Protocol of the Session on October 13, 2016

Wir kommen nun zum Antrag der Fraktionen der GRÜNEN und der SPD aus Drucksache 21/6157. Diesen möchte die Fraktion DIE LINKE ziffernweise abstimmen lassen.

Wer möchte zunächst Ziffer 1 annehmen? – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist Ziffer 1 angenommen.

Wer möchte Ziffer 2 seine Zustimmung geben? – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist auch Ziffer 2 bei einigen Enthaltungen angenommen.

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 47, Drucksache 21/6168, Antrag der Fraktion DIE LINKE: Desolate Unterbringungsmöglichkeiten für Obdachlose endlich beenden! Das Winternotpro

gramm und die generelle Versorgung von Obdachlosen ausbauen!

[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Desolate Unterbringungsmöglichkeiten für Obdachlose endlich beenden! Das Winternotprogramm und die generelle Versorgung von Obdachlosen ausbauen! – Drs 21/6168 –]

[Antrag der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN: Winternotprogramm auf qualitativ und quantitativ hohem Niveau fortführen – Drs 21/6306 –]

Hierzu liegt Ihnen als Drucksache 21/6306 ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN vor.

Die Drucksache 21/6168 soll auf Antrag der Fraktion DIE LINKE an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration überwiesen werden.

Wer wünscht das Wort? – Frau Özdemir von der Fraktion DIE LINKE, Sie haben es.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir feiern heute 70 Jahre Hamburgische Bürgerschaft und anlässlich dessen hat die Chefredakteurin der Hinz&Kunzt einen offenen Brief an uns Abgeordnete verfasst, aus dem ich zitieren möchte. Sie schreibt darin:

"Bitte gewöhnen Sie sich nicht daran, dass Menschen einfach auf der Straße liegen und Platte machen, wie wir das nennen. Wie sehr sich die meisten nach einem Dach über dem Kopf sehnen, können Sie daran erkennen, dass sie Schlange stehen, wenn das Winternotprogramm beginnt, wissend, dass sie im März wieder vor die Tür gesetzt werden, auch wenn sie sich noch so sehr wünschen, endlich irgendwo anzukommen, wo man die Tür zumachen kann, und obwohl sie eigentlich auch ein Recht darauf hätten."

Die bittere Wahrheit ist aber, dass SPD und GRÜNE sich schon an diese dramatischen Zustände auf den Straßen Hamburgs gewöhnt haben, dass Menschen auf der Straße verelenden, dass Menschen frieren, erkranken, medizinisch und hygienisch nicht ausreichend versorgt werden, dass die Menschen in den Notunterkünften abgewiesen werden, auch wenn sie leistungsberechtigt sind, und dass die Menschen sich in Gebüschen verstecken müssen, damit sie nicht vertrieben werden, und kaum Chancen haben, wieder in gesicherte Wohnverhältnisse reintegriert zu werden. Sie haben sich daran gewöhnt, Sie ignorieren die Situation und deren dramatische Entwicklung. Das

(Dr. Alexander Wolf)

ist verantwortungslos und sozialpolitisch ein Armutszeugnis.

(Beifall bei der LINKEN)

Das zeigt sich auch an einem aktuellen Beispiel: In zwei Wochen erst öffnet das Winternotprogramm und schon jetzt ist es bitterkalt, vor allem in der Nacht, und es ist lebensgefährlich für die betroffenen Menschen. Sie, sehr geehrte Damen und Herren vom Senat, vor allem aber Frau Leonhard, haben die Verpflichtung, die Menschen vor dieser Erfrierung zu schützen. Sie wissen, dass eine Gefahr besteht. Und da diese Gefahr besteht, muss das Winternotprogramm jetzt sofort geöffnet werden.

(Beifall bei der LINKEN)

In unserem vorgelegten Antrag fordern wir wie im letzten Jahr die ganztägige Öffnung des Winternotprogramms. Im letzten Jahr haben 57 000 Menschen eine Petition von Hinz&Kunzt unterzeichnet, in der sie genau diese Forderung aufgegriffen haben, und sie wurden bitter enttäuscht. Dieses Jahr hat der Senat noch nicht einmal auf die Debatte und das Ergebnis der Abstimmung in der Bürgerschaft gewartet, sondern über Herrn Schweitzer ausrichten lassen, dass es keine ganztägige Öffnung geben wird. Damit haben Sie das Ergebnis einer Parlamentsdebatte vorweggenommen.

(Ksenija Bekeris SPD: Ich dachte, wir wären zu spät dran!)

Nein, Sie waren viel zu früh dran. Wir stimmen erst heute über die Anträge ab.

Aber nicht nur uns fällt auf – das, finde ich, ist ein sehr wichtiger Aspekt –, dass in diesem Bereich viel zu wenig getan wird. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger melden sich und fragen, warum der Senat keine Maßnahmen ergreift. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger sehen, dass auf der Straße immer mehr Menschen bei Eiseskälte übernachten müssen, dass eine Verelendung stattfindet, und die Menschen fühlen mit und versuchen auch durch Spenden zu unterstützen.

Während gerade auch die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter wirklich Tag und Nacht mit knappen Ressourcen versuchen, den Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind, zu helfen, ducken Sie sich einfach weg. Auch bei der Beratung des Sozialhaushalts im Sozialausschuss haben wir gesehen, wie wenig Sie engagiert sind. Ich möchte ein Beispiel nennen. Bei der Inanspruchnahme der Tagesaufenthaltsstätten pro Jahr haben wir im Jahr 2015 die Ist-Zahl von 147 401 Kontaktaufnahmen. Für 2017, 2018 und die weiteren Jahre planen Sie nur noch 80 000 Kontaktaufnahmen, und das, obwohl Sie doch wissen, dass in der kalten Jahreszeit die Tagesaufenthaltsstätten wichtige, ja lebenswichtige Anlaufstellen für die Betroffenen sind. Aber diesbezüglich singen wir Ihnen seit Jah

ren das traurige Lied der Kapazitätsauslastungen vor.

In Ihrem Zusatzantrag, den Sie jetzt vorgelegt haben, schreiben Sie, dass Sie 32 000 Euro mehr bereitgestellt haben. Das sind wohl die aus dem letzten Jahr, denn im letzten Jahr wurden die 100 zusätzlichen Plätze in der Tagesaufenthaltsstätte für die Wochenenden bereitgestellt. Der erhöhte Bedarf ist dadurch nicht gedeckt, weder von der Anzahl der Plätze noch von den finanziellen Mitteln her. Deshalb brauchen wir eine gute finanzielle Ausstattung der Tagesaufenthaltsstätten, damit eine ganztägige Verlängerung der Öffnungszeiten auch an den Wochenenden und Feiertagen so stattfinden kann, dass an den Kräften der Menschen, die dort diese Arbeit leisten, nicht so enorm gezehrt wird. Wir wissen doch, dass die klirrende Kälte an den Wochenenden und an den Feiertagen auch nicht Tschüs sagen wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben uns auch die niedrigschwellige unbürokratische Krankenversorgung angesehen. Auch in der Krankenstube waren wir und haben uns die Situation angeschaut. Wir haben dort gerade einmal 18 Betten, vier davon für Tuberkulose-Erkrankte. Es gibt nur 14 Betten für 2 000 Obdachlose in Hamburg, die dauerhaft krank sind und eine lange Pflege brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen. Daran kann man doch deutlich sehen, wie mit diesen Menschen umgegangen wird. Auch Sie wissen, dass Menschen, die dauerhaft auf der Straße leben, nicht gesund sein können und darauf angewiesen sind, wenigstens einmal im Jahr einen Platz für ein paar Wochen in dieser Krankenstube zu bekommen. Deshalb fordern wir eine Verdreifachung der Betten.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe natürlich auch einige Worte zu Ihrem Antrag zu sagen. Ich finde es wirklich oberpeinlich, dass Sie einen Antrag mit bereits vorhandenen Maßnahmen vorlegen. Das sind keine neuen Maßnahmen. Ich möchte diese einmal durchgehen. Unter Punkt 1 fordern Sie, dass das Winternotprogramm weiterhin niedrigschwellig und in der gleichen Größenordnung bleibt. Das ist keine neue Maßnahme. Die Planungen sind anscheinend schon abgeschlossen, aber Sie kommen jetzt kurz vorher an und sprechen mit uns darüber, ob es noch niedrigschwellig sein soll oder die Größenordnung beibehalten wird.

Dann fragen Sie unter Punkt 3, ob die Beratung zur Abklärung von Ansprüchen aus der Krankenversicherung unter anderem Osteuropäerinnen und Osteuropäern weiterhin zur Verfügung gestellt werden soll. Das Projekt kennen wir auch. Es ist im Einzelplan 4 aufgelistet, das ist die Beratungsstelle PLATA, wo die Finanzierung erst einmal abgesichert ist; also auch das ist nichts Neues.

Unter Punkt 4 sagen Sie, es solle Sorge dafür getragen werden, dass erkrankte Obdachlose – und da frage ich mich wirklich, wer von den obdachlosen Menschen, die seit Langem auf der Straße leben, überhaupt gesund ist – die Möglichkeit haben, auch tagsüber im Winternotprogramm zu bleiben. Wer bestimmt überhaupt, wer krank ist und wer nicht? Auch das ist eine Forderung aus dem letzten Jahr, wo der Senat nach der Petition mit Hinz&Kunzt abgesprochen hatte, dass die erkrankten Obdachlosen bleiben können. Also auch das ist nichts Neues.

Unter Punkt 6 fordern Sie ein angemessenes Angebot für Frauen und Paare. Das gibt es auch schon, nur in einer sehr geringen Anzahl. Es stellt sich die Frage: Was ist denn für Sie ein angemessenes Angebot?

Dann sprechen Sie davon, dass der Senat der Bürgerschaft am 15. April 2017 darüber berichten soll. Das Winternotprogramm ist zu diesem Zeitpunkt schon beendet, da kann man also keine Maßnahmen mehr ergreifen. Wann sollen dann die Maßnahmen, die Sie jetzt auflisten, umgesetzt werden? Zum Thema Duschen sagen Sie unter fünftens, es gebe ausreichend Duschen. Es gibt 20 Duschen in den Tagesaufenthaltsstätten für 2 000 Obdachlose. Da stellt sich für mich auch die Frage, wann die Menschen überhaupt die Möglichkeit bekommen, alle einmal zu duschen. Sie wissen, dass das unmöglich ist.

Ich möchte Sie zum Schluss fragen: Wie lange möchten Sie dieser Verelendung noch tatenlos zuschauen? Wie lange möchten Sie noch, dass die Menschen auf der Straße immer kränker werden und zum Teil vor ihrem vierzigsten Lebensjahr sterben? Ich habe diesmal die Hoffnung, dass Sie nicht die gleiche Debatte wie immer führen werden, sprich die Senatorin und SPD und GRÜNE uns gleich erzählen werden, das Hamburger Winternotprogramm sei das beste in der ganzen Bundesrepublik,

(Zurufe von der SPD: Genau!)

sondern dass Sie eine ernsthafte Debatte über die Situation der Schwächsten in der Gesellschaft mit uns als Bürgerschaft führen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist mir ein Anliegen. Ich hoffe, dass wir das im Sozialausschuss machen können. Es bringt Ihnen nichts, diese Problematik weiterhin zu ignorieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Özdemir. – Frau Bekeris von der SPDFraktion, Sie haben nun das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Zu "oberpeinlich" sage

ich in diesem Zusammenhang jetzt einmal nichts, aber man kann schon fast die Uhr danach stellen: Ende Oktober stellt die CDU eine Schriftliche Kleine Anfrage und gibt eine Pressemitteilung heraus und von der LINKEN kommt ein Antrag. Ich will dazu aber auch sagen, dass es ein wichtiges Thema ist, über das wir wieder einmal sprechen.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte einige Dinge klarstellen und für die SPD und die rot-grüne Koalition einige wichtige Punkte darstellen. Das Winternotprogramm startet ab 1. November 2016, anders als in anderen Städten unabhängig davon, ob es Frost gibt oder nicht. So soll es auch bleiben. Zum Winternotprogramm und seiner Weiterentwicklung ist die Behörde über den Sommer immer wieder mit den Akteuren in Gesprächen gewesen, zum Beispiel mit Hinz&Kunzt. Nun finden die abschließenden Gespräche statt, dann wird es vorgestellt und dann startet es. Keine Sorge, liebe CDU, das Ganze wird pünktlich passieren. Von Planlosigkeit sehe ich hier nichts. Da sehe ich eher eine Fehlanzeige, da hätten Sie Ihre alte Pressemitteilung nicht einfach recyceln sollen.

(Beifall bei der SPD)

In Hamburg wird niemand im Winternotprogramm abgewiesen, wenn er oder sie Schutz vor Kälte sucht, nicht in 2014, nicht in 2015 und 2016 und das soll auch in diesem Winter nicht passieren. Das Winternotprogramm hat sich bewährt und auch wenn Sie es – ich weiß nicht, ob ich das richtig verstanden habe – langweilig finden, werden wir es auch in diesem Jahr vollumfänglich und niedrigschwellig aufrechterhalten, weil wir es richtig finden.

(Beifall bei der SPD)

Dabei muss man sagen, dass es ein Erfrierungsschutz ist und nicht der Bekämpfung allgemeiner Ursachen von Obdachlosigkeit dient. Notübernachtungsstellen und das Winternotprogramm sind und bleiben subsidiäre Maßnahmen. Das wichtigste Mittel zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit ist nämlich die Vermeidung von Wohnungsverlust. Das verhindern wir dadurch, dass die Fachstellen Räumungen abwenden und wir gute Regelungen zum Thema Mietschulden finden. Auch in 2015 haben es die Fachstellen geschafft, 1 468 Wohnungslose in Wohnraum zu vermitteln. Diese Zahl möchte ich nicht kleingeredet sehen.

(Beifall bei der SPD)

Das Winternotprogramm ist in den letzten Jahren stetig gewachsen und man muss auch darüber sprechen, warum das passiert ist. Das machen wir regelmäßig im Sozialausschuss. Wir machen immer eine Selbstbefassung zum Ende des Winternotprogramms, um Schlüsse daraus zu ziehen,

(Cansu Özdemir)