Protocol of the Session on December 14, 2016

Die Verbotsverfügung zeigt deutlich, dass die wehrhafte Demokratie gegen diejenigen vorgeht, die unsere freie und offene Gesellschaft abschaffen wollen. Ich glaube, es ist ein deutliches Zeichen, dass wir eine wehrhafte Demokratie sind und dass wir das in unserem Land nicht zulassen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank. – Als Nächste spricht Kollegin Faeser, SPDFraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Mir ist es wichtig, zu Beginn der Debatte zu differenzieren und etwas Wichtiges voranzustellen. In Deutschland leben ca. 4 Millionen Muslime. Sie sind Anwältinnen, Bäcker, Lehrerinnen, Selbstständige, Einzelhändler, Arbeitslose, Beamtinnen, Schülerinnen und Studenten. Sie engagieren sich ehrenamtlich oder nicht, sie sind religiös oder nicht, sie gründen Familien oder haben andere Vorstellungen für sich. Kurz gesagt: Muslime finden sich in Deutschland mittlerweile in allen Gesellschaftsschichten. Sie sind vor allem eines: ziemlich normal. Außerdem leisten sie einen wichtigen Beitrag für unser Wohlergehen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab- geordneten der CDU)

Sprechen wir hingegen – das ist das Ziel des heutigen Setzpunktes von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – vom Salafismus, dann sprechen wir eben nicht von jenen 4 Millionen Muslimen. Wir sprechen von einer sehr kleinen Minderheit von wenigen Tausend Salafisten. Prozentual zur Gesamtheit der Muslime steht eindeutig eine Null vor dem Komma. Es ist wichtig, das zu Beginn der Debatte auch einmal deutlich zu sagen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab- geordneten der CDU)

Der Salafismus gilt sowohl in Deutschland als auch auf der internationalen Ebene als die zurzeit dynamischste islamistische Bewegung. Der Zuspruch an Sympathisanten steigt in Deutschland kontinuierlich, im Moment liegt er bei 8.000 Personen deutschlandweit – diese Zahl ist aus dem Verfassungsschutzbericht des Bundes. In Hessen sind es ca. 1.650 Anhänger.

Dabei spricht er – das haben die Kollegen schon gesagt – insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene an. Er liefert einfache Antworten auf schwierige Fragen, gibt eindeutige Handlungsanweisungen für uneindeutige Situationen. Er gibt Halt, wo sich viele haltlos fühlen.

Salafismus ist der eigentlich unpolitische Versuch, die islamische Lebensweise durch Rückbesinnung auf die muslimischen Gründerväter von falschen Einflüssen zu reinigen. Andererseits ist eine Strömung des Salafismus der Nährboden des islamistischen Terrorismus. Auch hier ist es sinnvoll, zu unterscheiden, über welche Art man redet. Heute reden wir über die Strömung des Salafismus, die radikalisiert und den Nährboden für islamistischen Terrorismus legt.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Ismail Tipi (CDU) – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD): Sie sind ja der Experte!)

Herr Tipi, dass ausgerechnet Sie sich jetzt einmischen, finde ich spannend. Gerade Sie gehören zu denjenigen, die nicht differenzieren. Das ist in der Debatte schwierig. Mir ist Ihre Bemerkung noch in Erinnerung, dass Islamisten einen Bogen um Hessen machen. – Meine Damen und Herren, das ist mehr als falsch.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Am 15.11. dieses Jahres hat der Bundesinnenminister die Vereinigung „Die wahre Religion“, bekannt als „Lies!“Stiftung, verboten und aufgelöst. In den frühen Morgenstunden wurden über 190 Durchsuchungen und Beschlagnahmungsmaßnahmen in zehn Bundesländern, darunter auch Hessen, vollzogen. Das Verbot erfolgt nach dem Vereinsgesetz, auch das ist schon gesagt worden, weil DWR, wie man „Die wahre Religion“ kurz nennt, sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet.

DWR nahm regelmäßig Koranverteilaktionen in Fußgängerzogen vor. Wir wissen leider schon länger durch die Arbeit des Verfassungsschutzes, dass bei den Verteilaktionen Jugendliche angeworben wurden, um sie zu radikalisieren und sie zum Kampf nach Syrien oder in den Irak zu schicken, um sich dort terroristischen Gruppierungen anzuschließen.

Insoweit begrüßen wir als Sozialdemokraten, dass DWR nun endlich verboten wurde. Es wurde von 140 solcher Fälle berichtet, die in den Krieg gezogen sind. Jeder davon ist einer zu viel. Auch wir danken den Sicherheitsbehörden für die Arbeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will das aufgreifen, was die Kolleginnen und Kollegen gesagt haben. Herr Frömmrich hat dabei sehr stark differenziert. Die Religionsfreiheit ist ein hohes Gut in unserer demokratischen Grundordnung. Das ist auch gut so, das ist historisch begründet und ein wesentlicher Pfeiler unserer demokratischen Grundordnung. Dennoch muss man sagen, dass es schwierig ist, wenn wir seit 2011 aus den Verfassungsschutzberichten wissen, dass bei diesen Verteilaktionen Anwerbeversuche und Radikalisierungsversuche unternommen wurden, und es bis heute gedauert hat, das Verbot durchzusetzen.

Herr Greilich, natürlich ist bei einem solch hohen Gut Sorgfalt angemessen, wenn das Vereinsverbot ausgesprochen wird. Es sind aber schon einige Jahre ins Land gegangen.

Eines muss dann auch differenziert werden: Was hat Hessen schon so Besonderes dazu geleistet? Wir, die Mitglieder des Innenausschusses, haben nicht ständig berichtet bekommen, dass der hessische Innenminister diesbezüglich extrem unterwegs war und sich dabei besonders hervorgetan hat.

(Günter Rudolph (SPD): Eher weniger bis gar nicht! – Gegenruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich will ein Bundesland nennen, das vorbildlich war. Lieber Herr Kollege Frömmrich, dem Land Hamburg ist es gelungen, den Verteilern des Korans vorher schon eine Nähe zur dschihadistischen Szene nachzuweisen. Sie haben schon seit Mai verboten, diese Koranverteilung vorzunehmen, und das gerichtlich durchgesetzt. Das ist vorbildliches Verhalten an diesem Punkt.

(Beifall bei der SPD)

Da muss man nicht über das Ziel hinausschießen. Die Sache an sich ist völlig klar. Da haben wir überhaupt keinen Dissens. Es ist richtig, dass die Koranverteilaktion verboten wurde. Aber man muss, glaube ich, in so einer Debatte auch einmal darauf hinweisen können, dass der Staat auch

handlungsfähig ist, und hinterfragen, warum es so lange dauert und warum Hessen da einen besonderen Beitrag geleistet hat, der sich uns so nicht erschließt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Die Bundesregierung hat bisher im Wesentlichen mit repressiven Mitteln reagiert. So wurde die Möglichkeit geschaffen, jedem den Personalausweis zu entziehen, der als Dschihadist nach Syrien oder in den Irak reisen würde.

(Zuruf des Abg. Ismail Tipi (CDU))

Auch das Strafrecht wurde verschärft. Allein die Absicht einer solchen Reise ist mittlerweile strafbar. Ich glaube aber – da sind wir uns zum Glück über die Parteigrenzen hinweg alle einig –, dass die repressiven Maßnahmen alleine nicht ausreichen. Sie sind notwendig und richtig. Aber wir brauchen ein umfassendes Präventionsprogramm.

Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dass wir ein umfangreiches Präventionsangebot haben, und wir brauchen einen Aktionsplan, der alles miteinander vereinigt. Wir hätten uns nach der Anhörung, die im Hessischen Landtag wirklich gut war, gewünscht, dass wir gemeinsam auch einen großen Aktionsplan auf den Weg bringen. Das ist leider gescheitert, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Die Kolleginnen und Kollegen haben es angesprochen: Diejenigen, die da unterwegs sind, werden nicht lockerlassen. Sie werden weitermachen, Sie werden sich möglicherweise unter einem anderen Schild wieder dort finden und versuchen, Jugendliche anzuwerben. Deswegen müssen wir dringend etwas tun.

Ich will noch einmal sagen, dass die Landesregierung mit ihrem Kompetenzzentrum gegen Extremismus und insbesondere auch das Violence Prevention Network mit seiner Arbeit, was wir hier schon gelobt haben und was wir auch in der letzten Debatte im September ausdrücklich gelobt haben, einen guten Weg gegangen sind. Aber das ist nur ein Beginn.

Ich will einmal sagen: Wenn hier immer die Rede davon ist, dass alles so umfangreich vernetzt wird, stimmt das eben nicht. Es gibt sehr viele andere Anbieter in diesem Bereich, wie die Kirchen, wie die Anne-Frank-Bildungsstätte in Frankfurt, die AWO in Offenbach, die hier nie eine Erwähnung finden und die bislang auch mit diesen Aktivitäten nicht vernetzt werden. Das ist aber dringend notwendig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, mir das im Internet anzuschauen, was die Landesregierung so bietet. Da wird unter dem hessischen Kompetenzzentrum gegen Extremismus – ich habe es einmal mitgebracht – unter „Deradikalisierung und Ausstiegsprogramm“ auf VPN verwiesen, „Angehörigenberatung“: VPN, „Fortbildung, Sensibilisierung und Immunisierung“: VPN, „Prävention durch Information“: Landesamt für Verfassungsschutz, „Angehörigenberatung“: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Meine Damen und Herren, von den anderen Trägern überhaupt keine Spur. Unter einer umfassenden Vernetzung verstehen wir etwas anderes.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN – Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Wissen Sie, Herr Kollege Frömmrich, darauf habe ich gewartet. Da gibt es nämlich einen Hinweis zum Präventionsnetzwerk. Wenn man das im Internet öffnet, was kommt da? – Ein Schaubild vom hessischen Kompetenzzentrum gegen Extremismus, wo es Unterspalten gibt, und da wird wieder genau auf VPN verwiesen. Herr Kollege Frömmrich, vielleicht schauen Sie sich das einmal an. Es wäre zwingend notwendig, weitere Maßnahmen zu ergreifen.

Ich will nur einige davon nennen: Wir wollen Ausbildung und Schulung von Menschen, die in Jugendzentren in der Kinder- und Jugendarbeit, in Schulen und Vereinen sind, aber auch in der Polizei und im Justizvollzug arbeiten.

(Zuruf des Abg. Ismail Tipi (CDU))

Die Entwicklung von Maßnahmen zur Deradikalisierung in Justizvollzugsanstalten muss ausgebaut werden; Ausbau der muslimischen Seelsorge in Justizvollzugsanstalten, Entwicklung eines Programms zum Ausbau und zur Weiterqualifizierung der kommunalen und verbandlichen Jugendarbeit, der außerschulischen Jugendbildung, der Jugendsozialarbeit und der Schulsozialarbeit, Verstärkung der Arbeit mit Eltern und Angehörigen; und die Aufklärungsarbeit, Beratungsprogramme sowie Informationsangebote müssen sich explizit Eltern und Angehörigen widmen.

Herr Innenminister, ich denke auch, dass es ein guter Beginn ist, Extremismusprävention in Flüchtlingseinrichtungen anzubieten und dort Informationen zu geben. Aber auch da müssen wir sehen, dass wir das flächendeckend anbieten können. Wir brauchen eine bessere Vernetzung aller Beteiligten und den Aufbau eines kommunalen Beratungsnetzwerks, um die Zusammenarbeit von Schulen, Sozialarbeit, Jugendhilfe und Eltern zu gewährleisten.

Meine Damen und Herren, was wir vermissen, ist ein umfangreiches Angebot seitens des hessischen Sozialministeriums für hessische Kitas. Wo ist denn das umfassende Präventionsangebot des Kultusministers an Schulen?

(Zuruf des Abg. Ismail Tipi (CDU))

Kollegin Faeser, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Ich komme gerne zum Schluss, Frau Präsidentin. – Genau das benötigen wir: Wir brauchen umfangreiche Prävention – übergreifend, nicht nur vom Innenministerium, auch vom Sozialministerium, auch vom Bildungsministerium. Das vermissen wir in der Debatte. Wir bitten Sie, zukünftig etwas breiter aufgestellt über diese Maßnahmen zu reden. Etwas Differenzierung würde diesem Thema sehr guttun. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Schaus, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich den vorliegenden schwarz-grünen Antrag erstmals las, dachte ich mir: Was wollen die Antragsteller damit erreichen? Welchen Anteil hat Hessen an diesem bundesweiten Verbot? – Aber wir lesen im Antrag, dass die Landesregierung maßgeblich dabei geholfen hat, das Verbot zu erreichen, und dann wird das schon stimmen.

Aber offensichtlich geht es den Antragstellern mit ihrer Aufwertung zum Setzpunkt wieder einmal eher darum, ihre Law-and-Order-Politik breit darzustellen, also um die Bedienung einer bestimmten Klientel der deutschen Bevölkerung.

(Zurufe der Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Holger Bellino (CDU))