Protocol of the Session on April 13, 2016

Das "voreinander" haben Sie vielleicht vergessen oder es ist Ihnen später eingefallen. Die Polizei hat

schlicht und einfach das Versammlungsrecht gewährleistet, und das ist richtig so.

Sie haben dann über innere Angelegenheiten der Türkei gesprochen. Die inneren Angelegenheiten sind mindestens von europäischer Relevanz, und es ist gut und richtig, dass in ganz Europa die davon Betroffenen mehr oder weniger ihre Versammlungsfreiheit nutzen und auf die Straße gehen.

Der dritte Punkt. Das Türkei-Abkommen mit der EU hat schlicht und einfach eine ganz andere Themensetzung und mit den beiden Versammlungen am Sonntag überhaupt nichts zu tun. Auch dazu könnte man natürlich Versammlungen abhalten, zu den Fragen Sinn und Unsinn dieser Abkommenswirkung. Das bleibt aber sicherlich dann den nächsten Versammlungen, die von anderen Gruppen angemeldet werden, überlassen. Also das Thema ist insgesamt etwas undurchsichtig.

Auch ich würde das gern auf ein paar Kernpunkte reduzieren, die ähnlich schon von meinen beiden Vorrednern genannt worden sind. Man darf tatsächlich auch in unserer Republik zu internationalen Themen eine Versammlung anmelden und auf die Straße gehen. Das gehört zu den Grundrechten. Und unter denjenigen, die auf der Straße ihr Versammlungsrecht wahrnehmen, dürfen auch tatsächlich Menschen mit einem Migrationshintergrund sein.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der CDU und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Die Versammlungen sind friedlich abgelaufen. Das hat unter anderem auch an dem Polizeikonzept gelegen. Daher muss man schlicht und einfach zur Kenntnis nehmen: Wer immer Interesse daran hatte, sich die eine oder andere oder auch beide Seiten anzuhören und sich damit auseinanderzusetzen, hat gesehen, dass diese Versammlungen wichtig waren. Das dient auch uns allen zur weiteren Einschätzung der jeweiligen politischen Entwicklung in der Türkei.

Ein anderes Thema wäre natürlich, sich tatsächlich mit den Auswirkungen der EU-Vereinbarungen mit der Türkei zur Regulierung, so nenne ich es einmal, von Flüchtlingsfragen auseinanderzusetzen. Wir sehen, was dort alles noch an Maßnahmen fehlt. Wir sehen, dass das, was da verabredet wurde, nicht funktioniert, und es wird auch noch lange unser politisches Thema bleiben. Auch das ist immer wieder Thema europäischer Politik, und es würde, wenn es angemeldet wird, selbstverständlich ein Thema für eine Versammlung auch hier auf unseren Straßen sein können.

Am interessantesten fand ich Ihren Satz vom Denationalisieren von Versammlungen oder von demonstrierenden Menschen. Auch da noch einmal die Frage: War das jetzt Satire oder meinen Sie, dass sich dann aber doch tatsächlich alle denationalisieren sollten?

(Michael Westenberger)

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der CDU und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Frau Schneider von der Fraktion DIE LINKE hat das Wort.

(André Trepoll CDU: Frau Schneider ist schon denationalisiert!)

– Da haben Sie recht.

Meine Damen und Herren! Sie haben es an der Debatte gemerkt, man kann sich dem Thema auf vielfältige Weise annähern. Ich habe mindestens vier gezählt: Zum Beispiel wäre die eine Möglichkeit, sich mit der Behauptung auseinanderzusetzen, dass Frau Merkel schuld ist, dass am letzten Wochenende 1 300 Polizistinnen und Polizisten Dienst und wahrscheinlich auch Überstunden gemacht haben. Die zweite Möglichkeit wäre, sich mit dem EU-Türkei-Abkommen auseinanderzusetzen. Die dritte wäre, sich mit den Konflikten in der Türkei zu befassen. All das gibt der Titel her. Eine vierte Möglichkeit ist schließlich, einmal Ihre deutsch-national verengte, geschichtlich längst überholte und wahrscheinlich immer schon falsche Sicht auf Großstädte wie Hamburg auseinanderzunehmen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Das Letzte haben Sie sich verdient.

Sie umschreiben in Ihrem Titel das, was man in vielen Variationen brutal offen in zahllosen Leserkommentaren lesen kann, auch nach dem letzten Sonntag. Ich zitiere einen einzigen Kommentar auf der Webseite des NDR, stellvertretend für unglaublich viele – Zitat –:

"Ich finde, solche Demos haben in unserem Land nichts zu suchen und sollten verboten werden."

Hamburg gehört sicher nicht zu den großen Metropolen der Welt, aber Hamburg ist eine Großstadt, die als Welthafenstadt immer schon eng mit der Welt verflochten war und sich als Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt versteht. Als Stadt, als Großstadt, als Welthafenstadt ist Hamburg immer schon Einwandererstadt gewesen, und ohne Einwanderung gäbe es das moderne Hamburg nicht. Das gilt heute mehr denn je. Heute haben in Hamburg fast 30 Prozent aller Einwohnerinnen und Einwohner eine Migrationsgeschichte, und bei den Jugendlichen unter 18 Jahren sind es nahezu 48 Prozent. Ihre Familien kommen aus beinahe allen Ländern der Welt und die meisten, nämlich 16 Prozent, ursprünglich aus der Türkei. Türken, Kurden, Armenier, Aramäer, Assyrer, Altgriechen, Sunniten, Alewiten, Christen, Jesiden, mit und ohne deutschen Pass, alles Hambur

gerinnen und Hamburger, insgesamt knapp 100 000.

Natürlich entsteht nicht nur durch die Wirtschaftsbeziehungen, durch Handel, Verkehr, Medien, Wissenschaft, Kultur und Tourismus eine weltweite Vernetzung Hamburgs, sondern auch und nicht zuletzt durch Migration. Zusätzlich zu den weltweiten wirtschaftlichen Netzwerken, die Hamburg mit anderen Teilen der Welt verbinden, unterhalten viele Hamburgerinnen und Hamburger in ihrem Alltag stabile soziale, ökonomische und kulturelle Beziehungen zu Regionen und Orten außerhalb Hamburgs. Ohne diese vielfältige, weltweite Vernetzung hätte Hamburg als Tor zur Welt keine Zukunft.

Ja, Globalisierung und Migration verändern die Stadt so schnell und gründlich, dass manche, wie Sie bei der Rechten, nicht mitkommen und sich rückwärtsgewandt der Entwicklung entgegenstemmen. Die Stadt wird noch vielfältiger, als sie immer schon war, aber sie wird auch konfliktreicher. Eine in Weltwirtschaft und Weltgesellschaft eng eingebundene Stadt wie Hamburg kann Konflikte, die ihren Ursprung andernorts haben, nicht am Tor abweisen und damit hören diese Konflikte auf, innere Angelegenheiten anderer Staaten zu sein.

Ich habe mir die Kundgebung hinter dem Dammtor-Bahnhof am Sonntag angesehen. Ich stehe in tiefem politischen Widerspruch zu den politischen Gruppierungen, die sich da versammelt hatten. Nicht weil sie türkischer Herkunft sind im jugendlichen Alter – den meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmern nach zu urteilen, meist wohl in zweiter oder dritter Generation –, sondern weil es sich um Nationalisten handelt und, das machten die zahlreichen Sympathiebekundungen für die Grauen Wölfe deutlich, um Rechtsextremisten. Ich will gar nicht bestreiten, dass diese nationalistischen und extrem rechten Gruppierungen ihren Rückhalt in der Türkei haben, im antidemokratischen und Bürgerkriegskurs sowie in pantürkischen Großmachtfantasien Erdogans. Es ist klar, sie sind in einschlägige, grenzüberschreitende Netzwerke eingebunden, aber die für uns als Politikerinnen und Politiker vor allem wichtige Frage ist doch: Warum sind sie dafür anfällig? Warum lassen sich die jungen Leute, die ich da gesehen habe – viele offensichtlich Schülerinnen, Schüler, Studentinnen und Studenten, in Deutschland geboren und aufgewachsen –, einbinden in Strukturen, die von Feindbildern – Kurden, Armeniern, Juden, Israel, Amerika, Europa, dem Westen – leben? Die Antwort darauf findet sich überwiegend hier in unserer Gesellschaft. Auch wir als Politik müssen uns mit dieser Frage auseinandersetzen. Dafür allerdings sind Sie bei der Rechten ganz und gar ungeeignet, denn Nationalismus kann man nicht mit Nationalismus bekämpfen, sondern nur stärken. – Schönen Dank.

(Antje Möller)

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei der SPD und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Von der FDP-Fraktion bekommt Herr Jarchow das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist immer eine besondere Freude bei diesen AfD-Anmeldungen zur Aktuellen Stunde, dass ich als Letzter, nachdem eigentlich alles schon gesagt worden ist, auch noch einmal nach vorn treten darf.

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Das ist immer wieder gut!)

Vielen Dank.

Ich finde wirklich, dass wir uns in diesem Hause, alle Parteien außer der AfD, immer sehr viel Mühe geben mit diesen Anmeldungen, indem wir Ihnen wirklich den Gefallen tun, noch so absurde Verknüpfungen von Themen ordentlich aufzubereiten. Ich finde, das ehrt dieses Haus.

(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Es macht die Anmeldungen der AfD allerdings nicht besser, wie ich finde. Frau Schneider hat eben schon die meisten Varianten erwähnt, unter denen man sich diesem Thema nähern sollte. Das Entscheidende und eigentlich Wichtige ist doch – auch wenn mich die Rede von Herrn Nockemann zu dem Thema dann durchaus überrascht hat, weil sie mit der eigentlichen Überschrift relativ wenig zu tun hatte – das Verhältnis zur Versammlungsfreiheit, zur Demonstrationsfreiheit. Es scheint mir nach dem, was Herr Nockemann eben gesagt hat, dass man doch ein etwas gestörtes Verhältnis zu dieser Versammlungsfreiheit hat und am liebsten auch noch auf die Inhalte einer solchen Demonsstration, einer solchen Versammlung Einfluss nehmen würde. Das widerspricht aber doch sehr stark dem, was wir unter Versammlungsfreiheit verstehen und weiterhin aufrechterhalten wollen.

(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU, den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktions- los)

Um es einmal ganz sachlich zu sagen: Alle Demonstrationen waren angemeldet. Sie verliefen weitestgehend friedlich. Die Polizei hat diese geschützt und dafür gesorgt, dass die Versammlungsfreiheit ausgetragen werden konnte. Alle Gruppen haben ihre Meinung gesagt, und egal, mit welcher Seite jeder Einzelne von uns sympathisiert, gehören diese Kundgebungen zur Meinungsbildung in der Bevölkerung, und so soll es auch bleiben.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Es gab schon ein paar Zitate; ich habe auch noch ein kleines von dem Kollegen Baumann. Vor einigen Monaten hat er in diesem Hause gesagt, der politische Wille müsse es sein, die Bürger zu schützen und nicht vor Tausend unangemeldeten Demonstranten zu kapitulieren. Das war Ihr Satz damals. Dazu stehen Sie heute sicherlich noch. Insofern hat es geklappt. 1 300 Polizisten haben gute Arbeit geleistet und im Rahmen ihres rechtsstaatlichen Auftrags die friedlichen Demonstrationen geschützt. Wir als Freie Demokraten sind davon überzeugt, dass es sich nicht lohnt, die Freiheit aufzugeben, um die Sicherheit zu gewinnen.

(Beifall bei der FDP, der SPD, den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Ginge man so weit, würde die Gesellschaft am Ende beides verlieren. Das ist unsere Grundüberzeugung, nach der werden wir handeln. Auch von der AfD sollten wir verlangen, die Freiheiten des Grundgesetzes nicht nur jeden Tag vor sich her zu tragen, sondern sie im Zweifelsfalle auch zu verteidigen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN)

Das Wort bekommt der fraktionslose Abgeordnete Dr. Flocken.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete! Manchmal wirken Auseinandersetzungen zwischen ausländischen Gruppen auch auf die deutsche Politik. Vor eineinhalb Jahren trafen in St. Georg 300 Kurden auf 300 Salafisten – mit Fäusten, Knüppeln, Messern und Macheten. Die Polizei, zunächst völlig überrascht, ging unter Einsatz des eigenen Lebens dazwischen. Einige Wochen später traten unter dem Eindruck dieser Ereignisse 300 Europäer in Dresden mit der Losung "Gewaltfrei und vereint gegen Glaubens- und Stellvertreterkriege auf deutschem Boden" an. In Hamburg gezeugt, in Dresden geboren, so erblickte Pegida das Licht der Welt. Trotz unflätigen Beschimpfungen des politisch-medialen Komplexes wurden aus 300 später 30 000.

(Phyliss Demirel GRÜNE: Thema!)

Pack wurden wir genannt, Nazis natürlich, mit den Killern von Paris auf eine Stufe gestellt. Teile der AfD konnten auch auf Nachfrage einen Unterschied zwischen Pegida und IS nicht erkennen.

Am Sonntag war es wieder so weit in Hamburg, und ich wusste, manche können sich, auch ohne die Sache in Augenschein zu nehmen, eine Meinung von einer Demo bilden. DIE LINKE kann das nicht, ich auch nicht. Ich war da und war zunächst einmal erleichtert, dass nur ein kleines Häufchen türkischer Nationalisten dort war. Beeindruckt hat mich – jetzt wirklich ganz ohne Ironie, Frau Schnei

(Christiane Schneider)

der – DIE LINKE, und zwar nicht nur Herr Dolzer, der von Norden angriff, sondern auch, wie Sie selbst gesagt haben, Sie, Frau Schneider, die den Feind auf dem Dag-Hammarskjöld-Platz gut beobachtete. Das bewundere ich bei Ihnen. Ich gehe allerdings noch ein bisschen weiter und rede auch einmal mit den Leuten.

(Zurufe von Sabine Boeddinghaus und Chris- stiane Schneider, beide DIE LINKE)

Bitte? Ja, aber ich musste immer von einer Seite auf die andere wechseln, deshalb habe ich vielleicht nicht so viel gesehen wie Sie.

Ich habe mir Folgendes sagen lassen: Atatürk habe zwar das Kalifat eingemottet und den Einfluss des Mohammedanismus und seiner Kampfsymbole auf das öffentliche Leben zurückgedrängt, trotzdem sei er aber ein Vorkämpfer des Mohammedanismus gewesen. Wir Deutsche bräuchten keine Angst zu haben, dass ein türkischer Bürgerkrieg zu uns herüberschwappt, weil es in der Türkei nur Terrorismus gebe und Polizeiaktionen. Regelmäßig sind Dutzenden Tote dabei. Das sei kein Bürgerkrieg – wie beruhigend –, nur Terrorismus, der zu verurteilen sei, und Polizeiaktionen, die natürlich notwendig seien. Jeglicher Terrorismus, wurde mir gesagt, sei zu verurteilen. Ob dazu auch der Islamische Staat zählt, blieb vage. Ich habe auch den Grund gehört, warum das Buch "Mein Kampf" in der Türkei ein Bestseller ist. Frau Özdemir, wissen Sie, warum das so ist? Die Kurden kauften das, habe ich gehört. Gut, man muss das alles nicht glauben. Ich kann es auch nicht ganz glauben, aber wir kennen das ja von Faschisten: Was nicht passt, wird passend gemacht.