Protocol of the Session on December 14, 2016

Die entsprechenden Fälle und die teilweise äußerst dürftige Informationspolitik habe ich Ihnen an dieser Stelle bereits mehrfach vorgehalten, vor allem in dem vergangenen halben Jahr. Deswegen verzichte ich darauf, das jetzt zu wiederholen.

Umso deutlicher will ich an dieser Stelle ein ganz klares und eindeutiges Lob für die Landesregierung und für das Vorgehen des Innenministers aussprechen. Wir sehen sehr deutlich, dass Gründlichkeit bei einem Verbotsverfahren Trumpf ist, gerade weil es hier um grundrechtsrelevante Materien geht. Hier geht es nicht nur um Versammlungs

und Vereinigungsfreiheit, hier ist auch die Religionsfreiheit berührt. Dann ist die Prüfung der Verhältnismäßigkeit ein ganz besonders wichtiger Punkt. Ein laxer Umgang mit Grundrechten darf diesem Staat niemals unterstellt werden können. Deswegen braucht es auch Zeit, um die Daten zu sammeln, die man benötigt, damit ein solches Verbot umgesetzt werden kann.

(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Ismail Tipi (CDU) und Hermann Schaus (DIE LINKE))

Eines will ich deutlich sagen: Bei zu schnellem, schlecht vorbereitetem Handeln besteht die Gefahr, dass es einer juristischen Überprüfung nicht standhält. Es hat eine ganz fatale Wirkung, wenn so etwas passiert. Das hat nämlich eine Legitimationswirkung für diejenigen, die sich durch die Gerichte in dem Glauben bestätigt sehen könnten, dass ein Verbot nicht korrekt war. Das sind im Übrigen auch die Befürchtungen, die uns den Verlauf des NPD-Verbotsverfahrens nach wie vor mit großer Skepsis beobachten lassen. Ein Scheitern wäre eine Katastrophe für unseren Rechtsstaat. Das gilt auch bei diesem Thema.

(Beifall bei der FDP)

Aus diesem Grund halten wir es ausdrücklich für richtig, dass es eine umfassende Sammlung von Informationen und Daten durch das Bundesinnenministerium gegeben hat. Das wird hoffentlich ausreichen, damit das Verbot auch bei einer etwaigen Überprüfung bestehen bleibt; denn – das will ich hier noch einmal betonen – die Religionsfreiheit ist ein hohes, verfassungsrechtlich geschütztes Gut, und sie umfasst grundsätzlich natürlich auch die Verteilung von Koranausgaben oder irgendeiner anderen heiligen Schrift. Das war der Grund, warum wir uns bei diesem Thema in den letzten Jahren so schwergetan haben. Wir haben gesehen, was dort eigentlich bezweckt war. Aber wem kann man es verwehren, eine heilige Schrift zu verteilen? Das ist in der Tat der Punkt.

Der entscheidende Aspekt ist – das musste sorgfältig geprüft und herausgearbeitet werden –, dass offensichtlich unter Berufung auf die Religion letztlich aus politischen Gründen für einen vermeintlich heiligen Krieg geworben wurde, um junge Menschen in den Tod zu schicken. Wer dies tut, kann sich ganz sicher nicht auf den Schutz von Grundrechten berufen.

(Beifall bei der FDP, der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das muss auch die klare Botschaft dieser Debatte sein: Ein freiheitlicher demokratischer Rechtsstaat ist tolerant. Gegenüber Demokratiefeinden ist er aber auch wehrhaft und muss er mit aller Härte vorgehen. Das gilt in diesem Zusammenhang, aber auch sonst. Ich muss daran erinnern, dass es auch andere Situationen gab, wo man hieran erinnern musste. Ich denke an die falsche und gescheiterte Taktik der Landesregierung etwa bei den Blockupy-Krawallen.

(Beifall bei der FDP)

Wir stehen also ausdrücklich hinter dem Verbot und tragen den heutigen Antrag daher mit, auch wenn die Landesregierung die Situation nachvollziehbarerweise aus Sicht der Koalition etwas schöner redet, als sie tatsächlich ist. Trotzdem muss ich ein wenig Wasser in den Wein schütten. Ich will drei Punkte erwähnen:

Erstens. Dieses Verbot ist alles andere als ein Grund, sich nunmehr hierauf auszuruhen.

(Michael Boddenberg (CDU): Ja, aber das ist doch eh klar!)

Ich hoffe, dass wir uns dessen alle bewusst sind. Es ist keine neue Erkenntnis, dass die islamistischen Strukturen in Hessen besonders stark ausgeprägt sind. Die Anzahl der Durchsuchungen im Zusammenhang mit der „Lies!“-Aktion spricht gerade im Rhein-Main-Gebiet, in Frankfurt, Bände. Das zeigt sich auch daran, dass wir im Moment wohl nicht mehr das große Problem von Ausreisenden nach Syrien oder in den Irak haben. Dafür mussten wir aber erkennen, dass es in Hessen vermehrt Radikalisierungen gibt. Als Beispiele nenne ich nur die Abu-Hanifa-Moschee in Frankfurt oder die Al-Madina-Moschee in Kassel. Auch das muss unsere Wachsamkeit erhöhen. Auch wenn es sich bei dem „Lies!“-Verbot um einen wichtigen Schlag gegen die Szene handelt, können wir nicht davon ausgehen, dass damit auch nur im Entferntesten der Nährboden für islamistische Radikalisierungen entzogen wäre. Wir müssen in den kommenden Monaten vielmehr ein besonderes Augenmerk auf die Hinterhofmoscheen legen, die unsere Toleranz ausnutzen und gegen unsere Leitkultur sind. Ich rede eigentlich weniger gern von „Leitkultur“, sondern von unserem Grundgesetz. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland spiegelt wider, was andere gern als „Leitkultur“ benennen. Die Toleranz, die dieses Grundgesetz befiehlt, ist nichts, was man ausnutzen lassen darf im Kampf gegen das Grundgesetz.

(Beifall bei der FDP)

Ich will als Zweites einen Punkt erwähnen, der mir ganz besonders wichtig ist. Im Antrag der Koalition wird in Punkt 5 korrekterweise auf die Gründe für eine islamistische Radikalisierung verwiesen. Im nächsten Absatz, in Punkt 6, wird auch auf die Präventionsarbeit in Hessen eingegangen, die in den vergangenen Jahren – das ist unbestritten; wir haben das hier oft genug diskutieren müssen – stetig ausgebaut wurde. Was uns jedoch in dem Antrag völlig fehlt, ist eine wichtige Erkenntnis, die wir schon in der letzten Legislaturperiode bearbeitet und umgesetzt haben und die ganz besonders bei der großen Expertenanhörung im Landtag immer wieder genannt worden ist: Es gibt unter den Radikalisierten, meist Jugendlichen, ein großes Defizit an religiöser Bildung, das erst dazu führt, dass die salafistischen Rattenfänger bei den Betroffenen überhaupt Gehör finden können. Das wird in Ihrem Antrag zumindest in einem Satz erwähnt. Was aber fehlt, ist die Konsequenz – die Notwendigkeit religiöser Bildung. Insbesondere der islamische Religionsunterricht wird in Ihrem Antrag mit keinem Wort erwähnt.

(Beifall bei der FDP)

Ich will das hier ausdrücklich klarstellen: Auch wir sind derzeit äußerst unglücklich über die Entwicklungen in der Türkei. Auch wir haben Befürchtungen, wie sich dies auf den Religionsunterricht und die Gestaltung des Religionsunterrichts in Hessen auswirken könnte. Das darf aber nichts daran ändern, dass wir daran festhalten müssen, diesen Ansatz der religiösen Bildung weiterhin zu verfolgen, gerade zur Stärkung der religiösen Bildung, zur Immunisierung junger Menschen gegen Indoktrination. Das ist unerlässlich.

(Beifall bei der FDP, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, es freut mich, dass der Beifall auch aus den Reihen der Koalition kommt.

Das wäre der Erwähnung in Ihrem Antrag wert gewesen. Das soll uns aber nicht daran hindern, den Antrag trotzdem zu unterstützen. Ich habe das schon gesagt.

Der dritte und letzte Punkt, den ich erwähnen will, ist, dass wir natürlich aufpassen müssen, ob und welche Ausweichaktionen es gibt. Wenn die „Lies!“-Stände schlicht umlackiert werden und künftig mit einer Mohammed-Biografie für den Dschihad geworben werden soll – das hat Pierre Vogel bereits angekündigt und betrieben –, dann sind auch hier alle rechtsstaatlichen Maßnahmen zu ergreifen, um dies zu unterbinden.

Meine Damen und Herren, ich will abschließend sagen: Wir werden die Landesregierung und den Innenminister auch weiterhin unterstützen, wenn es um die Bekämpfung des Islamismus in Hessen geht. Ebenso werden wir auch in Zukunft den Finger in die Wunde legen, wenn wir den Eindruck haben, dass es an Entschlossenheit fehlt. Ich sage mit meinem letzten Satz: Herr Minister, zeigen Sie Stärke bei der Verteidigung unserer Grundwerte und unseres Verfassungsstaates. Wenn Sie dies tun, haben Sie unsere volle Unterstützung.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Frömmrich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir leben in einem Land, in dem die Religionsfreiheit ein durch das Grundgesetz geschütztes Grundrecht ist. In Art. 4 heißt es:

Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

Das Recht, einen Glauben zu haben und sein Leben danach auszurichten, ist verfassungsrechtlich garantiert, und es ist ein Fundament unserer Demokratie. Auch die Verteilung von Koranexemplaren und Koranübersetzungen steht unter diesem Schutz der Religionsfreiheit. Wir glauben, dass es wichtig ist, dies im Rahmen dieser Debatte einmal vor Augen zu führen, wenn wir darüber reden, wie weit die religiöse Betätigung in Deutschland gefasst ist und wann diese Freiheit an grundgesetzliche Grenzen stößt.

Viele Menschen in unserem Land nehmen dieses Grundrecht wahr. Sie leben ihren eigenen Glauben und leben friedlich und respektvoll mit Menschen zusammen, die einen anderen Glauben haben. Es ist egal, ob es christliche Kirchen, jüdische Gemeinden oder muslimische Glaubensgemeinschaften sind: Die überwiegende Mehrheit in unserem Land lebt dieses Grundrecht in einem friedlichen und respektvollen Miteinander.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Dieses Grundrecht steht im Übrigen allen zur Verfügung. Es steht allen Menschen, die hier leben, zur Verfügung, und es ist egal, ob es Deutsche oder Ausländer sind. Dass

wir dieses Grundrecht schützen und dafür sorgen, dass die Wahrnehmung dieses Grundrechts gewährleistet wird, zeichnet unsere freie und offene Gesellschaft aus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer dieses Grundrecht aber missbraucht, wer unter dem Deckmantel der freien Religionsausübung unsere vielfältige, offene, tolerante und friedliche Gesellschaft bekämpft, wer den bewaffneten sogenannten Dschihad befürwortet, wer junge Menschen radikalisiert, kann sich nicht auf die freie Ausübung dieses Grundrechts berufen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb ist es richtig, dass der Bundesinnenminister die islamische Vereinigung „Die wahre Religion“ und damit die sogenannte „Lies!“-Aktion verboten hat. Von den Polizeibehörden wurden rund 70 Verbotsverfügungen ausgehändigt, und in mehr als 60 Objekten wurden Durchsuchungen durchgeführt. Ihr größtes Potenzial sind überwiegend junge Menschen. Das zeigen nicht zuletzt die überwiegend jungen Menschen, 140 an der Zahl, die nach Syrien oder in den Irak in den Dschihad ausgereist sind und sich zuvor an der „Lies!“-Aktion beteiligt haben. Wir senden das klare Zeichen: Islamistische Fanatiker, religiöse Fundamentalisten, die versuchen, junge Menschen zu radikalisieren und in den sogenannten Dschihad zu schicken, werden nicht geduldet. Der Islamismus hat in Deutschland, in Hessen keinen Platz.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Extremistische Organisationen, die den Koran zweckentfremden, um sich in Wirklichkeit gegen die verfassungsmäßige Ordnung zu wenden, dürfen in einem wehrhaften Rechtsstaat nicht hingenommen werden. Wer sich gegen die Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben aller Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Weltanschauung und ihrem Glauben, wendet, bekämpft unsere Grundwerte und muss deshalb mit dem entschiedenen Widerstand unseres Rechtsstaats und der Demokraten rechnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

In einigen Kommentaren und Stellungnahmen konnte man lesen, dass dieses Verbot viel zu spät gekommen sei. Ich möchte noch einmal betonen, dass wir uns mit derartigen Verfahren im Kernbereich des Grundgesetzes bewegen. Die Religionsfreiheit einerseits und die aus Art. 9 resultierende Freiheit, Vereinigungen zu gründen, andererseits sind hohe Rechtsgüter, die unter dem besonderen Schutz des Staates stehen. Solche Verfahren sind sehr gründlich und sehr gewissenhaft zu führen. Unser Dank gilt den Bundesbehörden, aber insbesondere auch den hessischen Sicherheitsbehörden, die sehr gründlich und sehr sorgfältig gearbeitet haben, bevor dieses Verbot zum Tragen gekommen ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Verbotsverfahren sind das letzte Mittel. Natürlich müssen Sicherheitsbehörden mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gegen diejenigen vorgehen, die unsere Freiheit und unsere offene Gesellschaft bekämpfen. Wir müssen aber alle Anstrengungen unterneh

men, damit junge Menschen erst gar nicht in die Fänge solcher Extremisten kommen.

Wir haben es mit einer sehr komplexen Problemlage zu tun. Bei der Werbung junger Menschen spielen oft soziale Probleme eine Rolle, häufig sind aber auch Jugendliche betroffen, die, gemessen an formaler Bildung, deutschen Sprachkenntnissen und Einkommen, als gut integriert angesehen werden müssen. Bei der Radikalisierung junger Menschen spielen viele Faktoren eine Rolle: Entfremdung, Identifikations- oder Identitätskonflikte, Orientierungslosigkeit, reale oder so empfundene Diskriminierung, Nichtanerkennungserfahrungen, Brüche in der Biografie, reale oder empfundene soziale Benachteiligung, vermeintliche Perspektivlosigkeit.

Hier setzen unsere Präventionsprogramme an. Ich will noch einmal daran erinnern, dass die „Beratungsstelle Hessen – Religiöse Toleranz statt Extremismus“ durch die Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ als bundesweit vorbildliches Projekt ausgezeichnet wurde. Wir haben als Land Hessen frühzeitig erkannt, dass wir gegen den Islamismus und Salafismus eine Präventions- und Interventionsstrategie brauchen. Dieses Programm hat bundesweit Vorbildcharakter. Wir sollten alle gemeinsam stolz darauf sein, dass wir im Land Hessen so etwas vorzuweisen haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Auch in der Anhörung im Landtag zu diesem Themenkomplex – Kollege Greilich hat es angesprochen – wurde diese Präventionsstrategie von vielen positiv bewertet. Wir zeigen damit auch: Wir lassen diese jungen Menschen nicht im Stich – wir kümmern uns um euch, ihr gehört dazu. – Wir brauchen aber auch ein viel stärkeres Werben für unsere Demokratie, für unsere Grundwerte und für unseren Rechtsstaat.

Ahmad Mansour hat neulich beim Herbstgespräch des Landesamts für Verfassungsschutz gesagt: Warum schaffen wir es, junge Menschen für iPads und iPhones zu begeistern, aber nicht für unsere Demokratie und für unsere offene Gesellschaft? – Recht hat er. Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir diese Arbeit intensivieren können. Diese Frage muss uns in der Präventionsstrategie noch viel stärker beschäftigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will diese Präventionsarbeit aber auch nicht überhöhen. Wir sind mit dem, was wir in Hessen machen, auf einem guten Weg. Wir sind aber längst nicht am Ziel. Das habe ich gerade gesagt, als ich das Werben für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat angesprochen habe. Die Probleme in diesem Bereich sind vielfältig. Wir müssen sowohl mit repressiven als auch mit präventiven Mitteln alles unternehmen, um Extremismus effektiv zu bekämpfen.

Die Verbotsverfügung zeigt deutlich, dass die wehrhafte Demokratie gegen diejenigen vorgeht, die unsere freie und offene Gesellschaft abschaffen wollen. Ich glaube, es ist ein deutliches Zeichen, dass wir eine wehrhafte Demokratie sind und dass wir das in unserem Land nicht zulassen. – Herzlichen Dank.