Protocol of the Session on April 13, 2000

Von der Vielzahl der bereits ergangenen Entscheidungen darf man sich allerdings nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass der große Ansturm auf die Insolvenzgerichte, wie ihn vor allem die Länder seinerzeit befürchtet haben, ausgeblieben ist. Sucht man nach den Ursachen des ausgebliebenen Ansturms, so findet man nicht nur als Grund, dass der völlig überschuldete Verbraucher zumeist nicht die Kosten für das Verfahren aufbringen kann. Ein weiterer Grund für das Ausbleiben dieses Ansturms ist sicherlich auch die Kompliziertheit des Verfahrens, aber auch die Strenge, die der Schuldner sich auferlegen muss, wenn er eine Restschuldbefreiung letztlich erreichen will.

Aber zweifellos, das Problem der Kostentragung ist schwerwiegend, und zwar aus einem einfachen Grund: Der überschuldete Verbraucher hat zumeist kein ausreichendes Vermögen mehr, um die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das hat der Wirtschaftsminister ja eben auch noch einmal belegt. Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalitionsmehrheit, wenn Sie dann sagen, dann gibt es eben Prozesskostenhilfe für das Verbraucherinsolvenzverfahren, muss man sehen, dass dies möglicherweise eine Antwort ist, die jedenfalls so pauschal nicht ganz unbedenklich, vielleicht auch zu einfach ist.

Ich gebe Ihnen Recht, dass die momentane Gesetzeslage unbefriedigend ist, denn es kann für die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht darauf ankommen, welches Gericht zufälligerweise für das Insolvenzverfahren örtlich zuständig ist. Aber bevor wir der Landesregierung mit auf den Weg geben, sie möge mit den anderen Bundesländern die Insolvenzordnung dahin gehend zu ändern versuchen, dass der bedürftigste Schuldner Prozesskostenhilfe bekomme, sollte man sich vor Augen führen, warum der Gesetzgeber in der Insolvenzordnung bislang keine Kostenhilfe vorgesehen hat. Auf eine entsprechende Anfrage der Bundesländer hat die damalige Bundesregierung seinerzeit im Gesetzgebungsverfahren geantwortet, die Einführung der Prozesskostenhilfe würde die öffentlichen Haushalte erheblich stärker belasten als die Regelungen des Gesetzentwurfes selbst.

Wohlgemerkt, hier geht es um die öffentlichen Haushalte der Länder und die haben natürlich eben mit großem Interesse zur Kenntnis genommen, dass – als Ihre Kollegin gerade nicht da war, Herr Wirtschaftsminister – Sie gesagt haben, dass die Landesregierung das sehr befürwortet, was in dem Antrag steht zu den Kostenfolgen, die dann für das Land damit verbunden sind. Wir müssen gucken, wie sich das dann nachher, wenn es um die konkrete Umsetzung des Antrages geht, auch tatsächlich darstellt. Ich habe eben nur referiert, was Ihr Kollege Wirtschaftsminister gesagt hat.

Der Gesetzgeber wollte, dies habe ich eingangs schon erwähnt, dass der Schuldner sich die Chance zur Restschuldbefreiung verdient, dass er seinen Beitrag dazu leistet und sich an den Kosten beteiligt. Dies wird auch aus dem Sinn und Zweck der Insolvenzordnung im Übrigen, also für die Unternehmensinsolvenz, deutlich: Das überschuldete Unternehmen soll frühzeitig im Sinne der Insolvenzordnung handeln, so dass eine Sanierung noch möglich ist. Dies war das große Manko der Konkursordnung, denn deren Instrumentarien griffen erst ein, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen war, so dass man nur noch liquidieren konnte. Das wollte die Insolvenzordnung anders machen. Ich kann es knapp ausdrücken: Sanieren statt Liquidieren.

Überträgt man diesen Gedanken auf die Verbraucherinsolvenz, so ergibt sich, dass auch der Schuldner frühzeitig handeln soll, nämlich da, wo er erkennt, dass er bald nicht mehr zahlen kann, wenn es bei ihm mit den Verbindlichkeiten so weitergeht. Wenn man sich das so verinnerlicht, dann erhält die Insolvenzordnung einen Zweck, den sie auch zu leisten vermag. Zugegeben, dies ist eine Idealvorstellung und die Praxis sieht leider anders aus. Deshalb stellt sich die Frage: Ist das Instrumentarium der Verbraucherinsolvenz überhaupt praktikabel, wenn der Schuldner regelmäßig so verschuldet ist, dass er die Kosten des Verfahrens eben nicht mehr aufbringen kann und das Insolvenzverfahren gar nicht erst durchgeführt werden kann? Aber, meine Damen und Herren, ich warne in diesem Zusammenhang ausdrücklich davor, dem Verbraucher einen Freifahrtsschein zum Schuldenmachen zu geben. Hier muss man auch an den Schutz der Gläubiger denken, denn deren Rechte werden erheblich verkürzt.

Bevor wir nun in eine Argumentation verfallen, die rein nach dem Gefühl geführt wird, wer schutzwürdiger sei, der Schuldner oder der Gläubiger: Es gibt auch rechtliche Gründe, die gegen eine Gewährung von Prozesskostenhilfe im Verbraucherinsolvenzverfahren sprechen. Unter anderem ist in Paragraph 26 Absatz 1 der Insolvenzordnung geregelt, dass das Gericht den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens abzuweisen hat, wenn das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die Kosten des Verfahrens zu decken. Diese Regelung wäre schlichtweg überflüssig, würde man über Paragraph 4 der Insolvenzordnung auch den Paragraphen 114 der Zivilprozessordnung, also die Gewährung der Prozesskostenhilfe, schlicht für anwendbar erklären. Ich habe ja vorhin die Frage aufgeworfen, das hatten Sie bereits auch schon getan. Jeder Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wäre dann positiv zu bescheiden, weil die Kosten des Verfahrens in jedem Fall aufgebracht sein würden, entweder durch den Schuldner selbst oder durch die bewilligte Prozesskostenhilfe.

Der Anwendbarkeit der Prozesskostenhilfevorschriften der ZPO im Insolvenzeröffnungsverfahren steht auch die Bestimmung des Paragraphen 26 Absatz 1 Satz 2 der Insolvenzordnung entgegen. Danach wird der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens trotz Vermögenslosigkeit des Schuldners nicht mangels Masse abgewiesen, wenn ein ausreichender Geldbetrag vorgeschossen wird. Bei diesem Kostenvorschuss, der an die Stelle der nicht vorhandenen Masse tritt, handelt es sich um eine materielle Voraussetzung für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die durch die Gewährung von Prozesskostenhilfe verfahrensrechtlich erst geschaffen werden würde. Die Schaffung materieller Voraussetzungen ist aber nicht mit dem Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe vereinbar.

Meine Damen und Herren, eines möchte ich aber noch grundsätzlich zur Prozesskostenhilfe sagen: Die Prozesskostenhilfe ist im Zivilprozess vornehmlich deshalb eingeführt worden, um Chancengleichheit vor Gericht zu gewährleisten und um dem Rechtsstaatsprinzip Genüge zu tun. Auch der Mittellose soll im Zivilprozess seine materiellen Rechte durchsetzen beziehungsweise verteidigen können. Dies ist hingegen im Insolvenzverfahren anders. Hier geht es um die Erlangung von Restschuldbefreiung, die durch die Insolvenzordnung erst eingeräumt wird.

Letztendlich sollten wir bei dieser Debatte nicht aus den Augen verlieren, dass es sich bei der Insolvenzordnung

um Bundesrecht handelt. Auch das hatte der Wirtschaftsminister bereits hier ausgeführt. Wenn der Landtag also die Notwendigkeit erkennt, hier über die Landesregierung Einfluss auf das Gesetzgebungsverfahren des Bundes nehmen zu müssen, dann sollte sich das Parlament zuvor hinreichend eine eigene Meinung dazu bilden, wie eine zweifelsfreie Regelung des Paragraphen 4 der Insolvenzordnung im Interesse unseres Landes aussehen soll. Dies ist schon deshalb ratsam, damit später nicht die Erkenntnis über die sprichwörtlich zu Hilfe gerufenen Geister kommt, die man dann nicht mehr loswerden kann.

(Beifall Harry Glawe, CDU)

Mit anderen Worten, meine sehr verehrten Damen und Herren…

(Angelika Gramkow, PDS: Hast du das ver- standen? – Heiterkeit bei den Abgeordneten)

Man kann sich ja durchaus auch durch Klatschen selbst ermuntern, wieder richtig wach zu werden.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Nein, das war der erste Satz, den er verstanden hat.)

Nein, nein. Also, meine Damen und Herren,

(Beifall bei den Abgeordneten – Minister Till Backhaus: Das war ein sauberer Beitrag eben.)

ich gebe zu, dass ich versuche, das alles selbst zu verstehen,

(Harry Glawe, CDU: In Ordnung.)

was ich hier mühsam vortrage.

(Beifall und Heiterkeit bei den Abgeordneten)

Ganz so einfach ist der Sachverhalt nicht

(Minister Till Backhaus: Offenbar scheitert dieser Versuch.)

und deshalb unterstelle ich durchaus nicht jedem im Saal,

(Heike Lorenz, PDS: Geben Sie es zu!)

dass er diesen nicht ganz interessanten Ausführungen so ohne weiteres von Anfang bis Ende folgt.

(Zuruf von Martin Brick, CDU)

Wollen wir eine Kostenhilfe im Insolvenzverfahren? Wenn ja, für welche Verfahrensabschnitte und vor allem für welchen Personenkreis? Dabei stellt sich dann auch die Frage, wie man sinnvolle Kriterien zur Unterscheidung des kostenhilfebedürftigen Schuldners und des nicht bedürftigen Schuldners findet.

In diesem Zusammenhang muss auch geprüft werden, ob man bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe dann auch die Beiordnung eines Rechtsanwaltes auf Kosten der Staatskasse befürworten muss.

Ich komme zum Schluss. Vielleicht sollten bei der Gelegenheit auch die Erfahrungen der Schuldnerberatungsstellen, die schon angesprochen wurden, in die Meinungsbildung mit einfließen. Jedenfalls sollte aber vor der Entscheidungsfindung genau analysiert werden, mit welcher finanziellen Mehrbelastung das Land MecklenburgVorpommern bei Einführung einer Prozesskostenhilfe zu rechnen hätte. Ich schlage deshalb vor, den Antrag der SPD und PDS in den Rechtsausschuss zu überweisen

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: So was sollen wir noch machen, mein Gott!)

und schließe mich dem entsprechenden Votum an. Wenn Sie das gleich hier im Plenum beschließen, glaube ich, wäre es doch ein klein wenig zu kompliziert. Deshalb ist es wohl richtig, dass wir uns in diesem Ausschuss ausgiebig mit dem Antrag befassen. – Vielen Dank.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Angelika Gramkow, PDS: Wir haben ja ein Justizministerium.)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Kreuzer von der PDS-Fraktion. Bitte sehr, Herr Kreuzer.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Sie gestatten, fange ich einmal ein bisschen anders an.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Wir wollen hier lieber gleich abstimmen.)

Meiner Meinung nach hat das neue Insolvenzrecht, das Anfang vergangenen Jahres in Kraft getreten ist, bei allen Fortschritten, die aus unserer Sicht insbesondere in der Einführung der genannten Verbraucherinsolvenz sowie im außergerichtlichen Einigungsverfahren zu sehen sind, gelinde gesagt, seine Ecken und Kanten oder, einfacher gesprochen, auch seine Macken. Sicherlich ist es zu früh, aus der einjährigen Geltungszeit bereits Schlussfolgerungen ziehen zu wollen, ob die Insolvenzordnung etwas taugt oder ob nicht. Ich denke, dass das zu einem etwas späteren Zeitpunkt anhand der Rechtspraxis geprüft und bewertet werden sollte. Ich denke, es zeichnen sich bereits jetzt Probleme ab, die aber wohl mehr im Faktischen, im Tatsächlichen liegen als unbedingt im Recht, in der Norm. Und man muss auch in Rechnung stellen, dass bei neuen Rechtsvorschriften häufig auch die ganz normalen Anlaufschwierigkeiten in der Rechtsanwendung auftreten.

Die Fallzahlen, insbesondere bei den Anträgen zu Verbraucherinsolvenzen, lagen bisher doch deutlich niedriger als man eigentlich erwarten konnte. Beispielsweise gab es bis Sommer 1999 im Gerichtsbezirk Schwerin um die 30 Anträge, im Gerichtsbezirk Neubrandenburg 11. Die Landesarbeitsgemeinschaft „Schuldnerberatung“ sprach von 425 aktenkundigen Fällen, die bei den Beratungsstellen bearbeitet wurden, dabei aber ein Großteil Anträge von gescheiterten Existenzgründern und außergerichtlichen Einigungsversuchen, von denen logischerweise nicht bekannt ist, ob ein Insolvenzantrag dann bei Gericht gestellt worden ist.

Von der Schuldnerberatungsstelle Schwerin wurden bis zum Sommer des vergangenen Jahres 21 Anträge auf Verbraucherinsolvenz gestellt. Davon hat das zuständige Insolvenzgericht Schwerin 13 Anträge abgewiesen, also zwei Drittel, 8 Anträge wurden bei anderen Gerichten zugelassen. Das heißt, die Zahl der Verbraucherinsolvenzverfahren ist übersichtlich klein. So war jedenfalls die Lage zum Zeitpunkt der Anhörung zum Landesausführungsgesetz und zur Beschlussfassung im Herbst des vorigen Jahres. Daraus folgt, dass erstens die Erfahrungen relativ gering sind und zweitens die Entwicklung denn doch etwas verwundert. Denn immerhin muss man davon ausgehen, dass etwa zehn Prozent aller Haushalte im

Land, das sind etwa 70.000, überschuldet sind mit einer Gesamtschuldensumme von etwas über 3 Milliarden DM.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Das wird immer schlimmer werden.)

Und Wunder werden sich wohl inzwischen nicht ereignet haben, man hätte ja davon gehört.

Dafür gibt es sicherlich mehrere Gründe. In den Anhörungen zum Ausführungsgesetz des Landes wurde beispielsweise der unerhörte Papieraufwand genannt, die Schwierigkeiten des Unterhalts flächendeckender Schuldnerberatungsstellen, die Finanzierungsprobleme der Schuldnerberatungsstellen in Bezug auf die Kofinanzierung seitens der Kreise und Städte, die Zurückhaltung der Insolvenzgerichte bei der Bestätigung von Schuldneroder Schuldenbereinigungsplänen, die von den Beratungsstellen aufgestellt worden sind. Es wird nach unserer Kenntnis überhaupt recht unterschiedlich von den Gerichten entschieden, beispielsweise bei der Anerkennung von so genannten Nullplänen.

Ferner werden häufig außergerichtliche Einigungen von öffentlichen Gläubigern blockiert, was mir sehr verdächtig erscheint. Namen sind in den Anhörungen ausreichend genannt worden. Andererseits aber stimmen beispielsweise die IHK Schwerin, die Sparkasse Schwerin und die Sparkasse Mecklenburg Nordwest überwiegend außergerichtlichen Einigungen zu. Das heißt also, der Subjektivismus

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Reiner Subjektivismus!)

in der Handhabung des Insolvenzrechts ist gerade auch bei den öffentlichen Gläubigern enorm, und das sollte uns zu denken geben.

Man fragt sich, worum es bei einem öffentlichen Gläubiger geht und beim anderen wieder nicht. Aber man kann beileibe nicht bei allen Problemen, die es bei der Anwendung des Insolvenzrechtes gibt, einfach auf Bürokratie, auf unbefriedigende rechtliche Bestimmungen sowie auf Unwillen von Gläubigern schließen. Es ist bekanntlich gerade beim Erlass der Insolvenzverordnung vom Bund zu Lasten der Länder gehandelt worden. Der Bund hat das Insolvenzverfahren, darunter die Verbraucherinsolvenz, beschlossen und die Länder dürfen es bezahlen. Das ist der Unterschied.

Bekanntlich haben wir zehn zusätzliche Richterstellen sowie 40 zusätzliche Rechtspflegerstellen mit einem jährlichen Kostenaufwand von etwa 3 Millionen DM für Insolvenzverfahren kurzfristig schaffen müssen. Das hat ja in der Haushaltsdebatte für dieses Jahr eine Rolle gespielt.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Richtig, Herr Kreuzer.)