Protocol of the Session on April 13, 2000

Zum Hintergrund: Es dürfte allgemein bekannt sein, dass die am 1. Januar 1999 in Kraft getretene Insolvenz

ordnung ein Restschuldbefreiungsverfahren vorsieht, das – anders als das frühere Recht – in Verschuldung geratenen natürlichen Personen, zum Beispiel Selbständigen, Arbeitnehmern oder Verbrauchern, ermöglicht, sich von ihren Schulden zu befreien. Nach einer Wohlverhaltensperiode von sieben Jahren können sie unbelastet und erneut ins Wirtschaftsleben zurückkehren. Dazu müssen sie ein Insolvenzverfahren durchlaufen, das, da es sich ja zumeist um Verbraucher handelt, in der Öffentlichkeit vielfach als „Verbraucherinsolvenzverfahren“ bezeichnet wird.

(Präsident Hinrich Kuessner übernimmt den Vorsitz.)

Dieses Verfahren wird nun in Gang gesetzt, wenn die Verfahrenskosten, das heißt insbesondere die Gerichtskosten und die Vergütungen und Auslagen des Insolvenzverwalters, aufgebracht werden. Dies ergibt sich aus der zentralen Vorschrift des Paragraphen 26 Absatz 1 Satz 1 der Insolvenzordnung, in der es heißt: „Das Insolvenzgericht weist den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ab, wenn das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die Kosten des Verfahrens zu decken.“

Leider gibt es nicht von ungefähr eine ganze Reihe von Schuldnern, die in einem solchen Maße verschuldet sind, dass sie die Verfahrenskosten nicht aufbringen können. Ohne die Gewährung von Prozesskostenhilfe oder einer anderweitigen finanziellen Unterstützung wären diese Personen von der Möglichkeit einer Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren ausgeschlossen.

Ich will an dieser Stelle betonen, dass die Landesregierung dieses Ergebnis aus sozialpolitischen Erwägungen nicht für verantwortbar hält. Daher beteiligt sich das Justizministerium an einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter der Führung Nordrhein-Westfalens. Dort werden zurzeit Vorschläge erarbeitet, auf welche Weise dem bedürftigen Schuldner die Teilnahme am Verbraucherinsolvenzverfahren ermöglicht werden kann. Damit ist schon angedeutet, dass die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht der einzige und nicht zwingend der beste Weg zu diesem Ziel sein muss.

Doch bevor ich hierauf näher eingehe, möchte ich zu bedenken geben, dass sich alle Vorschläge mit einem ganz erheblichen Einwand auseinander setzen müssen. Das ist wie immer im Leben die Frage der Kosten. Wenn die Länder es auf sich nehmen, die Kosten des Verbraucherinsolvenzverfahrens für mittellose Schuldner zu tragen, wird dies den Justizhaushalt erheblich belasten. Ich will nicht verhehlen, dass es der Landesregierung aus diesem Grunde nicht leicht fällt, sich dafür auszusprechen.

Konkret: Welche Belastungen sind für unser Land zu erwarten? Für jedes Verbraucherinsolvenzverfahren einschließlich des Verfahrens der Restschuldbefreiung sind durchschnittlich mindestens 3.000 DM in Rechnung zu stellen. Allein die Vergütung eines Treuhänders in der siebenjährigen Restschuldbefreiungsphase beträgt mindestens 200 DM im Jahr. Die Angaben zu der Zahl der für das Verfahren in Betracht kommenden verschuldeten Haushalte in Deutschland schwanken zwischen 1,7 und 2,6 Millionen. Bezogen auf den Bevölkerungsanteil Mecklenburg-Vorpommerns an der deutschen Gesamtbevölkerung – der macht circa zwei Prozent aus – wären dies etwa 40.000 Haushalte. Unterstellt man, dass nur zehn Prozent davon den Weg durch das Verbraucherinsolvenz

verfahren suchen, wäre also mit etwa 4.000 Fällen zu rechnen. Wie viele dieser Schuldner jährlich einen Antrag an das Gericht stellen werden, lässt sich kaum vorhersagen, aber immerhin waren es im Jahre 1999 landesweit 400 Anträge. In der Mehrzahl der Fälle dürften die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe vorgelegen haben. Schenkt man den Stimmen Glauben, die behaupten, dass viele Schuldner nur noch auf eine Prozesskostenhilferegelung warten, ist mit mindestens 1.000 Verfahren im Jahr zu rechnen. Das wären dann 3 bis 4 Millionen DM Mehrkosten jährlich, die aus dem Landeshaushalt zu finanzieren wären. Und dabei sind die Personal- und Sachkosten, die bei der Verwaltung der Mittel anfallen, noch nicht einmal berücksichtigt.

Trotz dieser eindrucksvollen Zahlen ist die Landesregierung der Auffassung, dass auch die völlig mittellosen Schuldner eine faire Chance auf Restschuldbefreiung haben müssen. Etwas anderes wäre sozialpolitisch nicht tragbar.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Torsten Koplin, PDS)

Davon geht auch die neue Insolvenzordnung aus. Ihr Ziel ist nämlich nicht mehr allein die Befriedigung der Gläubiger. Die Reform des Insolvenzrechts wollte die Möglichkeit schaffen, den zahlungsunfähigen Normalschuldner zu entschulden und ihm dadurch einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen.

Im Übrigen darf ich vielleicht einmal einfügen: In den USA gelten nicht unbedingt Privatschuldner, aber Unternehmer, die in die Insolvenz geraten, nach dem dritten Mal als richtige erfahrungsträchtige Unternehmer.

In der Begründung zum Regierungsentwurf wird ausdrücklich auf die ständig zunehmende Zahl von Fällen schwerer Verbraucherverschuldung hingewiesen. Es heißt dort: „Es ist ein zugleich soziales und freiheitliches Anliegen, dem redlichen Schuldner nach der Durchführung eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen eine endgültige Schuldenbereinigung zu ermöglichen.“

Wir alle versprechen uns mehr soziale Gerechtigkeit, wenn auch Personen, die als Selbständige, Arbeitnehmer oder Verbraucher am Wirtschaftsleben teilnehmen, ohne ihre Haftung beschränken zu können, die Chance für einen Neuanfang erhalten. Dieses sozialpolitisch erstrebenswerte Ziel würde aber ad absurdum geführt, wenn gerade denjenigen, die besonders schwer getroffen wurden und dabei völlig mittellos geworden sind, dieser Weg verbaut würde. Im Hinblick auf die angestrebte Chancengleichheit ist es daher unabdingbar, dass auch diese Schuldner einbezogen werden müssen.

In diesem Sinne hat auch der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium Herr Dr. Eckhart Pick am 18. Dezember 1998 auf eine Anfrage wie folgt geantwortet: „Die Bundesregierung teilt die Auffassung, dass bei völlig mittellosen Schuldnern durch die Gewährung von Prozesskostenhilfe die Voraussetzungen dafür geschaffen werden müssen, dass diese Personen am Verbraucherinsolvenz- beziehungsweise Restschuldbefreiungsverfahren teilnehmen können. Anderenfalls würde es zu dem ungereimten Ergebnis kommen, dass gerade die bedürftigsten Schuldner von einem Verfahren ausgeschlossen blieben, das ihnen eine Perspektive eröffnen

kann, in absehbarer Zeit wieder ein Leben frei von drückenden Schuldenlasten führen zu können.“ Die Landesregierung denkt ebenso.

Es darf aber auch eine andere positive Wirkung des Restschuldbefreiungsverfahrens nicht vergessen werden. Gerade die Restschuldbefreiung soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch zur Gläubigerbefriedigung beitragen. So heißt es im Regierungsentwurf: „Auch die Befriedigungschancen der Gläubiger verbessern sich, wenn der Schuldner zu redlichem Verhalten, insbesondere zur rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrages, und zur konkreten Mitwirkung im Verfahren veranlasst wird.“

Der entscheidende Anreiz für den Schuldner, für die Dauer der Wohlverhaltensperiode seine Arbeitskraft zu nutzen, sein pfändbares Einkommen oder ähnliche Bezüge dem Treuhänder zur Befriedigung der Gläubiger zu übertragen, ist seine Erwartung, anschließend restlos von seinen Schulden befreit zu werden. Die Durchführung des Restschuldbefreiungsverfahrens nützt daher nicht nur dem Schuldner, sondern auch seinen Gläubigern. Das gilt auch dann, wenn er nicht selbst für die Kosten des Insolvenzverfahrens aufkommen kann.

Zum Abschluss möchte ich noch ein Wort zu der Art und Weise sagen, in der dem Schuldner eine Finanzierung der Verfahrenskosten ermöglicht werden könnte. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist, wie bereits erwähnt, nicht der einzig denkbare Weg hierfür. In der schon erwähnten Bund-Länder-Arbeitsgruppe ist ein weiteres Modell erarbeitet worden. Danach könnten dem Schuldner die Verfahrenskosten bis zum Ablauf der Wohlverhaltensperiode gestundet werden. Sie würden nicht der Restschuldbefreiung des Schuldners unterliegen und könnten daher spätestens nach sieben Jahren geltend gemacht werden. Im Ergebnis führt dieses Modell daher möglicherweise zu einer geringeren Kostenbelastung als die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Da es zudem in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe schon jetzt einige Akzeptanz besitzt, dürfte es vielleicht auch eher zu verwirklichen sein.

Aus diesen Gründen spreche ich mich dafür aus, dass die Landesregierung bei ihren gemeinsamen Überlegungen mit den anderen Bundesländern alle Möglichkeiten einbezieht, mit denen Schuldnern in der Sache geholfen werden kann. Wir werden jedenfalls alles tun, um diesem unbefriedigenden Zustand ein Ende zu bereiten. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Herr Minister, erlauben Sie eine Frage des Abgeordneten Helmrich?

Ja, Herr Helmrich, gerne. Ich weiß zwar jetzt nicht, ob ich darauf antworten kann, aber ich werde es natürlich versuchen.

Sie erlauben trotzdem, dass er eine Frage stellt?

Ich erlaube das, ja.

Bitte, Herr Helmrich.

Wissen Sie vielleicht, ob bei diesen Überlegungen, wie man eventuell dann doch noch das Geld eintreiben kann oder wie man den Leuten dann doch die Möglichkeit gibt, sich erkenntlich zu zeigen für das, was dann für sie gemacht wird, auch durchdacht

worden ist, eventuell gemeinnützige Arbeit einzuführen für solche Fälle?

(Dr. Margret Seemann, SPD: Was?)

Also ich kann das nur aufnehmen, Herr Helmrich. Ich kann Ihnen darauf keine Antwort geben, …

(Heike Lorenz, PDS: Was? Das ist doch Zwangs- arbeit. Ja, ja. – Dr. Margret Seemann, SPD: Ich verstehe die Frage gar nicht.)

… aber ich will das gerne aufnehmen und dem Justizminister übermitteln.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Born von der CDU-Fraktion. Bitte sehr, Herr Born.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Frau Kollegin Dr. Seemann, erlauben Sie mir bitte die Anmerkung: Sie haben den Sachverhalt so umfassend dargestellt, dass man da eigentlich nur noch Weniges ergänzen kann. Und da die Regierung für den Justizminister die Ersatzreserve 1 zur Verfügung stellt, hält die Opposition sich auch daran. Der Kollege Helmrich hat mir also überlassen, zu dem Thema zu reden. Aber ich glaube, es war auch sehr sachdienlich, dass der Wirtschaftsminister heute hierzu gesprochen hat und nicht der Justizminister.

(Reinhard Dankert, SPD: Na, na, na, na!)

Nein, Entschuldigung, weil hier wirtschaftliche Bezüge eine ganz entscheidende Rolle spielen, Kollege Dankert.

(Reinhard Dankert, SPD: Ach so. Jetzt haben Sie aber die Kurve gekriegt.)

Die Insolvenzordnung – darauf haben ja die beiden Vorredner hingewiesen – vom 05.10.1994 ist ab dem 01.01.1999 in Kraft. Und in der Tat: Es gibt eine ganze Reihe von Anlaufschwierigkeiten.

Ich will noch einmal daran erinnern, dass die Insolvenzordnung die mehr als 120 Jahre alte Konkursordnung, die fast genauso alte Vergleichsordnung und die ausschließlich in den neuen Bundesländern geltende Gesamtvollstreckungsordnung abgelöst hat. Dementsprechend hoch – auch das haben wir vorhin noch einmal hören können – waren allerorts die Erwartungen. Einerseits sollte die Insolvenzordnung ein modernes Instrument zur Sanierung von notleidend gewordenen Unternehmen sein, zum anderen sollte sie auch erstmals auf ein Massenphänomen reagieren, nämlich auf die Tatsache, dass circa 1,7 Millionen Privathaushalte überschuldet waren und dieser Trend zunahm.

Dem modernen Schuldenturm von Millionen von Menschen wollte der Gesetzgeber etwas entgegensetzen. Daher schuf er die Verbraucherinsolvenzvorschriften und insbesondere die Möglichkeit der Restschuldbefreiung. Auf diese Möglichkeit sind ebenfalls beide Beiträge schon ausführlich eingegangen.

Dies, so die Vorstellungen des Gesetzgebers, sollte die Chance des Schuldners für den wirtschaftlichen Neuanfang sein. Freilich sollte diese Chance auch nicht gänzlich umsonst sein. Der Schuldner sollte sich diese Chance verdienen. Daher hat man in die Insolvenzordnung für die Verbraucherinsolvenz ein mehrstufiges Verfahren eingeführt, das der Schuldner zu durchlaufen hat. Vor seinem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens muss der Schuldner einen außergerichtlichen Einigungsversuch mit seinen Gläubigern anhand eines Schuldenbereinigungsplans vorgenommen haben. Dann beginnt das gerichtliche Schuldenbereinigungsplanverfahren. Erst wenn das gescheitert ist, beginnt das Insolvenzeröffnungsverfahren, in dem geprüft wird, ob das Vermögen des Schuldners die Kosten des Verfahrens deckt. Wenn ja, dann beginnt das eigentliche Insolvenzverfahren.

Wenn der Schuldner das beantragt hat, beginnt anschließend das Restschuldbefreiungsverfahren. Am Ende kann der Schuldner, wenn er sieben Jahre lang seinen strengen Obliegenheiten nachgekommen ist, sich also auch verantwortungsbewusst und diszipliniert verhalten hat, eine Befreiung von seinen Restschulden erreichen.

Sie sehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist ein reichlich komplizierter Hürdenlauf, deshalb habe ich das auch noch einmal in dieser Reihenfolge hier kurz dargestellt, den der Schuldner zu nehmen hat, um letztlich an die Lorbeeren der Restschuldbefreiung zu kommen, denn – das ist eben auch durch die Zwischenfrage des Kollegen Helmrich deutlich geworden – wir müssen uns ja immer bewusst machen, hier kommt die Rechtsordnung jemandem in besonderer Weise entgegen, der eine Reihe von Privatschulden hat, das heißt, er hat die Möglichkeit, weniger zu leisten, als er nach entsprechenden rechtlichen Verpflichtungen eigentlich tun müsste. Da das nicht immer nur eine einseitige Sache ist, sondern andere den Nachteil dadurch haben, muss das natürlich an entsprechend strenge Voraussetzungen geknüpft sein.

Sie sehen aber auch, dass hier mehrere Verfahren zu einem Insolvenzverfahren und einem Restschuldverfahren zusammengefügt wurden. Hier beginnen die Probleme, die der Antrag der SPD und PDS anspricht. Ich sage nicht, hier beginnen die Probleme des Antrags, sondern die Probleme, die der Antrag anspricht, denn für die einzelnen Verfahren sind nur die Besonderheiten von der Insolvenzordnung geregelt.

Im Übrigen, darauf hat Frau Dr. Seemann hingewiesen, besagt Paragraph 4 der Insolvenzordnung, sollen die allgemeinen Regeln der Zivilprozessordnung gelten, soweit die Insolvenzordnung nichts anderes bestimmt. Durch diese allgemeine Formulierung in Paragraph 4 stellt sich die heute mit Ihrem Antrag thematisierte Frage in der Tat. Soll nämlich damit auch auf die Vorschriften zur Prozesskostenhilfe verwiesen werden oder ist die Anwendung der Prozesskostenhilfevorschriften schlichtweg ausgeschlossen? Auch hier, darauf hat Frau Kollegin Dr. Seemann hingewiesen, gibt es inzwischen eine Reihe von gerichtlichen Entscheidungen, die überwiegend eine Gewährung von Prozesskostenhilfe versagen. Zum Teil wird allerdings von den Gerichten differenziert nach den einzelnen Verfahrensabschnitten, so, wie ich sie vorhin kurz skizziert habe. Diese unterschiedliche Rechtsprechung ist – da stimme ich Ihnen vollkommen zu – natürlich im hohen Maße unbefriedigend, denn dies trägt keinesfalls zur Rechtssicherheit bei.

Von der Vielzahl der bereits ergangenen Entscheidungen darf man sich allerdings nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass der große Ansturm auf die Insolvenzgerichte, wie ihn vor allem die Länder seinerzeit befürchtet haben, ausgeblieben ist. Sucht man nach den Ursachen des ausgebliebenen Ansturms, so findet man nicht nur als Grund, dass der völlig überschuldete Verbraucher zumeist nicht die Kosten für das Verfahren aufbringen kann. Ein weiterer Grund für das Ausbleiben dieses Ansturms ist sicherlich auch die Kompliziertheit des Verfahrens, aber auch die Strenge, die der Schuldner sich auferlegen muss, wenn er eine Restschuldbefreiung letztlich erreichen will.