Erster Vizepräsident Dietrich Wersich (unterbre- chend): Dem Wort von Frau Schneider kann ich mich nur anschließen. – Also bitte, Frau Schneider.
Christiane Schneider DIE LINKE (fortfahrend*): Dem Münchener Komiker Karl Valentin wird der Spruch zugeschrieben:
Da das Denken erst durch Sprechen und Schreiben wirkmächtig wird, kann man sagen, dass Meinungsvielfalt und Meinungsstreit für die Entwicklung von Gesellschaft eine große Rolle zukommt. Artikel 5 Grundgesetz macht deutlich, dass Meinungsfreiheit Schranken unterliegt. Meinungsfreiheit endet da, wo Gefahr beginnt, etwa, wo Mei
nungsäußerungen Persönlichkeitsrechte anderer bedrohen oder das friedliche Zusammenleben gefährden. Und dass das Leugnen des Holocaust unter Strafe steht, halten jedenfalls wir für notwendig und nicht für eine Verengung von Meinungskorridoren.
Jetzt hören Sie zu, meine Damen und Herren von der FDP. Jenseits der Strafbarkeit heißt Meinungsfreiheit nicht Widerspruchsfreiheit.
Ich habe den Eindruck, dass es das ist, was Sie umtreibt, der Widerspruch, den man gegebenenfalls erntet. Wenn zum Beispiel Herr Lindner öffentlich Sorgen zum Besten gibt, die ihm in der Schlange beim Bäcker überkamen, nämlich Sorgen über den Zusammenhang von Deutschkenntnissen und Rechtschaffenheit von den Menschen vor und hinter ihm, dann erntet er selbstverständlich Widerspruch.
Das nennt man Meinungskampf, eine unvermeidliche Folge von Meinungsvielfalt, die mit Verengung von Meinungskorridoren und Diskursräumen nichts zu tun hat. Wer als Reaktion auf eigene Meinungsäußerungen nur Zustimmung oder Schweigen akzeptiert, hat das mit der Meinungsfreiheit nicht verstanden.
Sie beklagten, dass 63 Prozent der Befragten einer Umfrage äußern, man könne seine Meinung nicht mehr ohne Bedenken aussprechen. Für Meinungsfreiheit zu streiten bedeutet allerdings immer, auch zu reflektieren, ob durch die eigene Meinungsäußerung andere Personen zum Verstummen gebracht werden. Rassistische Zuschreibungen, antisemitische Beleidigungen, antimuslimische Vorurteile, sexistische Äußerungen machen es für die davon Betroffenen sehr, sehr schwer, oft unmöglich, sich am Diskurs zu beteiligen. Was Sie hier implizit beklagen, ist, dass viele von öffentlich geäußerter Abwertung betroffene Menschen sich das nicht mehr gefallen lassen und dass sie oft Unterstützung erhalten, aber natürlich nicht nur aus linken und linksliberalen Kreisen.
Wenn Sie also beklagen, dass Menschen ihre Meinungen nicht mehr ohne Bedenken sagen können, dann antworten wir Ihnen, dass alle, die sich an öffentlichen Diskursen beteiligen, selbstverständlich ihre Meinungsäußerung bedenken müssen, also nicht alles bedenkenlos herausposaunen können, was ihnen gerade so in den Kopf kommt.
(Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD – Zuruf von Dr. Alex- ander Wolf AfD)
Genau darum geht im Wesentlichen der Streit. Wenn Sie von der FDP eine Krise der Meinungsfreiheit konstruieren und gar zu einer Krise der Demokratie hochreden, dann zeigt das, dass Sie im besten Fall nicht nachgedacht haben. So schwach und unzutreffend Ihre Analyse der Situation der Meinungsfreiheit ist, so hochtrabend ist das Projekt eines Konvents, das Sie darauf gründen. Wir werden den Antrag der FDP deshalb ablehnen. – Schönen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der FDP geht es in diesem Antrag um ein deutliches Zeichen für Meinungsfreiheit. Das ist auch gut so. Wenn wir das in der Vergangenheit eingefordert haben, dann sahen Sie uns wie üblich bestenfalls in der Opferrolle, schlimmstenfalls hatten wir sowieso Unrecht. Deswegen bin ich der FDP sehr dankbar dafür, dass Sie diesen Antrag gestellt hat, beweist das doch, wie berechtigt unsere bereits geäußerte Besorgnis ist.
Auch ist es doch so, dass die Grenzen des Sagbaren sehr eng und sehr begrenzt sind. Sehr geehrte Frau von Treuenfels, sosehr ich Ihren Antrag unterstütze, muss ich sagen, wenn Sie hier ausführen – das geht auch aus Ihrem Antrag hervor –, es sei unselig, wenn die Grenzen des Sagbaren verrückt oder verschoben werden: Nein, das ist es eben nicht. Denn wenn die Grenzen zu stark vorhanden sind, dann ist es eigentlich nur folgerichtig, dass sie auch verschoben werden können. Das hat auch nichts in irgendeiner Form mit Hass und mit Hetze zu tun.
Darauf kann ich sofort antworten. Was sind denn die Grenzen des Sagbaren, Herr Kollege? Wer bestimmt die Grenzen des Sagbaren? Sie? Oder bestimmt die Grenzen des Sagbaren die linke Seite?
Es ist noch schlimmer. Die Gerichte definieren die Grenzen des Sagbaren anhand der Strafgesetze und anhand der Verfassung. Wenn ich mich innerhalb der Grenzen der Verfassung und der Gesetze bewege, dann möchte ich von niemandem darüber belehrt werden, was ich zu tun oder zu lassen oder zu sagen oder nicht zu sagen habe. Das sind für mich die Grenzen des Sagbaren. Sie ergeben sich allein aus den Strafgesetzen und aus der Verfas
sung. Alles andere wäre ein unzulässiger Eingriff in die Meinungsfreiheit, alles andere sehe ich als Meinungs- und als Tugendterror derjenigen an, die sich für die besseren Menschen halten. Klar ist, dass Aufrufe zu Hass und Gewalt verboten sind. Sie sind ganz klar rechtswidrig. Beleidigungen, Herabwürdigungen sind rechtswidrig und deswegen auch unzulässig. Aber grundsätzlich liegt eine Verschiebung der Grenzen des Sagbaren in der Natur menschlicher, gesellschaftlicher und gesellschaftspolitischer Auseinandersetzung, in der Dynamik dieser gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung. Der Meinungskorridor wird eben nicht nur von ganz links begrenzt, sondern eigentlich bereits schon aus der Mitte der Gesellschaft heraus, insbesondere, wenn man sieht, wie da eine Form der Political Correctness gefordert wird, die sich wie Mehltau über alle lebendigen Diskussionen legt.
Das, was die Menschen vor 30 Jahren noch aussprechen durften, ohne schief angesehen zu werden, ist heute leider unsagbar geworden. Wenn wir von der AfD diese Entwicklung korrigieren, dann heißt es, wir würden zu Hass und Hetze aufrufen. Weit gefehlt. Wir äußern uns kritisch zu bestimmten Tatbestanden. Das werden wir auch in Zukunft tun, das Recht lassen wir uns nicht nehmen und nicht einschränken. Die Political Correctness ist dafür verantwortlich, dass sich die Menschen in Deutschland nicht mehr trauen, offen die Themen anzusprechen, die ihnen unter den Nägeln brennen.
Verantwortlich für diese politische Korrektheit, die kaum mit Artikel 5 unserer Verfassung zu vereinbaren ist, sind die Parteien, die in den letzten 30 Jahren in Deutschland dominierend waren, und auch diejenigen Kulturschaffenden und Medien, die an diesem Meinungsdiktat fleißig mitgearbeitet haben. Wenn sich die Bevölkerung, also der oberste Souverän, nicht mehr traut, ihre Meinung zu sagen, dann ist das eine gewaltige Krise des demokratischen Systems.
Die politische Korrektheit gehört tutto completto abgeschafft. Ganz schlimm wird das, wenn beispielsweise der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz sagt, schlimm sei insbesondere das, was die AfD nicht sage, denn man wisse doch, warum sie es nicht sagt. Also da wird nicht nur die Meinungsfreiheit begrenzt, da wird auch schon die Gedankenfreiheit in irgendeiner Form begrenzt,
und am allerschlimmsten ist es, wenn wir den linken Meinungsterror an den Universitäten sehen, wie beispielsweise Professor Lucke daran gehindert wurde, seine Meinung zu sagen. Hier ist der
Staat verpflichtet, dafür zu sorgen, dass jemand sein Recht auf Meinungsfreiheit auch tatsächlich ausüben kann. – Vielen Dank.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Das Bundesverfassungsgericht führt in seinen Entscheidungen zur Meinungsfreiheit regelmäßig aus, es sei unerheblich, ob eine Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch – jeweils in Anführungsstrichen –, emotional oder rational begründet ist. Handelt es sich im Einzelfall um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede. Auch scharfe und übersteigerte Äußerungen fallen namentlich im öffentlichen Meinungskampf grundsätzlich in den Schutzbereich des Artikel 5 Satz 1 Grundgesetz. Damit wäre alles gesagt für ein Leben im Grundgesetzhimmel, nicht jedoch fürs Leben auf der Erde.
In manchem Menschenexemplar, besonders der Subspezies Homo Politicus, lebt als kulturelles oder evolutionäres Erbe ein kaum stillbarer Drang, anderen aufzuzwingen, was sie zu sagen haben, und vor allen Dingen was nicht. Will er damit seine Stellung in der Hackordnung herausstreichen oder schlicht das Wohlbehagen im Bauch genießen, das sich einstellt, wenn stark vom Zeitendogma abweichende Rede stillschweigt? Einerlei. Deshalb gibt es nie und nirgends absolute Meinungsfreiheit. Unterschiedlich sind die Lage und die Breite des akzeptierten Meinungskorridors sowie die Art und Schwere der Sanktionen gegen Tabubrüche.
Der Meinungskorridor hat sich in den letzten 20 Jahren dramatisch eingeengt. Die AfD sagt seit sechs Jahren in den Parlamenten wieder Dinge, die außerhalb dieses Korridors liegen: Ursache und Folge, das hätten Sie genauer herausarbeiten können.
1938 hatte jeder Hamburger die Freiheit, sich an den Jungfernstieg zu stellen mit einem Plakat: Hitler muss weg. Widerspruch in schmerzhafter, sehr schmerzhafter Form wäre gefolgt, einerlei, wie das Verhältnis von Partei, Staat und SA war. Darum hat es keiner gemacht, also keine Meinungsfreiheit. Wer 1998 verkündet hätte, Kohl müsse weg, dem wäre wohl nichts passiert. Wer 2018 sagt, Merkel müsse weg, der erfährt Drohung und Gewalt von regierungsfinanzierten Schlägertrupps, sinnfreie Stigmatisierung als Nazi,
Herr Dr. Flocken, wenn diese Klingel hier mit dem Geräusch ertönt, dann müssen Sie einfach einen Moment innehalten. Ich bitte Sie, in Ihrer Rede auf den parlamentarischen Sprachgebrauch zurückzukommen.
Also Ausschluss aus Karnevalsvereinen und Restaurants und zurück zur Hamburger MMW-Demo, Flugblätter nach dem Motto, kauf nicht beim Merkel-Gegner, also besser als 1938, schlechter als 1998. Nach offiziell herrschender Meinung, dargestellt heute vor allen Dingen von Frau Schneider, gibt es ein Recht auf Meinungsfreiheit, jedoch kein Recht auf Widerspruchsfreiheit. Ein klassisches Strohpuppenargument, denn nie hat ein Oppositionspolitiker gefordert, man dürfe ihm nicht widersprechen. Die Aktionen der Troika aus Zivilgesellschaft, regierungstreuen Medien und Gewalttätern sind nicht Widerspruch, sondern Unterdrückung. Wird die Sanktion so hart, dass sie den Normalo von einer Meinungsäußerung abschreckt, dann gibt es keine Meinungsfreiheit.
Das bestätigt die Allensbach-Umfrage, auch die Resolution des Deutschen Hochschulverbands vom April 2019, ein Staatsversagen, denn Meinungsfreiheit ist eben keine Privatsache, nicht nur für Mutige oder für die, die durch Abgeordnetenstatus einen gewissen Schutz erhalten, oder für die, die sich in einem Winkel des Netzes verstecken. Zwar ist ideengeschichtlich die Meinungsfreiheit – da haben Sie recht, Frau Schneider – zunächst ein Abwehrrecht des Individuums gegen den Staat. Seit 60 Jahren bezeichnet das Bundesverfassungsgericht es aber regelmäßig als eine originäre Aufgabe des Staates, den realen, praktischen Schutz dieses Grundrechts zu gewährleisten. Der wichtigste und einfachste Schritt dahin wäre es, die Steuerzahlergelder zu streichen, die der Bund zusätzlich zu den Ländern jährlich für den Kampf linker Verfassungsfeinde gegen die Meinungsfreiheit ausgibt, eine neunstellige Summe. Erst danach kann über einen Arbeitskreis nachgedacht werden, der nicht der Devise folgen darf, so lese ich es aus der Darstellung der FDP heraus, Freiheit ist immer die Freiheit der Gleichdenkenden. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.