Protocol of the Session on October 21, 2008

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Leonhard von der Fraktion der FDP.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bis heute ist die Systematik des Staatshaftungsrechts sehr undeutlich. Zu Beginn der 80erJahre hatte die Bundesrepublik ein Staatshaftungsgesetz verabschiedet, das am 1. Januar 1982 zwar in Kraft trat, jedoch bereits im Oktober 1982 durch das Bundesverfassungsgericht mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes für verfassungswidrig erklärt worden ist. Mit der Verfassungsreform von 1994 ist eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Staatshaftung geschaffen worden. Gleichwohl gab es bis dato keine konkreten Bemühungen um eine Neuordnung des Staatshaftungsrechtes. Nach wie vor überlässt es der Gesetzgeber der Rechtsprechung, das Staatshaftungsrecht der stetigen Fortentwicklung in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft anzupassen. Dieser Anpassungsprozess vollzieht sich mühsam im Wege einer Vielzahl höchstrichterlicher Einzelfallentscheidungen. Schon heute gibt es mehr ungeschriebenes Richterrecht als geschriebenes Staatshaftungsrecht. Selbst Spezialisten haben Mühe, sich zurechtzufinden.

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Zur Wiederherstellung von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ist eine Neuordnung des Staatshaftungsrechts daher dringend geboten.

Nun geht es aber heute nicht um die Frage, ob wir endlich ein bundeseinheitliches Staatshaftungsrecht und -gesetz benötigen oder nicht. Diese Frage würde meine Fraktion aus den vorgenannten Gründen nämlich mit einem eindeutigen Ja beantworten. Heute geht es lediglich um die Frage, ob sich Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam mit Brandenburg und Thüringen einen Standard leisten will, der so in keinem weiteren Bundesland gilt. In der DDR galt das Staatshaftungsgesetz von 1969 nach dem Einheitsvertrag in den fünf neuen Ländern und Ostberlin fort. In Sachsen-Anhalt wurde das Staatshaftungsgesetz neu geregelt. Berlin und Sachsen haben das Staatshaftungsgesetz 1995 beziehungsweise 1998 ersatzlos gestrichen.

Zu den einzelnen Aspekten haben hier meine Vorredner und insbesondere auch die Justizministerin bereits ausgeführt. Deshalb kann ich es auch an dieser Stelle kurz machen: Meine Fraktion steht dem Gesetzentwurf der Landesregierung aufgeschlossen gegenüber und wird der Überweisung in die Ausschüsse zustimmen, auch wenn wir ein vernünftiges Staatshaftungsgesetz des Bundes sicherlich für einen guten Weg hielten, aber dies kann man vielleicht am Rande in den Ausschüssen auch einmal andiskutieren. – Vielen Dank.

Danke, Herr Leonhard.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Andrejewski von der Fraktion der NPD.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Problemdarstellung im Gesetzesentwurf ist reichlich wehleidig. Die neuen Bundesländer, heißt es da, in denen das Staatshaftungsgesetz noch gelte, seien erheblich strengeren Haftungsnormen unterworfen. Mecklenburg-Vorpommern erlaube sich mit der verschuldensunabhängigen Staatshaftung einen Standard, auf den die meisten Länder verzichten.

Ja, und? Wie wir gerade gelernt haben, haftet der Steuer zahler unbegrenzt für das Versagen von Banken und Spekulanten,

(Raimund Borrmann, NPD: Ja, genau.)

und zwar verschuldensunabhängig. Obwohl der Steuerzahler keine Schuld an der Krise trägt, zahlt er trotzdem. Und obwohl die Banken die Schuldigen sind, kriegen sie dennoch Geld,

(Raimund Borrmann, NPD: Da spielt Geld keine Rolle.)

auch gern eine Billion, wenn die lumpigen 500 Milliarden nicht reichen sollten. Was sind dagegen schon die Beträge, für die der Staat vielleicht geradestehen müsste, wenn Bürger Ansprüche aus dem jetzigen Staatshaftungsrecht geltend machen sollten? Es gibt ja offenbar nur wenige Fälle, wie die Justizministerin gesagt hat. Und warum nicht verschuldensunabhängig? Einen Staat hält man sich doch nicht zum Spaß, sondern damit er bestimmte Aufgaben erfüllt, und zwar so, dass er bei seinem Handeln den Bürgern nutzt und ihnen nicht schadet. Der Staat kassiert jedes Jahr Unsummen an Steuern. Dafür hat er Dienstleistungen zu erbringen. Kann etwa ein Selbstständiger ohne eigenes Verschulden seine Steuer nicht rechtzeitig zahlen, wird er vom Finanzamt erbarmungslos fertiggemacht und verliert ganz schnell seinen Gewerbeschein wegen Unzuverlässigkeit. Zahlen Sie Ihre Steuer, heißt es dann. Wie Sie das machen, interessiert uns doch nicht. – Da kann der Bürger genauso sagen: Staat, erfülle deine hoch bezahlten Funktionen, und wenn du dabei Schäden anrichtest, dann haftest du. Ob du schuld bist, spielt genauso wenig eine Rolle wie die Frage, ob ich etwas dafür kann, wenn ich das Geld für die Steuer nicht habe.

In diesem Rechtssystem ist die Lage des finanziell Unterlegenen ohnehin katastrophal schlecht. Bei Arzthaftungsprozessen liegt die Beweislast hauptsächlich beim Patienten. Er muss darlegen und beweisen, dass seine gesundheitliche Schädigung auf einen Behandlungsfehler zurückgeht, ohne teure Gutachten geht das nicht. Und die Gutachter sind nur allzu oft mit der sogenannten Gesundheitsindustrie verbandelt. Genauso auf dem Gebiet der Produkthaftung. Wer sich durch chemisch behandelte Holzprodukte etwa eine Nervenerkrankung zugezogen hat, steht vor der Aufgabe, zweifelsfrei nachzuweisen, dass seine Beschwerden wirklich auf keine andere noch so abwegige, aber theoretisch mögliche Ursache zurückzuführen sind. Er steht ganz alleine gegen ganze Anwaltsgeschwader und unbegrenzte Prozesskriegskassen der Konzerne.

Und da möchte sich das Bundesland MecklenburgVorpommern jetzt einreihen. Die Parteien, die permanent um Wähler buhlen, wollen dieselben Menschen, wenn sie es denn mal wagen sollten, den Staat zu verklagen, möglichst schlecht stellen. Wenn die Landesregierung genug Vertrauen in die eigene Arbeit und die Arbeit des von ihr geleiteten Staatsapparats hätte, wäre dieser Gesetzesentwurf überflüssig. Aber offenbar erwartet sie jede Menge durch Behörden angerichtete Schäden und zieht hier die Notbremse. Diese Erwartungen möge Sie uns bitte näher erläutern. Bis dahin stimmt die NPD mit Nein und danach auch, da wird der Rechtsausschuss nichts dran ändern.

Und noch eine Zusatzbemerkung: Solange die Banken solch großzügige Geschenke bekommen und seitdem sie die bekommen haben, werden Sie nie wieder Akzep

tanz für irgendwelche Eingriffe in Leistungsgesetze erreichen,

(Raimund Borrmann, NPD: Genau.)

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD – Zuruf von Raimund Borrmann, NPD)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.

Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Landesregierung auf Drucksache 5/1850 zur federführenden Beratung an den Europa- und Rechtsausschuss und zur Mitberatung an den Innenausschuss sowie an den Finanzausschuss zu überweisen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Danke. Die Gegenprobe. – Danke. Enthaltungen? – Damit ist dem Überweisungsvorschlag bei Zustimmung der Fraktion DIE LINKE, der SPD, der CDU, der FDP und Ablehnung der Fraktion der NPD so zugestimmt worden.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 6: Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Landesregierung – Entwurf eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsstrukturgesetzes, Drucksache 5/1852.

Gesetzentwurf der Landesregierung: Entwurf eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsstrukturgesetzes (Erste Lesung) – Drucksache 5/1852 –

Das Wort zur Einbringung hat die Justizministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern Frau Kuder.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Deregulierung und Bürokratieabbau sind eine Daueraufgabe der Landesregierung. Sie betreffen alle Ressorts, jeder ist dazu aufgerufen, in seinem Bereich dazu beizutragen.

Für den Justizbereich haben Sie, meine Damen und Herren, als Landesgesetzgeber 2005 und 2006 unter anderem mit dem Dritten Gesetz zur Deregulierung und zum Bürokratieabbau Schritte zur Deregulierung hinsichtlich der Widerspruchsverfahren unternommen. Die Überlegung war damals, Widerspruchsverfahren können eine wichtige Rechtsschutzfunktion zugunsten der Bürgerinnen und Bürger ausüben, sie können aber auch als sinnlose und vor allem als zeitaufwendige Formalität zur Belastung werden.

Um hier zugunsten der Betroffenen effektivere Verfahren anzubieten, haben Sie damals in einigen speziellen Bereichen die Widerspruchsverfahren ganz abgeschafft, zum Beispiel bei bestimmten Entscheidungen nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz. Dort kann nun gegen Behördenentscheidungen unmittelbar beim Verwaltungsgericht Klage erhoben werden. Der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens bedarf es zuvor nicht. In anderen Bereichen haben wir ein Wahlrecht des von Behördenentscheidungen Betroffenen eingeführt. Hier kann also der Betroffene entscheiden, ob er ein Widerspruchsverfahren einleitet oder ob er sofort Klage erhebt. Hier können also die Bürgerinnen und Bürger selbst entscheiden, ob sie eine erneute Überprüfung des Bescheides durch die Behörde für sinnvoll halten. Wenn es ihnen aber nur als eine unnötige Zwischenstation

erscheint, dann können sie sich direkt an das Gericht wenden. Praktisch wichtigster Anwendungsbereich dieses sogenannten Optionsmodells, das im Übrigen durchaus bundesweit Beachtung gefunden hat, sind die Baugenehmigungsverfahren.

Diese Regelungen über die Widerspruchsverfahren sind jedoch seinerzeit bis zum 31.12.2008 befristet worden. Befristet wurden diese Regelungen deshalb, weil vorher nur schwer absehbar war, ob sie sich bewähren. Ebenso war unklar, welche Auswirkungen die Regelungen auf die Belastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit haben würden.

Inzwischen haben mir die Verwaltungsgerichte über ihre Erfahrungen mit dem Gesetz berichtet. Danach sind zwei Dinge festzuhalten.

Erstens. Die Bürgerinnen und Bürger haben bei Baugenehmigungsverfahren von dem Optionsmodell in durchaus erheblichem Umfang Gebrauch gemacht und auf ein Widerspruchsverfahren vor Klageerhebung verzichtet.

Zweitens. Zu einer nennenswerten Mehrbelastung der Gerichte ist es dadurch – anders als bei den Reformen des Widerspruchsverfahrens in anderen Bundesländern – bisher nicht gekommen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, dass man daraus nur einen Schluss ziehen kann, nämlich die Laufzeit dieser Regelung bis zum 30.06.2011 zu verlängern und den Bürgerinnen und Bürgern in den ausgewählten Bereichen auch weiterhin die Wahl zu lassen, welcher Rechtsschutz für sie als der sinnvollere erscheint. Diese Verlängerung schafft zudem für die Ressorts der Landesregierung Zeit zu prüfen, ob in weiteren Bereichen Veränderungen des Widerspruchsverfahrens angezeigt sind und diese Bereiche zum Beispiel in das Optionsmodell einbezogen werden sollten. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU)

Danke schön, Frau Kuder.

Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 30 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst der Fraktionsvorsitzende und Abgeordnete von der SPD Herr Dr. Nieszery.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So manch einer wird sich wundern, wie schnell nach der sechsten Änderung des Gerichtsstrukturgesetzes schon die siebente Änderung ansteht. Wir haben uns im Europa- und Rechtsausschuss erklären lassen, wie es dazu gekommen ist. Gut, das nehmen wir mal zur Kenntnis.

Im vorliegenden Gesetz geht es aber gerade nicht – und das ist wichtig – um ein Mehr an Vorschriften, wie die erneute Vorlage eines Gesetzentwurfes vielleicht nahelegen könnte, nein, dieses Gesetz dient der Verlängerung der Gültigkeit von Deregulierungsmaßnahmen in der Testregion Westmecklenburg. In Westmecklenburg wird zurzeit der Bürokratieabbau geprobt und wir wollen die Testphase verlängern bis Mitte 2011, um bis dahin endgültige Regelungen treffen zu können. Es geht also gerade nicht um noch ein Gesetz, sondern um weniger Bürokratie. Die Fraktion der SPD begrüßt diesen Gesetzentwurf und beantragt die Überweisung in den Europa-

und Rechtsausschuss. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU)

Danke, Herr Dr. Nieszery.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Borchardt von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns sicherlich im Rechtsausschuss erklären lassen, wie es dazu gekommen ist, dass wir kurz hintereinander zwei gleiche Gesetze novellieren, akzeptieren jedoch können wir das nicht. Das will ich als Vorbemerkung sagen. Die Ironie des Vorgangs ist für mich auch, dass gerade dieser Gesetzentwurf darauf abzielt, einen Beitrag zum Bürokratieabbau und zur Deregulierung zu leisten. Wir haben gerade vorhin einen anderen Gesetzentwurf verabschiedet. Wir sind schon der Auffassung, wenn man langfristig gesehen hätte, dass diese Änderung notwendig ist, dass man das in einem Gang hätte machen können.

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Das hätte der Ausschuss auch beschließen können.)

Und das Justizministerium hat eben durch die getrennte Einbringung der Gesetzentwürfe auch versäumt, uns hier die Notwendigkeit der Maßnahme klarzumachen.

Meine Damen und Herren, Frau Justizministerin Kuder hat sich bereits zu den Gründen des Gesetzentwurfes hinreichend geäußert, von daher von mir nur einige grundsätzliche Anmerkungen und Fragen.

Die Schaffung von Ausnahmeregelungen im Gesetz zur Ausführung des Gerichtsstrukturgesetzes erfolgte mit dem Ziel, Zeit zu sparen und den Verwaltungsaufwand zu mindern. Dieses Ziel war und bleibt richtig. Wenn wir von der Abschaffung von Widerspruchsverfahren reden, müssen wir uns Folgendes vor Augen halten: Zum einen machen Widerspruchsverfahren natürlich Sinn, sie müssen daher auch grundsätzlich erhalten bleiben. Sie führen nämlich dazu, dass Behörden ihre Entscheidungen noch einmal überdenken können, und bieten damit den Beteiligten die Chance, den Streit außergerichtlich beizulegen. Das entlastet die Justiz. Zum anderen muss man aber auch berechtigterweise hinterfragen, ob der Gesetzgeber die Bürgerinnen und Bürger in allen denkbaren Fällen in ein Widerspruchsverfahren zwingen muss, gibt es doch auch Fallkonstellationen, in denen allen Beteiligten klar ist, dass der Streit sowieso nur vor einem Gericht zu klären ist, etwa wie es das juristisch und tatsächlich bei Ermessensspielräumen gibt. In solchen Fällen kann es sinnvoll sein, von einem Widerspruchsverfahren abzusehen. Das Optionsmodell in Paragraf 13a des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsstrukturgesetzes bietet diese Möglichkeiten und stellt es den Bürgerinnen und Bürgern in einigen Rechtsgebieten frei, auch ohne die Durchführung eines Vorverfahrens Klage zu erheben. Nach Aussagen der Landesregierung wird diese Option insbesondere in baurechtlichen Streitigkeiten gut angenommen. Zu den anderen Anwendungsbereichen macht der Gesetzentwurf jedoch keine Angaben.

Wir werden im Rechtsausschuss deshalb genau hinterfragen. Insbesondere interessiert mich, warum die Deregulierungsstelle im Innenministerium das Optionsmodell für diskussionswürdig hält. Mitte 2006 hat die Landesregierung dieses von der Deregulierungskommission vorgeschlagene Modell für eine „innovative Reformidee“