne möchte ich zum Schluss noch einmal Grönemeyer zitieren. Sie brauchen keine Angst zu haben, ich werde nicht singen:
(Unruhe und Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und DIE LINIKE – Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das wäre doch nett. Versuchen Sie es mal!)
„Gebt den Kindern das Kommando Sie berechnen nicht, was sie tun Die Welt gehört in Kinderhände Dem Trübsinn ein Ende Wir werden in Grund und Boden gelacht Kinder an die Macht“
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Borchardt, ich räume ein, dass meine Fraktion sich mit der Frage, ob Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden sollen, nicht leicht getan hat. Wir hatten einen langen Diskussionsprozess. Es gab sehr lange die Auffassung, dass das Grundgesetz in seiner jetzigen Form die Kinderrechte hinlänglich wahre und eine Änderung deswegen nicht erforderlich sei. In diesem langen Diskussionsprozess kam es dann aber dazu, dass es einen Meinungsumschwung gab. Ich glaube, das ist legitim und vor allem auch sehr demokratisch. Das ist jedoch keine Sache, die man hier angreifen muss,
wenn eine Fraktion in einem längeren Prozess und in einer intensiven Diskussion ihre Meinung ändert oder vielleicht sogar, wenn eine Fraktion in der Lage ist, ihre Meinung zu ändern. Wir haben uns von den tragenden Gründen, die auch von den Experten in der Anhörung vorgetragen wurden, überzeugen lassen und sind dann zu der Auffassung gekommen, dass eine Rechtsänderung anzustreben ist und Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden sollten. Kinder bestmöglich zu schützen und zu fördern, ist ein Anliegen, über das sich Politik, Verbände und die Bevölkerung in Deutschland weitestgehend einig sind. Nicht erst aktuelle Fälle von Kindesmissbrauch haben das Kind als Opfer in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt,
Sexual- und andere Gewaltdelikte gegenüber Minderjährigen und nicht selten Schutzbefohlenen haben in den letzten Jahren zu erhöhter Sensibilität geführt. Gewalt gegen Kinder wird nicht mehr toleriert und Kinder werden nicht mehr länger als Verfügungsmasse ihrer Eltern gesehen.
Die aktuelle Forderung, den Kinderschutz und die Kinder im Grundgesetz zu verankern, ist also folgerichtig. Selbstverständlich gelten auch für Kinder die Menschenrechte. Allerdings muss man sich klarmachen, dass die körperlichen, geistigen und sozialen Fähigkeiten bei Kindern anders sind als bei Erwachsenen. Ihre Ansprüche und Bedürfnisse unterscheiden sich folgerichtig auch erheblich von denen der Erwachsenen. Für diese speziellen Bedürfnisse reichen die Menschenrechte alleine nicht aus. Dieses hat entsprechend auch die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen ausgeführt. Am 20. November 1989 wurde das Übereinkommen über die Rechte der Kinder von der UN-Generalversammlung angenommen. Von allen UN-Konventionen ist sie die meist ratifizierte.
Die hier völkerrechtlich festgehaltenen Rechte der Kinder beinhalten ihren Schutz, aber sie gehen auch weit darüber hinaus. Kinder werden hier als Rechtssubjekte anerkannt, deren Meinung nicht nur Gehör geschenkt, sondern auch Vorrang beigemessen werden muss, wenn es direkt und indirekt um ihre Belange geht. Neben dem Schutz sind Förderung und Beteiligung zentrale Säulen. Die Umsetzung der Konvention lässt weltweit allerdings zu wünschen übrig. Insofern gab es auch in Deutschland von vielen, die die Interessen der Kinder vertreten, zum Beispiel dem Deutschen Kinderhilfswerk, ein Aktionsbündnis für Kinderrechte ins Grundgesetz. Die Initiatoren dieses Aktionsbündnisses haben sich davon versprochen, dass Kinder so ihre Rechte gegebenenfalls einklagen können. Insbesondere im Unterschied
zum Kinderschutz, wo es bereits weitreichende gesetzliche Bestimmungen gibt, gibt es nach wie vor schwere Defizite im Bereich der politischen Beteiligung, der Förderung gleicher Entwicklungschancen sowie bei der Beachtung des Kindeswohls, dem in der UN-Konvention eine Vorrangstellung eingeräumt wurde.
Diesen Argumenten wollte sich meine Fraktion nicht länger verschließen. Wir sind uns darüber im Klaren, dass man formaljuristisch immer noch den Ansatz vertreten kann, dass das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 1. April 2008 deutlich gemacht hat, dass Kinderrechte bereits einklagbar sind.
Wenn man dieses formaljuristisch zu Ende denkt, ist daher eine Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz nicht mehr aktuell.
Wir haben uns aber aus den dargelegten Gründen anders entschieden. Wir sind der Auffassung, dass eine Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz eine große Symbolwirkung hat, aber auch in der Praxis konkrete Hilfe leisten kann.
Wir kommen damit weg von der Objektstellung des Kindes hin zur Subjektstellung des Kindes. Kinder haben für uns alle einen ganz besonderen Wert, der im Grundgesetz auch abgebildet werden sollte. Unsere gesamte Gesellschaft ist für die Kinder zuständig, nicht nur deren Eltern. Der Europa- und Rechtsausschuss hat eine Entschließung auf der Grundlage eines Antrages der Koalitionsfraktionen erarbeitet, die vorsieht, Kinderrechte in der Verfassung zu verankern. Ich bitte Sie, dieser Beschlussempfehlung zuzustimmen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die hier vorliegende Beschlussempfehlung findet nicht die Zustimmung der FDP-Fraktion.
Ich will es an dieser Stelle auch ganz deutlich sagen, es ist angesprochen worden, es gibt in den Parteien und auch in der FDP sehr wohl sehr unterschiedliche Ausfassungen darüber, ob Kinderrechte ins Grundgesetz eingeführt werden sollten oder nicht eingeführt werden sollten. Aber diese Beschlussempfehlung, so, wie sie uns heute hier vorliegt, und die Art und Weise, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, wie Sie ein Jahr lang mit diesem Thema hier umgegangen sind, ist unwürdig für dieses Parlament.