Protocol of the Session on December 17, 2010

(Dr. Ulrich Born, CDU: Wissenschaftliche Begleitung und keine Stellungnahme.)

Insofern, meine Damen und Herren, kann ich mich der Meinung von Frau Schwesig, vorgetragen durch Herrn Minister Tesch, nur anschließen.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das wundert uns jetzt gar nicht.)

Zur Klärung des Punktes 3 hätte ein einfacher Blick ins Gesetz gereicht, zur Klärung des Punktes 1 ebenfalls und zur Klärung des Punktes 2 eigentlich auch, weil das, was Sie da bemängeln, steht überhaupt nicht im Gesetz.

Und dass wir versuchen, nicht nur am Mittwoch in der Rede zu PISA, sondern auch heute widerspruchsfrei und kohärent jeweils nach denselben Prinzipien vorzugehen und nicht nach Wochentag uns aussuchen, was die Argumentationsgrundlage ist, weil es vielleicht so gerade angenehm und passend erscheint, davon können Sie ausgehen. Deswegen werden wir Ihren Antrag mit voller weihnachtlicher Stimmung und Begeisterung ablehnen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU – Regine Lück, DIE LINKE: Das ist doch nun keine weihnachtliche Stimmung, wenn man hier ablehnt.)

Danke, Herr Brodkorb.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Dr. Linke von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Nach einem umstrittenen Verfahren hat dieser Landtag mit der Mehrheit der Fraktionen der Koalition am 8. Juli eine Reihe umstrittener Änderungen am KiföG beschlossen.

(Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

Auf eine in der Öffentlichkeit auf heftige Ablehnung treffende Norm, nämlich den Paragrafen 1, stellt nun der vorliegende Antrag der FDP-Fraktion in den Punkten 1 und 2 ab.

Es ist mir eine Anmerkung gestattet: Ich glaube nicht, dass es eine Frage von Verstehen ist, sondern mehr eine Frage des pädagogischen Ansatzes, Herr Brodkorb beziehungsweise Herr Minister, über die wir hier diskutieren. Im Übrigen sprechen wir nicht über Schule und PISA,

(Mathias Brodkorb, SPD: Machen Sie doch eine Kita auf!)

sondern wir sprechen über frühkindliche Bildung und da gibt es doch schon noch mal, auch in der Wissenschaft kann man das nachlesen, ein paar Unterschiede.

(Mathias Brodkorb, SPD: Sie müssen einfach eine Kita aufmachen.)

So heißt es also im Paragrafen 1 Absatz 5 des KiföG: „Grundlage der individuellen Förderung ist in allen Altersstufen eine alltagsintegrierte Beobachtung und Dokumentation des kindlichen Entwicklungsprozesses. Spätestens drei Monate nach Eintritt des Kindes in den Kindergarten erfolgt regelmäßig eine Beobachtung und Dokumentation auf Basis landesweit verbindlich festgelegter Verfahren.“ Und Herr Brodkorb sagte schon, das ist ein Wort im Plural, also „Verfahren“.

Umstritten bei Eltern und bei Pädagogen, weil nämlich dramatisch für die Kinder, nimmt sich das Gesetz im Absatz 6 aus. Und ich zitiere noch einmal den Paragrafen 1 Absatz 6 Satz 1,

(Zuruf von Jörg Vierkant, CDU)

damit Ihnen klar wird, Herr Brodkorb, worüber wir hier diskutieren, worauf Sie leider nicht eingegangen sind: „Weisen die Ergebnisse der Beobachtung nach Absatz 5

Satz 2 eine erhebliche Abweichung von der altersgerechten, sozialen, kognitiven, emotionalen oder körperlichen Entwicklung aus, soll eine gezielte individuelle Förderung auf der Grundlage eines jährlich fortzuschreibenden Entwicklungsplans erfolgen, für die das Land nach Maßgabe dieses Gesetzes... finanzielle Mittel bereitstellt.“

Zum Vollzug dieser Norm liegt nun unter anderem die „Verordnung über die inhaltliche Ausgestaltung und Durchführung der individuellen Förderung … nach § 1 Absatz 6 sowie deren Finanzierung nach § 18 Absatz 5 und 6“ im Entwurf vor. Der als Defizitansatz bezeichnete pädagogische Ansatz dieser Norm, die ich eben zitiert habe, wird von Pädagogen und Eltern gleichermaßen abgelehnt. Ich darf in diesem Zusammenhang – Sie werden ihn als Wissenschaftler akzeptieren, Herr Brodkorb – Professor Klusemann zitieren. Er sagt: „Das ,neue Bild vom Kind‘ ist mit dem Paradigmenwechsel von der Defizit- zur Ressourcenorientierung der Arbeit verbunden.“

(Michael Roolf, FDP: Genau das, genau das.)

Und die GEW – als nicht wissenschaftliche Institution – stellt in ihrer Stellungnahme fest, dass genau das mit den vorgelegten Verordnungsentwürfen nicht erreicht sei.

(Michael Roolf, FDP: Sehr richtig.)

Und das sei wohl einer Gewerkschaft, die immerhin die Erzieherinnen und Erzieher vertritt, gestattet.

(Irene Müller, DIE LINKE: Die mal die Universität verlassen haben.)

Auch die LIGA bezieht sich in ihrer entsprechenden Stellungnahme,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Sie können auch das als unwissenschaftlich disqualifizieren, aber auch sie bezieht sich hierauf und sieht in der defizitorientierten Sicht die Gefahr einer damit verbundenen frühen Stigmatisierung von Kindern, Personensorgeberechtigten sowie ganzen Kitas, denn es wird ja von Kitas in sozialen Brennpunkten gesprochen.

Und die Fokussierung auf den Ausgleich von Defiziten, Herr Brodkorb, bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Prävention wird von der LIGA – welch ein Wunder im Zeitalter der Inklusion – abgelehnt. Nichtsdestotrotz wird in den gestern von der Sozialministerin und auch heute hier vom Bildungsminister angekündigten Verordnung dieser sogenannte Defizitansatz in der frühkindlichen Pädagogik noch dadurch verschärft, dass die gezielte individuelle Förderung von Entwicklungsverzögerungen nur dann finanziell untersetzt wird,

(Michael Roolf, FDP: Genau.)

sofern ein vorgegebenes Dokumentationsverfahren, und zwar das sogenannte DESK 3-6, zur Anwendung kommt.

(Zuruf von Michael Roolf, FDP)

Und im Paragrafen 4 Absatz 1 des Verordnungsentwurfes heißt es knallhart – und es ist knallhart –: „Die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe leiten die ihnen nach § 1 Absatz 1“ der Verordnung „gewährten Landesmittel nach Maßgabe des § 18 Absatz 5 Satz 5 des Kindertagesförderungsgesetzes und des Absatzes 2“ Satz 2 und 3 „ausschließlich an Träger von Kindertageseinrichtungen und Tagespflegepersonen weiter“,

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP – Michael Roolf, FDP: Genauso ist es.)

„die ergänzend zur alltagsintegrierten Beobachtung und Dokumentation das in § 2 Absatz 2 genannte Verfahren“ – und das ist also DESK – „über einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens drei Jahren überprüfbar mindestens einmal jährlich … anwenden.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, das wird zu Recht von Pädagogen und Eltern abgelehnt,

(Michael Roolf, FDP: Genau.)

denn das Gesetz spricht, Herr Brodkorb, wie Sie hier gesagt haben, von „Verfahren“,

(Gino Leonhard, FDP: Sie haben das nicht verstanden, offensichtlich.)

die zur Beobachtung und Dokumentation angewandt werden sollen.

(Gino Leonhard, FDP: Das sind ja ganz Schlaue.)

Und wenn Frau Sozialministerin und der Bildungsminister diese Kritiken bisher nicht wahrgenommen haben, wie sie uns in der Fragestunde auch gestern erklärten,

(Udo Pastörs, NPD: Das ist Schaumschlägerei.)

so wissen wir davon aus den Stellungnahmen zu den Verordnungsentwürfen ebenso wie aus zahlreichen – oder zahllosen, möchte ich fast sagen – Gesprächen vor Ort,

(Michael Roolf, FDP: Genauso ist es.)

denn Beobachtung und Dokumentation sind für die Erzieherinnen und Erzieher des Landes natürlich keine neue Aufgabe, sondern seit Jahrzehnten selbstverständliches Tagesgeschäft.

(Michael Roolf, FDP: Genau, ja.)

Allerdings haben die meisten Kindertageseinrichtungen den Schwerpunkt der Beobachtung auf die Stärken der Kinder ausgerichtet und verstehen nicht, warum sie jetzt plötzlich die Schwächen der Kinder herauskrümeln

(Michael Roolf, FDP: Ja.)

und bekämpfen sollen.