Da bleibt leider wenig Platz für eine differenzierte Betrachtungsweise und schon gar keiner für kritische Fragen. So war die Debatte, die wir bisher gehört haben, seitens der Koalition angelegt.
Lassen Sie mich, um Missverständnisse zu vermeiden, dennoch einiges klarstellen. Ich frage mich: War es richtig, das rechtlich schärfste Schwert, nämlich bundesweite Durchsuchungen, Verhaftungen und ein Verbot gegen den Verein „Die wahre Religion“ und die „Lies!“-Stiftung einzusetzen? – Bei allen schwierigen Abwägungen und nach allem, was wir wissen und wissen können, sage ich: Ja, es war richtig.
Weder Vereinsrecht noch Religionsfreiheit dürfen als Deckmantel für die Rekrutierung und Finanzierung dessen dienen, was unter dem sogenannten Islamischen Staat geschieht. – Jetzt sollten Sie ruhig auch einmal klatschen.
Sollte sich also bestätigen, dass der Verein „Die wahre Religion“ und die „Lies!“-Stiftung um Geld und Kämpfer für den IS geworben oder dessen Ideologie verbreitet haben, dann ist das Verbot gerechtfertigt. So erwarte ich es in Zukunft aber auch bei allen anderen zu Krieg oder Terror anstiftenden und beitragenden Vereinigungen.
Ich frage mich ferner: Hat man das rechtlich schärfste Schwert viel zu spät gezogen und Hasspredigern und Terrorhelfern viel zu lange zugeschaut? – Ich denke, nein.
Nach allem, was wir wissen und wissen können, geht man mit Verboten, Durchsuchungen und Verhaftungen seit Jahren massiv gegen die islamistische Szene vor. Die intensiven Vorbereitungen der jetzigen Verbote und Durchsuchungen bedeuten auch, dass hier monatelang Personen und Strukturen in aller Tiefe beobachtet wurden. Und dies wiederum bedeutet immerhin, dass in die Grundrechte der Betroffenen sehr weitgehend eingegriffen wurde. Genau
deshalb warne ich aber vor einem falschen und gefährlichen Überbietungswettbewerb, bei dem so getan wird, als sei der Staat hier blind, inaktiv und wehrlos gegen Islamisten.
Im Gegenteil: Die bestehenden Sicherheitsgesetze sind ausreichend, und mit derart massiven Kontrollen, Befugnissen und Mitteln versehen, können sie auch ihren Zweck erfüllen. Tun wir also nicht so, als müssten die Gesetze noch weiter verschärft werden. Denn das schafft neue Probleme.
Der Staat kann ein Zeichen setzen und sagen: Bis hierhin und nicht weiter. – Der Staat kann deutlich machen, dass er nicht zuschaut und nicht hilflos ist. Der Staat kann Stärke zeigen und versuchen, Dschihadisten zu identifizieren und zu isolieren und damit IS-Strukturen bei uns frühzeitig zu schwächen.
Aber wir werden mit immer härteren Gesetzen und Gangarten den Konflikt nicht lösen, und wir erreichen vor allem damit diejenigen nicht, die wir so dringend brauchen, nämlich die über 99 % friedlich mit uns lebenden Muslime, die mit IS und Terror nicht das Geringste zu tun haben.
Sie gilt es zu gewinnen und nicht unter Generalverdacht zu stellen. Sie gilt es nicht auszugrenzen und in die Arme anderer zu treiben.
Genau das kann aber passieren, wenn sich die durchsetzen, die den Islam pauschal angreifen und mit allgemeinen Feindbildern Erklärungen suchen. Es wäre der innenpolitische Worst Case, wenn sich immer mehr die Scharfmacher und Hassprediger egal welcher Seite in dieser Debatte durchsetzten.
Deshalb ist es auch in dieser Debatte wichtig, den Scharfmachern von rechts entgegenzutreten, die genau solche Debatten für sich nutzen wollen. Dazu zähle ich auch den CDU-Bundestagsabgeordneten Willsch und seine Gedankenspiele zur Zusammenarbeit mit der AfD.
(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD – Holger Bellino (CDU): Was hat das mit dem Thema zu tun?)
Meine Damen und Herren, so schwierig es sein mag: Wir brauchen gerade in solchen Debatten Augenmaß, Ruhe und Gelassenheit angesichts der aufgeheizten Situation. Ich möchte deshalb auch jetzt die Bedeutung von Vereinsrecht und vor allem von Religionsfreiheit, die ja zu den höchsten Verfassungsrechten überhaupt gehört, hervorheben. Hüten wir uns davor, die Religionsfreiheit zu relativieren, egal bei welcher Religion.
Niemandem ist es verboten, zu glauben, seinen Glauben zu leben und sich in Vereinen zu versammeln. Der Staat hat niemandem in den Kopf zu schauen, geschweige denn, Überzeugungen zu bestrafen. Diese Freiheits- und Bürgerrechte müssen auch dann gelten, wenn es schwierig wird, wenn Menschen völlig andere, für mich vielleicht sogar irrwitzige, Vorstellungen haben.
Doch ich sage auch: Diese Freiheit endet dort, wo sie mit anderen Verfassungsgrundsätzen in Konflikt steht. Der IS
und Menschen, die für ihn werben und kämpfen, haben nicht einfach nur eine andere Meinung oder Religion. Sie versuchen nicht, Kritik am Westen oder anderen Staaten vorzutragen, sondern sie begehen schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Sie töten unterschiedslos jeden, der ihren unmittelbaren Zielen im Wege steht – übrigens zu über 90 % Muslime. Die Hauptopfer sind die Menschen in Syrien, im Irak, in Pakistan oder Afghanistan. Die Hauptopfer des Terrors in Europa sind ganz normale, vollkommen unschuldige Menschen, und das zu unterstützen, ist eine schwere Straftat und hat nichts mit dem Islam als Religion zu tun.
Obwohl es neben der gemeinsamen Einschätzung zu den Grenzen der Religionsfreiheit und des Vereinsrechts auch noch andere zustimmungsfähige Punkte im schwarz-grünen Antrag gibt, wird sich DIE LINKE zu dem Antrag enthalten, und zwar aus folgendem Grund:
Sie weisen auf die Bedeutung der Prävention hin, und richtig: Repressiv wird sich das alles nicht lösen lassen, wie ich schon ausgeführt habe. Aber was macht die Landesregierung denn präventiv?
Frau Faeser hat darauf hingewiesen, was das Thema Vernetzung der verschiedenen Organisationen angeht, die tätig sind. Wir erleben ständig, dass Sie sich auf ein und dasselbe Programm berufen und sich als Vorreiter feiern. Andere Länder, z. B. Hamburg, waren da früher, und das sogenannte Violence Prevention Network ist mit seiner Aufgabe völlig überfordert. Ja, die sind gut, und die sind wichtig. Sie sollen aber mit ihren wenigen Mitarbeitern eine Einzelfallbetreuung und strukturelle Prävention bei möglichen Hunderten infrage kommenden IS-Sympathisanten durchführen.
Ich frage mich: Wie erreichen wir denn alle jungen Muslime in Deutschland? Wie schaffen wir es denn, die einzubinden? Wie können wir endlich dafür sorgen, dass auch sie gleiche Ausbildungschancen, gleiche Berufsaussichten und gleiche Chancen auf eine Wohnung haben? – Diese Fragen gehören dazu, meine Damen und Herren.
Um nachhaltig gegen Krieg und Terror vorzugehen, müssen wir uns deshalb auch mit weiter gehenden Fragen beschäftigen: Warum haben wir denn diesen Terror? Woher kommen die Flüchtlinge? Warum der Krieg im gesamten Orient? Was hat der Westen, unter Führung der USA, da mit angerichtet?
Warum liefern wir immer mehr Waffen für diesen Wahnsinn? Die deutschen Waffenexporte genau in diese Kriegsgebiete sind gestiegen.
Meine Damen und Herren, ich gebe zu, dass ich in dieser Debatte mehr Fragen als Antworten habe. Ich fürchte mich aber besonders vor denen, die hierzu keine Fragen, aber schnelle Antworten parat haben. Ich hoffe, es setzt sich auch bei uns die Erkenntnis durch, dass innenpolitische Ordnung ohne sozialen Frieden und Frieden nach außen dauerhaft nicht zu haben sein wird.
Vielen Dank. – Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße auf der Tribüne Herrn Weihbischof Dr. Udo Markus Bentz. Er hat heute Morgen die Morgenandacht hier im Landtag gehalten. Herzlich willkommen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich wollte eigentlich auf das eingehen, was Frau Kollegin Faeser gesagt hat. Man kann in verschiedenen Fragen, auch was die Prävention betrifft, unterschiedlicher Auffassung sein. Man kann auch unterschiedliche Aspekte werten. Aber ich glaube, Frau Kollegin Faeser, in der Debatte – Herrn Schaus einmal außen vor genommen – wäre es wichtig, dass wir das Verbindende betonen statt das Trennende. Das wäre mir wichtig gewesen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zurufe der Abg. Nancy Faeser und Nor- bert Schmitt (SPD))
Mir wäre wichtig gewesen, mit Vorschlägen zu kommen, die wirklich nachzuvollziehen sind. Als wir mit diesen Präventionsprojekten angefangen haben, gab es das in keinem anderen Bundesland der Bundesrepublik Deutschland. Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen, Frau Kollegin Faeser.
Wir haben mittlerweile die Mittel im Bereich Prävention versechsfacht. Wir hatten hier eine Anhörung, bei der Sie anwesend waren. Auf die Frage, was man denn noch mehr machen kann, haben Anzuhörende in einer Anhörung des Hessischen Landtags gesagt: Geld ist nicht das Problem. – Das haben Anzuhörende gesagt. Das habe ich vorher noch nie gehört. Sie haben gesagt, nicht Geld ist das Problem, sondern wir müssen jetzt erst einmal unsere Arbeit verstetigen. – Das tun wir. Wenn mehr Geld gefordert wird, werden wir dieses Geld auch zur Verfügung stellen;